C. Schnurmann: Europa trifft Amerika

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Title
Europa trifft Amerika. Zwei alte Welten bilden eine neue atlantische Welt, 1492-1783


Author(s)
Schnurmann, Claudia
Series
Atlantic Cultural Studies 7
Published
Berlin 2009: LIT Verlag
Extent
199 S.
Price
€ 24,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Christian Cwik, Universität Köln

Gerade im letzten Jahrzehnt ging ein wichtiger Trend in der Geschichtswissenschaft hin zu Studien, die unter dem Label von „Globalgeschichte“ oder „neue Weltgeschichte“ atlantische Geschichtsforschung betreiben. In diesem Sinne arbeiten europäische und amerikanische HistorikerInnen nicht mehr nur über die atlantische Geschichte der europäischen Expansion und ihre Auswirkungen auf die Amerikas, Afrika und Europa, sondern versuchen vielmehr von den Interaktionen zwischen den verschiedenen Kulturarealen zu berichten. Dabei werden die Forschungsperspektiven „dreidimensional (Afrika, Amerika und Europa) angelegt, wodurch sowohl mikrohistorische Untersuchungen als auch Narrative Eingang in strukturhistorische Analysen der Globalgeschichte fanden. Die Folge dieser Entwicklung war und ist eine Reihe neuerer Forschungen, die in Bezug auf die Genese der atlantischen Welt die räumliche und zeitliche Dimension als „hidden history“1 zusammenführte. So wurden „Sea- und Landscapes“ als transkontinentale und transregionale Räume in die Atlantische Geschichte eingeschrieben, die zuvor als solche nicht sichtbar waren.2

Das von Claudia Schnurmann 2009 als Band 7 ihrer eigenen Reihe Atlantic Cultural Studies herausgegebene Buch „Europa trifft Amerika. Zwei alte Welten bilden eine neue atlantische Welt, 1492-1783“ verweigert sich standhaft neueren Forschungsergebnisse (das jüngste der zitierten Werke stammt aus dem Jahr 1997). Damit ignoriert die im Arbeitsbereich Außereuropäische Geschichte der Universität Hamburg angesiedelte Historikerin zwölf Jahre historische Forschung über die atlantische Welt. Das verwundert auch nicht, ist das Buch doch eine gekürzte Neuauflage ihres 1998 erschienenen Buches „Europa triff Amerika: Atlantische Wirtschaft in der Frühen Neuzeit, 1492-1783“. Einen Hinweis auf diese Tatsache konnte ich nirgendwo finden.

Schon Titel und Untertitel des Buches werfen einige Fragen auf, bezieht sich doch die „Bildung einer neuen Atlantischen Welt“ ausschließlich auf das Eintreffen Europas in Amerika. Untermauert wird dieser eurozentrische Ansatz (Nord-Süd) im einleitenden Kapitel „Europa expandiert“ (S. 1-13), wo es heißt, dass „die Impulse für das Treffen zwischen Europa und Amerika von Europa und seinen Entdeckern ausgingen.“ Die „zweite alte Welt“ (siehe Untertitel), mit der Amerika gemeint ist, wird als passiv bezeichnet. Erst mit dem Aufstieg der USA im 20. Jahrhundert verschoben sich Schnurmann zufolge diese Perspektiven und der Blick von Westen nach Osten gewinnt an Gewicht. Dies ist - betreibt man atlantische Geschichte aus amerikanischer Perspektive eine Chuzpe - stellt doch die Autorin den wissenschaftlichen Anspruch den wechselseitigen Durchdringungsprozess zwischen 1492 und 1783 vorstellen zu wollen (S. 2). In den Überlegungen der Autorin über den Aufbau einer atlantischen Welt spielt Afrika kaum eine Rolle, obwohl Afrikanerinnen und Afrikaner nicht nur im zweistelligen Millionenbereich in die Amerikas verkauft wurden, sondern als Anrainer selbst Teil dieser atlantischen Welt waren. Im großen karibischen Raum stellen die Nachfahren von AfrikanerInnen heute rund 70% der Bevölkerung und beeinflussten nachhaltig die Herausbildung einer „atlantischen Kultur“, vom Transfer von Pflanzen Krankheiten und Tieren ganz abgesehen.

