M.Housden: The League of Nations and the Organization of Peace

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Title
The League of Nations and the Organization of Peace.


Author(s)
Housden, Martyn
Published
London 2012: Longman
Extent
200 S.
Price
€ 19,29
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Isabella Löhr, Universität Basel

Die Einführung von Martyn Housden in die Geschichte des Völkerbunds reiht sich in die immer zahlreicher werdenden Publikationen ein, die in den letzten zehn Jahren zum Völkerbund erschienen sind. In diesen Monographien und Aufsätzen haben Historiker und Historikerinnen sich von dem lange Zeit vorherrschenden Narrativ eines großflächigen Scheiterns des Völkerbunds gelöst und mittels einer kritischen Auseinandersetzung mit dem reichhaltigen Archivmaterial, das die Organisation zwischen 1919 und 1946 produzierte, auf den innovativen Charakter regulatorischer Ideen, politischer Entscheidungsprozesse, der Ausgestaltung von Politikfeldern, der Integration nicht-diplomatischer Akteure oder der unübersehbaren Kontinuitäten zwischen Völkerbund und Vereinte Nationen hingewiesen. In diesem Kontext verortet sich auch Martyn Housden, dessen Weg zur Geschichte des Völkerbunds über die Konflikte um Minderheiten in der Pariser Nachkriegsordnung und den Einsatz des Völkerbunds für Flüchtlinge aus Osteuropa in den 1920er Jahren führte.

Die mit der Gründung der Vereinten Nationen aufkommende Einschätzung, der Völkerbunds sei ein politischer Misserfolg gewesen, konzentrierte sich bis weit in die 1990er Jahre auf klassische Themen der Diplomatie- und Politikgeschichte – Abrüstung, Sicherheit und Friedenssicherung. Housden setzt dem eine zwar kritische, aber weitestgehend wohlwollende Einschätzung des Völkerbunds entgegen, die allerdings nicht, wie man vermuten könnte, auf einer Ausblendung der Kernthemen einer am (außen-)politischen Handeln orientierten Geschichtsschreibung beruht. Ganz im Gegenteil: Bereits der Titel des Buches räumt den Themen Friedenssicherung und Abrüstung eine prominente Position ein und verweist damit auf die Stärke des Buches. Housden vereint die klassisch politische Geschichte des Völkerbunds mit der Geschichte der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen seiner Kommissionen und technischen Organisationen und überbrückt damit den bisher klaffenden Graben zwischen den Narrativen, die entweder Geringschätzung ausdrückten oder aber die innovativen Eigenschaften des Völkerbunds betonten.

Dies geschieht in sechs Kapiteln, in denen Housden den Völkerbund einführt, das Neue dieser Organisation abmisst und dem Leser exemplarisch die Minderheitenpolitik, das Feld der humanitären Hilfe, die mit sozialen und wirtschaftlichen Problemen befassten Abteilungen und schließlich das Thema kollektive Sicherheit und Abrüstung vorstellt. Da dieses Buch Teil einer Studienreihe ist, die an Schüler, Studenten und an ein interessiertes Publikum gerichtet ist, schließt die Einführung mit einem Materialteil ab, der eine Auswahl von Quellen aus dem Archiv des Völkerbunds präsentiert, die dessen Wirkungsfeld zeitlich und thematisch abdecken. Eingeleitet werden die Quellen jeweils mitwenigen Worten, die den Entstehungskontext skizzieren und dem Leser entweder kleine Arbeitsaufträge mitgeben oder mitteilen, welche Probleme oder Hindernisse in der jeweiligen Quelle zum Ausdruck kommen. Abgerundet wird die Führung des Lesers durch eine Chronologie politischer Ereignisse, einem knappen Glossar für Institutionen und Konzepte (wie z.B. kollektive Sicherheit) und einem „Who’swho“, das die im Buch figurierenden Akteure biographisch einführt.

