350 Years of American Jewry, 1654-2004: Transcending the European Experience?

350 Years of American Jewry, 1654-2004: Transcending the European Experience?

Organizer(s)
PD Dr. Cornelia Wilhelm, Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Christian Wiese, Universität Erfurt iAkademie für politische Bildung in Tutzing
Location
Tutzing
Country
Germany
From - Until
22.05.2005 - 26.05.2005
Conf. Website
By
Cornelia Wilhelm, Jüdishe Kultur und Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die internationale Tagung fand vom 22.-26. Mai 2005 an der Akademie für politische Bildung in Tutzing statt und wurde von PD Dr. Cornelia Wilhelm (Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München) und von Dr. Christian Wiese (Lehrstuhl für Judaistik; Universität Erfurt) in Kooperation mit der Akademie für politische Bildung in Tutzing geplant und veranstaltet.

Dank dieser großzügigen finanziellen Unterstützung durch DFG, Bayerische Amerika-Akademie und das amerikanische Generalkonsulat München ist es gelungen, 29 angesehene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz und den USA aus den Bereichen der American Studies, der American Jewish History, Jewish Studies und der American History/American Cultural History als aktive Teilnehmer zu gewinnen.
Besonders erfreulich war das rege öffentliche Interesse an der Tagung, die neben interessierten Privatpersonen und Fachwissenschaftlern aus der Geschichte, Amerikanistik und Judaistik auch zahlreiche Studierende aus Deutschland und der Schweiz besuchten.

Noch vor Beginn des wissenschaftlichen Teils der Tagung konnte, organisiert von PD Dr. Cornelia Wilhelm von der Abteilung für Jüdische Geschichte in München und der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in Bayern vom 22.5.-23.5.05 die Teilnahme an einer Exkursion in an die fränkischen Herkunftsorte der sogenannten „Bavarian Jews“ angeboten werden, die im 19. Jahrhundert ein zentrales Element der jüdischen Emigration nach Amerika und des sich formierenden amerikanischen Judentums ausmachten. Für viele Teilnehmer bedeutete diese Exkursion eine interessante Begegnung mit den Ursprüngen der von ihnen erforschten Geschichte. Im Rahmen der eineinhalbtägigen Exkursion fanden Führungen durch das Jüdische Museum Franken in Fürth, das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und das Museum der Synagoge in Schnaittach statt. Ein Rundgang mit Führung durch das „jüdische Fürth“, einschließlich des sehr interessanten jüdischen Friedhofs, vermittelte den Teilnehmern einen hervorragenden Eindruck dieser vor allem im 19. Jahrhundert zentralen städtischen Gemeinde in Nordbayern. Frau Dr. Eisenstein, die Direktorin des Jüdischen Museums Franken, hielt für die Gruppe einen wissenschaftlichen Vortrag zur Geschichte der Fürther Gemeinde und führte die Besucher am folgenden Tag durch das Museum in Schnaittach.

Der wissenschaftliche Teil der Tagung begann am Montag, den 23.05.05 um 14 Uhr mit der Begrüßung der Teilnehmer durch Miriam Wolf, M.A. (Akademie für politische Bildung), Generalkonsul Matthew Rooney, München, PD Dr. Cornelia Wilhelm und Dr. Christian Wiese. Der Eröffnungsvortrag wurde von Prof. Dr. Hasia Diner (New York University) zum Thema „Finding a New Zion in America? Religion, Ethnicity and Interfaith Relations in the United States of America and Europe, 1654-2003” gehalten, der eine hervorragende Einstimmung auf die unterschiedlichen Facetten des Themas der Tagung leistete.

Thematisch erstreckte sich die Tagung in chronologisch-systematischer Gliederung und in komparativer Perspektive über die gesamte 350 jährige Entwicklung des amerikanischen Judentums. In insgesamt sechs Sektionen wurden in großer Breite und Vielfalt systematisch zentrale Inhalte der Entwicklung einer eigenen „amerikanischen“ versus „europäischen“ Identität diskutiert. Für Vortrag und Diskussion standen jeweils zwischen 45 und 60 Minuten zur Verfügung, und bei zwei Abendvorträgen war zusätzlich Raum für ausgiebige Gespräche und Debatten. Die einzelnen Sektionen konzentrierten sich auf die folgenden Fragestellungen und chronologischen Abschnitte (s. beiliegendes Programm der Tagung):