Weit erfolgreicher als die von der Autorin erwähnten Griechen und Römer (S. 2) agierten die Phönizier und Punier im Atlantik. Ihre Kolonien auf den Azoren, den britischen Inseln und ihre Fahrten bis in den Golf von Guinea finden unverständlicherweise keine Erwähnung. Es folgen „im Glauben angestachelte Araber“ auf ihren Eroberungszügen, die später unscharf unter dem Begriff „Mauren“ subsumiert und von „den christlichen Herrschern“ besiegt werden (S. 2). Kein Wort über die Eroberungen, die dem europäischen Emirat und danach Kalifat von Cordoba an der afrikanischen Westküste zwischen ca. 800 und 1050 u. Z. gelangen. Die Herausbildung des euroafrikanischen Raums im ausgehenden Mittelalter schreibt Schnurmann alleine den Portugiesen und „Spaniern“ zu, wobei sie diesen Prozess unter dem Begriff „Entdeckung“ präsentiert (S. 5). Die hingegen im Atlantik viel früher erfolgreich operierenden Stadtstaaten Genua, Pisa und Venedig werden wiederum nicht erwähnt.

Die Rechtsgeschichte zur iberischen Eroberung Amerikas (S. 8-10) steht allerdings auf festem Grund (siehe Fisch, Davenport, Verlinden), auch wenn die Position des aus Valencia stammenden Papstes Alexander VI. nicht als bloße Schiedsrichterrolle bezeichnet werden kann. Obwohl die Autorin zu Recht Begriffe wie „Indianer“, „Amerikaner“ kritisiert (S. 19), verwendet sie die beiden Begriffe das gesamte Buch hindurch weiter und hält die Einteilung in „Rassen“ und „Stämmen“ aufrecht. Die Phase der eigentlichen Kolonisation ist mit „100-200 Jahren“ (S. 13) viel zu kurz angesetzt. Dass nur „Fischer und Seeleute“ als Atlantikquerer unterwegs gewesen sein sollen, ist längst überholt.3 Die Aufzählung der Motive für die Mobilität beschränkt sich in Schnurmanns Buch alleine auf die Wanderung freier Europäer (S.14f.), wobei sie sich in erster Linie auf den angloamerikanischen Raum bezieht.

Die Stärken des Buches liegen sicherlich in den Kapiteln zur englischen, britischen und niederländischen Geschichte in den Amerikas (S.10ff, S. 39ff., S. 73ff., S. 85ff.), wobei trotz der bereits erwähnten fehlenden Berücksichtigung neuerer Forschungsergebnisse vor allem die Texte zu den Kolonien in Nordamerika empfehlenswert sind. Nähern wir uns dem karibischen Raum spricht Schnurmann vom „reichen Santo Domingo“ (S. 17) an dessen Eroberung Cromwell 1655 scheiterte, doch glich die älteste Stadt „Amerikas“ in dieser Phase eher einem Dorf, dessen Reichtum ausschließlich in seiner strategischen Bedeutung zu finden war. Den englischen Kolonien in der Karibik, allen voran Barbados und Jamaika, wird allgemein zu wenig Bedeutung zugeordnet (S. 75 und 80).

Die Geschichte Amerikas vor Kolumbus (S. 19-37) folgt veralteter Literatur und so verwundert es nicht, dass die herrschende Klasse der Taino auf der Insel Hayti (Hispaniola) als „Volksgruppe“ bezeichnet wird (S. 25) und 100.000 Tainos bereits 1494/95 von den Europäern vernichtet worden sein sollen (S. 48). Dort, wo die Autorin auf die Werke von Wolfgang Reinhard zur europäischen Expansion und Hanns Prem zur Geschichte der mesoamerikanischen Hochkulturen verweist, stimmen die Informationen auch mit der aktuellen Forschungsliteratur überein.

