Black Atlantic

Organisatoren
Haus der Kulturen der Welt
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2004 - 15.11.2004
Von
Claudia Rauhut, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Vom 17.09.-15.11.04 veranstaltete das Haus der Kulturen der Welt in Berlin eine von der Kulturstiftung des Bundes geförderte genreübergreifende Reihe zur Geschichte und Gegenwart des „Black Atlantic“. Über Konzerte, Performances, Installationen, Lesungen, wissenschaftliche Podiumsdiskussionen und Workshops sollte einerseits die Präsenz und Komplexität schwarzer Kulturen auch in Europa, andererseits die deutsche koloniale Mitverantwortung an der middle passage, dem Sklavenhandel zwischen Afrika, Europa und Amerika einem vorrangig deutschen Publikum in kritischer Auseinandersetzung nahegebracht werden.

Der britische Kulturwissenschaftler, Soziologe und Musiker Paul Gilroy, dessen Ideen in „The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness“ (1993) über transnationale ‚schwarze’ (nicht im Sinne von race) kulturelle Identitäten in einer gegenwärtigen Konjunktur von kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen als auch künstlerischen Ausdrucksmedien aufgegriffen werden, ist zugleich neben den Historikerinnen Tina Campt und Fatima El-Tayeb sowie den Künstlern Jean-Paul Bourelly und Ismael Ivo einer der Initiatoren und Kuratoren der Reihe „Black Atlantic“.

Das Haus der Kulturen der Welt hat in einer gelungenen inhaltlichen und gestalterischen Vielfalt eine Schnittstelle zwischen künstlerischen, kulturellen und wissenschaftlichen Annäherungen an die komplexe Thematik des Black Atlantic ermöglichte.

Zur feierlichen Eröffnung am 16.09.04 verwiesen die Redner auf das Nachholebedürfnis in der Be- und Verarbeitung des Kolonialismus innerhalb des neuen Europa. So ist die Reihe einerseits eine Hommage an die schwarze Kultur des Widerstandes, zugleich aber eine Aufforderung v.a. an Deutschland, sich mit seiner bisher weggeschobenen oder ignorierten Verwicklung in die Sklaverei und deren Erbe auseinander zu setzen. Dieses Bedürfnis resultiert einerseits aus der Forderung nach Reparationszahlungen, andererseits aus politischem Versagen und Versäumnissen der Wissenschaft.

So forderte Paul Gilroy die Überwindung des Rassismus und anderer Diskriminierungen, um den Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft wirklich zu beginnen. Die dafür notwendige Aufarbeitung der kolonialen Restschuld könne, so Hortensia Völkers von der Kulturstiftung des Bundes, durch die Kultur nicht bewältigt werden, aber sie kann darauf hinweisen. So leisten auch hier die Ausdrucksformen Musik, Tanz, Theater, Performance, Poesie einen zentralen Beitrag zur Repräsentation von und Auseinandersetzung mit schwarzen Kulturen und Geschichten. Von der Vielfalt und Innovationskraft der Musik der afrikanischen Diaspora konnten sich die Besucher in erstklassigen Darbietungen innerhalb des Berliner Events überzeigen. Zur Eröffnungsgala gaben die Blues- und Jazzlegende Othella Dallas, der Theaterperformer und Tänzer Ismael Ivo, der Künstler Keith Piper sowie der Schriftsteller Édouard Glissant jeweils Kostproben ihrer kreativen künstlerischen und subjektiven Verarbeitungen der Ideen des Black Atlantic, die im Publikum für deutsche Theaterverhältnisse seltene spontane Begeisterungswellen auslösten.

Ismael Ivo inszenierte in dem Auftragswerk „Olhos d`Agua“ (Uraufführung) die Überquerung des Ozeans durch schwarze Sklaven, deren in die Körper eingegrabenen traumatischen Erinnerungen, aber auch den Prozess des Aufbruchs und Neuanfangs in der Neuen Welt. Als zentrale Persönlichkeiten erzählen drei ältere schwarze Frauen (eine Priesterin der afrobrasilianischen Religion, eine Bürgerrechtlerin der Schwarzenbewegung und eine Tänzerin) ihre subjektiven Widerstandsgeschichten als prägende historische Formationen des Black Atlantic.

