B. Rehbein u.a.: Theorien der Globalisierung

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Titel
Theorien der Globalisierung.


Autor(en)
Rehbein, Boike; Schwengel, Hermann
Erschienen
Konstanz 2008: UTB
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulrike Lorenz, Global and European Studies Institute i.G./ Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Gemessen an der Allgegenwärtigkeit des Phänomens Globalisierung und im Gegensatz zu unzähligen themabezogenen Publikation aus dem angloamerikanischen Raum, hat sich die deutsche sozialwissenschaftliche Forschung mit entsprechenden Beiträgen bisher recht zurückgehalten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Lehrbücher, die Globalisierung nicht nur empirisch und monodisziplinär aufzuarbeiten versuchen, sondern sie in ihrer theoretischen, interdisziplinären Komplexität analysieren. In diese Lücke stößt der Band „Theorien der Globalisierung“ von Boike Rehbein und Hermann Schwengel, die beide seit langem zum Thema Globalisierung lehren und publizieren: Rehbein leitet das „Global Studies Programme“ an der Universität Freiburg, Hermann Schwengel ist Lehrstuhlinhaber für allgemeine Soziologie an selbiger Universität und gehört zu den Begründern dieses Programms.

Der von den Autoren gewählte Zugang erfolgt über eine korrelierende Dreiteilung des Phänomens Globalisierung, welche zwischen disziplinimmanenten Voraussetzungen, themenkohärenten Zusammenhängen und der Frage nach kontextuellen Konsequenzen unterscheidet.
Der erste Teil bietet eine historische Verortung ausgewählter Theorieansätze, die in den fünf Wissenschaftsgebieten Geschichte, Weltsystemtheorie, Ökonomie, Ethnologie und Soziologie als Grundlage der Globalisierungsdebatten verstanden werden können. Die Unterkapitel folgen dabei den disziplinären Entwicklungen von einer eurozentrischen hin zu einer gegenwartsadäquateren Theoretisierung, welche die Umorientierung der jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen hin zu einer ideenpolitischen Neuordnung nachzeichnet. Ausgehend von der kritischen Auseinandersetzung mit der im 19. und 20. Jahrhundert dominierenden ethnozentrischen Geschichte, als deren bedeutsamster Vertreter Hegel gelten darf, stellen die Autoren zunächst historische Theorieansätze vor, die sich durch einen von der nationalstaatlichen Fokussierung abweichenden Zugang auszeichnen. Anhand von Braudels und Blochs Leitidee der longue durée, Hobsbawms Universalgeschichte des langen 19. und des kurzen 20. Jahrhunderts und McNeills zivilisationshistorischem Ansatz wird verdeutlicht, dass der Aufstieg Europas in einen Rahmen komplexer und überregionaler Prozesse einzuordnen ist. 1 Ergänzt durch Schlüsseltexte einer alternativen Geschichtsschreibung, welche eine Perspektiventransformation hin zu außereuropäischen Analyseeinheiten verfolgt, wird die Bedeutung einer relationalen Globalgeschichte und die Historisierung der Zunahme von Beziehungen anstelle einer nationalen Vorherrschaftsgeschichte offensichtlich.
Gleichermaßen verfahren die Autoren bei der Analyse der Weltsystemtheorie Wallersteins, die durch ihre Kontextualisierung von integrierenden Strukturen „am Schnittpunkt von Geschichtswissenschaften, Ökonomie und Sozialwissenschaften operiert“ 2. Ausgehend von der Kontrastierung von Modernisierungs- und Dependenztheorie werden die klassische Weltsystemtheorie als Ausgangspunkt der Globalisierungsdebatten sowie kritische Forschungs- und Theorierepliken vorgestellt. Die Autoren betonen hierbei sowohl die erkenntnisgenerierende Neuausrichtung der Theorie Wallersteins in ihrem Analysegegenstand der ökonomischen Systeme, betonen aber gleichzeitig, dass eben diese konstitutiven Schwächen des Ansatzes wesentliche sozialwissenschaftliche Anknüpfungspunkte für eine theoretische Weiterentwicklung bieten.
Entsprechend behandelt das Unterkapitel zur politischen Ökonomie einen institutionenorientierten Ansatz, welcher über eine vorangestellte Betrachtung des Gegensatzes von Liberalismus und Marxismus und einer Skizzierung des Einfluss der zunehmenden Globalisierung auf das Verhältnis von Politik und Wirtschaft die Rückbindung der Disziplin an kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen verfolgt. Die Darstellung verdeutlicht, dass ein extensives Verständnis der Globalisierungsprozesse einer Verknüpfung von ökonomischen mit politischen, aber vor allem auch mit kulturellen und sozialen Bedingungen bedarf.
Die beiden folgenden Unterkapitel stellen daher sowohl kultur- als auch soziologietheoretische Diskussionen in ihrem Globalisierungsbezug vor. Die Darstellung der kulturelle Globalisierungen setzt dabei, anders als die vorherigen Kapitel, bei der zeitnaheren Dichotomie Homogenisierung – Kampf der Kulturen an, welche sich über die Glokalisierungs- und Hybridisierungsdebatte zu einem transnationalen Verständnis von Kultur als pluralistisches „scape“-Konzept nach Appadurai entwickelt hat. 3 Dabei zeigen die Autoren, von einem engeren Kulturbegriff ausgehend, die Einbettung der kulturellen Diskussionen in einen „übergreifenden sozialen, kulturellen und auch ökonomischen Zusammenhang“ 4 auf, die im letzten Unterkapitel zur „Soziologie der Globalisierung“ weitergeführt wird. Hier wird, ausgehend vom Luhmann’schen systemtheoretischen Idee der Weltgesellschaft, von der komparativ angelegten Diskussion der angelsächsischen Globalisierungstheorie nach Giddens zur poststrukturalistischen Perspektive französischer Soziologen übergeleitet, die vor allem mit den Theorien Bourdieus assoziiert wird. 5 Dabei werden nicht nur die strömungsbedingten Differenzen zwischen Systemtheorie, Vernetzungstheorie und Machtbeziehungstheorie deutlich, sondern auch die Spannungen zwischen dem Verständnis von Globalisierung als reales Phänomen oder einzig als Ideologie.

