Menschenrechte und Demokratie sind heute zweifelsohne bedeutende Bestimmungsgrößen internationaler Politik. Die unüberschaubare Masse an Publikationen zum Thema Menschenrechte – ob in Fallstudien, in ihrer völkerrechtlichen oder rechtsphilosophischen Auslegung – geben hiervon Zeugnis. Der vorliegende Band bietet einen ideen- und philosophiegeschichtlichen Einblick in die Genese von Menschenrechten, Demokratie (bzw. „Institutionalisierung politischen Dissens“) und der Vorstellung einer „gemeinsamen Menschheit“ in Europa zwischen 1500 und 1800. Headley argumentiert, dass Menschenrechte und Demokratie ein Geschenk Europas an die Welt waren.
John M. Headley, Professor an der University of North Carolina/Chapel Hill und ausgewiesener Kenner der Renaissance und Reformation hat sich bewusst auf die Ursprünge dieser beiden Konzepte konzentriert. Er hebt hervor, dass es für ihn als Historiker der Frühmoderne nicht opportun sei, sich den neueren Entwicklungen besonders seit dem 20. Jahrhundert zuzuwenden, da ihm die dazu notwendige Expertise fehle (S. 6). Er tut es dann aber doch – gegen den Ratschlag von Familie und Freunden, wie er offen zugibt – allerdings eher als „gewöhnlicher Bürger“ in Form eines Epilogs (S. 6). Selbst wenn er es vermieden hätte, so wäre doch seine Kernthese, dass der europäische Humanismus mit den vorgestellten Konzepten auch Gutes für die Welt bereithält, in jedem Fall mit der aktuellen Weltlage in Verbindung zu bringen, auch ohne expliziten Bezug.
Das Buch ist in eine knappe Einleitung und drei Hauptteile sowie ein Kapitel „Aftermath“ und den angesprochenen Epilog unterteilt. Im ersten Hauptkapitel wird die Ausbildung der Idee einer globalen “Humanität” in der Renaissance herausgestellt, die eine Grundlage für künftige Menschenrechtsentwicklungen bildete (S. 9-62). Das zweite Kapitel (S. 63-148) befasst sich mit dem universalisierenden Prinzip und der Idee einer gemeinsamen Menschheit (common humanity). Der dritte Hauptteil wendet sich schließlich dem Aufkommen des „politically constituted dissent“ in der europäischen Welt zu (S. 149-193). Es folgt ein Kapitel, das mit „Nachwirkungen“ (Aftermath) überschrieben ist und das 18.-20. Jahrhundert sowie vorwiegend Europa behandelt (S. 195-206), bevor der Epilog Headleys Ausführungen beschließt (S. 207-218). Die „Nachwirkungen“ sollen die Leserschaft von den weniger bekannten historischen Grundlagen zu den eher bekannten Strömungen in Studien und Debatten leiten (S. 198).
„Europäisierung“ wird hier verstanden im Sinne der historischen Verbreitung europäischer (später „westlicher“, ein Begriff, den Headley vorgibt zugunsten des Begriffs „europäisch“ zu vermeiden, ihn in der Folge dennoch zuweilen gebraucht) zivilisatorischer und technologischer Errungenschaften sowie geographischer Expansion. Der Verfasser beabsichtigt, die „bislang besondere Zivilisation, den Westen, der im Begriff ist, sich mit anderen Zivilisationen und Kulturen zu vermischen, zu begutachten“ (S. 1) und die “historische Wertschätzung zweier charakteristischer Merkmale unserer Zivilisation zu vertiefen“ (S. 7). Sein Ziel ist es, eine historische Analyse zu liefern und jegliche polemische, triumphalistische Darstellung der Menschenrechtsidee und des Demokratiegedankens bewusst zu vermeiden (S. 7). Letzteres gelingt Headley überwiegend in den Hauptkapiteln, weniger jedoch in den letzten beiden Teilen seiner Studie. Der Autor macht deutlich, warum er eine solche Untersuchung für notwendig erachtet: „Before the knowledge of Western civilization’s distinctiveness disappears – and it is disappearing in the immense wash of globalization – this analysis aspires to define the two paramount political aspects of that civilization, the greatest of all in its resourcefulness and aspirations, the most awful and unnatural in its exploitation of power” (S. 8).
