T. Knaudt: Von Revolution zu Befreiung

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Title
Von Revolution zu Befreiung. Studentenbewegung, Antiimperialismus und Terrorismus in Japan (1968-1975)


Author(s)
Knaudt, Till
Published
Frankfurt am Main 2016: Campus Verlag
Extent
Price
€ 45,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Max Gedig, Ludwig-Maximilians-Universität München

1968 war ein globales Ereignis. Während zu den meisten westlichen Ländern inzwischen auf Deutsch oder Englisch umfangreiche Literatur vorhanden ist, wurde der japanische Fall lediglich peripher behandelt1, was sich neben disziplinären Grenzen wohl auch mit der Sprachbarriere erklären lässt. Till Knaudts Dissertation, die nun mit dem Titel „Von Revolution zu Befreiung. Studentenbewegung, Antiimperialismus und Terrorismus in Japan, (1969-1975)“ als Buch erschienen ist, setzt sich das Ziel, dieses Desiderat zu beheben. Methodologisch, wenn auch nicht explizit ausformiert, möchte Knaudt die japanische Studierendenbewegung und den darauffolgenden Links-Terrorismus transnational begreifen, Verflechtungen analysieren und stellenweise sogar komparativ beschreiben. Ein weiteres Ziel der Untersuchung ist die Analyse japanischer linker Theorie und das Verhältnis von marxistischer Theorie zu politischer Praxis – Alles in Allem ein ambitioniertes Unterfangen.

In einem ersten Teil setzt sich die Untersuchung mit der japanischen kommunistischen Partei und deren Aufstandsplänen gegen die US Besatzung im Jahr 1951 auseinander. Warum das Buch hier über den selbst gesteckten Zeitraum hinausgeht, wird nicht auf Anhieb ersichtlich. Die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Japans (KPJ) plante die euphemistisch genannte „Bergdorf-Konstruktionsbrigaden“, deren Ziel es war, die Infrastruktur für einen etwaigen bewaffneten Aufstand gegen die US-Besatzung bereitzustellen. Nach einer Kehrtwende der KPJ wurde dieses Projekt jedoch nicht zu Ende geführt, was laut Knaudt zur Formation der Neuen Linken 1957 führte (S. 45). Als Reaktion auf diese Beschneidung etablierte sich in den kommunistischen Jugendorganisationen eine Rückbesinnung auf den ‚jungen Marx‘, dessen Analysen ein stärkeres subjektives Moment erlaubten als die orthodoxe Marx-Exegese der moskautreuen KPJ.

Knaudt argumentiert, dass die Entwicklung der japanischen marxistischen Ideengeschichte der westlichen ähnelt, was er am Konzept der Neuausrichtung der „kognitiven Orientierung“ von Gilcher-Holtey festmacht. Als zentraler Ideengeber dieser Entwicklung gilt in Japan der Autor Yoshimoto Takaaki (S. 52), der die Genese des Staats mit psychologischen und sexuellen Beziehungen erklärte. Dessen Schriften fungierten daher für die Studierendenbewegung als Legitimation für die Neugestaltung ihrer privaten Beziehungen und ermöglichten es ihnen, ihr eigenes Handeln ins Zentrum zu rücken.

Wie der Autor weiter ausführt, schloss sich der Subjektivierung der revolutionären Möglichkeiten folgerichtig die „Entdeckung der Dritten Welt“ an (Christoph Kalter).2 Die japanische Studentenbewegung bezog sich positiv auf die antikolonialen Widerstandsbewegungen, die einen dritten Weg neben der Sowjetunion und der Ersten Welt darstellten. Durch diesen positiven Rekurs konnte die widersprüchliche Rolle der Studierenden in der orthodoxen Marx-Exegese überwunden werden, die nicht zum revolutionären Subjekt genügten, da sie keine Proletarier waren. Dies ermöglichte es der japanischen Studierendenbewegung sich selbst als revolutionäres Subjekt zu verstehen.

