Byung-Chul; Han: Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung

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Title
Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung


Author(s)
Byung-Chul, Han
Published
Berlin 2005: Merve Verlag
Extent
82 S.
Price
€ 8,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Sabine Sander, Universität Leipzig, Institut für Kulturwissenschaften Email:

Das Buch Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung von Byung-Chul Han, Privatdozent am Basler Seminar für Philosophie, behandelt in zwanzig kurzen Essays die Veränderung des Kulturbegriffes in einer Zeit der Globalisierung und im Kontext der Veränderungen menschlicher Wahrnehmung durch neue Techniken und Medien, durch Simulation und computergestützte Hyperrealität. Han bezieht sich in seinen Beiträgen auf Texte unterschiedlicher Autoren, deren Überlegungen er für die Entwicklung seines Gedankenganges fruchtbar macht – vor allem kommt er auf Konzeptionen Hegels und Heideggers zurück, über die er auch anderweitig bereits publizierte, aber er bezieht sich auch auf Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin, Villém Flusser, Gilles Deleuze, Homi K. Bhaba, Zygmunt Baumann oder Ted Nelson, der den Begriff des Hypertextes prägte, an den sich Hans Begriff der Hyperkulturalität anlehnt. Ausdrücklich weist Han darauf hin, dass er den Begriff der Hyperkulturalität als kulturtheoretischen Begriff verwendet, um sich von den in der gegenwärtigen Diskussion etablierten Begriffen der Inter- oder Transkulturalität abzugrenzen, Begriffe nämlich, die seiner Meinung nach – wie der Kulturbegriff selbst auch – normativ seien: „Sowohl die Interkulturalität als auch die Multikulturalität sind in vielfacher Hinsicht ein westliches Phänomen. Geschichtlich stehen sie im Kontext von Nationalismus und Kolonialismus. Philosophisch setzen sie eine Essentialisierung von Kultur voraus [...] Nach diesem Kulturverständnis ist der kulturelle Austausch nicht ein Prozeß, der die Kultur erst das sein ließe, was sie ist, sondern ein besonderer, ja ‚förderungswürdiger’ Akt. [...] Nicht das Trans, nicht das Multi oder Inter, sonder das Hyper kennzeichnet die kulturelle Verfassung von heute. Die Kulturen, zwischen denen ein Inter oder ein Trans stattfände, werden ent-grenzt, ent-ortet, ent-fernt zur Hyper-Kultur.“ (S. 56 ff.)

Die zentrale These, über die sich die verschiedenen Aufsätze, die einem Patchwork vergleichbar sind, zusammenklammern lassen, reproduziert in den Grundzügen das altbekannte Theorem der philosophischen Postmoderne von der Heterogenität und Pluralität der Lebensformen, die nicht mehr durch ein einheitsstiftendes Vernunftkonzept zusammengehalten werden, sondern die in ihrer jeweils spezifischen Eigenart für sich stehen. An Stelle eines einheitsstiftenden Konzepts tritt also eine Pluralität von Denk- und Lebensformen, ein Umstand, der auch neue Formen der Orientierung in der Welt erfordert – so resümiert Han: „Die Kultur verliert zunehmend jene Struktur, die der eines konventionellen Textes oder Buches gleicht. Keine Geschichte, keine Theologie, keine Teleologie läßt sie als eine sinnvolle, homogene Einheit erscheinen. Die Grenzen oder Umzäunungen, denen der Schein einer kulturellen Authentizität oder Ursprünglichkeit aufgeprägt ist, lösen sich auf. Die Kultur platzt gleichsam aus allem Nähten, ja aus allen Begrenzungen oder Fugen. Sie wird ent-grenzt, ent-schränkt, ent-näht zu einer Hyper-Kultur.“ (16 f.). Mit dieser Überlegung variiert Han Gilles Deleuzes’ berühmte Metapher des Rhizoms – auf die er sich auch ausdrücklich beruft: Denn das Bild eines vielfach verzweigten Wurzelsprosses illustriert eine nicht-zentrierte Vielheit, ein Nebeneinander verschiedener Denk- und Lebensformen, die keiner übergreifenden Ordnung zu unterwerfen ist.

