R. Wildangel: Zwischen Achse und Mandatsmacht

: Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus,. Berlin 2007 : Klaus-Schwarz-Verlag, ISBN 978-3-87-997640-9 444 S. € 32,00

: Al-'Alam al-'Arabi Fi Watha'iq Sirriyya Almaniyya 1937-1941 (The Arab World In German Secret Documents). . Beirut 2006 : Al-Warraq Lil-Nashr , ISBN 1900700212 408 S.

Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Rider University, New Jersey

Internationale Geschichte könne nur mehrseitig aufgehellt werden, erläutert Nagda Fathi Safwa. Für Nahost reichten englische Dokumente nicht hin, sondern es müssten auch die deutschen, italienischen und osmanischen Papiere benutzt werden. Russische Archivalien seien schwer zugänglich. Die Editorin erinnert an das deutsch-osmanische Bündnis im Ersten Weltkrieg. Bereits 1936 seien Deutsche in Nahost wieder einflussreich gewesen. Zudem hätten Berlin und Bagdad geheim über Waffen verhandelt. All dies werde hier im diplomatischen Verkehr Berlins mit dem ostarabischen Raum gezeigt, darunter Palästina.

Die Texte stammen aus der ADAP-Serie "Akten zur deutschen Auswärtigen Politik". Das fünfte Dokument ist ein Bericht über den Besuch des Großmuftis Amin al-Husaini in der Bagdader Botschaft am 7. Juli 1937. Der al-Mufti al-Akbar fragte an, ob und wie Berlin seine Opposition gegen Juden und einen jüdischen Staat in Palästina realisiere. Er wolle jemanden mit Ideen im deutsch-islamischen Interesse entsenden. Es war Dr. Sa'id Fattah Imam, der sein Anschreiben an den Vertragsentwurf des Großmuftis mit "Heil Hitler" unterschrieb und rege mit dem Chef der Beiruter NSDAP-Ortsgruppe Geiger kooperierte. Der Vertragsentwurf erreichte Berlin Anfang Dezember 1937. Vom Entwurf ist unten die Rede, obzwar ausgerechnet er hier fehlt. Warum nahm Safwa ihn nicht mit auf? Denn die Vorlage enthält ihn (ADAP, Serie D, Bd. 5, S. 655-656) vollständig.

Zwar sind im Text und Register deutsche Namen verballhornt. Dafür werden Araber gut vorgestellt. Dokument 135 ist das Gespräch des "Führers mit dem Großmufti" vom 28. November 1941 auf Arabisch. Der Mufti betonte, Araber seien "natürliche Freunde" der Deutschen, da sie in Engländern, Juden und Kommunisten die gleichen Feinde hätten. Araber wären aber nicht nur für Sabotageakte und die Anstiftung von Revolutionen bereit (er spielte auf die deutsch-osmanische Revolutionierung des islamischen Hinterlands der Feinde 1914-1918 an), sondern auch für den Krieg durch eine Arabische Legion. Indes der Mufti für den Brief der deutschen Regierung dankte, die Hilfe bei der "Beseitigung", "tasfiya", einer jüdischen Heimstätte in Palästina erklärte, betonte Hitler im dritten Punkt "die Vernichtung" des Judentums im arabischen Raum unter britischer Protektion. Butrus übertrug jedoch Hitlers "Vernichtung des Judentums" mit "tadmir al-'Unsur al-Jahudi", was schwächer ist und eher als "Zerschlagung des jüdischen Elements" verstanden wird.

Das Werk endet mit Dokument 137, eine Information über den Besuch des irakischen Expremiers im Auswärtigen Amt vom 2. Dezember 1941, der wie auch der Großmufti nach ihrem gescheiterten Putsch in Bagdad dann im Berliner Exil lebte. Er wollte, wenn auch nicht sogleich, aber doch öffentlich durch die Nazis als Regierungschef anerkannt werden. Das hatte seinen Preis. Wie wir aus anderen Quellen wissen, erhielt er von Berlin 50.000 in Reichsmark und nochmals dasselbe in Devisen im Monat. Beide Araber zogen bis 1945 ihre Fäden zugunsten der Nazis in Nahost. Das hatten sie mit einigen Führern in der Türkei, in Ägypten, in West- und Ostarabien gemein, die doch ihre Partner unter den Angelsachsen, Franzosen, Italienern oder Sowjets wählen konnten. Doch sie setzten auf den Sieg der Deutschen, und glaubten, damit ihre Eigenstaatlichkeit oder Souveränität zu erlangen. Ihre regionalen Hauptkontakte im Weltkrieg waren in Ankara, wo Franz von Papen war, und in Vichy, wo der Syrer Fu'ad Hamza im saudischen Dienst herausragte.