Gleich zu Beginn nimmt der Autor recht dezidiert Stellung: „The West may be responsible for much of the present state of the world, including some horrendous features. Nevertheless, there is much in the Western tradition that we need to recognize, nurture, and enhance, rather than vehemently denigrating the entirety and indiscriminately pursuing the celebration of variety and difference for their own sakes” (S. 5). Generell ist Headley recht zu geben, aber zuweilen gilt es, genau die Aspekte (Menschenrechte, westliche Medizin, freier Handel), die für gemeinhin im Gegensatz zu europäischer Kolonialherrschaft und Unterdrückung als „gut“ betrachtet wurden, eingehender zu überprüfen. Hierbei ist stets zu fragen, ob diese nicht gerade die subtileren und daher lang andauernden und wirkungsmächtigen Elemente einer europäischen Durchdringung der Welt waren (hier stimme ich Headley demnach zu), die es nun hinsichtlich der Praxis und der Anwendbarkeit in der „restlichen Welt“ kritisch zu untersuchen gilt.
Headley ist zwar ein beeindruckender Überblick zur ideengeschichtlichen Entwicklung zweier grundlegender Konzepte gelungen, die heute weltweiten Einfluss genießen, zum Teil jedoch auch auf Widerstand stoßen, sei es in Form von postkolonialer Kritik oder des kulturellen Relativismus. Matthew Omolesky ist jedoch zuzustimmen, wenn er kritisiert, dass den löblichen Konzepten auch die tatsächliche Durchsetzung derselben (bzw. gerade die fehlende Umsetzung) entgegengehalten werden müsse. Er zeigt sich überrascht, wie sehr Realität und wirkliche staatliche Praxis in Headleys Abhandlung zuweilen auseinanderklaffen. 1 Diesen Eindruck kann ich nur teilen. Dies ist insoweit pikant, da Headley sich zu einer harschen Kritik an der US-Politik versteigt, in der die Bush-Regierung ohne weiteres mit den Nationalsozialisten verglichen wird (S. 210f.). Gerade die oft (zurecht) geschmähten Doppelstandards der USA – Menschenrechte als identitätsstiftende Ideale predigen, aber in außen- und innenpolitischen Fragen relativieren – sollten doch eine ähnliche Überprüfung bezüglich der historischen Entwicklung der Menschenrechte und Demokratie sowie der tatsächlichen Anwendung dieser Konzepte in der Praxis nahelegen. Auch in den Menschenrechte und friedliche Disputregelung befürwortenden Gesellschaften gab es oft Personengruppen, die vom Genuss dieser Fortschritte ausgeschlossen blieben. Man gewinnt somit den Eindruck, dass diese Diskrepanzen im Buch bewusst nachgeordnet bleiben, damit die „Europäisierung der Welt“ durch westliche Ideen als Erfolgsgeschichte reüssiert – und das Bild des „Geschenks Europas an die Welt“ intakt bleibt.
Sicher stellen die Vorstellungen von Menschenrechten und Demokratie Fortschritte aus humanistischer Sicht dar, doch wäre kritisches Infragestellen dieser Modelle anhand der Praxistauglichkeit womöglich hilfreich gewesen, gerade auch um die Fortentwicklung dieser lange Zeit unzureichenden Konzepte besser zu verstehen. Hier wäre eine Bezugnahme auf die Realität sowie eine kritische Auseinandersetzung mit relativierenden Studien aber auch mit Stimmen, die die Menschenrechte und Demokratie nicht als rein europäisches Erbe der Menschheit ansehen, hilfreich gewesen. Leider verhindert ein stark auf Europa und Nordamerika eingeengter Blick solch eine Untermauerung der Hauptthese des Buches. Ein Nachweis, dass nichtwestliche Ansätze zur friedlichen Disputregelung und unveräußerlichen Rechten des Menschen andersartig waren und daher kaum auf die Menschenrechts- und Demokratievorstellungen, wie wir sie heute kennen, einwirkten, hätte sicherlich seine Thesen gestärkt. Headley hätte zudem auf seine Vertrauten hören und seinem durchaus Denkanstöße gebenden Werk die Teile „Aftermath“ und „Epilog“ ersparen sollen, da sie merklich weniger fundiert erscheinen und zur Polemik neigen.
Insgesamt handelt es sich um ein recht detailliertes und Stellung beziehendes Buch, das aber sicher in Fachkreisen und der nichtwestlichen Welt auf ein geteiltes Echo stoßen dürfte. Aber Wissenschaft lebt schließlich von Reibungseffekten, daher ist Headleys Abhandlung durchaus als Diskussionsgrundlage zu empfehlen.
Anmerkung:
1 Matthew Omoleskys Besprechung von: John M. Headley, The Europeanization of the World. In: Democratiya, 11.09.2008, <http://democratiya.com/review.asp?reviews_id=166>.