· Jüdische Migrations- und Emanzipationsgeschichte von der Kolonialzeit bis zur US-amerikanischen Nationalstaatsgründung,
· religiöser Pluralismus und Religionsfreiheit als bestimmende Faktoren in der Entwicklung eines pluralistischen „amerikanischen Judentums“,
· die Entstehung einer starken „zivilen“ Präsenz und bürgerlichen Identität des Judentums im 19. Jahrhundert,
· die Frage nach den neuen gesellschaftlichen und religiösen Möglichkeiten für Juden und das Judentum in den USA, in komparativer Perspektive zu Europa
· die Frage nach den Chancen des „amerikanischen“ Judentums, sich strukturell und inhaltlich weiterentwickeln,
· die Frage nach den neuen Herausforderungen dieser größten und selbstbewussten jüdischen Diaspora-Gemeinschaft nach der Zerstörung des europäischen Judentums und ihren Veränderungen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts

In einer abschließenden Roundtable-Diskussion nahmen dann Teilnehmer aus den verschiedensten Disziplinen unter dem Eindruck der Tagungsergebnisse die zentralen Fragen der Tagung auf und diskutierten über die Gegenwartsprobleme und Zukunftsaussichten des amerikanischen Judentums.

In Ihrem Eröffnungsvortrag diskutierte Hasia Diner ausführlich diejenigen Faktoren US-amerikanischer Geschichte und staatlicher Identität, die als Teil des „American Exceptionalism“ Juden in den englischen Kolonien und später in den USA einen besonderen Rahmen für eine Entwicklung gaben, die sie von anderen modernen Judenheiten grundsätzlich insofern unterschied, dass sie den oft langwierigen und mühseligen Prozess der Emanzipation praktisch übersprangen. Als bestimmende Faktoren US-amerikanischer nationaler Entwicklung, die auch die Formation dieser „neuen amerikanischen Judenheit“ bestimmte, nannte sie den Charakter der USA als Einwanderungsland, die Dominanz eines Rassismus, der sich primär auf die Unterscheidung zwischen „Schwarz und Weiß“ konzentrierte, die kulturelle Verankerung ökonomischer Eigeninitiative in der amerikanischen Gesellschaft, die Bedeutung von Religion in der privaten und zivilen Sphäre in den USA und letztlich die Strukturen des amerikanischen Parteiensystems, das Juden die Möglichkeit gab, als Gruppe „gehört“ zu werden.

Die hier von Diner skizzierten Aspekte amerikanisch-jüdischer Entwicklung und Identität wurden in der ersten chronologisch auf gebauten Sitzung von Dr. Judah Cohen und Prof. Dr. Eli Faber aufgegriffen. Cohen wies eindringlich darauf hin, dass die Geschichte der US-amerikanischen Juden als Geschichte des transatlantischen Raumes begriffen werden muss, da ihr Bezug zu Europa nicht immer durch direkte Migration zu verstehen war und ist, sondern gleichzeitig auch auf die Karibik, Süd- und Mittelamerika wirkte, beziehungsweise Europäer auch von diesen amerikanischen Räumen aus Einfluss auf Nordamerika nahmen. Eli Faber unterstrich in diesem Kontext die Bedeutung der US-amerikanischen Nationalstaatsgründung als „erster moderner Nation“, die nach den Prinzipien der Aufklärung geschaffen war, als Initialmoment einer neuen und anderen Entwicklung für die jüdische Diaspora, die nun erstmals in der Lage war, die besonderen Freiheiten, die die Vereinigten Staaten ihnen gewährten, auch juristisch einzufordern.

In der Abendsitzung erläuterte Dana Kaplan die nun unter dem Eindruck amerikanischer Freiheit einsetzende religiöse Pluralisierung eines neuen „amerikanischen Judentums“, das sich in dieser neuen Umwelt immer wieder mit der Herausforderung auseinander zu setzen hatte, „Gemeinschaft“ und Kohärenz als Gruppe unter amerikanischer Religionsfreiheit und religiösen Pluralismus zu erhalten. Dabei erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein differenziertes Bild der bis heute dominierenden religiösen und kulturellen Strömungen des amerikanischen Judentums.