Die prodeutsche Zuneigung stellt René Wildangel in seinem Buch über Palästina und die Achsenmächte in Frage. Zumeist würden Arabern kollektive Sympathien für die Nazis angelastet wie es Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers und Matthias Küntzel tun.1 Da diese kein Arabisch beherrschten, beklagt der Autor weiter, blieben sie einseitig. Das möchte er von der arabischen Seite her ändern, indem er anhand der Presse Palästinas die arabische Nationalbewegung und ihre Haltung zum Nationalsozialismus neu bewertet.

Die Dissertation, die an der Kölner Universität bei Wolfgang Schieder verteidigt wurde, hat sechs Teile. Sie geht auf populäre Narrative, den Stand der Forschung und Quellen ein. Es dreht sich um Palästinenser und Deutsche vor 1933. Die nächsten Kapitel erhellen dies 1933 bis 1939 sowie bis 1945. Der Schluss gilt dem arabischen Antisemitismus und der Erinnerungsgeschichte.

Studien über Palästinas Presse gab es bereits. Anders als der Autor sagt (S. 105), wurde sie stets thematisiert. Darunter durch Zeitgenossen, die wie etwa Amerikaner Ende 19412 die Achsenpropaganda in der islamischen Welt erfassten. Die Arbeiten zur Presse standen vor zwei Problemen. Methodisch mussten erstens Interna - sekretierte Papiere und andere Quellen, die Führer hinter den Kulissen erzeugten - ergründet und dann mit dem verglichen werden, was Akteure offen propagiert und getan haben. Die geheime Absicht und Tat war mit der öffentlichen Propaganda und Aktion zu konfrontieren. Das betrifft bi- und multilaterale Beziehungen, die nur durch multiple Quellen erklärt werden können. Auch wenn man "nur" die Presse Palästinas aufhellt, muss man gut die Primär- und Sekundärquellen kennen. Aber Wildangel führt oft Bekanntes als neu vor. So meint er (S. 101), die Forschung habe Adolf Eichmanns Ägyptenreise wenig beachtet. Nein, Burchard Brentjes edierte sogar dessen Reisebericht.3

Archive sind in Nahost schwer zugänglich. Oder Kollektionen lagern bei Großmächten. Zu Palästina gibt es Hauptbestände in Berlin, London, Paris, Rom, Beirut, Jerusalem, Damaskus und Washington DC. Hiervon hat der Autor meist nur arabische Zeitungen erkundet, die ihm im deutschen, britischen oder israelischen Raum zugänglich waren. Das Gross seiner Blätter - Filastin, ad-Difa', al-Karmil, al-Gami'a al-Islamiyya, al-Gami'a al-'Arabiyya - deckt die Zeit von 1933 bis 1935 ab. Aber er bilanziert bis 1939. Für die Kriegsjahre ist seine Basis noch schwächer. Daher zitiert er viel aus der Sekundärliteratur, doch nur, was seiner Vorgefasstheit gefällt. Die Art des arabischen Zitats, nur Datum ohne Autor und Überschrift, entwertet den Text ebenso wie Übersetzungsfehler (u.a. S. 167: Wataniyya ist Patriotismus, S. 287: ash-Sharq al-Adna ist Nahost, S. 139: im Völkerbund ist umam statt 'umum, S. 128: total ist tama). Dies und mehr weckt Zweifel an seinen Arabischkenntnissen.

Problem zwei folgt aus den verfügbaren Quellen und aus der Methodik. Die Quellenlage und der Fakt, dass diese Historie bei aktuellen Zwisten in Nahost präsent ist und dort den Rahmen der Referenz und Punkte der Argumentation liefert, begünstigte, dass es da noch keine originär durch arabische, türkische, iranische und andere Primärquellen abgestützte Rezeption des Holocausts gibt, Israel ausgenommen. Im Vakuum gedeihen Ideologie und Judenhass, wie die Tagung Ende 2006 in Teheran zeigte, wo Irans Regime den Holocaust leugnete.

Eine wissenschaftliche Rezeption des Holocaust ist dringend geboten, auch bei Arabern wie Palästinensern. Ohnedem können sie sich auch nicht vom islamistischen Judenhass befreien, der sich mit dem jungen Nationalismus vor und nach 1900 rassistisch einfärbte. Einflüsse aus Europa stimulierten religiösen Judenhass. Daher greift Wildangels These (S. 189), rassistischer Antisemitismus sei ein Import aus Europa, zu kurz. Seine Folgerungen (S. 144), erst seit Juden vermehrt in Palästina einwanderten, wäre "Jude" im Arabischen negativ konnotiert, ist falsch. Seit Muhammad ein Problem mit Juden erfuhr, besetzte er "Jude" auch abwertend. Das haben die Nazis anhand vieler Koranstellen ausgenutzt, um, wie sie es 1933 ausgedrückt haben, die Araber von Zuschauern zu Beteiligten zu machen.

