Imperiale Biographien: Elitekarrieren im Habsburger, Russischen und Osmanischen Vielvölkerreich (1850-1918)

Imperiale Biographien: Elitekarrieren im Habsburger, Russischen und Osmanischen Vielvölkerreich (1850-1918)

Organizer
Leibniz Universität Hannover, Technischen Universität Berlin
Venue
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
04.05.2012 - 05.05.2012
Deadline
01.10.2011
Website
By
Buchen, Tim

Imperiale Biographien: Elitekarrieren im Habsburger, Russischen und Osmanischen Vielvölkerreich (1850-1918)

Internationale Konferenz der Leibniz Universität Hannover und der Technischen Universität Berlin

Berlin (vorauss.) 4.-5. Mai 2012
Deadline für Papers: 1. Oktober 2011

Die Vielvölkerreiche der Romanows, Habsburger und Osmanen gerieten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Bewegung: Staatsausbau, Industrialisierung, Verkehrsrevolution und Städtewachstum führten in den drei großen Landimperien zu einer bislang nicht gekannten Mobilität ihrer Bewohner. Dabei formierten sich neue mobile Eliten, die schnell zu zentralen Akteuren des Wandels wurden. Sie waren daran beteiligt, die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie wie auch das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft neu auszuhandeln.

Experten unterschiedlichster Profession kamen in ihrer beruflichen Karriere an etlichen Orten des Imperiums zum Einsatz, nicht selten zirkulierten sie in einer Vielzahl von Reichsprovinzen. Ihre Lebensläufe waren imperiale Biographien, denn sie standen auf vielfältige Weise im Zusammenhang mit den Reichsstrukturen, in denen sie verliefen. Ihre Berufswege waren geprägt von den Zwängen und Möglichkeiten der neuen Zeit, aber auch von den fortdauernden Beschränkungen der jeweiligen Reichsverfassungen. Zudem reflektierten sie in ihren Selbstentwürfen in hohem Maße diesen imperialen Rahmen, da sie hier die persönlichen Erfahrungen reichsweiter Mobilität verarbeiteten.

Im Laufe ihrer Karriere wurden sie zu Experten des Fremden, der Randgebiete und der Heterogenität der Reiche. Sie erfuhren die Widersprüche zwischen staatlichem Anspruch und lokaler Wirklichkeit am intensivsten, entwickelten Konzepte und Praktiken zu ihrer Überwindung und propagierten grundlegende Reformen des Staatsgefüges: Immer mehr wurde sie damit zu pressure groups der Umgestaltung der Imperien.

Zugleich stellten diese mobilen Kohorten in den lokalen Begegnungsräumen, in denen sie tätig waren, wirksame Repräsentationen des Imperiums dar. In den Kontakten vor Ort prägten sie das Bild, das sich die indigene Bevölkerung vom Imperium insgesamt machte. Denn wie sonst, wenn nicht in Gestalt dieser sichtbaren raumüberschreitenden Akteure erreichte das Imperium als Kommunikationshorizont die vielen fragmentierten lokalen Milieus?

Nicht zuletzt bildeten diese Experten eigene Milieus heraus, die von den jeweiligen Mobilitätsmustern, von Inklusions- und Exklusionsmechanismen und den Karrierelogiken ihrer Berufszweige geprägt wurden. In ihren Karriereverläufen und ihrer translokalen Zirkulation zeigen sie die neuen Chancen und Handlungsspielräume in Zeiten des Wandels ebenso wie deren fortdauernde Begrenzungen und neue Grenzziehungen.

Der Blick auf derartige imperiale Biographien ermöglicht damit einen neuen Zugang zu jenen Menschen, die das Imperium als Teil ihrer Lebenswege erfuhren und die es gleichzeitig in ihren lokalen Alltagsbegegnungen für Andere erfahrbar machten. Es treten Vorstellungen vom Reichszusammenhang und Konzepte zu seiner Reform zu Tage, die den persönlichen Erfahrungen von Dienst-, Berufs- und Lebensjahren in den Peripherien der Imperien entsprangen. Die Beschäftigung mit den imperialen Biographien erlaubt zudem eine Untersuchung jener staatlichen Strukturen, die die Mobilität der imperialen Akteure erzwangen, ermöglichten oder behinderten. Und nicht zuletzt trägt diese zur Erforschung der Imperien in vergleichender Akteursperspektive bei.

