C. Franzius: Recht und Politik in der transnationalen Konstellation

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Title
Recht und Politik in der transnationalen Konstellation.


Author(s)
Franzius, Claudio
Series
Staatlichkeit im Wandel 22
Published
Frankfurt am Main 2014: Campus Verlag
Extent
345 S.
Price
€ 39,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Oliver Krause, Research Academy Leipzig

Die Kontestation bestehender Raumordnungen im Zuge der zunehmenden Pluralisierung von handelnden Akteuren, die sich verschiedenen Rechtsordnungen verpflichten, stellt die Frage nach der Legitimität vorhandener und entstehender Herrschaftsformen. Claudio Franzius’ Studie, die aus der Arbeit im Sonderforschungsbereich an der Universität Bremen „Staatlichkeit im Wandel“ hervorging, konstatiert die Pluralität von Orten des Politischen, wodurch der Staat die Stellung als privilegierte Herrschaftsform einbüßt. Der Autor analysiert unter diesem Eindruck die Überlagerung der nationalstaatlichen Ordnung durch die Rechtsordnung der Europäischen Union. Ziel der Analyse ist ein Funktionsmodell von Politik und Recht in einer transnationalen Konstellation zu umreißen, das sich nicht durch Abschaffung der Nationalstaaten, sondern durch die Permeabilität und Responsivität der Rechtsordnungen der jeweiligen Ebene auszeichnet. Franzius sieht in seiner Studie einen Beitrag zur Fortentwicklung des Öffentlichen Rechts, die zur Schärfung der Konzepte des konstitutionellen Pluralismus und des transnationalen Vertrauens beiträgt. Die Aufteilung der Studien in fünf Teile spannt den Bogen von der Einführung in die Thematik der transnationalen Konstellation über die Betrachtungen der Grenzverschiebungen, die den Wandel im Umgang mit Recht und Politik hervorrufen, zum Funktionswandel von Verfassung und Verwaltung hin zu den Mechanismen der Konfliktverarbeitung in einem transnationalen Raum, um die Ergebnisse der Studie in der Analyse des konstitutionellen Pluralismus und des transnationalen Vertrauens für die Etablierung einer Herrschaftsform in der Europäischen Union zusammenzuführen.

Der erste Abschnitt (A) umreißt neben der obligatorischen Darstellung der Verfahrensweise, die Grundzüge der folgenden Ausführungen bis hin zum Modell des Funktionierens von Politik und Recht in transnationaler Konstellation. Die folgenden drei Kapitel dienen der näheren Ausführung unter der Fragestellung, wie sich das Verhältnis von Recht und Politik durch den Funktionswandel von Verfassung und Verwaltung unter Berücksichtigung des transnationalen Rechts und dessen Rückkopplungen auf das nationale Recht verändert.

Im zweiten Kapitel (B) setzt sich Franzius mit der Tragfähigkeit des Staatsbegriffs auseinander, der infolge der zahlreichen Grenzverschiebungen zwischen öffentlich und privat, innen und außen als auch territorial und funktional inadäquat ist, um ein Modell transnationaler Rechts- und Politikbezüge zu beschreiben. Alle Grenzverschiebungen sind durch Überlappungen gekennzeichnet. Funktionale Sektoren wie Waren, Güter und Interessen enden nicht mehr an den territorialen Grenzen von Nationalstaaten, was die Frage eröffnet, nach welcher Rechtsordnung sich sozial handelnde Akteure richten, die in diesen funktional, aber nicht territorial begrenzten Sektoren agieren. Andererseits bleibt der Nationalstaat ein bestehender Faktor einer transnationalen Rechtsordnung. Allerdings müssen Recht und Politik aus der exklusiven Bindung an Staat als räumlich begrenzte Entität herausgelöst werden, um auch die Verfassung als Folie des Verhältnisses von Recht und Politik in einem transnationalen Raum zu verorten. In der Europäischen Union dient nicht das Völkerrecht als Grundlage der Rechtsordnung, was eine Demokratisierung des Verbundes erschweren würde, sondern das Europarecht. Die Grenzverschiebungen führen zu einer Koexistenz von nationalen und europäischen Rechtsordnungen, die mittels Konfliktmechanismen demokratisierbar sind, indem nicht zwangsläufig jeder Bürger an allen Entscheidungen beteiligt ist, aber die Möglichkeit bestehen muss, Einspruch gegen Gesetze auf der jeweiligen Ebene zu erlauben.

Der transnationale, konstitutionelle Pluralismus kann durch das transnationale Vertrauen, dass Entscheidungen, die innerhalb der Union von Mitgliedsstaaten getroffen werden, auch den eigenen Rechtsprämissen entsprechen, für die Stabilität einer Herrschaftsordnung sorgen, in der ohne den Rückbezug auf den Staat, Politik und Recht als zwei verschiedene Welten aufeinander bezogen werden, um ein neues Verständnis von Verfassung und Verwaltung im Rahmen gewandelter territorialer Bezüge zu schaffen. Verfassungen verkoppeln Recht und Politik innerhalb der jeweiligen Eigenlogik (S. 15). Ergebnis der Betrachtungen ist die Einschätzung, dass transnationaler Konstitutionalismus ohne Grenzen operiert. Dadurch entsteht eine horizontale Dimension sich vernetzender Gewalten der funktionalen Grenzperspektive, die das Völkerrecht anreichert und das Europarecht verändert. Im Umkehrschluss wirkt die Entwicklung auf nationales Recht zurück und etabliert im Zusammenspiel Konfliktbearbeitungsmechanismen.

