D. Moses (Hrsg.): Empire, Colony, Genocide

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Title
Empire, Colony, Genocide. Conquest, Occupation, and Subaltern Resistance in World History


Editor(s)
Moses, Dirk
Series
Studies on War and Genocide, 12
Published
Oxford 2008: Berghahn Books
Extent
480 S.
Price
£ 47.50
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Mathias Gsponer, Historisches Institut, Universität Bern

Der Sammelband erscheint als 12. Band der Reihe „Studies on War and Genocide“. Diese Reihe hat in den vergangenen Jahren mit einigen namhaften Beiträgen von sich reden gemacht. Vorliegender Band steht dem in nichts nach. Das Buch ist Frucht einer Konferenz, die im Jahre 2003 in Sydney stattgefunden hat. Die Konferenz war eine der ersten, die sich mit dem Zusammenhang von Kolonialismus und Genozid beschäftigt hat. Die Analyse der Verbindung zwischen Genozid, Imperialismus, Kolonialismus und der Einfluss der unteren Chargen („subaltern resistance“) zieht sich als roter Faden durch die Publikation. Die Konferenz von Sydney ist auch Grund für die Auswahl der Beiträge. Es kommen renommierte Autoren aus dem weiten Feld der Genocide Studies genauso zu Wort wie bislang eher weniger in Erscheinung getretene Nachwuchsforscher. Augenfällig ist zudem der Umstand, dass die Autoren fast ausnahmslos Zeithistoriker sind. Viele von ihnen arbeiten und lehren an australischen Universitäten. Dies muss dem Sammelband nicht unbedingt zum Nachteil gereichen, man muss sich aber der dezidiert historischen Perspektive beim Lesen bewusst sein. Im Zuge des vermehrten Mitwirkens von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachrichtungen steht es gar ein wenig quer in der multidisziplinären (wissenschaftlichen) Landschaft der Genocide Studies.

Die Verquickung der Leitbegriffe Imperialismus, Kolonialismus und anderer klassischer Termini der Geschichtswissenschaften mit dem Genozidbegriff ist nicht grundsätzlich neu, zeigt man sich doch in Kreisen der Genozidforscher seit einigen Jahren sehr offen für eine breite Diskussion und Einbettung besagter historischer Phänomene in einen umfassenden theoretischen Rahmen, der methodisch breit abgestützt ist. Diese Aufgabe ist nicht immer unumstritten, die Herangehensweise ist des Öfteren harscher methodischer Kritik ausgesetzt und die Erkenntnisse sind meist von einer gewissen Brisanz – aber immer erhellend und intellektuell anregend. Dazu trägt auch der dieser Band bei.

