M. R. Salama: Islam, Orientalism and Intellectual

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Title
Islam, Orientalism and Intellectual. Modernity and the Politics of Exclusion Since Ibn Khaldun


Author(s)
Salama, Mohammad R.
Series
Library of Middle East History
Published
London 2011: I.B. Tauris
Extent
304 S.
Price
€ 68,75
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Malte Fuhrmann, Orient-Institut Istanbul

Mohammad R. Salama, der aus Ägypten stammende Professor für Arabistik an der State University of San Francisco, hat persönlich erlebt, was es bedeutet, in den heutigen USA Muslim zu sein: Eine Routineausreise zur Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung wurde unerwartet zu einer monatelangen Hängepartie, während der die Immigrationsbehörde seine Gesinnung überprüfte, ein Schicksal, das er mit Tausenden US-BewohnerInnen nahöstlicher Herkunft (und nicht nur Männern, wie er fälschlicherweise annimmt) teilt. Dies lieferte ihm die Anregung, der Frage nachzugehen, auf welchen historischen intellektuellen Prämissen die gegenwärtige Islamophobie in Europa und Nordamerika beruht. Hierbei möchte er sich nicht mit den zeitnahen, bereits ausführlich erörterten Diskursen zufrieden geben, sondern zielt auf „the recent prehistory of Islam and ‚the West‘ with the intention of analyzing the connections between knowlege and politics.“ (S. 2)

Der „Prologue“ des Buches lässt einen noch ziemlich im Dunklen, wie dies vonstatten gehen soll, da Salama sich alsbald sprachlichen Herleitungen der Begriffe „Arab“ und „Islam“ (S. 19-24) und anschließend der obligatorischen Huntington-Kritik zuwendet (S. 26-39). Handelt es sich um eine Aktualisierung von Edward Saids Thesen oder um die Kritik einer weiteren Wissenschaftssparte? Doch im Gegensatz zu vielen Werken der postkolonialen und der Orientalsimuskritik, die ihre Ergebnisse im Vorwort proklamieren und dann nur noch den Beweisapparat runterspulen, liegen die Stärken von Islam, Orientalism and Intellectual History in seinen einzelnen Kapiteln.

Im Wesentlichen geht es Salama um eine Kritik der Kernprämissen der Geschichtsphilosophie, auf denen die pauschale Ablehnung des Islams bis heute basiert. Ausgehend von der poststrukturellen Kritik an der Geschichte (Derrida, Foucault sowie Barthes) setzt er bei Aristoteles an. Dieser habe die Historie in ein graduelles Verhältnis zur Poesie gestellt: Beide erschaffen textliche Narrative, wobei Erstere sich vom Partikularen ableitet und Letztere vom Universellen her, was die Poesie zur höherwertigen Kunst mache. (S. 46) Die Renaissance und verstärkt die Aufklärung hätten hingegen Aristoteles’ Einordnung der Historie als Kunst vergessen und sie den exakten Wissenschaften zugeordnet, ohne zu berücksichtigen, dass die historische Vorgehensweise – die Schaffung von Narrativen – von den Künsten abstamme und wissenschaftlicher Rigorosität entbehre. Desweiteren gingen die Geisteswissenschaften seitdem unkritisch mit der platonischen Differenz zwischen Zeichen und Signifikat um und tendierten zunehmend zur teleologischen statt zur theologischen Sicht der Geschichtsentwicklung, womit sie die geistigen Grundsteine für eine undifferenzierte und quellenunkritische aber nichtsdestotrotz selbstbewusst autoritäre Episteme über fremde Kulturen legten. (S. 56-75)

Die nichtwestliche Welt wurde, so Salama unter Berufung auf Hayden White, Michel de Certeau und Michel Foucault, künftig durch eine simple Dichotomie von „gleich“ und „ungleich“ repräsentiert, die ihren Objekten wie dem Islam nicht gerecht werden konnte. Der Historiker des 14. Jahrhunderts Ibn Khaldun setzte sich lange vor den Aufklärern mit Aristoteles auseinander und verfiel weder Positivismus noch Teleologie, sondern propagierte ein zirkulares Geschichtsbild sowie quellenkritisches Vorgehen. Sein Erbe werde zwar zunehmend anerkannt, aber seine heutigen Interpreten vermochten meist nicht sein Denken als eigenständige Leistung zu würdigen, sondern erschöpften sich in Kategorisierungen seines Werkes als säkular, religiös, griechisch-philosophisch, uneuropäisch oder Arabisch. Sowohl Ibn Khaldun aus der rational-europäischen Denktradition auszuschließen als auch ihn leichtfertig unter einem bestehenden Label zu subsumieren seien Ausdrücke von Eurozentrismus. (S. 77-101)

Im dritten Kapitel kommt Salama auf Hegels Philosophie der Weltgeschichte zu sprechen, in der er die wichtigste Grundlage des bis heute gültigen Denkens in Großkategorien sieht: „Hegelian thought is an all-inclusive philosophical space in which currents of thought have been collected and preserved.“ (S. 109) In seinen Schriften über Islam schließe Hegel an frühere Autoren an, die das Osmanische Reich als das Andere Europas charakterisieren, das nur zur „Despotie“ und nicht zur „Monarchie“ fähig sei. Er verbinde Islam mit Fanatismus im Gegensatz zu einer christlich verstandenen Freiheit. Auch über die arabische Aristoteles-Exegese äußere er sich abfällig. Allerdings hat Jean-Joseph de Goux darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu Hegels offensichtlichen Islam-Schmähungen dieser den Islam in seiner Schematik der vierten und höchsten Stufe des Geistes in der Weltgeschichte zugeordnet hat.

