N. Edgren-Henrichson: Dolce Far Niente in Arabia

Title
Dolce Far Niente in Arabia. Georg August Wallin and His Travels in the 1840s


Editor(s)
Edgren-Henrichson, Nina
Published
Extent
144 S.
Price
€ 37,70
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Uwe Pfullmann, Gornsdorf

"Das süße Nichtstun in Arabien" – so lautet der eingängige Haupttitel des von Nina Edgren-Henrichson und der Gesellschaft für schwedische Literatur in Finnland herausgegebenen gediegen illustrierten Bändchens über Georg August Wallin. Die 1885 gegründete Gesellschaft für schwedische Literatur (SLS) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Sachbücher über Kultur, Sprache, Gesellschaft und Geschichte der schwedisch-sprachigen Minderheit in Finn-land zu publizieren. Die sogenannten Finnlandschweden leben vor allem im Süden und Westen Finnlands, insbesondere aber auf den autonomen Åland-Inseln am Eingang des Bott-nischen Meerbusens. Auf diesen Inseln ist Schwedisch die einzige Amtssprache. Von diesen Inseln stammt einer der bedeutendsten Arabien-Reisenden der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Georg August Wallin. Neben der Herausgabe von Wallins Gesamtwerk auf Schwedisch ist nun ein Band auf Englisch erschienen, in dem vier Autoren wesentliche Aspekte von Leben und Wirken dieses finnischen Orientalisten vorstellen. Heikki Palva umreißt in einem ebenso kurzen wie prägnanten Vorwort die Bedeutung des Forschungsreisenden: "An der Universität von Helsinki weckte sein exotisches Porträt wohlverdiente Aufmerksamkeit in den Reihen der prominenten Männer seiner Zeit. Das sonnenverbrannte Gesicht erzählt von langen Reisen unter Arabiens lodernder Sonne, während der weiße Turban und die Schriftrolle das Fachgebiet als das eines großen Gelehrten des Mittleren Ostens beschreiben." (S. 7) Palva verweist auf Wallins bahnbrechende Leistungen als Arabien-Entdecker: "Er war der erste Europäer, der die nördliche Arabische Halbinsel durchquerte und sich in die örtlichen Bedingungen von vorher unerforschten Gebieten einlebte, einschließlich al-Dschof und Ha'il." (S. 7) Palva verweist zu Recht auf die Auszeichnungen der Geographischen Gesellschaften, die aber allesamt nicht verhindern konnten, dass Wallins Leistungen als Orientalist und Arabien-Entdecker sehr schnell in Vergessenheit gerieten. Nicht zu Unrecht verweist Palva auf ein großes Manko von Wallins Berichten, ihre unpersönliche Beschreibung der Topographie und natürlichen Gegebenheiten des Landes unter Weglassung jeglicher persönlicher Emotionen. Dazu kam die marginale Rolle, die Finnland und Russland damals auf der Arabischen Halbinsel spielten: "Es sollte indes beach-tet werden, dass Wallins Forschungsplan jeder Zusammenhang zur politischen und wirtschaft-lichen Rivalität fehlte, die zwischen Europas Großmächten existierte, da Russland keine Interessen auf der Arabischen Halbinsel hatte." (S. 8) Hieraus wird mehr als deutlich, warum Wallin am Ende seiner Forschungsreisen stets bettelarm in den urbanen, sich der Modernität öffnenden Regionen des Nahen und Mittleren Osten ankam. Wallin erwarb sich auch Verdienste bei der Erhaltung beduinischer Poesie und Lieder: "Als Linguist machte es sich Wallin von Anbeginn an zur Aufgabe, sich systematisch auf die Struktur der gesprochenen Sprache zu konzentrieren, und war damit der Erste, der erfolgreich die phonetischen und morphologischen Merkmale der Beduinen-Dialekte beschrieb." (S. 10)