Wir bitten um Vorschläge für Papers mit (kollektiv-)biographischem Zugang zu mobilen Experten der drei Imperien primär aus folgenden Tätigkeitsfeldern:

Staatsbeamte, Abgeordnete oder Minister
Technische Eliten (Stadtplaner, Architekten, Ingenieure, Hygieniker oder Statistiker)
Militärs
Akademiker (Professoren und Studenten) sowie Geistliche
Unternehmer, Anwälte oder Ärzte
Schriftsteller, Journalisten oder Reiseberichtsautoren

Folgende miteinander verbundene Fragekomplexe sind uns von besonderem Interesse:

1) Mobile Experten als dynamischer Faktor im Wandel der Landimperien Überall wo mobile Eliten auftraten, machten sie die Heterogenität der Imperien sichtbar. Sie stellten sie zugleich infrage, indem sie alte Begrenzungen überschritten und zugleich Erfahrungshintergründe und Erwartungshaltungen aus alten in neue Kontexte transportierten. Darüber hinaus formulierten sie nicht selten die weitreichendsten Konzepte zur Überwindung einer als archaisch wahrgenommenen Vielfalt der traditionellen multinationalen und -konfessionellen Imperien. Inwiefern setzte die Konfrontation der Gestaltungsansprüche der Experten mit den Vorstellungen der lokalen Vertreter weiterführende Differenzierungsprozesse in Gang? Wann erhöhten ihre Handlungen vor Ort vorhandene Konfliktpotentiale, und welche Dynamiken erwuchsen daraus? Inwieweit wurden sie selber als Träger des Wandels aktiv? Welchen Druck vermochten sie auf die lokalen oder zentralen Entscheidungsinstanzen aufzubauen?

2) Imperiale Mobilitätsmuster, Karrierewege und Elitenzirkulation Die verschiedenen Großreiche und die einzelnen Berufsfelder bildeten je eigene Muster sozialer und räumlicher Mobilität heraus. Alter und Erfahrung aber auch die Herkunft der Experten hatten Einfluss auf ihre Einsatzorte und ihre berufliche Zirkulation. Welche Rotationsprinzipien galten für welche Berufsfelder, welchen Einfluss hatte das kulturelle Kapital der Protagonisten auf den Verlauf ihrer Karriere? Bildete das Imperium den Horizont für die eigenen Karrieren oder war die Beschäftigung in einem anderen Staat erstrebenswert und möglich? Welche imperiumsübergreifenden Transfers erfolgten zwischen den unterschiedlichen Experten?

3) Reichsbilder, Loyalitäten und Identitäten der mobilen Eliten Die mobilen Eliten wirkten an den Schnittstellen zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Staat und Gesellschaft. In ihrer Tätigkeit trafen die Erwartungen des Gesamtstaates, die lokalen Verhältnisse, die beruflichen Funktionslogiken, aber auch die eigenen Ambitionen aufeinander. Welchen sich überlagernden Loyalitäten zur Dynastie, zum Staat, zur Nation und zur Religionsgruppe sahen sich die Experten verpflichtet und wie veränderte sich dies im Laufe ihrer Karrieren in den Reichsprovinzen? Welche Identifikationsangebote stellten die imperiale Elite und ihre beruflichen Subsysteme, wie etwa die Beamtenschaft oder das Offizierskorps, aber auch die Ingenieurskaste oder die Akademikerzunft, bereit? Welche Vorstellungen vom Reichszusammenhang und welche Problemwahrnehmungen entwickelten sie aus den Erfahrungen ihrer verschiedenen Karrierestationen? Wie versuchten sie diese an eine breitere Öffentlichkeit zu vermitteln?

Die Arbeitssprachen der Konferenz sind Deutsch und Englisch. Sehr gute Kenntnisse in einer und zumindest gute passive Kompetenzen in der anderen Sprache sind Teilnahmevoraussetzung. Vorbehaltlich der Mittelzusage werden Reisekosten, Verpflegung und Unterkunft übernommen. Eine Publikation der Konferenzbeiträge ist vorgesehen.

Bitte übersenden Sie den Vorschlag eines Konferenzbeitrags mit einem Abstract (max. 1 Seite, deutsch- oder englischsprachig) sowie einem Lebenslauf an timbuchen@gmx.de oder Malte.Rolf@hist.uni-hannover.de.

Programm

Contact (announcement)

Tim Buchen
Technische Universität Berlin
Zentrum für Antisemitismusforschung
Ernst-Reuter-Platz 7
10587 Berlin
Email: timbuchen@gmx.de


Editors Information
Published on
16.09.2011
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Language(s) of event
German
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