Die Lösung aus der Zentrierung auf einen Staats-Begriff als Bezugsrahmen für das Zusammenspiel von Recht und Politik bedingt Konsequenzen für die Verfassung und Verwaltung, die Franzius’ im Dritten Kapitel (C) behandelt. Für die Verfassung eines Staates ergibt sich durch den Eintritt in die EU die Konkurrenz zum EU-Recht, was die Staats-Verfassung zu einer Teilverfassung in einem Territorium macht, das zwei verschiedenen territorialen und politischen Entitäten zugehört. Daraus ergibt sich für den Bürger eine Gleichsetzung von Loyalitäten gegenüber zwei verschiedenen Rechtsordnungen, die sich gegenseitig durchdringen, was Franzius als Permeabilität der Ordnungen auf der jeweiligen Ebene bezeichnet. Durch das Europarecht wird der EU-Raum demokratisierbar, was dem Bürger eine Komplexität an politischer Entscheidungsgewalt andient, mit der er sich bewusst und intensiver auseinander setzen muss. Franzius strukturiert indes ein theoretisches Modell zur Funktionsweise von Rechtsordnungen in föderalen Verbünden, wie es die BRD und die EU sind, wobei der Fokus Franzius’ auf der transnationalen Konstellation innerhalb der EU liegt. Es müssen überschaubare demokratische Entscheidungsstrukturen innerhalb der EU entwickelt werden, um die Rechtsordnung des Gemeinwesen und die Politik der EU zu legitimieren (Teil C).Verfassung und Verwaltung sind im Gegensatz zu Volk und Nation keine Makroobjekte, was deren Wandel konkreter beschreibbar macht mit Hinblick auf die Beziehung zwischen Recht und Politik. Die Frage nach der Souveränität bleibt in einem föderalen Gemeinwesen wie der EU unbeantwortet. Anstatt einer Hierarchie legitimiert das transnationale Vertrauen die europäische Politik.

In der Beschäftigung mit der europäischen Rechtsordnung legt Franzius den Fokus auf die Mechanismen der Konfliktverarbeitung (Teil D), was er an Entwicklung der transnationalen Demokratie, der transnationalen Rechtsstaatlichkeit und dem transnationalen Verwaltungsrecht verdeutlicht. Woraus sich drei Dimensionen ergeben: demokratisch rechtsstaatlich und verwaltungsrechtlich. Das Funktionieren des europäischen Verwaltungsrechts gründet in Franzius’ Modell auf dem transnationalen Vertrauen, das durch politische Verfahren hergestellt und gesichert wird, die letztlich auf den Grundrechten basieren, die in den Mitgliedsstaaten gelten. Das ist der Mechanismus, den Franzius als Transnationalisierung des Rechts bezeichnet. Es sollen keine neuen Schichten transnationalen Rechts entstehen, sondern bestehende Rechtsordnungen durchdringen einander, was zur Pluralität von Konstitutionen führt. In diesem Rahmen entwickeln sich Mechanismen der transnationalen Politik und des transnationalen Rechts, die sich auf alle Ebenen auswirken.

Der letzte Teil der Studie (E) dient der Zusammenfassung der Überlegungen, wie eine transnationale Ordnung von Recht und Politik gestaltet sein soll. Recht und Politik müssen durch transnationales Vertrauen im Verbund der EU miteinander in Einklang gebracht werden bzw. muss Vertrauen in Rechtsbegriffe übersetzt werden. Die Herausforderung, die sich durch die transnationale Konstellation ergibt, ist die Suche nach einem Ordnungsmuster, das die heterarchische Vernetzung der Rechtsordnungen festig. Aus dem von Franzius genannten konstitutionellen Pluralismus formt sich die EU als Verbund. In der Zusammenfassung wird noch einmal deutlich, wie die verschiedenen Ebenen von Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten und der EU aufeinander bezogen werden und in relativen Einklang miteinander gebracht werden, um eine demokratische Politik in der EU zu gewährleisten, was an der Organisation der Verwaltung und damit der handelnden Akteure erläutert wird. Es ergibt sich ein Funktionswandel von Verfassung und Verwaltung, woraus die Notwendigkeit entsteht Mechanismen von politischer und rechtlicher Konfliktverarbeitung zu entwickeln, um innerhalb des Verbundes eine funktionierende Herrschaftsform zu entwickeln, die zudem demokratisierbar ist. Fraglich bleibt, ob die Institutionalisierung des Vertrauens soweit gefestigt wird, dass sich darauf aufbauend eine stabile Herrschaftsform etablieren kann, wenn das von Franzius betonte Übersetzen des Vertrauens in Rechtsgrundsätze ausbleibt.

Die Studie spiegelt auf eindrückliche Weise Franzius’ jahrelange Beschäftigung mit der Thematik transnationaler Ordnungsstrukturen und deren Entwicklungsperspektiven wider, ohne dabei nur Bezug auf den juristischen Fachbereich zu nehmen und bietet dadurch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Beschäftigung mit dem Wandel politischer Ordnungen im Zuge von De- und Reterritorialisierung. Eines der wenigen Mankos der Studien sind die zahlreichen repetitiven Momente, die der Versicherung des Konzepts dienen. Die Studie ist indes sehr klar strukturiert und hätte der intensiven Betonung der Argumentationslinien für die Steigerung ihrer Überzeugungskraft nicht bedurft.

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27.02.2015
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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