S. Fisch (u.a. Hrsg.): Lernen und Lehren in Frankreich und Deutschland

Cover
Titel
Lernen und Lehren in Frankreich und Deutschland / Apprendre et enseigner en Allemagne et en France.


Herausgeber
Fisch, Stefan; Gauzy, Florence; Metzger, Chantal
Reihe
Schriftenreihe des Deutsch-Französischen Historikerkomitees 2
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Guillaume Many, Universität Leipzig

Dieses Buch vereint dreizehn Artikel über das Thema Lernen und Lehren in beiden Ländern, vor allem über die wechselseiteigen Beziehungen und Personen, die die Geschichte der Pädagogischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich geprägt haben. Die Beiträge wurden anlässlich des Kolloquiums des Deutsch-Französischen Historikerkomitees erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Frankreich und Deutschland haben sich in fast allen Bereichen gegenseitig inspiriert. Hinsichtlich Erziehung und Bildung gibt es einen regen und nicht selten wirkungsvollen Austausch. In diesem Band werden in 13 Beiträgen Erfahrungen, Reformversuche, wechselseitige Rezeptionen vom 19. Jahrhundert bis kurz nach der Wende (1990) thematisiert, beschrieben und analysiert. Sie sind in drei Themenkomplexe geteilt.

Der erste Komplex beschäftigt sich mit den Akteuren, einzelnen oder Gruppen, die für das Lehren und das Lernen bedeutsam waren. Im zweiten Komplex werden Ziele und Inhalte des Lehrens und Lernens betrachtet. Der dritte Komplex ist dem Kulturtransfer in und durch Universitätslehrer und Universitäten gewidmet. Der dritte Komplex untersucht Lehrformen, Lehrmethoden, die neu geschaffene Landeswissenschaft (statt der traditionellen „Landeskunde“) und als besondere Fallstudie das Staatslexikon von Rotteck und Welcker. Dieses Lexikon (1834-1853) schöpft aus seiner Subjektivität seine Kraft und soll so für den Liberalismus werben. Drei Artikel über Schule und Bildung werden untersucht. Bemerkenswert ist, dass das liberale Frankreich keine Modellfunktion hat, wie uns das Fritz Taubert darstellt.

Um 1900 taucht an der Universität Heidelberg, angestoßen von Alfred Weber, eine neue Lehrmethode auf. Die traditionelle frontale Unterrichtsform wandelt sich unter reformpädagogischem Einfluss in ein „ewiges Gespräch“. Eberhard Demm untersucht diesen „Geist von Heidelberg“ auf Grund von Unterrichtsprotokollen, Erinnerungen und Briefen. Das Ideal Alfred Webers und damit Ziel seiner Methode war ein freier Mann, der verantwortungsvoll und kritisch im politischen Leben agieren kann. Weber hat dieses Ideal sowohl in seinem Unterricht als auch in seinem Leben verwirklicht. Der Krieg und die Rivalität zwischen den beiden Ländern haben immer eine große Rolle gespielt. Nach dem Krieg von 1870-1871 wird auf beiden Seiten des Rheins viel von Patriotismus gesprochen. Das zeigen besonders drei Beiträge: Marcel Spivak schreibt über die patriotische Schule in Frankreich nach 1871, in der Deutschland gleichzeitig ein Gegner und ein Beispiel für seine Sporterziehung ist. Philippe Alexandre vergleicht den Patriotismus in der Schule in Frankreich und in Deutschland zwischen 1871 und 1914, von der Nationalen Einheit zum Internationalismus, und dann zum Ersten Weltkrieg. Jeannie Bauvois Cauchepin beobachtet das „staatsbürgerliche Lernen“ vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1950 im Spiegel des politischen Lebens beider Länder, das ebenfalls mit Patriotismus gefärbt ist. Dabei zeigt bereits die Unübersetzbarkeit des zentralen Begriffs „citoyen“, der andere (emanzipatorische) Konnotationen hat als der deutsche „Staatsbürger“, die wichtigsten konzeptionellen Unterschiede. Tatsächlich sind die Entwicklungen dieser Begriffe, wie Staatsbürgerschaft, Patriotismus, Nation, Republik und Demokratie vielfältig und unterschiedlich in diesem Raum und dieser Zeit, aber sie haben oft mit der gemeinsamen Geschichte beider Länder zu tun.

