M. B. Oren: Power, Faith, and Fantasy

Cover
Title
Power, Faith, and Fantasy. America in the Middle East: 1776 to the Present


Author(s)
Oren, Michael B.
Published
Extent
778 S.
Price
€ 18,87
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Rider University, NJ

Endlich kam Joshua Gee wieder frei, nachdem er und noch zehn Bewohner Neuenglands in die Hände von Piraten vor Nordafrikas Küste gefallen waren. Seine Gruppe konnte da 1680 von Glück reden. Denn gewöhnlich wurde solche Beute in die Sklaverei verkauft. Wie nun der Nahosthistoriker Michael B. Oren zur Geschichte Amerikas in Nordafrika und Westasien - kurz Mittelost - zeigt, nahm die Räuberei im 18. Jahrhundert noch zu. Die Briten und die gerade unabhängig gewordenen Amerikaner begannen notgedrungen, den Scheichs der so genannten Berberländer sogar noch regelmäßig Schutzgelder zu zahlen.

Diese Bedrohung des maritimen Verkehrs half mit, dass sich 13 einstige Kolonien 1789 eine Verfassung gegeben haben. Dadurch, sagt jetzt der am Jerusalemer Shalem-Zentrum forschende Oren, erhielt der Kongress einst das Recht, die Navy zu gründen und Krieg zu führen. George Washington liess sechs Fregatten erbauen, um die Korsaren in Mittelost zu bekämpfen. Die Schiffe reichten aber dafür nicht aus. Im Ergebnis hat Amerika zwei Jahrzehnte fast ein Viertel seines Budgets Tribut an die Beys in Algier, Tunis und Tripoli gezollt.

Oren erhellt nun, wie Amerika zum regionalen Meister auch durch seine maritme Macht in Mittelost aufgestiegen war. Der Autor, der durch zwei Bücher zur Vorgeschichte des Sueskrieges und des Junikrieges hervorgetreten war, belegt, dass Amerika nach seiner Bildung in drei Jahrzehnten 35 Schiffe an die Piraten verloren hat. Rund 700 Matrosen wurden gefangen. "Die Scheichs verstehen nur eine Sprache", schrieb Bill Eaton (S. 74), "und das ist Terror." Der Konsul bei den Berberländern plädierte dafür, diese Misere mit Gewalt zu beenden.

So erklärte der Kongress den Piraten 1814 den Krieg. Deren Islamismus bedürfe keiner Instruktion. Er sei für die "barbarischen Völker" massgeschneidert, notierte der Zeitzeuge William Shaler. Er staunte, wie lange die Korsaren Geld aus dem Welthandel erpressen konnten. Zehn Schiffe samt der Fregatte "Guerriere" bereiteten der Piraterie ein feuriges Ende. Das bezeugt heute in Annapolis das älteste Kriegsdenkmal Amerikas, das laut Oren den nationalen Charakter bekräftigt hat: anders als Europäer die Piraten direkt im Kampf zu stellen, denn die Gelder an sie verlängerten nur die Piraterie.

In dieser Art lotet der in New Jersey aufgewachsene Forscher tief Amerikas Beziehungen zu Mittelost aus. Ihm ist ein großer Wurf gelungen, denn so ein Werk über 200 Jahre vom ersten bis zum 43. George im Weissen Haus hat bislang völlig gefehlt. Es gibt nur wenig Bände für die Zeit bis Ende des Zweiten Weltkrieges. Andere behandeln Teilaspekte wie Amerikas Arabisten, Washingtons Rolle im Nahostkonflikt oder Einsichten zur Periode ab 1945.

Man darf Orens Kernthese beipflichten: Amerikas Krise in Irak wurzelt auch im Mangel an Wissen über die eigene Geschichte in Mittelost. Aber Orens Werk bestätigt auf eigene Art, dass Amerika vor 1939 keine tieferen Beziehungen zum entfernt gelegen Mittelost hegte. Denn abgesehen vom Krieg gegen die Piraten und von einer aktivistischen Episode unter Präsident Woodrow Wilson, beginnt Amerikas wirkungsmächtige Geschichte in Mittelost erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Man kann über die Zäsur streiten, ob nun 1939 der Weltkrieg, 1941 die Atlantic Charta, 1942 die erstmalige Erklärung über vitale Interessenzonen in Mittelost und die Landung von Truppen in Nordafrika, oder Anfang 1945 das Drei-Königs-Treffen, also separat je Franklin D. Roosevelt mit den Königen Ägyptens, Äthiopiens und Saudi-Arabiens auf dem Schiff "Quincy" im Großen Bittersee am Sueskanal. Kurzum, lediglich 70 Jahre währt die tiefer gehende Geschichte Amerikas in Mittelost.

