D. Rogers: Postinternationalism and Small Arms Control

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Title
Postinternationalism and Small Arms Control. Theory, Politics, Security


Author(s)
Rogers, Damien
Published
Farnham 2009: Ashgate
Extent
286 S.
Price
€ 73,50
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Debora Gerstenberger, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Handfeuerwaffen fordern jährlich zwischen 80 000 und 100 000 Todesopfer. Bis zu 638 Millionen „small arms and light weapons“ (SALW) begünstigen weltweit gewaltsame kriminelle Taten, verschärfen politische und gesellschaftliche Instabilität und fungieren als „Multiplikatoren der Unsicherheit“ (S. 2). Die Monographie des australischen Politikwissenschaftlers Damien Rogers (Australian National University) behandelt die Verbreitung von Handfeuerwaffen als drängendes, aber auf inadäquate Weise bekämpftes Problem der Weltpolitik. Den Grund für die ubiquitäre Verfügbarkeit und den andauernden (kriminellen) Gebrauch von SAWL sieht der Autor weniger im fehlenden guten Willen der internationalen Gemeinschaft, diesen prekären Zustand zu verändern, als vielmehr in der weltweit vorherrschenden, staatsbasierten „politisch-strategischen Governance-Architektur “. Zum Beweis geht er der Frage nach, warum die zwischen 1990 und 2005 unternommenen Versuche der „international small arms community“, Verfügbarkeit und Gebrauch von Handfeuerwaffen einzudämmen, nur wenige Erfolge gezeitigt haben.

Anliegen des Autors ist nicht die Präsentation bisher unbekannter Informationen (sein Quellenkorpus besteht vorwiegend aus frei zugänglichen Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie Verträgen und Abkommen), sondern die Entwicklung einer „kritischen Perspektive“ auf die vorherrschende „Governance-Architektur“. Diese Architektur, geprägt von Institutionen wie den UN, Bretton Woods und der Welthandelsgesellschaft, gründe auf einer spezifischen Auffassung „des Politischen“, dem „Internationalismus“. Dieser gehe einher mit der Überzeugung, dass internationale Probleme am besten durch Kooperationen zwischen Regierungen zu lösen seien (S. 14f). Eine effektive Waffenkontrolle ist schwierig bis unmöglich, so die Hauptthese, da die hiermit betrauten Akteure den „Internationalismus als Orthodoxie“ (S. 16) vertreten und die bestehende Governance-Architektur stärken.

Im ersten der drei Hauptteile stellt der Autor den Ansatz des „Postinternationalismus“ als angemessen für die Untersuchung aktueller Probleme der Weltpolitik vor (S. 27–73). Er rekurriert auf James N. Rosenau, der in seinem 1990 publizierten Werk „Turbulence in World Politics“1 von einer tiefgreifenden Neukonfiguration der Weltpolitik und dem Niedergang des Westfälischen Systems seit 1945 ausging. Zentral ist die Annahme, dass neben Regierungen auch andere dramatis personae das Weltgeschehen beeinflussen. Entsprechend richtet Damien Rogers sein Augenmerk nicht nur auf „souveränitätsgebundenen Akteure“ („souvereign-bound actors“), also staatliche Entitäten, sondern auch auf „souveränitätsfreie Akteure“ („sovereign-free actors“), namentlich Nichtregierungsorganisationen und private Vereinigungen und Individuen. Vor allem Angehörige der beiden letztgenannten Akteursgruppen können nach Rogers die Souveränität der Regierungen gefährden und den Internationalismus torpedieren.