Innerhalb dieses Musters reisen Leute und Gruppen von Leuten und inspirieren sich gegenseitig. Diese werden auch vom Krieg betroffen, versuchen aber gegen den Strom des Patriotismus und Nationalismus zu schwimmen. Matthias Schulz beschreibt die Bildungserfahrungen Golo Manns von 1923 bis 1935 von Schloss Salem bis Saint Cloud. Seine Erfahrung mit der Reformpädagogik im Schloss Salem von Kurt Hahn beeinflusst sein ganzes Leben und auch seine Tätigkeit als Lektor an der École Nationale Supérieure d’enseignement primaire in Saint Cloud. Es kommen auch Franzosen nach Deutschland, um sich Inspiration zu holen und andere Modelle zu beobachten, wie zum Beispiel die „Pilger“ und die Akademiker, die Pierre Ayçoberry darstellt. Dies sind in der Zeit von 1820 bis 1939 zuerst Germanisten mit einer romantischen Deutschlandvorstellung, die mit neuen Konzepten und Methoden zurückkehrten, aber auch mit politischen Sorgen, die sich dann 1866 und 1870 verwirklicht haben. Zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der 20er Jahre sind die Kontakte und Austausche fast völlig verschwunden, erst danach wurden sie wieder fruchtbar, aber sogleich auch belastet durch den Nationalsozialismus.

Die Gestalt der Humboldt’schen Universität in Deutschland scheint auch das Modell für die Reformen in Frankreich im XIX. Jahrhundert zu sein. Dies mag zum Teil stimmen, aber Gabriele Lingelbach zeigt am Beispiel der Geschichtswissenschaft, dass Frankreich seine Autonomie und seine Unterschiede auch deutlich gemacht hat, trotz des deutschen Einflusses auf die konzeptionelle Debatte. Nach dem Krieg werden die Erziehung und die Bildung erneuert. Corine Defrance beobachtet, wie die belasteten Hochschullehrer in Frankreich und in Deutschland behandelt wurden und der Lehrkörper erneuert wurde. Zwei unterschiedliche Formen der Entnazifierung wurden durchgeführt: mit 10 Prozent Entlassungen sind Akademiker in Frankreich die am stärksten betroffene Gruppe. Mit durchschnittlich einem Drittel sind sie in Deutschland weniger betroffen als die Lehrer im Primar- und Sekundarbereich.

In der DDR war Frankreich ein Objekt der Hass-liebe: Liebe wegen der Revolution und eines starken Marxismus, Hass wegen des kapitalistischen Imperialismus. Mit diesen Widersprüchen sollten LehrerInnen für Französisch sich zurechtfinden. Ulrich Pfeil zeigt, wie viele Lehrer sich durch ihr eigenes pädagogisches Material von dem Ziel der Indoktrination distanziert haben. Wie die DDR mit dem Ausland und dem Internationalismus umging, war in allen Bereichen widersprüchlich und ideologieorientiert. Die Positionen der DDR dem Ausland gegenüber haben sich nicht nur in den politischen Beziehungen gezeigt, sondern auch in der Erziehung. Manuel Meune zeigt am Beispiel der Schullandkartengestaltung, wie die DDR ihre internationale Position verbessern wollte. Der „Krieg der Namen, Zeichen und Farben“ hat vierzig Jahren lang auf beiden Seiten der Elbe geherrscht. Er war ein wichtiges Werkzeug der schulischen Ideologisierung.

Um Frankreich und Deutschland besser studieren zu können, schufen Anfang der 70er Jahre junge Romanisten, Historiker und Politikwissenschaftler die neue Disziplin der Landeswissenschaft. Diese sollte gegen die deskriptive Landeskunde stärker theoretische, politische und soziologische Aspekte und Konzepte zum Gegenstand haben. Trotz der Befürchtungen der Philologen ist die Landeswissenschaft eine eigenständige Fachrichtung innerhalb der Romanistik geworden. Ihre Zukunft ist aber seit den 90er Jahren von der Kulturwissenschaft bedroht. Wie und warum, und wie sie sich anpassen kann und soll, ist Roland Höhnes Thema.

Das Buch ist Marcel Spivak gewidmet, der kurz nach der Tagung starb.
Auf die angesprochenen Beispiele zentriert, geben die Beiträge eine gute Gesamtübersicht über die wechselseitigen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland auf dem Gebiet der Bildung in diesem Zeitraum.

Redaktion
Veröffentlicht am
07.11.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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