Ein weiterer Höhepunkt der Eröffnungstage war die Podiumsdiskussion mit Paul Gilroy und Édouard Glissant, die von Tina Campt, der Autorin des jüngst erschienenen Buches „Other Germans“ (2004) zur Situation schwarzer Deutscher während der NS-Zeit moderiert wurde. Gilroy referierte in seinem Beitrag über das „doppelten Bewusstseins“ à la Du Bois hinaus eine neue Richtung der Black Politics, die sich nicht mehr in Ost-West, sondern in Nord-Süd-Konstellationen bewegen. Genauso wenig wie sich Afroamerikaner mit dem Afrika identifizieren, dass ihnen durch die Medien als Kontinent des Chaos und der Gewalt präsentiert wird, ist deren Geschichte des Freiheitskampfes für Europa bedeutend. So könne Europa in seiner Auseinandersetzung mit Afrika und Afro-Amerika nur seine eigenen Wege gehen, bei dem das Konzept des Black Atlantic mit seinen Mustern fernab des Color Codes hilfreich sein könnte.

Édouard Glissant widmete mit poetischer Stimme seiner Heimat, der Karibik, eine Hommage als Ort ‚par excellence’ der permanenten Bewegung und Créolisation. Er polarisiert das historisch gewachsene Archipeldenken der karibischen Inseln, das er mit „pensée du tremblement“, als Denken in allen Horizonten, Systemen und Richtungen beschreibt, gegenüber dem hegemonialen Denken des kontinentalen Amerika, hier durch die USA verkörpert. Nordamerika als ehemaliger eroberter Kontinent reihe sich als späterer Eroberer nicht in die kulturelle Polyphonie der Karibik ein; so sei die USA zwar ein melting pot, jedoch kein Land der Créolisation. Einzig Lousiana teile, so Glissant, mit der Karibik und Brasilien die Erfahrung der Sklaverei, die neben dem unendlichen Leiden auch die Schöpferische Fähigkeit des Widerstandes, der Imagination und Créolisation jenseits des nationalen Bewusstseins ermöglichte. Auf die berechtigte Kritik, welchen Sinn die Polarisierung von Archipel und Kontinent hätte bzw. welche Gefahr die Banalisierung des Konzeptes im Sinne der „creolization of the planet is the issue“ in sich birgt, konnte das Podium genauso wenig antworten wie auf die Frage, ob in Berlin denn inzwischen nicht auch ein Archipeldenken bzw. doppeltes Bewusstsein existiere. Dies verdeutlichte einmal mehr die große Spannbreite der inhaltlichen und begrifflichen Kontroversen über postkoloniale und postmoderne Debatten bis hin zum eigentlichen Begriff des Black Atlantic, den jedoch Gilroy wie Glissant gegen den Vorwurf der Kontinuität us-amerikanischen Race-Denkens als dynamischen Nominalismus gegen die immer noch weiße Dominanz verteidigten.

Die vielen Facetten der Annäherung an den historischen und imaginären Raum des Black Atlantic bündelten die Veranstalter thematisch in drei Plattformen:
Die erste setzte sich mit verdrängten Geschichten, Gedächtnis, Körpererinnerungen und Geschichtsbegriffen auseinander. Zahlreiche Panels behandelten Reflexionen über Theorie und Praxis schwarzer Identitäten, deutscher Kolonialgeschichte, schwarzer deutscher Zeitgeschichte und Narrationen des Black Atlantic, begleitet durch ein Symposium zur kritischen Geschichtsschreibung.
In der zweiten Plattform „Congo Square“ gaben Musiker und Künstler auditive und visuelle Einblicke in die kreative Kraft ihrer (schwarzen) Subkulturen, die von Widerstand, Überleben und Neuanfang erzählen.

Die dritte Plattform „Eine andere Moderne“ behandelte schließlich die Schattenseiten der kolonialen und imperialen Moderne und deren Auswirkungen bis in das heutige Europa. Menschenrechtsverletzungen, Terror und Völkermord unter deutscher kolonialer Regie wurden ebenso thematisiert wie die internationale Rassenlehre und heutige Mechanismen des Rassismus und der Erinnerungsabwehr.