Die Grenzüberschreitung, die Han als für die Hyperkultur konstitutiv erachtet, führt seiner Meinung nach auch zu einer Tilgung des Fremden – die Hyperkultur beschreibt Han nämlich als „eine Kultur intensiver Aneignung“. Dem Bild des Pilgers, der, bodenlos, von Ort zu Ort zieht und nirgendwo zu Hause ist, setzt er das Bild des Touristen entgegen. Heideggers Metapher der Schwelle, als einem Zwischen-Raum, in dem Innen und Außen sich begegnen können, was Heidegger zufolge jedoch nicht ohne Weiteres gelinge, wird hier mit einem fröhlichen Nihlismus variiert: „Der Mensch der kommenden Zeit wird wahrscheinlich kein Schwellengänger mit schmerzverzehrter Miene, sondern ein Tourist mit heiterem Lächeln sein. Sollten wir ihn nicht als homo liber begrüßen?“ (S. 82).

Auffällig ist Hans spielerischer, aber auch (zu) großzügiger Umgang mit seinen Referenzautoren – eine Rezeptionspraxis, die wohl auch der postmodernen Gepflogenheit entspricht: Denkfiguren aus den Werken verschiedener Philosophen werden aus ihrem ursprünglichen Werkkontext entrissen und in die eigene Argumentation hineinmontiert oder assoziativ mit Konzepten anderer Autoren zusammengeschlossen – teils nicht ohne dass die Bilder platt werden: So etwa stellt Han den Begriff des Hypertextes dem Leibniz’schen Bild von der fensterlosen Monade gegenüber: „Das hypertextuelle Universum kontrastiert auf eine interessante Weise mit dem Leibniz’schen Universum, denn dessen Bewohner, nämlich die „Monade“ hat keine Fenster, also kein Window. [...] So kann das Windowing seinerseits Monaden hervorbringen [...] In ihrer Vereinzelung nähern sie sich den alten fensterlosen Monaden. Würden sie auch Gott anrufen müssen?“ Die Art von Hans „Aneignung“ von philosophischen Konzeptionen, die den ursprünglichen Werkkontext zugunsten eines assoziativen Spiels mit Begriffen vernachlässigt, exemplifiziert vielleicht auf formaler Ebene die These von der veränderten Aneignung der Wirklichkeit in der von ihm so bezeichneten Hyperkultur.

Alles in allem reiht sich das Bändchen in überkommene Konzepte der Postmoderne ein und entwickelt zwar einen neuen Begriff – den der Hyperkulturalität – jedoch kein neues Konzept. Lyotards berühmte Formel vom Ende der Metaerzählungen, Gilles Deleuzes Metapher des Rhizoms und Wolfgang Welschs Konzept einer transversalen Vernunft sind anderen Namen für die Feststellung, dass es in der Gegenwart, bedingt durch die Veränderung der Sinnlichkeit durch neue Techniken und Medien, auch neuer Formen der Orientierung in der Welt bedarf. Mehr noch als an dieser Redundanz, die sich das Gewand des Begriffs der Hyperkulturalität umlegt, kranken die Essays aber daran, dass Byung-Chul Hans Kulturbegriff letztlich im luftleeren Raum schwebt, ja ein bloßes Label zu sein scheint, da er sich weder in den durch Moritz Lazarus gestifteten Kontext der Kultur als einer zweiten Natur des Menschen stellt – obgleich der von ihm verwendete Begriff der Aneignung genau dies nahe legen würde – noch berücksichtigt er die symboltheoretische Perspektive Ernst Cassirers, der zu Folge ein unhintergehbarer Nexus von Sinnlichkeit und Sinn in allen kulturellen Symbolismen und in jeder Wahrnehmung vorliegt; demnach wäre zu untersuchen gewesen, ob und wie sich in den neuen Medien Sinnstiftung vollzieht und ob die neuen Techniken und Medien tatsächlich – wie hier unterstellt wird – einen derartigen Bruch in der Art der Aneignung von Wirklichkeit hervorgerufen haben.

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24.03.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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