Die Publikation ist dreigeteilt. Bemerkenswert am Buch ist als erstes der Platz, der der theoretischen Grundlegung gewährt wird. Ein gutes Drittel des Buches beschäftigt sich mit den Begriffen, die den Titel prägen: Colony, Colonialism, Empire, Imperialism, Resistance, Subaltern Resistance und natürlich Genozid. Das Aufwerfen begriffsgeschichtlicher und konzeptioneller Fragen war und ist immer noch ein dringendes Desiderat der Genocide Studies. Es tut dem Band gut, dass er dieser Analyse derart viel Raum gibt. Daran anschließend folgen Fallstudien, die sich mit dem Zusammenspiel von Empire, Kolonialisierung und Genozid beschäftigen. Lobenswert ist die Auswahl der Beiträge, die einen weiten geografischen Bogen spannen. Dass ausschließlich frühneuzeitliche und neuzeitliche Vorgänge Eingang in die Auswahl fanden, mag sich zu einem guten Teil aus der dezidiert historischen Perspektive des Sammelbandes erklären. Bei einem – mehrfach explizit bestätigten – Rückgriff und einer konzeptionellen Anlehnung auf das ursprüngliche Genozid-Konzept von Raphael Lemkin, hätte eigentlich einer Aufnahme früherer genozidaler Vorgänge nichts im Wege gestanden. Bei der vorherrschenden starken Bezugnahme auf Imperialismus und Kolonialismus (die ja gerade gewollt ist) ist dieses Vorgehen gerechtfertigt. In einem dritten und letzten Teil steht der so genannte „Genocide from Below“ im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Das Buch versammelt 19 Beiträge. Allein die Anzahl spricht für den ambitionierten Anspruch, das Feld für eine breite Diskussion der Zusammenhänge zwischen Kolonialismus, Imperialismus und Genozid vorzubereiten. Dies wird dem Band zweifelsohne gelingen. Im ersten Teil kommen A. Dirk Moses, Andrew Fitzmaurice, John Docker, Patrick Wolfe, Raymond Evans, Lorenzo Veracini und Dat Stone zu Wort. Mark Levene, Ben Kiernan, Ann Curthoys, Norbert Finzsch, Blanca Tovías, Dominik J. Schaller, Donald Bloxham, Robert Geraci, David Furber und Wendy Lower tragen die Fallstudien im zweiten Teil bei. Im dritten Teil beschäftigen sich David Cahill, Robert Cribb und Alexander Hinton mit subaltern dominierten Ausprägungen von genozidalen Vorgängen und Strukturen. Es ist verständlich, dass eine abschließende Betrachtung aufgrund der zahlreichen Beiträge kein einfaches Unterfangen gewesen wäre. Dennoch wäre eine Zusammenfassung und eine Interpretation der Resultate – zur Beziehung von Kolonialisierung und Genozid – äusserst wünschendwert gewesen. So bleiben die einzelnen Beiträge uneingeordnet. Schade.

Es seien einige Schlüsselbeiträge kurz besprochen. Zum einleitenden Teil: Herausgeber A. Dirk Moses versucht, die bedeutungsschweren Begriffe Empire, Colony und Genocide von ihrer ideologischen Last zu befreien, indem er den Leser auffordert, nicht die negativ konnotierten „-ismen“ (Imperialismus, Kolonialismus) zum Zentrum der Betrachtungen zu machen, sondern sich auf die Strukturen von Herrschaft und Abhängigkeit in der Geschichte zu konzentrieren. Schon Lemkin verknüpfte bei der Formulierung seines Genozidkonzeptes ohne falsche Scheu die erwähnten Begriffe und Moses ruft in Erinnerung, dass Lemkin mitnichten der Erste war, der sich methodisch derart offen zeigte. Nach seinen Worten ist er lediglich der Kulminationspunkt einer gewichtigen Strömung abendländischer Denker, die schon seit der Frühneuzeit auf genozidale Strukturen bei Kolonialismus und Imperialismus hingeweisen haben. Insofern leistet der Beitrag von Moses einen klärenden Einstieg in die Lektüre. In die gleiche Richtung zielt auch Andrew Fitzmaurice, der zeigen will, dass Lemkins fundamental wichtiges Verständnis von Genozid durch die schon seit Jahrhunderten vorgetragene Kritik an der Kolonisation geprägt worden ist.

