G. C. Spivak: Other Asias

Title
Other Asias.


Author(s)
Spivak, Gayatri Chakravorty
Published
Boston 2008: Wiley-Blackwell
Extent
376 S.
Price
€ 16,50
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Marco Gerbig-Fabel, Justus-Liebig-Universität Gießen

Mit dem Band „Other Asias“ hat die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak (Department of English & Comparative Literature, Columbia University) ein Buch vorgelegt, mit welchem sie ihren Status als eine der streitbarsten Intellektuellen unserer Zeit erneut unterstreichen dürfte.

Der Band versammelt auf knapp 360 Seiten sieben Aufsätze, die allesamt vor dem 11. September 2001 entstanden sind und nun zum Zweck der Publikation noch einmal von der Autorin überarbeitet wurden. Ergänzt werden die Beiträge durch ein für das Verständnis von Spivaks zentraler Denkfigur einer „informed imagination“ (S. 2) hilfreiches Interview, welches die Anthropologin Yan Hairong (Department of East Asian Languages and Cultures, University of Illinois) im Jahr 2004 mit Spivak führte.

Auf einer breiten empirischen Basis, die den Leser unter anderem in die Türkei, nach Armenien, Afghanistan, Indien, Bangladesch, Israel, Japan und China führt, exemplifiziert Spivak ihr Projekt eines „critical regionalism“ (S. 1). Ins Zentrum dieses Projekts stellt sie die Denkfigur der „imagination“ (S. 4f.) sowie die epistemische Operation des „close reading“ (S. 2f.), die in deutschsprachigen Kontexten zum festen Bestandteil eines kulturwissenschaftlichen und damit interdisziplinär verfügbaren Methodenrepertoires gezählt werden können.

Als Ausgangspunkt wählt Spivak, die neben Edward Said und Homi Bhabha als (Mit-)Begründerin der postkolonialen Theorie gilt, die wenig überraschende Erkenntnis, dass Asien, außerhalb geographischer Ordnungsmodi, keinen Referenten besitzt und wenn überhaupt etwas, dann „Europe‘s eastward trajectory“ (S. 206) bezeichnet. Asien existiert somit für Spivak – „as a feminist and a subalternist“ (S. 6) – in erster Linie als Imagination derer, die über Asien sprechen. Die Frage, was Asien sei – ob historisch oder gegenwärtig – verbietet sich für Spivak damit von vornherein: „We are looking for an Asia before Europe. We are looking at the claim to the word Asia, however historically unjustified. To search for an originary name is not a pathology. Yet it must at the same time be resisted. The desire is its own resistance“ (S. 213).

Mit diesem Argument stellt sich Spivak ins Zentrum einer Eurozentrismus-Debatte, die in deutschsprachigen Zusammenhängen vor allem im Umfeld der transnationalen und außereuropäischen Geschichte verhandelt wird. Zugleich aber verleiht sie ihrer eigenen Position eine theoretisch wie auch methodisch konzise Eigenständigkeit. Da für Spivak das Wort Asien (einem Signifikanten gleich) letztlich keinen (allgemein gültigen und somit keinen fixierbaren) Referenten besitzt und damit seine (Be-)Deutung allein in der Vorstellung desjenigen eine Form erhält, der über Asien spricht, wird die von Spivak favorisierte Denkfigur der Imagination – „the ability to think absent things“ (S. 4) – in der Tat zu einer zentralen weil erkenntnisleitenden Größe. Und so ist es nur logisch, dass Spivak die Methodik des „close reading“ (S. 23f.) im Verbund mit einer „informed imagination“ (S. 226f.) – für eine kritische Aneignung von Wissen (critical regionalism) – zur wichtigsten epistemischen Operation erklärt.