Der zweite Hauptteil (S. 74–198) thematisiert unter dem Titel „Composing Small Arms Control“ in fünf Kapiteln die Bemühungen unterschiedlicher Individuen und Gruppen um die Kontrolle der SAWL, von denen allesamt, so das Fazit, keinerlei Gefahr für die existierende Governance-Architektur ausgeht. Mit ihren Empfehlungen an die Regierungen, die Instrumente des internationalen Rechts zu nutzen oder Maßnahmen unter UN-Führung zu ergreifen, bewiesen etwa Experten und Forscher unterschiedlicher Einrichtungen einen „tief verwurzelten Glauben an den Internationalismus“ (S. 99). Die Stärkung der vorherrschenden Governance-Architektur schreibt Rogers auch den Bemühungen der Zwischenstaatlichen Organisationen zu. Die Analyse mehrerer internationaler Abkommen, etwa der OAS Convention (1998), des SADC Firearms Protocol (2004) und des UN Firearms Protocol (2005) sowie bestimmter „soft-law measures“ ergibt, dass diese Arten der Steuerung eng verknüpft sind mit dem Bestreben der beteiligten Regierungen, ihr Gewaltmonopol zu stärken: Regierungen tauchen als Problemlöser und nicht-staatliche Akteure als Problemverursacher auf, wodurch sich die Dichotomie zwischen „souveränitätsgebundenen“ und „souveränitätsfreien“ Akteuren verschärft (S. 107). Die Untersuchung der Aktivitäten des UN-Sicherheitsrates ergibt, dass Waffenembargos und Friedenseinsätze mit „Disarmament, Demobilization, and Reintegration“ (DDR)-Maßnahmen meist einen zeitlich und geographisch eingeschränkten Fokus haben und in den engen Grenzen der politisch-strategischen Governance-Architektur stattfinden (S. 127). Auch wenn UN-Resolutionen bisweilen vorsähen, Nichtregierungsgruppen stärker einzubeziehen, hätten auch sie letztlich eine Trennung zwischen souveränitätsgebundenen und -freien Akteuren zur Folge (S. 146). Regierungen, die im vierten Kapitel thematisiert werden, können Rogers zufolge zwar auf nationaler Ebene Herstellung und Verbreitung von SALW verbieten sowie DDR-Programme und Waffenembargos der UN überwachen. Es fehle jedoch ein gemeinsames, konzeptionell kohärentes Ziel auf internationaler Ebene; zudem verfügten die meisten Regierungen über eine begrenzte geographische Reichweite und unzureichende Mittel für das Einsammeln und Deaktivieren von Waffen (S. 171f.). Insgesamt vertieften Regierungen – zur Stärkung der eigenen Souveränität – den Graben zwischen staatlichen und privaten Institutionen und Akteuren. Selbst die Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen, etwa des „International Action Network on Small Arms“ (IANSA), das als ein „Netzwerk der Netzwerke“ die Zusammenarbeit von OXFAM, Amnesty International und anderen Organisationen in mehr als 100 Staaten koordiniert, weisen in die gleiche Richtung: Obwohl „souveränitätsfrei“, befürworte die Organisation – aus Unwillen oder Unfähigkeit, eine andere Perspektive einzunehmen – die internationalistische Auffassung des Politischen, indem sie auf die Implementierung des internationalen Rechts und die Erteilung von UN-Mandaten dringe und eine „sovereign-bound policy“ befürworte (S. 174).

Der dritte Hauptteil des Werkes (S. 201–248) beleuchtet unter der Überschrift „Eroding Small Arms Control“ in zwei Kapiteln autorisierte sowie nicht-autorisierte Waffenhersteller, -händler und -nutzer, die häufig die offiziellen Verträge und Soft Law-Abkommen der internationalen Gemeinschaft unterlaufen und damit, so der Autor, als „Antagonisten der internationalistischen Auffassung des Politischen“ auftreten (S. 198). Hier wird die Darstellung aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive stellenweise befremdlich, etwa wenn der Autor ausführt, dass Waffenhersteller und -händler als „souveränitätsfreie Akteure“ eher durch eigene wirtschaftliche Interessen geleitet werden als durch jene der internationalen Gemeinschaft (S. 202). Naiv wirkt auch die Aussage, dass viele „ökonomische und soziale Akteure“, namentlich transnationale Unternehmen, „super-bevollmächtigte Individuen“ („super-empowered individuals“), „ethnische Minderheiten“ und „bewaffnete Gruppen“, schlicht nicht daran glaubten, dass Regierungen die wichtigsten Entitäten des Weltgeschehens seien und deshalb die Autoritäten missachteten (S. 17). Wie, fragt sich die Historikerin, könnte es anders sein? Untertanen und Bürger haben zu allen Zeiten vorwiegend eigene Ziele und Interessen verfolgt, nicht die „des Staates“ oder „des Politischen“.2