Im vierten Kapitel wendet sich Salama schließlich dem britischen kolonialen Denken zu. Er räumt ein, dass er hiermit sowohl einen Sprung als auch eine Einengung der Thematik vornimmt; doch ist ihm an der Verbreitung der zunächst auf philosophischer Ebene festgestellten Episteme gelegen: „the mechanics of cultural productions that allowed this kind of ‚interest‘ to thrive and become symptomatic of a broader historical understanding and positioning of the Arab-Muslim world in nineteenth-century England.“ (S. 125) Er beginnt mit dem Klassiker der Kolonialliteratur Robinson Crusoe, in dem Daniel Defoe 1719 ein Raster entwarf, wie ein Europäer die Natur und die Naturmenschen zu kolonisieren habe. Die „barbarischen Kannibalen“ Defoes werden den „barbarischen Muslimen“ in Lord Cromers Narrative über Ägypten (1907) gleichgestellt.

Hier ist sicherlich ein Punkt, wo das Buch zu hastig vorgeht. Von dem Schritt, ein pazifisches „Naturvolk“ als barbarisch und kolonisierungsbedürftig zu betrachten, bis zu dem Schritt, dasselbe für die islamische Gesellschaft zu verlangen, die noch Hegel zwar für unfrei aber dennoch zivilisatorisch fortgeschritten hielt, muss ein zusätzlicher Grad an diskursiver Gewalt eingetreten sein, der hier unter den Teppich gekehrt wird. Dies zeigen auch die Beispiele Mary Montagus und John Richardsons, die in ihren Äußerungen über Muslime im 18. Jahrhundert noch Welten von Cromer oder auch der Populärliteratur Mary Shelleys entfernt sind. (S. 132-145)

Abschließend kommt Salama auf die Wechselwirklungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten am Beispiel Ägyptens zu sprechen. Während er der napoleonischen Besatzung immerhin zugute hält, dass sie trotz ihrer geheuchelten Fürsorge und kolonialen Mentalität den Ägyptern das Handwerk für eine intellektuelle Kritik der sozialen Zustände in die Hände legte (dies zeigt er am ansonsten eher traditionellen Historiker Abd al-Rahman al-Jabarti auf), sieht er hingegen das von maßlosen Strafaktionen geprägte Regime Lord Cromers als unfähig, eine diskursive Hegemonie durch seine Herrschaft zu produzieren. Hierzu führt er die Massenexekutionen und –auspeitschungen für den Mord an einem britischen Offizier in Denshawai an. Diese wurden zwar in der offiziellen britischen Darstellung als angemessene Disziplinierung eingestuft; sie dienten aber gleichzeitig der bürgerlichen ägyptischen Antikolonialbewegung als Anlass, die Bildungshoheit für sich zu reklamieren, der irischen Nationalbewegung als Vorlage, die imperiale Justiz als gescheitertes Bühnenstück zu diskreditieren, und im heutigen Ägypten als Sujet, um eine Nostalgie für die imaginierte vorimperiale gesellschaftliche Harmonie zu beschwören. Abschließend plädiert der Autor erneut gegen die die heutige totalisierende Sicht auf die Muslime und für ein kosmopolitisches Verständnis des Gemeinwesens im Sinne Anthony Kwame Appiahs sowie Michael Hardts und Antonio Negris.

Durch die erwähnten Sprünge als auch die vielen Exkurse und Polemiken gegen die heutigen Befürworter der Islamophobie macht es Salama den Lesenden nicht immer leicht, seiner Argumentation zu folgen. Auch ist man als Lesender verwundert von den üblichen Verdächtigen des in Deutschland üblichen Historikerkanons wenig zu hören: Herodot wird nur am Rande erwähnt, Leopold von Ranke gar nicht, obwohl gerade Ranke als optimales Beispiel gedient hätte für das Zusammenkommen von Positivismus, Weltgeist-Ausführungen und eurozentrischem Triumphalismus gegenüber dem Islam (insbesondere gegenüber dem Osmanischen Reich, das auch Salama mehrfach als Beispiel der westlichen Sicht auf den Islam anführt). Hiermit wäre die Lücke zwischen Hegels noch luftiger Islam-Kritik und Cromers Vulgär-Orientalismus am besten zu schließen. Jedoch ist der Ansatz, verschiedene Epochen, Ebenen und Genres der Islamophobie und ihrer intellektuellen Prämissen zusammenzudenken, ein sehr anregender. Man muss sich nicht allen Schlussfolgerungen Salamas anschließen, um seine Anregung aufzugreifen das ansonsten stark kompartimentalisierte Feld des Orientalismus als komplexes Ganzes zu denken. Damit hat dieses Buch seinen Zweck bereits mehr als erfüllt.

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17.02.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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