Patricia Berg geht in ihrem Beitrag "Ein finnischer Seemann strandet auf der Arabischen Halbinsel" auf Elternhaus, schulischen Werdegang und erste Berührungen mit dem Nahen Osten ein: "Das wissenschaftliche Ziel seiner Forschungsreise war, Material über ara-bische Stammesbeziehungen und arabische Dialekte zu sammeln, und eine geographische Erkundung der Arabischen Halbinsel auszuführen." (S. 15) Berg hebt die besonderen Umstände der Reise hervor, und meint hier nicht die Tatsache, dass er als Muslim mit arabischen Namen reiste – dies tat auch Johann Ludwig Burckhardt (1811-17), sondern dass er als Linguist unterwegs war, und dass "seine Persönlichkeit und linguistischen Begabungen ihm ermöglichten, ein Teil der ethnischen Gruppe und der Sprache zu werden, die er studierte." (S. 15) Auch nach dem Anschluss Finnlands als Großfürstentum an das zaristische Russland und dem Umzug der finnischen Hauptstadt von Turku nach Helsinki begannen sich zwar die Grundlagen der finnischen Autonomie herauszubilden, aber die schwedische Sprache blieb die Sprache der Gebildeten, und somit gehörte Wallin zweifellos zu den Privilegierten im Großherzogtum. In dem Unterkapitel "Familie und Jugend" zeichnet B. ein sehr menschliches Bild des Gelehrten, der "von relativ bescheidener Herkunft ist. Er war das mittlere Kind von sieben in der Familie von Israel und Johanna Wallin und wurde in der Gemeinde Sund auf den Åland-Inseln geboren. Die männlichen Mit-glieder der Familie Wallin waren traditionell Kaplane, aber Georg August Wallins Vater war Hauptbuchhalter und Gerichtsschreiber." (S. 17) In seinen Briefen an seine Mutter und Schwester schilderte Wallin immer wieder arabische Seeleute und zog Vergleiche zu seiner Heimat, die naturgemäß eine große Affinität zur Seefahrt hatte. Desweiteren beschreibt Berg den schulischen Werdegang Wallins in Turku und seine Studienjahre in Helsinki. Hier kristallisierte sich sein Interesse für orientalische Literatur heraus: "Sein erster Arabisch-Lehrer war der Assistent für Orientali-sche Literatur Ivar Ulrik Wallenius, die ordentliche Professur in dem Fach wurde von Gabriel Geitlin gehalten." (S. 21) Wallins Reise als Linguist bildete im Gros der naturwissenschaft-lichen Expeditionen ein Novum: "Es ist möglich, dass er durch den neu erwachten finnischen Nationalismus inspiriert worden war, der in Helsinkis Universitätskreisen zu einem wachsen-den Interesse am Ursprung des finnischen Volkes und insbesondere an der finnischen Sprache führte." (S. 22) B. beschreibt ausführlich Charakter und Werdegang des Reisenden anhand verfügbarer Quellen, darunter Wallins Bruder Wilhelm. Dazu gehören auch die glaubhaften Gerüchte einer Affäre mit der Frau eines Ortsvorstehers der Åland-Inseln, was zu seinem Ausschluss aus der Universität hätte führen können. Im Folgenden geht es um Wallins weitere Studien orientalischer Sprachen und seine Promotion, den Erwerb der Reisestipendin und Wallins Forschungsreisen ein. In der mündlichen Verteidigung seiner Promotion stellte Wallin fest: "Man begeht einen großen Fehler, anzunehmen, wie viele oft tun, dass Arabisch eine tote Sprache ist. Nachdem man von der Falschheit dieser Sichtweise überzeugt worden ist, haben gelehrte Männer einen bedeutenden Beitrag zum gründlichen Studium der modernen arabischen Sprache geleistet." (S. 28f.) Schließlich werden Wallins Forscherleben nach den Arabien-Reisen und seine Pläne für eine dritte Reise beleuchtet. Sofia Häggman stellt unter der Überschrift "Wallins Ägypten – ganz wie zu Hause" (S. 43-63) die Forschungsreisen des berühmten Finnlandschweden vor, der am 14. Dezember 1843 an Bord des Dampfschiffes Scamandre Ägypten erreichte. Das Land am Nil ist seit Napoleons Feldzug in Mode gekommen. Unter der Überschrift "Alexandria – die Begegnung mit dem Orient" vermittelt die Autorin die ersten Eindrücke Wallins von einer gänzlich fremden Welt, auch wenn die Stadt schon europäisch beeinflusst anmutet. Am 22. Januar 1844 segelte der Reisende den neu ausgehobenen Mahmudiya-Kanal nach Kairo hinunter. In Kairo angekommen, vertiefte der Orientalist und Linguist seine Arabisch-Kenntnisse: "Wallin war ein scharfer Beobachter, und geschickt im Nachahmen. Schnell lernte er alle höflichen Phrasen auswendig, die Teil des täglichen Umgangs waren, und lernte, wie ein frommer Muslim zu sprechen und sich aufzuführen." (S. 48) Im Sommer 1844 vertiefte er bei Scheich Ali Nida al-Barrani seine praktischen Kenntnisse im muslimischen Gebet: "Der Scheich muss einige Zweifel hinsichtlich des muslimischen Glaubens seines neuen Freundes gehabt haben." (S. 50) Doch die Freundschaft zwischen Lehrer und Student vertiefte sich gar noch, als Wallin Barraniya, das Heimatdorf al-Barranis, besuchte, und Tanta in der ägyptischen Provinz be-suchte. An Bord eines gemieteten Segelbootes, der dhhabiya, unternahm er im Winter 1844/45 eine Reise nach Oberägypten, nach Philae, Abu Simbel zur Kolossalstatue von Ramses II., nach Tafa, Dakka, Kurusku, Ibrim und Darr. Hier setzte er sich zum ersten Mal bewusst mit dem pharaonischen Ägypten auseinander, während zuvor Arabisch und das arabische Ägypten im Fokus seines Interesses standen. Vom Wadi Halfa am zweiten Nil-Katarakt kehrte Wallin dann zurück in die ägyptische Hauptstadt.