Der eigentlichen Studierendenbewegung sowie ihrer Praxis von 1967 bis 1969 widmet sich das Buch erstaunlich kurz. Träger dieser Bewegung waren allerdings nicht nur Studierende, sondern auch Oberschüler und politisch organisierte Facharbeiter. Die Konflikte mit der Polizei und die „Haneda Zwischenfälle“ einten die unterschiedlichen Gruppen (S. 91). Zweimal versuchten aufgebrachte Studenten, Reisen des Premierminister vom Tōkyō-Haneda Flughafen zu verhindern. Die erste Reise des Premiers ging am 8. Oktober 1967 nach Südvietnam, was als Geste gegen den Vietcong verstanden wurde. Ein weiteres Mal reiste das Staatsoberhaupt am 12. November 1967 in die USA, da der Premier dort die Rückgabe von Okinawa verhandeln wollte.

Spätestens 1969 verlagerten sich die Proteste weg von Universitäten auf die Straße, so Knaudt. Innerhalb dieser Konfliktlage 1969 spalteten sich die „Sekigun“, der „Bund der Kommunisten – Rote Armee-Faktion“ vom „Bunto“ ab, einer Dachorganisation kommunistischer Studierender.

In einem hoch interessanten Kapitel beschreibt Knaudt den Abspaltungs- und Radikalisierungsprozess der Sekigun und zeigt erstaunliche Parallelen zu den amerikanischen „Weathermen“ auf. Außerdem orientierten sich die Sekigun an den Days of Rage der Weathermen und versuchten entsprechend geplante Rebellionen in Osaka und Kyoto auszulösen. Nachdem dies in beiden Fällen scheiterte, begannen sie sich auf die Klandestinität vorzubereiten und zu militanteren Methoden zu greifen. Allerdings erwiesen sich die Aktionen der Segikun durchgängig als Fehlschläge. Der Druck der Polizei und Festnahmen zwangen die Militanten ihre Strategie zu überdenken.

Die Sekigun entwickelten daraufhin die Theorie der internationalen Operationsbasen und flüchteten nach Kuba. Nicht mehr auf Japan fixiert, imaginierten sie einen revolutionären Krieg „von Zentrum Japan[s] über Korea und China bis nach Südostasien“ (S. 148). Knaudt merkt an, dass diese Grenzen der imperialen Expansion Japans zu Beginn des 20. Jahrhunderts ähnelten. Entsprechend ihrer neuen Theorie entführten die Sekigun das japanische Flugzeug Yodo-gō nach Nordkorea. Die dortigen Offiziellen verhielten sich allerdings nicht den Wünschen der Terroristen entsprechend, sondern internierten die Entführer und versuchten sie anhand der nordkoreanischen „Juche“-Parteilinie umzuerziehen. Wenn dies nicht gelang, wurde die Person exekutiert. Teile der umerzogenen Gruppe begannen daraufhin, Frauen aus Japan zu entführen, um sie mit den Männern der Gruppe zu verheiraten.

Ihres Führungsstabes beraubt, gründeten 1971 die Reste der Sekigun mit einer weiteren militanten Gruppierung die sogenannte Renseki (S. 157). Die, wie Knaudt es nennt, Politsekte zog sich nach 1971 in die japanischen Berge zurück, wo sie in interne Säuberungsaktionen bis zu 14 ihrer eigenen Mitglieder ermordeten. Ebenso war sexuelle Gewalt an der Tagesordnung. Die 1972 stattfindende und zehn Tage dauernde Belagerung und anschließende Stürmung des Rückzugsorts war das Medienereignis des Jahres.

Eine weiteres düsteres Kapital des japanischen Terrorismus stellt die Japanese Red Army dar, eine weitere Abspaltung der Segikun. Die Gruppierung ließ sich zuvor wie die Tupamaros-Gruppen oder die Roten Armee Fraktion aus Deutschland in einem Camp im Libanon ausbilden. Daraufhin verübten sie weitestgehend Anschläge gegen diverse internationale Ziele. Der Anschlag, der die größte internationale Aufmerksamkeit erregt, fand am 30. Mai 1972 auf den Ben Gurion Flughafen statt, wo sie um sich schießend 28 Zivilisten ermordeten und sich daraufhin mit Granaten selbst in die Luft sprengten.