Wildangels Arbeit wäre nur zu begrüßen, hätte er die genannten beiden Probleme nüchtern behandelt. Dass man unvoreingenommen herangeht, am Anfang klar sagt, was man wie erhellen will und entsprechende Hypothesen aufstellt, die man in der Arbeitet erhärtet oder entkräftet, und den Gegenstand quellenkritisch eingrenzt, scheint aus der Mode gekommen. Dass dieses Thema hier zu Kontroversen führen wird, liegt gleichwohl auf der Hand.

Wildangel eckt mal hier oder dort an, etwa am "Kampfbegriff 'Islamofaschismus'", und meint ernstlich (S. 43), im "Clash of Civilizations" gehe es nicht um das Verständnis anderer Kulturen, "sondern um deren strategische Überwindung". Er greift Mallmanns und Cüppers' These (S. 47) an, dass es beim Erfolg Erwin Rommels auch in Nordafrika einen Holocaust mit aktiver Hilfe durch Araber gegeben hätte. Auch stört ihn Matthias Küntzels Notiz (S. 45), dass Fachleute unbequeme Forschungen Klaus Gensickes zum Mufti ignorierten.4 Laut Wildangel sei erschreckend, dass Küntzels "Buch mit seinen fragwürdigen Thesen öffentlich wahrgenommen wird". Man mag hier fragen, was er unter Diskurs versteht.

Eine solide Quellenkritik fehlt. Inwieweit stellte Palästinas Presse unter britischer Zensur Aussagen der dortigen Elite und anderer Schichten dar? War die Presse repräsentativ? Wie wirkten direkte, indirekte und Selbstzensur im Umfeld von Stämmen? Wer erkaufte sich Platz? Die britische Zensur verbot oder erlaubte Blätter (S. 111): es handelte sich mithin um eine manipulierte Öffentlichkeit.

Wer Berichte über Einflussnahmen in der Presse kennt, ist vorsichtig mit Fazits aus dem fremdgesteuerten Markt unter der Zensur. Was als "arabische" Kritik an Nazis erschien, war oft angelsächsisch lanciert. Besonders wenn wie im Lehrbuch (S. 135) Vorteile einer Demokratie gegenüber der Diktatur erläutert wurden. Auch der Duktus verrät das. Nazis nahmen ebenso massiv Einfluss, etwa über das Personalnetz des Jerusalemer Großmuftis.

Wenn nun Wildangel als ein Hauptergebnis feststellt, Araber und andere Palästinenser wussten gut über die Nazis nebst einem Teilwissen über den Holocaust (S. 319) Bescheid, so ist klar: Medien waren umkämpft. Doch macht er es sich leicht, wenn er sagt, die Nazi-Ideologie war Arabern in Palästina fremd (S. 223: "ideologische Inkompatibilität"). Immerhin predigte der Großmufti Kompatibilität von Nationalsozialismus und Islam, um Muslime zu überzeugen. Es gibt seine Papiere 5 und Zeitzeugen, die seine Argumente kolportiert haben.

Wildangels Arbeit ragt durch zweierlei hervor. Zum einen glaubte er, durch Zeitungen Palästinas beweisen zu können, "dass es da auch Ablehnung und Kritik" an Nazis gab. Wer hätte das je bestritten? Zum anderen ergreift er von Anbeginn Partei und will Araber vom Vorwurf der Kollaboration befreien. Alles, was dies stört, spielt er herunter. Zum Beispiel meint er, für eine vollständige Kontrolle und Zensur hätten der Mandatsmacht Ressourcen gefehlt (S. 291), was er nicht beweist. Palästinenser "Entlastendes" bauscht er auf. So verteidigt er Azmi Bisharas Argument (S. 320), der Holocaust sei ein westliches Produkt, Araber hätten damit soviel zu tun wie die Indianer. Dazu Wildangel (S. 321): Antisemitismus und Judenhass - ohne Wahrnehmung der wirklichen Dimension des Völkermords - sei zurecht als Europas Problem begriffen worden, für das Verantwortung abgelehnt wurde.