Die Plattformen wurden neben den musikalischen Höhepunkten gerahmt durch künstlerische Ausstellungen, die während der zwei Monate täglich gegen geringen Eintritt zu sehen waren. Hervorzuheben sind die, z.T. als Auftragsarbeiten entstandenen Multimediainstallationen von Issac Julien (Paradise Omeros, The True North); Keith Piper (Sythetic Geographies I&II) sowie die dokumentarischen Videoproduktionen von Lisl Ponger (Phantom fremdes Wien, Déjà Vu) und Tim Sharp (Traveller`s Tales). Diese Künstler zeigen in ihren Arbeiten und Texten (zugleich im Begleitkatalog „Black Atlantic“ vertreten) die Vorzüge der Kunst, die besonders durch Visualisierung und Soundings die Idee des Black Atlantic materialisieren kann. Unter Nutzung eigener Mechanismen können Künstler Dialogräume konstruieren und Diskurse beeinflussen, die mitunter über wissenschaftliche Paradigmen hinausgehen, so Lisl Ponger (Katalog: 107). Black Atlantic wird auch hier als Modell begriffen, das die Unschuld der Moderne und historische und räumliche Kontinuitäten hinterfragt. Die Kunst kann mittels kommunikativer Netzwerke und politischer Statements auf ein neues Realitäts- und Geschichtsverständnis aufmerksam machen und neue Denkanstöße auslösen. Gleichzeitig gilt es, so Tim Sharp, der reinen Kommerzialisierung der Motive Transkulturation, Migration, Diaspora und schwarzer Populärkultur gerade auch im Kunstmarkt zu widerstehen (110).

Keith Piper bemerkt, dass Transkulturation und Créolisation keine Spezifika des Black Atlantic seien, womit er den Kontinent Afrika negiert und versucht, ihn zu karibisieren (286). Black Atlantic ist für ihn eher ein konzeptionelles Hilfsmittel, mit dem Prozesse und Ästhetiken der Globalisierung und Widerstandsformen beschrieben werden können.

Neben den Künstlern äußern sich in dem 440 S. umfassenden (ca. 60 Abb.) gleichnamigen Begleitkatalog (Der Black Atlantic. Herausgegeben vom Haus der Kulturen der Welt in Zusammenarbeit mit Tina Campt und Paul Gilroy, 2004) einschlägige Wissenschaftler und Theoretiker zu ihren jeweiligen Zugängen und Interpretationen zum Black Atlantic. Viele der Texte, von denen hier mit Verweis auf den inzwischen im Handel erhältlichen Katalog nur Auszüge vorgestellt werden, liegen erstmals in deutscher Übersetzung vor bzw. wurden eigens für das Projekt verfasst.

Paul Gilroy entwickelt die Ideen der schwarzen Vordenker W.E.B. Du Bois, Richard Wright, Frantz Fanon weiter, die bereits abseits von der verengten Perspektive des Nationalstaates die weltweite Zerstreuung schwarzer Kulturen als transnationale Bewegung mit einer neuen Form des politischen Denkens und Handelns begriffen. In einer konzeptuellen Neuorientierung formuliert Gilroy den Black Atlantic als Antwort auf eine sesshafte Kulturgeschichte, die nicht länger als Metaphysik der Nation und Rasse gedacht werden kann, sondern durch ihren Diasporacharakter der spatial dislocation die kulturellen, territorialen und geschichtlichen Mechanismen der Zugehörigkeit bricht (S. 25).

Der Ethnologe James Clifford führt in seinem Beitrag „Negrophilie“ die intellektuellen Vorläufer des Black Atlantic bis zur negritude-Bewegung der europäischen Avantgarde zurück. Während Levy-Bruhl die„mentalité primitive“ der schwarzen Gesellschaft als affektiv, mystisch und vorlogisch stigmatisierte, inszenierten die Züricher Dadaisten die stereotype Wildheit der ‚Negermusik’ und verfingen sich Ethnographen wie Michel Leiris in den surrealen Welten der afrikanischen Besessenheit und Irrationalität. Mit Aufkommen der empirischen Ethnographie der Pariser Schule und den ‚kultursubversiven’ Arbeiten des College du Sociologie lösten sich Leiris und andere Ethnologen vom negrophilen Exotismus der 1930er Jahre. In „L`Afrique fantôme“ (1951) setzte sich Leiris mit der kolonialen Realität Afrikas mit all ihrem sozio-politischen und kulturellen Veränderungen bis hin zur Neuerfindung von Identitäten auseinander. Seine Vision war also bereits eine ethnographisch-postkoloniale.

Tina Campt umschreibt in ihrem Beitrag den Black Atlantic als gegenhistoriographische Praxis (im Sinne des „unterworfenen Wissens“) und als Verbindungsnetz und Diskurs, mit dem sich die verschiedenen afrikanischen Diasporen und transkontinentalen Migrationen fassen lassen.
Die Schwierigkeit der deutschen schwarzen Gemeinschaft besteht darin, dass sie die Erfahrung der Sklaverei und globalen maritimen Migration nicht teilen und lange Zeit nicht am transatlantischen Dialog schwarzer Intellektueller und Politiker beteiligt waren. Damit bildete sich auch keine marginalisierte Wissensformation (S. 165), was das späte Aufkommen postkolonialer Studien in Deutschland bzw. die zögernde Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit erklären könnte.