Kay Öhrenberg beginnt seinen Beitrag "Die Terra incognita Arabiens" (S. 67-89) mit einem kurzes Exposé zur Wissenschaftsgeschichte der Orientalistik. Der Autor nennt mögliche Quellen für Wallins Interesse an Arabien: "Wir sehen einen Übergang vom romantischen Orientalismus, personifiziert durch Figuren wie Sir William Jones, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Rückert, zu einem mehr oder weniger philologisch-gesinnten Orientalismus. Wallin, obwohl Romantiker, wurde nach den Standards ausgebildett, die von Gelehrten wie den Gründungsvätern der akademischen Orientalismus, Antoine-Isaac Silvestre de Sacy und Heinrich Leberecht Fleischer, gelegt worden sind. Ich selbst würde dazu tendieren, die Grundlage von Wallins Studien und Reisen in der Vorherrschaft der Philologie an den deutschen Universitäten zu suchen." (S. 68 f.) Am 11. April 1845 brach Wallin zu seiner ersten Reise auf. Ihm war geraten worden, "vom Norden aus zur Halbinsel zu reisen, was er tat, obwohl er sich trotzdem verdächtigt sah, einer von Mohammed Alis Spionen zu sein." (S. 73) Er gelangte nach al-Dschof und Ha'il, aber seine Pläne bezüglich Sedeir und ad-Diriyah, der 1818 zerstörten Hauptstadt der Wahhabiten, konnte er nicht verwirklichen. Öhrenberg schildert auch ausführlich Wallins zweite Reise 1848; wiederum scheiterte Wallin, ins wahhabitische Kernland nach ar-Riyad vorzudringen. Unter der Überschrift "Die dritte Reise in die Wüste" stellt Öhrenberg Wallins Pläne vor. Am Anfang wollte er von Jerusalem in die Provinzen Belka und Nikrat Alsham sowie nach Bagdad und Basra: "Von hier aus würde ich zunächst die wegen ihres Reichtums und Kunstfertigkeit ihres Volkes noch immer gepriesene Provinz Alhassa und die angrenzende Provinz Alnegd besuchen." (S. 77) Weitere Ziele waren der Oman und das Mahra-Land im Jemen. Jaako Hämeen-Anttila stellt in seinem Aufsatz die Ergebnisse von Wallins Aufenthalt in Persien vom 18. September 1848 bis zum 7. Januar 1849 vor: "Das Land, in dem er ankam, war in vielfältiger Weise anders als die arabischen Länder, insbesondere Ägypten und die wahhabitsche Arabische Halbinsel, die er so gut kannte. Ein Laie kann Persien, den modernen Iran, mit arabischen Ländern verwechseln, aber die Unterschiede zwischen den zweien sind vielleicht hervorstechender als ihre Ähnlichkeiten." (S. 95) Hämeen-Anttila skizziert Grundzüge der iranischen Geschichte, die Entstehung der Qadscharen-Dynastie, die kurz vor Wallins Aufenthalt entstandenen Bahai-Religion sowie Besonderheiten der schiitischen Ausprägung des Islam.

Sorgfältig ausgewählte Zitate Wallins aus seinen Notizen vor den Beiträgen der Autoren vermitteln einen Eindruck des unmittelbaren Erlebens, der den meist nüchternen und sachlichen Texten des Reisenden von den Äland-Inseln fehlt.

Das Buch enthält neben der Bibliographie einen Index und auch Karten zu Wallins Ägypten- und Arabien-Reisen. Diese Karten, dies sei als einzige Beanstandung des Buches angemerkt, hätten detaillierter sein können. Wenn auch bei weitem nicht so ausführlich wie die schwedische Gesamtausgabe von Wallins Tagebüchern und Briefen, so ist doch dieses Buch eine angemessene und hochwillkommene Würdigung eines großen Gelehrten und Arabien-Entdeckers.

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08.05.2015
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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