Der Beweis der Hauptthese, dass hauptsächlich die weltweit vorherrschende Governance-Architektur Schuld an der unzulänglichen Waffenkontrolle sei, und dass zahlreiche souveränitätsfreie Akteure die „strategischen Schwächen“ dieser Architektur bewusst ausnutzten (S. 234), gelingt insgesamt nicht überzeugend. Zum einen entbehrt die häufig wiederholte Überzeugung des Autors, dass Waffennutzer und -händler mit ihren (legalen, halblegalen, illegalen) Praktiken heute weltweit eine „condition of turbulence“ (S. 201) und eine „wachsenden Autoritätskrise“ provozieren (S. 212f., S. 231), der empirischen Grundlage. Zum anderen schwächt der Autor seine Argumentation wiederholt mit dem Hinweis auf die fehlenden Mittel und die inadäquate Ausrichtung der Maßnahmen zur Kontrolle der SAWL durch staatliche Entitäten (zum Beispiel S. 229). Es kommen Zweifel auf, ob dies die eigentlichen Probleme sind, und nicht die „internationalistische Auffassung des Politischen“. Offen bleibt auch die Frage nach Alternativen. Vorschläge hierzu finden sich nur zwischen den Zeilen oder versteckt in Halbsätzen, etwa wenn Rogers kritisiert, dass es in den internationalen Abkommen keine Aufforderungen gebe, die Verbindungen zwischen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen zu intensivieren (S. 108), oder dass die UN-Friedenseinsätze darauf abzielten, lokale Herrschaftsformen der offiziellen politisch-strategischen Governance-Architektur einzuverleiben (S. 131).

Rogers Monographie lässt sich als ein – zweifellos wichtiger – Appell an Politiker und Wissenschaftler lesen, für die Lösung weltpolitischer Probleme zunächst die Kategorien des Denkens und die Rahmenbedingungen des Handelns zu überdenken. Am Ende ergibt sich jedoch bei Historiker/innen vermutlich der Eindruck, dass eine geschichtswissenschaftliche Herangehensweise überzeugendere Ergebnisse geliefert hätte.3 Statt einer von Allgemeinplätzen lebenden Abhandlung, die trotz der vorgenommenen Relativierungen maßgeblich auf Dichotomien wie „souveränitätsgebunden – souveränitätsfrei“ basiert, hätte ein/e Historiker/in wahrscheinlich ein Fallbeispiel untersucht und gezeigt, welche Akteure (wie gebunden oder frei auch immer) auf welche Weise miteinander kooperieren, und wie ein konkretes, zwischen unterschiedlichen Ebenen gesponnenen Netzwerk des Waffenhandels entstanden ist und funktioniert. Dass man Erkenntnisse dieser Art nicht finden wird, sondern eher den Entwurf einer systemischen Theorie, sollte jedem bewusst sein, der zu Damien Rogers Werk greift.

Anmerkungen:
1 James N. Rosenau, Turbulence in World Politics. A Theory of Change and Continuity, Princeton 1990.
2 Wolfgang Reinhard, No Statebuilding from Below! A Critical Commentary, in: Wim Blockmans / André Holenstein / Jon Mathieu (Hrsg.), Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1400–1900, Farnham 2009, S. 299–304, S. 301.
3 Richard Mansbach hat bereits im Jahr 2000 darauf hingewiesen, dass dem von Rosenau vertretene Postinternationalismus einer historischen Dimension mangele. Vgl. Richard W. Mansbach, Changing Understandings of Global Politics. Preinternationalism, Internationalism, and Postinternationalism, in: Heidi H. Hobbs (Hrsg.), Pondering Postinternationalism. A paradigm for the twenty-first century?, Albany 2000, S. 7–23, S. 18f. Margaret Karns formulierte im gleichen Sammelband programmatisch, dass es in Zukunft wichtig sei, formelle und informelle Netzwerke der Akteure genau zu beleuchten, durch die eine bestimmte Politik erst möglich wird. Vgl. Margaret P. Karns, Postinternational Politics and the Growing Glomerations of Global Governance, in: Heidi H. Hobbs (Hrsg.): Pondering postinternationalism. A paradigm for the twenty-first century?, Albany 2000, S. 39–59, S. 56.

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25.03.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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