Die Fallbeispiele im zweiten Teil überzeugen durch eine „globale“ Auswahl. Als Beispiel für bisher eher vernachlässigte „hot spots“ der Genozidforschung sei der Beitrag von Dominik J. Schaller angesprochen. Er handelt von den Völkermorden an den einheimischen Stämmen in der Deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika. Während der Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika zwar nicht immer als klassischer Fall von Genozid angesehen wird, so ist doch unter vielen namhaften Forschen unbestritten, dass es sich dabei um Völkermord handelt. Schaller geht aber darüber hinaus und bezeichnet den Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika ebenfalls als Genozid – meines Wissens einer der ersten Forscher, die diesen Konflikt unter diesen Vorzeichen untersuchen. Und Schaller lässt in der Analyse keinen Zweifel offen. Er bringt in seinem Beitrag, die bei andern Beiträgen oft angedeutete aber nirgends so klar formulierte Schlussfolgerung zum Ausdruck: Völkermord sei kein ungewolltes Beiprodukt der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika sondern struktureller Bestandteil ebendieser Herrschaft gewesen. Wo sieht er die Gründe dafür? Im Zusammenspiel von mehreren Faktoren: Einerseits tragen institutionelle Voraussetzungen dazu bei, dann muss der internationale Kontext mitberücksichtigt werden und schließlich kann die Bedeutung des „kleinen Soldaten“ vor Ort („men on the spot“) nicht genug hervorgehoben werden. Sein Fazit entbehrt nicht einer gewissen Radikalität: Nicht nur seien Genozide immer in kolonialistischem Umfeld geschehen, sondern kolonialistische Strukturen und Kolonialismus als solcher sei fortwährend und dauernd genozidal. Eine durchaus kühne, wenn auch wohl zutreffende Aussage, die einer zugespitzten Zusammenfassung des gesamten Sammelbandes gleichkommt.

Der dritte Teil, der sich mit „Genocide from Below“ beschäftigt, wirkt auf den ersten Blick als Fremdkörper. Obwohl das Bemühen, den Wirkungsgrad des einfachen Soldaten vor Ort bei genozidalen Prozessen zu untersuchen, einem dringenden Desiderat entspricht und deshalb lobenswert ist, bleiben die hier präsentierten Beiträge seltsam isoliert. Vor allem der Beitrag von David Cahill über den Genozid der Indios bei der Túpac Amaru Revolte 1780-1782 in Peru an den dortigen Mestizen und Creolen wirft zwar neues Licht auf die Vorgänge in den Anden, kann aber in seiner Argumentation nicht überzeugen. Viel mehr als eine rassistische Kriegsführung seitens Túpac Amarus werden Auflösungserscheinungen innerhalb der Führungsstruktur der Aufständischen offen gelegt. Auch wären die Beiträge von David Cahill und Robert Cribb wohl besser unter den restlichen Fallbeispielen erschienen und an ihrer Stelle eine Synthese zu den Aussagen des Sammelbandes aufgenommen worden. Der Beitrag von Alex Hinton („Savages, Subjects, and Sovereigns“) kann diese Zusammenführung der leitenden Gedanken der Fallbeispiele leider nur ansatzweise leisten.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die (staats)philosophischen Ansichten von zeitgenössischen Kritikern kolonialistischen Gebarens wie Bartolomé de las Casas, Francisco de Vitoria, Hugo Grotius, John Locke, Samuel Pufendorf, Emeric de Vattel, oder Christian Wolff sind zwar seit langem bekannt. Dennoch leistet das vorliegende Buch einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über methodische und konzeptionelle Grundlagen des Genozid-Begriffes, indem es den Genozidbegriff begriffshistorisch besser verankert, als das in den Genocide Studies bis anhin der Fall gewesen ist. Zu oft wurde bisher Raphael Lemkin als der Übervater des Konzeptes angesehen. Nicht dass seine Verdienste für die Entwicklung und die Formulierung des Konzeptes gering wären – im Gegenteil. Aber es muss doch festgestellt werden, dass viele Autoren bei Lemkin den Anfang der Diskussion überhaupt sahen. „Empire, Colony, Genocide“ beweist, dass Lemkins Genozidbegriff nicht autopoietischen Ursprunges ist – sondern dass er bis dato nur nicht treffend verbalisiert worden ist. Diese Erkenntnis schadet Raphael Lemkin nicht, im Gegenteil, sie wertet ihn auf.

Zweitens fügt sich der Band in die neuen Entwicklungen in den Genocide Studies ein, die den Blick vermehrt auf Entwicklungen von unten richten (Genocide from Below), indem sie die „men on the spot“ in den Fokus nehmen.

Drittens fallen einige Beiträge mit gewagten Aussagen und unkonventionellen Herangehensweisen an das Thema auf. Der Sammelband ermutigt, wissenschaftliche Scheuklappen abzulegen.

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19.12.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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