Am Dienstag morgen untersuchten drei thematisch ineinandergreifende Vorträge, wie es den nun unter dem Eindruck der einsetzenden Masseneinwanderung der sog. „deutschen“ Juden stehenden amerikanischen Juden gelang, ein starkes bürgerliche Selbstbewusstsein und eine klare Identität und Präsenz in den USA aufzubauen, die sie noch heute auszeichnen. Karla Goldman untersuchte die Wirkung der protestantischen Religiosität und public religion auf die Rolle und Stellung der jüdischen Frau in Synagoge und bürgerlicher Öffentlichkeit. Cornelia Wilhelm diskutierte die Entstehung einer neuen Form jüdischer „Gemeinschaft“ in Amerika in einer säkularen, nationalen, jedoch nicht religionsfreien Organisation, dem Orden B’nai B’rith, der dem facettenreichen Judentum Amerikas die Möglichkeit zur Identifikation mit einer nationalen Identität und Aufgabe eröffnete und ziviles Engagement zum Erlebnis religiöser Sinnstiftung machte. Kathleen Conzen untersuchte am Beispiel der deutsch-amerikanischen Presse die Rolle deutscher Juden in der bürgerlichen Kultur der Vereinigten Staaten und wies diesbezüglich auf eine bestehende Forschungslücke zum Verhältnis des deutschen Judentums und des Deutschamerikanertums in den USA hin.

Am Dienstagnachmittag zeigten Jaakov Ariel, Eric Goldstein, Christian Wiese, Arthur Goren und Leonard Dinnerstein, wo sich in den USA für Juden Möglichkeiten eröffneten, aus der europäischen Erfahrung herauszutreten. Dabei wurde deutlich, dass dieser Prozess sowohl in theologischer Hinsicht als auch in der Definition einer neuen gesellschaftlichen Realität der amerikanischen Judenheit zwar neue Möglichkeiten eröffnete, jedoch inhaltlich noch stark von europäischen Vorbildern, Diskursen und Personen geprägt wurde, die in Amerika eine besondere Chance erkannten, Europas gesellschaftliche Strukturen zu überschreiten, obwohl sie intellektuell auf europäische Wurzeln aufbauten. Christian Wiese zeigte dies am Beispiel der Entwicklung einer eigenständigen amerikanischen Judaistik zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich allmählich von der deutschen „Wissenschaft des Judentums“, aus der sie stammte, emanzipierte und so die Grundlage für die zeitgenössische Forschung im Bereich der amerikanischen „Jewish Studies“ legte. Eric Goldstein und Leonard Dinnerstein widmeten sich der Frage eines „amerikanischen“ Antisemitismus, der sich einerseits in einer neuen Amerika-spezifischen Kategorisierung von „Black“ und „White“ wieder fand und findet. Gleichzeitig, so wurde feststellt, wird die Debatte um einen „neuen Antisemitismus“ in den USA von dem Versuch getragen, vor dem Erstarken eines neuen religiösen Fundamentalismus einen religiös motivierten Antisemitismus zu negieren. Arthur Goren untersuchte die spezifische Gestalt des amerikanischen Zionismus im Vergleich zu dessen europäischen Varianten und erörterte, wie die amerikanischen „Zionisten“ sich mit dem scheinbaren Widerspruch auseinander setzten, der sich daraus ergab, dass sie trotz ihrer nationaljüdischen Einstellung Amerika zu ihrer Heimat erklärten.

Am Mittwoch Morgen zeigten die Vorträge von David Kaufmann, Tony Michels, Jeffrey Gurock und Stephen Whitfield, wo sich in religiöser und kultureller Hinsicht neue Ansatzpunkte für ein zunehmend selbstbewusstes amerikanisches Judentum zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergaben: David Kaufmann erläuterte typische amerikanische Formen der immer wieder stattfindenden Neu-Definition zwischen religiöser und weltlicher Sphäre im amerikanischen Judentum zwischen Synagoge und säkularem Vereinswesen; Tony Michels zeigte in beeindruckender Form, dass die ethnic community um osteuropäische jüdische Einwanderer in den USA nicht nur aus europäischen Einflüssen in die USA „importierte“, sondern umgekehrt - auch in Kooperation mit deutschamerikanischen Sozialisten - schnell zum Zentrum einer jiddischen sozialistischen Bewegung wurde, die zum Überleben und Wachsen der jiddischen Sozialisten in Osteuropa beitrugen. Stephen Whitfield beschrieb, wie die Hoffnungen der jüdischen Einwanderer auf das amerikanische Versprechen, für jeden „the pursuit of happiness“ zu garantieren, in die Konstruktion der „American Saga“ in der amerikanischen Populärkultur eingewoben wurden, die so stark von verschiedenen Ausdrucksformen amerikanisch-jüdischer Kultur geprägt wurden. Schließlich lieferte Jeffrey Gurock eine Neuinterpretation seiner 1983 formulierten Einteilung des orthodoxen Rabbinats in den USA in „resisters“ und „accommodators“ durch eine genauere Analyse seines Handlungskontexts und entwarf auf diese Weise eine differenziertere Sicht der Orthodoxie in Amerika..