Davor war die Neue Welt mit ihrer inneren Expansion befasst. Parallel durchlief sie drei Regionalisierungen - innen westwärts und außen nach Asien und Südamerika. Erst als die USA 1900 ein Wirtschaftsriese geworden war, begann sie ihre doktrinäre Selbstisolation zu hemmen, nämlich sich nicht in Europas Händel sowie Imperien verwickeln zu lassen. Diese Schranke fiel nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Gründung der NATO. Damit begann auch die vierte auswärtige Regionalisierung Amerikas in Westeuropa. Sie erfüllt sich nun in Osteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Bei all dem spielte Mittelost für das Weiße Haus lediglich eine Nebenrolle in globalen Zwisten mit den Nazis und den Sowjets, die mit ihren totalitären Ablegern in Mittelost auch entsprechende Entwicklungen erzeugt hatten. Die fünfte Regionalisierung Amerikas erleben wir heute. Sie läuft gegen terroristische Islamisten über Mittelost hinaus ab. Was es zuvor an amerikanischen Beziehungen zu dieser Region gab, hing oft noch am postkolonialen Schlepptau der Briten, etwa beim Erdöl in der Kartellbildung der 1920er Jahre. Erst in Phasen ab 1939, 1956 , 1967 und 1989 begann Amerika, die Weltpolitik in Mittelost letztlich zu dominieren. Dafür erübrigte Oren nur ein Viertel seines Textes. Was behandelt er im Großteil?

Dort geht es um Einsichten in Reiseberichte von Amerikanern sowie Ausstellungen in Amerika, die auch einen Pavillon oder Focus für Mittelost vor und nach dem Bürgerkrieg aufwiesen. Hervorzuheben ist Orens wunderbares Gespür für die Einflüsse Hollywoods auf die Vorstellungen über Mittelost. Insgesamt hat er viele Trends entdeckt. Wir lesen, dass Amerikanern der Islam und die Unterwerfung von Frauen missfiel; dass sie Juden deutscher Abkunft gern als Gesandte in Mittelost eingesetzt haben; dass Zionisten zuerst wenig Anklang fanden; und dass viele christliche Missionare nach Mittelost gingen, um Muslime zu bekehren. Letzteres glückte ihnen freilich nur selten. Unter den christlichen Minoritäten konnten sie dort hingegen Gläubige umorientieren. Was aus dieser Zeit blieb, ist ein dichtes Netz an Schulen und Universitäten - demokratische Pflanzschulen im stammesorientierten Umfeld. Freilich überhöht Oren deren Einfluss wie er auch die Attraktivität konkurrierender Institutionen und Ideen aus Europa unterschätzt, etwa der Deutschen und Franzosen.

Das entscheidende, aber zu kurze Buchviertel gilt der fünften Regionaliserung Amerikas in Mittelost. Also jener Periode, in der Amerika am meisten in dieser Region Geschichte mitgestaltet hat. Oren gibt zwar einen straffen Überblick, doch ist es wohl dieser Teil, der fortan besonders zu revidieren ist. Zum einen naturgemäß, weil der historische Abstand allzu kurz ist und immer neue Primärquellen einsehbar sind. Zum anderen, da Oren meist amtlich edierte Quellen der Serie "Foreign Relations of the United States" benutzt hat und weniger Primärquellen (US-Nationalarchiv, Präsidialarchive). Das ist legitim. Dem haftet aber das Problem an, dass jene Serie selbst nur eine subjektive Auswahl ist und Lücken aufweist. Leicht werden auf dieser Basis manche Fehler erneuert oder die Gewichtungen verschoben.

Zum Beispiel hat Israels Premier David Ben Gurion nicht amerikanische Inspektionen des Atomreaktors in Dimona blockiert, wie Oren (S. 521) behauptet. Im Gegenteil, beide Seiten einigten sich auf geheime Inspektionen. Nach jüngsten Archiveinsichten fanden sie jährlich vom Mai 1961 bis zum Frühjahr 1967 statt, wobei die Amerikaner mit Israelis diskutierten, Ägyptens Präsident Abd an-Nasir über Ergebnisse allgemein zu informieren (Oren weist nicht deutsche oder regionalsprachliche Fachliteratur aus; offenbar kennt er wenig davon, was ein wenig nachteilig auf die Ausgewogenheit wirkt). Aber auch nach den Inspektionen hegten die Amerikaner Zweifel, ob es in Dimona nur um das friedliche oder auch militärische Atom ging. Intern nannten sie Israels Politik "Abschreckung durch Ungewissheit", also ob den Feind gleichwohl ein nuklearer Gegenschlag treffen könnte.

Meisterhaft hat Michel B. Oren ein Gerüst für die Mittelostgeschichte Amerikas erbaut. Es muss nun gerichtet und erweitert werden. Vor allem für 70 Jahre, als die Amerikaner Macht, Glauben und Fantasie in der Region geprägt, aber dabei keine eigene Islampolitik entfaltet haben.

Editors Information
Published on
16.11.2007
Cooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Subject - Topic
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Language of review