Damit fällt Wildangel in der Kritik an nationalistischen Führern um den Großmufti Amin al-Husaini noch hinter den durch seine arabischen Biographen erzielten Stand zurück. So richtig es ist, Palästinenser nicht auf al-Husaini zu reduzieren, so mag man ihn auch nicht schön reden. Der Autor aber kippt das Kind mit dem Bade aus. Philip Mattar hingegen betonte, der Großmufti habe humane Grenzen verletzt. Und der Sekretär al-Husainis, den man in Damaskus fragen kann (orale Quellen fehlen hier völlig), erklärte in einem internen Interview über die Nazis: "al-Husaini fühlte sich als einer von ihnen".6

Der Autor beschwichtigt: al-Husaini, der im Weltkrieg als Hitlers Gast in Berlin war, sei nur Gehilfe der Propaganda mit der Hetze zum Jihad im deutschen Nahostradio gewesen. Von solchen radikalen arabischen Nationalisten behauptet er gar, sie hätten sich teilweise Antisemitismus und Rassismus zu eigen gemacht, "mit dem eliminatorischen Charakter des NS-Regimes hatten sie aber nichts gemein" (S. 223). Zum Mufti spitzt Wildangel zu (S. 409): "Bei Planung und Durchführung der Vernichtungspolitik spielte er keine Rolle."

Da sind aber Akten, die al-Husainis Aufrufe zum Mord an Juden, seine Untaten, ja sein Wissen um den Holocaust und seinen rassistischen Judenhass bezeugen. Als Hitler an die Macht kam, bot er sich ihm an. Vier Jahre später, im Araberaufstand gegen die Briten, trug er Berlin den folgenden Vertrag an: Waffen und Hilfe für die arabischen Nationalisten damit zu entlohnen, dass er Thesen der Nazis im islamischen Raum verbreite (der Großmufti, einst osmanischer Offizier, schlug Propagandazentren vor - wie 1914), ihnen dort Sympathie im Fall eines Krieges verschaffe, den jüdischen Handel boykottiere, das deutsche Kapital fördere, die Terrorakte (sein Wort) in sämtlichen Kolonial- und Mandatsländern fortführe und mit allen Mitteln einen jüdischen Staat in Palästina verhindere.

Gern ebnete er nicht nur Nazis den ideologischen Weg im Raum, sondern er bereitete ihre Vormacht vor. Ähnlich problematisch erscheint die These des Autors, im Araberaufstand gab es keine Imitation der Nazimethoden (S. 199), eine umfassende Ideologisierung im Sinne der Nazis hätte es in der arabischen Nationalbewegung nicht gegeben (S. 193) und nicht einmal der Großmufti hätte Pläne für den Fall einer deutschen Invasion in Palästina gehabt.

Als Hitler ihn Ende 1941 empfing, erklärt er ihm, mit Juden im britischen Mandat wie in Europa zu verfahren, ja die Judenfrage Zug um Zug lösen zu wollen und dazu auch die außereuropäischen Völker aufzufordern. Gelangten seine Truppen in den Südkaukasus, dann schlage die Stunde des Großmuftis als Führer, der die Araber befreit. Berlin würde dann nur "die Vernichtung" des unter den Briten lebenden Judentums anstreben. Kann das Ziel eines regionalen Holocausts klarer benannt werden?

Durch Hitlers Empfang ermutigt, erbat sich al-Husaini in Berlin eine "möglichst große Judenwohnung". Er und Iraks Expremier Rashid Ali al-Kailani schickten drei ihrer Leute in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Laut Bericht lag ihnen dort besonders an den Juden. Das war nicht nur ein SS-Muster-, sondern Vernichtungslager auch von Juden mit Krematorium. Als es die Araber Mitte 1942 aufsuchten, war es in Betrieb. So ein Besuch, wiegelt Wildangel ab (bei dem der Mufti gar selbst dahin ging, was falsch ist), lasse nicht auf die nähere Kenntnis der Vernichtungspolitik schliessen (S. 349).

Der Mufti bekam aus dem Sonderfonds des Aussenministers von Ribbentrop, den auch Juden geraubtes Gold speisten (auch das übersieht der Autor), monatlich 50.000 Mark sowie 25.000 in Devisen. Al-Husaini erhielt ein Büro und verfügte über zehn Apartments oder Häuser. Ihm gingen viele Mittel zu, auch von der SS. Auf der ideologischen Ebene vermischte er den Rassismus der Nazis mit religiösem Judenhass des Islams. Wildangel meint, von einer ideologischen Rezeption der modernen Vorstellungen des rassistischen Antisemitismus zur Zeit der Machtübernahme durch die Nazis könne in der arabischen Welt keine Rede sein (S. 188). Als gäbe es kein Echo auf Texte wie das NSDAP-Programm, die "Protokolle der Weisen von Zion" und "Mein Kampf" seit den 20er Jahren. Auch vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Nahost rassistischen Judenhass.