Im Weiteren beleuchtet das Buch äußerst ausführlich die Konstruktion neuer revolutionärer Subjekte jenseits der Arbeiterklasse oder der antikolonialen Widerstandbewegungen und zeigt auch hier Querverbindungen zum US-amerikanischen Fall auf. Aktivistische Gruppen, darunter auch Teile der Sekigun, bemühten sich darum, Kontakt zu Tagelöhnern aufzunehmen und diese zu politisieren. Sie wandten sich damit theoretisch vom Marxschen Begriff der Klasse ab und suchten Kontakt zum Prekariat (S. 179). Auch ein Bündnis zwischen der Neuen Linken und den Indigenen der Hokkaidō-Präfektur, den Ainu, fällt in dieses Muster. Jedoch haben sich die Ainu weitestgehend selbst organisiert, was Knaudt mit der Organisation der nordamerikanischen Indigenen vergleicht. Diese Fokussierung auf neue revolutionäre Subjekte kulminierte für Knaudt in einer spezifischen Form des Terrorismus, die er in der „Anti-Japanischen Front“ begründet sieht. Diese terroristische Vereinigung entwickelte Ende der 1960er-Jahre ein Revolutionskonzept, in dem der Klasse komplett abgeschworen wurde. Stattdessen verstanden sie die Geschichte als Kampf der kolonisierenden Völker gegen die von ihnen Kolonisierten. Folgerichtig richtete diese Gruppierung ihre Anschläge gegen das ‚kolonisierende‘ japanische Volk. Sie griffen daher nicht nur die Würdenträger des Staates an, sondern verübten eine Barrage von Bombenanschlägen, bei denen auch zivile Ziele in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Anschlagsserie kulminierte 1974 in einem nur mit Glück verhinderten Mordanschlag auf den japanischen Kaiser, Shōwa Tennō. Insgesamt verletzte die Gruppierung während ihres Feldzugs bis zu 400 Menschen (S. 263).

Knaudts Dissertation beleuchtet einen bisher wenig untersuchten Fall der 1968er Proteste sowie deren Nachwehen und zeigt die transnationalen Verflechtungen gekonnt auf, wobei eine explizite Operationalisierung von transnationaler oder komparativer Perspektive hilfreich gewesen wäre.3

Auch fehlt der Untersuchung eine klare und vor allem begrenzte Fragestellung oder explizite These, die geholfen hätte, die Schlussfolgerungen des ansonsten sehr ergebnisreichen Bandes zu bündeln. In der Einleitung werden an diversen, unüblichen Stellen Erkenntnisziele und Thesen formuliert, allerdings nicht pragmatisch strukturiert. Vermutlich auch daher bezieht das Buch eine Vielzahl von Perspektiven ein: Akteure, Ideengeschichte, politische Praxis, Radikalisierungsprozesse und Terrorismus diverser Gruppierungen. Da stellenweise vergleichend gearbeitet wird, hätte die Forschungsliteratur zu den Vergleichsfällen, wie beispielsweise den Weathermen, ausführlicher rezipiert werden müssen.4 Ebenso wünschte man sich einen konziser gestalteten Quellenüberblick. Zeitlich überspannt Knaudt seinen selbstgesteckten Rahmen oftmals.

Nichtsdestotrotz bietet das Buch einen umfassenden Einblick in das linke Japan von 1968 bis 1975. Niemand, der sich für japanische Protestgeschichte dieser Jahre interessiert, wird an dem Werk vorbeikommen.

Anmerkungen:
1 Deutschsprachig Pionierarbeit leistete Claudia Derichs, Japans Neue Linke. Soziale Bewegung und außerparlamentarische Opposition, 1957-1994, Hamburg 1995.
2 Christoph Kalter: Die Entdeckung der Dritten Welt. Dekolonisation und die radikale Linke in Frankreich, Frankfurt 2011.
3 Heinz-Gerhard Haupt / Jürgen Kocka (Hrsg.), Comparative and Transnational History, New York 2009.
4 Hier besonders Dan Berger, Outlaws of America. The Weather Underground and the Politics of Solidarity, Oakland 2006.

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11.11.2016
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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