Black Atlantic wird als Analysemodell herangezogen, um die verborgenen Geschichten schwarzer Deutscher ans Licht zu bringen und zugleich als Widerstandstradition zu deuten, die die bisherige dominante Historiographie als lückenhaft darstellt oder gar revidiert (S. 173). Dennoch muss Deutschland über die vorrangig anglophonen Diskurse zum Black Atlantic und zur postkolonialen Theorie hinaus seine eigene schwarze Erfahrung als interne und genuin deutsche Realität anerkennen und verarbeiten. Diese Notwendigkeit betonen auch Michelle M. Wright und Fatima El-Tayeb, die zu städtischen afrikanischen Diasporen in Europa forschen. Sie heben die Nichtexistenz eines doppelten Bewusstseins (schwarz und deutsch zu sein) im deutschen Diskurs über die schwarzen Anderen hervor. Womit auch kein afrodeutscher subjektiver Gegendiskurs entstehen konnte (S. 376). Im Unterschied zu Afroamerikanern, die (wenn auch diskriminiert) als Amerikaner angesehen werden, richtet sich der Rassismus gegen Afrodeutsche pauschal gegen Afrikaner. Die zentrale Frage, die das kontinentale Europa innerhalb der Diaspora-Forschung beschäftigen sollte, ist nicht die der Sklaverei, sondern die des späten Kolonialismus bis ins 20. Jahrhundert hinein.

Als prominenter postkolonialer Theoretiker ist weiterhin Stuart Hall mit Auszügen und überarbeiteten Übersetzungen aus „Rassismus und kulturelle Identität“ (Hgg. Mehlem/Gutsche u.a.) vertreten. In seiner Beschreibung der karibischen kulturellen Identität der zwei Achsen, die zwischen Ähnlichkeit/Kontinuität und Differenz/Bruch in dialogischer Beziehung stehen, führt er in Anlehnung an Frantz Fanon die entscheidende Kategorie der Macht ein. Demnach ist die Diasporaerfahrung der Neuen Welt geprägt vom Wechselspiel zwischen Macht und Wiederstand, Verweigerung und Anerkennung der Présence Européenne wie der Présence Africaine. Die kulturellen Identitäten der Diaspora sind weder Wesen, Reinheit noch Essenz, sondern immer kontextbezogene Positionierungen, die sich auch politisch artikulieren von Heterogenität und Differenz leben (S. 322).

Trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen interpretieren die Autoren in multidisziplinärer Perspektive den Black Atlantic als Analysekategorie, Modell und Symbol, das die middle passage und deren historisches, kulturelles, soziales und politisches Erbe beschreibt. Mit der Proklamierung einer transnationalen schwarzen Kultur als Ausdruck von Gegenmodernität wird dennoch eine klare Programmatik verfolgt. So besteht bei allen Verdiensten im Versuch der Sichtbarmachung verborgener subjektiver Geschichten die Gefahr, schwarze communities allgemein als schwarze Kulturen des Widerstandes festzuschreiben. Diese einseitige Betonung ließ wenig Raum für die Darstellung der vielfältigen Interaktionsmechanismen innerhalb „moderner urbaner Zentren“, in denen schwarze Kulturen nicht Gegenspieler, sondern Protagonisten der Moderne sind.
Ob es dem Black Atlantic mit seinem Anspruch der geschichtskritischen Annäherungen an Modernitäts- und Raumkonzepte perspektivisch gelingt, die Akzente in einer eurozentristisch dominierten Wissenschaft zugunsten einer Integration bisher ausgeschlossener Akteure, Konzepte und Diskurse zu verlagern, bleibt abzuwarten. Auch im hiesigen Projekt wurde offenkundig, dass das Repräsentationsmonopol künstlerischer, kultureller und wissenschaftlicher Eliten noch immer in den westlichen Metropolen gelagert ist. Welchen Platz haben Diskurse und Perspektiven zum Black Atlantic aus marginalisierten Ländern wie Kuba, Haiti, Puerto Rico und des karibischen Lateinamerika?

Das wissenschaftliche Innovationspotential des Black Atlantic kann hier nur kontrovers diskutiert werden. Den Veranstaltern im Haus der Kulturen der Welt ist es gelungen, dafür Begegnungsräume zu offerieren und bisher in Deutschland wenig diskutierte Thematiken zur eigenen Verstrickung innerhalb des Black Atlantic anzuregen.

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