C. Büschges u.a. (Hrsg.): Procesos identitarios y fronteras sociales

Cover
Title
Excluir para ser. Procesos identitarios y fronteras sociales en la América hispánica (XVII-XVIII)


Editor(s)
Büschges, Christian; Langue, Frédérique
Series
Estudios AHILA de Historia Latinoamericana 1
Published
Frankfurt am Main 2005: Vervuert/Iberoamericana
Extent
173 S.
Price
€ 24,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Niels Wiecker, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Da es der Titel nicht verrät, schieben es die Herausgeber in der Einleitung nach: in diesem Buch geht es um Eliten. Das Thema erfreut sich in der Lateinamerikaforschung zur Kolonialzeit seit David Bradings ‚Miners and Merchants in Bourbon Mexico 1763-1810’ aus dem Jahre 1971 ungebrochener Beliebtheit, was auch an der für diesen Bereich verhältnismäßig guten Quellenlage liegen dürfte. Christian Büschges und Frédérique Lange haben es nun auf sich genommen, den ersten Band der neu belebten Reihe Estudios, vormals Cuadernos, der Asociación de Historiadores Latinoamericanistas Europeos (AHILA) herauszugeben. In der nicht immer leicht zu lesenden Einleitung betonen sie die Dynamik zwischen gleichzeitig fortschrittlichem und traditionellem Verhalten von Eliten. Es geht ihnen darum, die ihrer Meinung nach bisher zu einseitig auf ökonomische Aspekte ausgerichtete Forschung in Hinblick auf kulturelle Praktiken zu erweitern. Wie formierten sich soziale Gruppen, wie änderten sie sich und wie grenzten sie sich ab? (S. 12) Solche Fragen werden hier allerdings nicht zum ersten Mal aufgeworfen, wie auch das ausführliche Literaturverzeichnis am Ende des Bandes zeigt, weswegen die harsche Abrechnung mit dem Forschungsstand (S. 13) doch etwas verwundert.

Bernd Hausberger stellt in seinem Beitrag einen Konflikt im Potosí des 17. Jahrhunderts vor. Dabei zeigt er, gestützt auf eine breite Quellenbasis, wie eine politisch-soziale Auseinandersetzung ethnisch aufgeladen wurde und sich somit auch zu einem Kampf zwischen unterschiedlichen Herkunftsmythen entwickelte. 1622 entstand um das Wahlrecht für die alcaldes ordinarios, die dem Stadtrat vorstanden, eine blutige Auseinandersetzung zwischen den "vicuñas" und "vascongados", die drei Jahre andauerte. 1 Wichtige Hintergründe des Konfliktes waren der Rückgang der Silberproduktion und das knappe Arbeitskräfteangebot. Diese sieht Hausberger aber hinter dem Kampf um ein mythisch begründetes – das heißt konstruiertes – Vorrecht zurücktreten. Die "vicuñas" sahen sich als legitime Nachfolger der Konquistadoren, rekrutierten sich überwiegend aus der Gruppe der Soldaten und beriefen sich auf ihre kastilische Herkunft. Die wohlhabenden "vascongados" versuchten dagegen, die baskische Herkunft ihrer Gruppenmitglieder als gemeinsames Zugerhörigkeitsmerkmal zu instrumentalisieren. In beiden Fällen aber waren die Gruppen weder ethnisch homogen zusammengesetzt noch umfassten sie alle Mitglieder der jeweiligen ethnischen Gemeinschaft. Hausberger sieht in der Betonung der Herkunft bei den vascongados eine Strategie, die im Wesentlichen persönlichen Zielen und der Durchsetzung von Macht diente.

Auch im zweiten, französischsprachigen Aufsatz von Michel Bertrand entzündet sich ein Konflikt an den Wahlen der alcaldes ordinarios, allerdings in Guatemala-Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts. 2 Das jährliche Wechselspiel zwischen Kreolen und Europa-Spaniern an der Spitze des Stadtrats wurde nach der wiederholten Wahl eines Kreolen durchbrochen (nicht durch die Wahl eines "europeo", wie die Herausgeber in der Einleitung schreiben, S. 16). Dies spiegelte die faktische Macht innerhalb der städtischen Elite wieder, in der die Kreolen klar dominierten, worin Bertrand zu Recht eine in der Historiografie sonst kaum wieder zu findende Situation sieht. Die unterlegenen Spanier reichten bei der Audiencia Beschwerde ein. Auf Grundlage dieses Materials analysiert der Autor die Vernetzung innerhalb des Stadtrats und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Gruppe aus verhältnismäßigen Newcomern, die erst seit höchstens drei Generationen ansässig waren, das Gremium dominierte. Diese verstanden es, die alteingesessenen Familien zu marginalisieren und Neuankömmlinge zu integrieren. Der Schlüssel dazu waren familiäre Netzwerke, die gezielt zur Inklusion und Exklusion genutzt wurden.