So überrascht es auch nicht, dass Spivak vor diesem Hintergrund die Rolle all jener Disziplinen als hoch problematisch beschreibt, die in erster Linie Wissen über den geographischen Raum Asien – und dies zumeist auf der Ordnungsebene des Nationalstaats – bereitzustellen suchen. Allerdings wird unter anderem aus den Area Studies heraus seit Jahren vergleichbare Kritiken formuliert und in diesem Zusammenhang für eine grundlegende und theoriebasierte Neuordnung der asienbezogenen Forschung geworben, was Spivak jedoch nur am Rande erwähnt. Es sei an dieser Stelle exemplarisch auf die zahlreichen Arbeiten des Japanhistorikers Harry Harootunian verwiesen.

In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass die auf das engste mit der Subaltern Studies Group verbundene Spivak sowohl die Denkfigur des Kolonialen als auch eben jene des (bzw. der) Subalternen als analytische Metafiguren imaginiert, deren je spezifische (und zugleich flexible) epistemische Nuclei sie als letztlich irreduzibel definiert (S. 6f.). In erkennbarer Anlehnung an die theoretischen Arbeiten von unter anderem Jacques Derrida, Gilles Deleuze, Felix Guattari und Michel Foucault begreift Spivak damit die im Zentrum ihres Buches stehende Denkfigur einer „informed imagination“ auch nicht als eine allein auf den Erkenntnisgegenstand Asien beschränkte analytische Figur, sondern – sehr viel grundsätzlicher – als ein über Fächergrenzen hinweg gültiges und gleichermaßen erkenntnistheoretisches wie politisches Programm: „For now: rearrange the desires of the largest sector of the future electorate, break postcolonialism into pluralized (Euro)Asias, train the metropolitan imagination to de-transcendentalize the transcendental - your move“ (S. 11).

Vor diesem theoretisch-methodischen sowie gesellschaftspolitischen Hintergrund nimmt Spivak den Leser mit auf eine tour de force, von Westasien über den Kaukasus nach Zentralasien, Südasien und schließlich Ostasien, verweist ihn dabei unter anderem auf die Antike, die Gegenwart, das Dazwischen und die Zukunft und führt ihm so ein gewaltiges thematisches und empirisches Sample vor Augen, das auf überzeugende Weise nahe legt, dass Asien wohl tatsächlich am ehesten in Form seiner Pluralität – seiner „Other Asias“ – erkennbar, denkbar, beschreibbar und damit letztlich verstehbar wird. Spivaks „Other Asias“ weiß daher vor allem durch eine intellektuelle Verdichtung – von hohem theoretischen Niveau, empirischer Breite und einem offenkundigen Anspruch auf gesellschaftspolitischen Einspruch – zu überzeugen, die in dieser Form in deutschsprachigen Zusammenhängen selten geworden ist.

Für Spivak selbst steht die gesellschaftspolitische Relevanz der eigenen Arbeit außer Frage. Nicht zuletzt aus diesem Grund begreift sie die analytische Figur einer „informed imagination“ als ein theoretisch-methodisches Korrektiv gegenüber einer akademischen Wissensproduktion, welche sich in einer quasi kolonialen Geste als eine „corrective knowledge from above“ (S. 211) begreift und auf diese Weise nicht nur Asien, sondern auch sich selbst einer eurozentrischen Weltgeschichte unterordnet. Auf diese Weise, so Spivak, werde nicht nur Europa und sein nordamerikanischer Ableger, sondern auch Asien als eine klar identifizierbare Region gedacht und damit ihr historisches und kulturelles Spezifikum, nämlich ihre Pluralität, eingeebnet.

Für Spivak ist der eingangs erwähnte „critical regionalism“ daher eine unabdingbare Voraussetzung für eine theoriegeleitete empirische Erforschung Asiens, die sich auf der Grundlage eines „language-based close-reading laced with social-scientific rigor“ (S. 226) dazu in die Lage versetzt, einem vermeintlich objektivierten geographischen Ordnungsmodi (Asien vs. ...) eine „imaginative geography“ sowie „discontinuous epistemes“ (S. 8) entgegenzustellen, um auf diese Weise eine „informed imagination“ (S. 2) zu ermöglichen, „[able to] provide exercise for imagining pluralized Asias“ (S. 2).

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09.04.2008
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