Anders als es Wildangel darstellt, bereitete der Großmufti ideologisch den Boden für ein Nahost unterm Hakenkreuz. Er warb Muslime für SS-Einheiten in Bosnien und sollte in Nürnberg als Kriegsverbrecher angeklagt werden. Doch sahen London und Washington davon ab. Darüber und zum Wirken des Muftis mit Nazis wie Johannes von Leers nach 1945 in Nahost steht viel an, zumal ständig neue Archivalien zu ihm zugänglich werden.

Bei SS-Reichsführer Himmler intervenierte der Mufti, nicht wie geplant 10.000 jüdische Kinder Theresienstadts gegen Gefangene auszutauschen. Des Muftis Anträge, die Treffen von Zionisten in Tel Aviv und Jerusalem zu bombardieren, verfehlten nur aus Mangel an Fliegern ihren Erfolg. Nach 1945 belasteten ihn Nazis in Nürnberg schwer als Helfer beim Holocaust, so Adolf Eichmanns Kollege Dieter Wisliceny: Eichmann habe al-Husaini "die Lösung der Judenfrage" im Kartenraum erklärt; der Mufti bat Himmler bereits um einen Berater ("Heydrich des Nahen Orients" laut Eichmann) für die Zeit, wenn er nach dem Sieg nach Palästina heimkehre. Wildangel zweifelt, ob Eichmann ihm die "Endlösung" - er nimmt das Wort auch ohne Anführungszeichen, S. 314, 319 - offen dargelegt habe (S. 347).

Dies führt zur Crux des Bandes. Die zensierte und manipulierte Presse reicht nicht für größere Schlüsse aus. Palästina war Mandatsgebiet, wo London herrschte. Andererseits ist das Buch bei Interna zu schwach recherchiert, zumal der Autor nicht quellenkritisch genug vorging. Methodisch haben paradoxerweise jene von ihm attackierten Akademiker mit ihren nichtarabischen Quellen solider gearbeitet. Ein Dilemma: Insider mit Sprachkenntnissen beherrschen die Geschichte und Methodik nicht und jenen ohne diese Regionalkenntnisse bleibt die Region mit ihrem inneren Diskurs versperrt. Kooperation könnte helfen. Da sie aber selten ist, mögen doch Nahosthistoriker professionelle Standards wahren. Wie Nahostforschung ohne Regionalwissen unakzeptabel ist, so sollte umgekehrt das solide Handwerk einfliessen.

Wildangels Ansatz, den Großmufti in der arabischen, palästinensischen und islamischen Geschichte zu rehabilitieren und zu marginalisieren, schlug fehl. Aber es scheiterten auch Versuche, Hitler aus der deutschen oder österreichischen Geschichte auszublenden. Der Großmufti war sein arabischer Bundesgenosse, eingeweiht in den Holocaust und daran in Wort und Tat beteiligt. Hätten die Nazis gesiegt, wäre er als Führer auch ihr Vollstrecker gegenüber Juden geworden. Das hatte er geheim und öffentlich bekundet. Vor dem Krieg ging er von 17 Millionen Juden aus, kurz danach von elf. Wer ihn ergründet, sollte nur der Forschung dienen. Und natürlich darf man Araber nicht auf den Großmufti reduzieren oder als verantwortlich für den Holocaust zeihen, obwohl es nicht nur unter ihren Führern manche Kompatibilitäten gab.

Anmerkungen:
1 Mallmann, Klaus-Michael; Cüppers, Martin, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006; Küntzel, Matthias, Djihad und Judenhaß, Freiburg im Breisgau 2002; ders., Jihad and Jew-Hatred, New York 2007.
2 Das Dokument ist in dem vom mir edierten Band Germany and the Middle East, 1871-1945, Princeton 2004, S. 16-17.
3 Brentjes, Burchard, Geheimoperation Nahost, Berlin 2001.
4 Gensicke, Klaus, Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt/M. 1988.
5 Höpp, Gerhard, Mufti-Papiere (1940-1945), Berlin 2001.
6 Der Sekretär ist Abd al-Karim al-Umar. Er edierte die Memoiren des Muftis, die der Autor wie das folgende Werk nicht benutzte: al-Umar, Abd al-Karim, Muzakkirat al-Hagg Muhammad Amin al-Husaini (The Memoirs), Damaskus 1999; Abu Shaqra, Ibrahim; al-Hagg Muhammad Amin al-Husaini munzu wiladatihi hatta thaurat 1936 (From His Birth Until The Revolution of 1936), Al-Lazaqiyya 1998.

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22.02.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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