Laura Cristina del Valle hinterfragt die Identitätsdiskurse der Stadträte von Buenos Aires zwischen 1776 und 1810. Anhand von Gerichtsakten und Anträgen zur Erlangung von Titeln oder Ämtern und den damit verbundenen Zeugenaussagen untersucht die Verfasserin Selbst- und Fremdzuschreibungen der Stadträte. Sie fokussiert dabei das Prestige der Ratsmitglieder, mit dem diese sich nach außen abgrenzten, und arbeitet verschiedene Statusmerkmale heraus: zunächst einmal die Zugehörigkeit zum Stadtrat selbst, ferner die Heirat mit einer standesgemäßen Ehefrau und schließlich eine reine und ehrenhafte Abstammungslinie. Als Unterscheidungsmerkmal innerhalb der Gruppe fungierte die adelige Herkunft, die nicht alle für sich beanspruchen konnten. Im Ergebnis seien diese Identitätsmerkmale charakteristisch für das Ancien Régime und hätten geholfen, die Position der Gruppe zu stabilisieren. Die Verfasserin hätte hier nicht stehen bleiben sollen. Sie vernachlässigt das Spannungsfeld zwischen traditionellem Wertesystem und gesellschaftlichem Umbruch am Ende der Kolonialzeit. Die aus der Literatur ohnehin bekannten Anmerkungen zur allgemeinen Stadtgeschichte hätten stattdessen kürzer ausfallen können. 3

Enriqueta Vila Vilar ist eine ausgewiesene und renommierte Expertin für die Geschichte Sevillas und des spanischen Kolonialhandels im 17. Jahrhundert. 4 Ihr Beitrag im vorliegenden Band bleibt allerdings farblos. Sie untersucht anhand von Testamenten die Mentalität sevillanischer "peruleros", das waren Händler, die eine Zeit in Amerika verbracht hatten und danach mit einigem Reichtum nach Sevilla zurückkehrten. Die Testamente zeigen die weiterhin bestehenden Verbindungen nach Amerika, umfangreiche Investitionen in Immobilien, Schmuck sowie Tafelsilber und beachtliche Zuwendungen an die Kirche. Alle diese Aspekte könnten aufschlussreich sein, wären sie mit einer Fragestellung in Bezug auf das Thema des Bandes verbunden.

"It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest" – Adam Smith hätte wohl seine Freunde an dem Beitrag von María del Rocío de la Torre Aguilar gehabt, wenn sie nachweist, wie das Eigeninteresse von Kaufleuten dem Gemeinwohl nutzte. Es geht diesem Beitrag also nicht um Abgrenzung zwischen Gruppen, sondern vielmehr um deren Kooperation. Nach Meinung der Autorin seien Händler zu Unrecht von einer Historiographie, die unkritisch den Quellen folgte, als gewinnsüchtige Spekulanten abgestempelt worden. Während des 18. Jahrhunderts waren es in Zacatecas immer wieder die Getreidebestände der Kaufleute, die in Krisenzeiten – wenn auch zu höheren Preisen – die Versorgung sicherstellten und Schlimmeres verhinderten. Die Händler stellten dem Stadtrat auch kurzfristige Kredite zur Verfügung, mit denen dieser die öffentlichen Depots auffüllen konnte. Während die Kaufleute an den Zinsen verdienten, unterstützten sie gleichzeitig die Bevölkerung und ermöglichten Armenspeisungen. Ausdrücklich widerspricht sie Garners These vom Niedergang der Stadt durch die Versorgungsengpässe gegen Ende des Jahrhunderts und stellt dem die These eines gut organisiertes Gemeinwesen entgegen. 5