Die Veränderungen in den Amerikas durch die Europäer (S. 51-115) werden in drei aufeinanderfolgenden Kapiteln beschrieben. Dabei nehmen die „kolonialen Herrschaftssysteme“ den meisten Platz ein (S. 51-89). Begriffe wie „Nation“, „Eigentum“ und „Spanien“ werden für das 15. und 16. Jahrhundert angewandt, korrekterweise bedarf das zumindest für diesen Zeitraum einer gesonderten Erklärung, von der Verwendung der Bezeichnung „Zigeuner“ (S. 55) ganz abgesehen.

Die Portugiesen verfolgten Schnurmann zufolge keinen Kolonialplan in den Amerikas (S. 63), während die Verfasserin auf den darauffolgenden Seiten (S. 64–70) erklärt, dass es doch einen Plan gegeben hat; immerhin wurde die ersten portugiesischen Städte Pernambuco 1502, Porto Seguro 1503, São Vicente 1508 und Bahia 1509 gegründet und zwischen 1534 und 1536 insgesamt 15 donatarios vergeben.

Die Kapitel „Europäer verändern die amerikanische Umwelt (S. 91-115), „Amerika in Europa: Amerikabilder und Bilder von Amerika“ (S. 117-131) sowie „Amerika beeinflusst die Europäer (S. 133-172) bauen in erster Linie auf der Geschichte des Transfers von Krankheiten, Pflanzen und Edelmetallen auf. Der Transfer von Ideen und Systemen findet in Schnurmanns Buch genauso wenig Berücksichtigung wie die Darstellung des Sklavenhandels als atlantischer Motor. Die von ihr an mehreren Stellen zitierte und sicherlich bahnbrechende Arbeit von Alfred Crosby mit dem Titel The Columbian Exchange. Biological and Cultural Consequences of 1492 aus dem Jahr 1972 gilt spätestens seit den Arbeiten von Judith A. Carney und Richard Nicholas Rosomoff als überholt 4.

Betrachtet man die aus dem Jahr 1998 stammende Publikation, die über weite Teile mit der von 2009 identisch ist, so stellt das Buch als „Einführung in die Geschichte des atlantischen Raums“ - und zwar ausschließlich als solche - trotz der zitierten Mängel eine spannende Lektüre dar. Einige der Kapitel waren im Hinblick auf die Entwicklung des Faches „Atlantische Geschichte“ im deutschen Sprachraum von Bedeutung. Vieles jedoch muss angesichts der rasanten Entwicklung des Faches einer gründlichen Revision unterzogen werden.

Anmerkungen:
1 Michael Zeuske, Sklaven und Sklaverei in den Welten des Atlantiks 1400 – 1940. Umrisse, Anfänge, Akteure, Vergleichsfelder und Bibliographien (Sklaverei und Postemanzipation Bd. 1), Berlin 2006.
2 Siehe u.a. die Arbeiten von Peter Linebaugh, Marcus Rediker, Michael Zeuske, Matthew Restall, Stuart Schwartz, John Elliot, Paul E. Lovejoy, Ira Berlin, Thomas Benjamin etc.).
3 Peter Linebaugh / Marcus Rediker, The Many-Headed Hydra. Sailors, Slaves, Commoners and the Hidden History of the Revolutionary Atlantic, Boston 2001; Markus Rediker, Villain of All Nations. Atlantic Pirates in the Golden Age, Boston 2004.
4 Judith A. Carney, Black Rice. The African Origins of Rice Cultivation in the Americas, Cambridge 2001; dies., African Traditional Plant Knowledge in the Circum-Caribbean Region“, in: Journal of Ethnobiology 23 (2003) 2, S. 167-185; dies., Rice and Memory in the Age of Enslavement: Atlantic Passages to Suriname, in: Slavery and Abolition 26 (2005) 3, S. 325-347; dies. / Richard Nicholas Rosomoff, In the shadow of Slavery. Africa´s Botanical Legacy in the Atlantic World, Berkeley 2009.

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23.12.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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