Housden gelingt die Integration der oben genannten Tätigkeitsfelder des Völkerbunds über einen weiten Sicherheitsbegriff, der im Sinn der Human Security Agenda der Vereinten Nationen von 2003 klassisch sicherheitspolitische Maßnahmen einbettet in die Lösung sozialer und wirtschaftlicher Missstände und der Flüchtlingshilfe. Dies ermöglicht es Housden, das Schwanken des Völkerbunds zwischen „super-state, commonwealth, utopia“ (S. 8) trotz aller Fallstricke, die eine uneindeutige Organisationsstruktur mit sich bringt, als ambitioniertes und zukunftsorientiertes Projekt zu interpretieren, dessen Stärken bei den praktischen Maßnahmen lag und dessen größtes Problem, so Housden, die sich rasant verändernden politischen Rahmenbedingungen waren. In diesem Sinn diskutiert Housden auch den Neuheitswert des Völkerbunds. Einer langen Liste neuer Merkmale, die mit den Stichworten universaler Anspruch und der Zusammenführung verschiedener internationaler Politikfelder unter einem Dach benannt sind, folgt die Feststellung, dass Konferenzdiplomatie und die Überreste des europäischen Konzerts die Satzung sichtbar prägten und der Völkerbund damit faktisch von Beginn an nur eingeschränkt zukunftsfähig gewesen sei.

Die folgenden Kapitel führen anhand von Beispielen knapp und präzise in die Rolle ein, die der Völkerbund bzw. die zuständigen Kommissionen in den Feldern Minderheitenschutz, Streitschlichtung, Lösung von Grenz- und Territorialkonflikten, Flüchtlingsströme, Gesundheitspolitik, Drogenhandel und Sklaverei, Mandatsgebiete, internationale Arbeitspolitik, Abrüstung und kollektive Sicherheit spielten. Bei aller Bewunderung, die Housden für den Völkerbund hegt, fließt in seine Darstellung dennoch die Tendenz ein, das Narrativ vom Scheitern des Völkerbunds zu wiederholen – sicherlich ungewollt und gleichsam durch die Hintertür. Denn ein genauer Blick auf die Zeiträume und das Material, mit dem Housden in den einzelnen Kapiteln arbeitet, legt einen zeitlichen Bruch nahe, der mit der rasanten Verschlechterung der internationalen Beziehungen ab den frühen 1930er Jahren zusammenfällt. Mit Ausnahme des Kapitels zur Abrüstung und kollektiven Sicherheit bemühen alle vorhergehenden Kapitel Beispiele oder zitieren Quellenmaterial, das aus den 1920er Jahren und damit aus dem Zeitraum stammt, der in den meisten Darstellungen als Blütezeit des Völkerbunds vorgestellt wird. Besonders deutlich wird dies im Kapitel zur Flüchtlingspolitik. Ausführlich befasst Housden sich mit seinem Spezialgebiet, das heißt mit Fridtjof Nansen und der Repatriierung von Soldaten nach 1919, mit der Hilfe für russische Flüchtlinge Anfang der 1920er Jahre sowie mit dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch 1923. Die Flüchtlingskrise in den 1930er Jahren findet dagegen nur auf einer knappen Seite Erwähnung, was dem Anspruch einer ausgewogenen Darstellung nicht genügen kann. Gleichzeitig legt das letzte Kapitel des Buches über Abrüstungspolitik und kollektive Sicherheit den Schwerpunkt auf die (gescheiterte) Abrüstungskonferenz 1932 und indem Housden mit dem japanischen Einfall in die Mandschurei und dem Krieg in Abessinien fortfährt, thematisiert er genau die Wegmarken, die herkömmlich als Kronzeugen für das Versagen des Völkerbunds herhalten.

Der Grund für dieses hintergründige Fortschreiben eines Narratives, das Housden eigentlich ablehnt, liegt in einem methodischen Problem. Trotz der Explosion insbesondere von Qualifizierungsarbeiten, die im Moment zur Geschichte des Völkerbunds entstehen, zum Teil aber noch nicht publiziert sind, ist die Forschungslage noch lückenhaft und das betrifft vor allem die 1930er Jahre. Housden versucht sich aus diesem Dilemma zu befreien, indem er ausgiebig die zeitgenössische Literatur zum Völkerbund zu Wort kommen lässt – wobei hier ein kritischer Umgang mit Personen wie Jan Smuts oder Lord Robert Cecil wünschenswert gewesen wäre. Hilft ihm dies auf der einen Seite, der älteren Forschungsliteratur auszuweichen, geht dies allerdings zu Lasten einer Kontextualisierung, die den Forschungsstand diskutierte, seine Unzulänglichkeiten offen thematisierte und auf diese Weise dem Leser verständlich machen könnte, warum das Gewicht der Darstellung auf den 1920er Jahren liegt. Auch wenn Housden sich auf diese Weise ein Stück weit seiner eigenen Wirkung beraubt, bietet dieses Buch trotzdem einen guten Überblick und eine solide Einführung in die Geschichte des Völkerbunds.

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17.05.2013
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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