In der letzten Sitzung befassten sich die Referenten mit zentralen Herausforderungen des amerikanischen Judentums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jeffrey Shandler präsentierte eine Analyse der seit den 80er Jahren wachsenden und bis heute ungebrochenen Bedeutung des Holocaust für die amerikanisch-jüdische Identität (und darüber hinaus für die amerikanische Identität insgesamt), in der er wichtige medienwissenschaftliche Perspektiven zur Geltung brachte. Michael Staub thematisierte das Verhältnis Amerikas zum Staat Israel und setzte sich dabei einerseits mit der Frage nach der Rolle und dem Einfluss jüdischer Gruppierungen bei der Definition des Politik gegenüber Israel sowie andererseits mit der problematischen Haltung des protestantischen Fundamentalismus in den USA gegenüber Judentum und dem Staat Israel auseinander. Paul Harris leistete eine vergleichende Analyse der Erfahrungen und Identitätsentwicklungen russisch-jüdischer Einwanderer in Deutschland und in den USA seit 1990 sowie des Einflusses dieser Gruppierungen auf die jüdische Gemeinschaft in beiden Ländern. Michael Brenner untersuchte Tendenzen jüdischer Historiographie in Amerika und in Europa im zwanzigsten Jahrhundert und beleuchtete darin Themen wie die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Methoden, das Zusammenwirken mit nichtjüdischer Forschung und die Bedeutung jüdischer Geschichtsschreibung für die Formulierung jüdischer Identität im 21. Jahrhundert.

Jonathan Sarna’s Abendvortrag thematisierte erneut die Führungsrolle, die die amerikanischen Juden nach 1945 übernahmen und gab kritisch zu bedenken, dass diese Führungsrolle von einer erstarkenden Gemeinde in Israel immer stärker in Frage gestellt werde. Sein provokanter Vortrag löste eine äußerst lebhafte Debatte über die demographische und politische Zukunft des amerikanischen Judentums aus, die in der auswertenden roundtable-Diskussion erneut aufgegriffen wurde.

Am Donnerstag morgen widmete Henry Feingold seinen Vortrag, der ausgiebig diskutiert wurde, einer vergleichenden Analyse der Psychologie der Rettung sowjetischer Flüchtlinge durch die US-Diplomatie und der amerikanisch-jüdischen (wie amerikanischen) Einflussnahme auf die Politik der Sowjetunion in der Zeit des Kalten Krieges sowie der Rolle der US-Flüchtlingspolitik während des Holocaust.

Die abschließende roundtable-Diskussion, an der mit Berndt Ostendorf, Dan Diner, Henry Feingold und Jonathan Sarna als Vertreter verschiedener Disziplinen beteiligt waren, griff Leitmotive der Tagung noch einmal auf und führte insbesondere die Fäden der Vorträge, in denen es um die Herausforderungen des amerikanischen Judentums nach 1945 ging, noch einmal zusammen. Schwerpunkte der Diskussion bildeten die demographischen Bedingungen in der amerikanischen Diaspora, das Verhältnis zwischen Israel und dem amerikanischen Judentum und neue Themen wie etwa die islamisch-jüdischen Beziehungen, die auf dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Ereignisse seit der Wende zum 21. Jahrhundert eine wichtige Bedeutung gewonnen haben. Vor dem Hintergrund des Titels der Tagung („Transcending the European Experience?“) wurde abschließend auch die demographische, religiöse, politische und kulturelle Zukunft des europäischen Judentums diskutiert und zur Situation in den USA und in Israel in Beziehung gesetzt und analysiert.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Veranstaltung von allen europäischen und amerikanischen Besuchern als ein wissenschaftlich herausragendes Ereignis betrachtet wurde, das wichtige neue Perspektiven eröffnet hat. Besonders positive Resonanz fand in diesem Zusammenhang, dass die Konferenz erstmals das Feld der American Jewish History in transatlantischer Perspektive beleuchtete und die Möglichkeit eröffnete, dieses in einem neuen Kreis von Kollegen zu diskutieren und so neue wissenschaftliche Kontakte zu knüpfen. Weitere wissenschaftliche Kooperationen insbesondere zwischen den Veranstaltern der Tagung und Gesprächspartner in den USA und in Israel sind geplant, so dass der in Tutzing begonnene Dialog seine Fortsetzung finden wird. Die Beiträge der Tagung werden 2006 in einem Sammelband erscheinen.


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Published on
17.09.2005
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Conf. Language(s)
German
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