Wer aus der Sicht einer einzelnen Figur schreibt, hat es leichter, das Interesse der Leserschaft zu wecken, doch auch der flüssige Stil des gut lesbaren Artikels von Gabriela Valleja Cervantes überzeugt, mit dem der Band abschließt. Die Autorin untersucht einen Kirchenprozess in Puebla am Ende des 17. Jahrhunderts aus Sicht der letztlich unterlegenen Ana de Zayas. Diese hatte versucht, den Status einer "beata" zu erlangen, das waren Laienschwestern, denen als Medium zwischen Irdischem und Überirdischem eine Sonderrolle innerhalb der kirchlichen Hierarchie zukam. Im Verlauf des Verfahrens radikalisierte sich Ana de Zayas zunehmend, forderte Kleriker zum Kampf auf und behauptete, Gott habe sie auserwählt, um einen Orden der Jesuitinnen zu gründen. Die Anerkennung als beata wurde ihr verweigert. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Dieser Fall reiht sich ein in die Geschichte weiterer Frauen, die sich gegen die kirchliche Autorität auflehnten. Die Bekannteste ist die unter anderem von Octavio Paz behandelte Sor Juana Ines de la Cruz, dessen Untersuchung auch auf Deutsch erschienen ist. 6 Doch während Sor Juana letztlich ihre Thesen widerrief, forcierte Ana de Zayas ihre Sonderrolle, was Vallejo Cervantes als gezielte Schaffung einer eigenen Identität versteht.

Alle Beiträge liefern ein eigenes Literaturverzeichnis und die Herausgeber haben am Ende zusätzlich eine allgemeine Bibliografie spendiert – das sind Standards, an die man sich bei Sammelbänden gerne gewöhnen möchte. Der Band führt den Facettenreichtum von Identitätsprozessen der hispanoamerikanischen Eliten vor und vereinigt dabei methodisch und thematisch sehr unterschiedliche Texte. Eine etwas engere Verknüpfung zwischen den Beiträgen wäre wünschenswert gewesen. Dennoch erweitern sie für sich genommen den Forschungsstands zum jeweiligen Thema. Zusammengenommen vermitteln sie, was die Herausgeber eingangs als Schwerpunkt nennen, nämlich die Bandbreite zwischen beharrendem und reformbereitem Verhalten der Eliten in Hispanoamerika.

Anmerkungen:
1 Ein frühe Bearbeitung des Themas: Crespo Rodas, Alberto, Guerra entre Vicuñas y Vascongados, La Paz 1975. Die Kampfhandlungen vor Ort hat Hausberger kürzlich an anderer Stelle ausführlich geschildert: Paisanos, soldados y bandidos: la guerra entre los vicuñas y los vascongados en Potosí (1622-1625), in: Nikolaus Böttcher; Isabel Galaor; Bernd Hausberger (Hgg.), Los buenos, los malos y los feos. Poder y resistencia en América Latina, Madrid 2005 (Bibliotheca Ibero-Americana, 102), S. 283-308.
2 Das Thema wurde für einen früheren Zeitabschnitt bereits eingehend untersucht: Santos Pérez, José Manuel, Élites, poder local y régimen colonial: el cabildo y los regidores de Santiago de Guatemala, 1700-1787, Cádiz 1999.
3 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Socolow, Susan Migden, Buenos Aires. Atlantic Port and Hinterland in the Eighteenth Century, in: Franklin W. Knight; Peggy K. Liss (Hg.): Atlantic Port Cities. Economy, Culture, and Society in the Atlantic World, 1650-1850, Knoxville 1991, S. 240-261.
4 Den deutschsprachigen Leser/innen sei etwa ihre exzellente Einführung und das spanische See- und Handelsrecht empfohlen: Vila Vilar, Enriqueta, Das spanische Handelsmonopol und seine inneren Widersprüche, in: Bernecker, Walther L., u.a. (Hgg.), Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Bd. 1, Stuttgart 1994, S. 692-719.
5 Vgl. Garner, Richard L.; Stefanou, Spiro E., Economic Growth and Change in Bourbon Mexico, Gainesville 1993.
6 Paz, Octavio, Sor Juana Inés de la Cruz oder die Fallstricke des Glaubens, Frankfurt am Main 1994.

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14.08.2006
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