Die zuvor angedeuteten Verhältnisse der einzelnen Disziplinstränge werden im zweiten Teil des Bandes verdichtet, wobei die Themen der sechs Unterkapitel „weniger einer rezeptiven Systematik als einer Systematik des Interesses and Konfliktarenen, Entscheidungsalternativen und Entstehungsprozessen globaler Akteure folgen“ 6. Die Zusammenhänge werden dabei mit dem Fokus auf „Aufstrebende Mächte“, „Städte“, „Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Märkte“, „Szenen und Ströme“, „Regionalismus und Europa“ sowie „Ungleichheit“ ausgearbeitet.
Der Aufstieg neuer Mächte bedeutet für die Autoren nicht nur eine faktische Restrukturierung der Weltordnung, sondern auch eine Herausforderung für sozialwissenschaftliche Theorien, die mit der bisher dominierenden okzidentalen Ausrichtung weder wachsende Süd-Süd-Verbindungen, multizentrische Konstellationen oder multiräumliche Interpendenzen erklären können. Gleiches gilt für die Rolle von Städten, deren theoretische Verortung meist noch dem Ansatz der Dependenztheorie folgt. Es müsse, so die Autoren, weniger um eine „Erweiterung und Verfeinerung der Typologien von global cities, world cities, metropolitan cities oder edge cities“ 7 gehen, als vielmehr um die Einbeziehung der Städte in ihr räumliches wie sozialen Umfeld und –land, die zugleich eine territorialen Bindung wie auch eine Entgrenzung etwa in den Wissenschaften zulässt.
Im folgenden Unterkapitel greifen die Autoren die bereits im ersten Teil des Bandes diskutierten ökonomischen Zusammenhänge und Beziehungen erneut auf. Anhand des Zusammenspiels von Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Märkten wird zunächst die Charakterisierung des Phänomens vertiefend erläutert und das Konzept der varieties of capitalism diskutiert, um dazu die kulturellen Konsequenzen der globalen ökonomischen Strukturen anhand der Dimensionen Unterhaltungsindustrien, Multikulturalismus und postmoderne Kulturindustrie in einem weitern Unterkapitel zu erörtern. Hierbei wird, dieses Mal von einem weiteren Kulturbegriff ausgehend, die starke Verknüpfung von Ökonomie und Kultur dargestellt, wie sie etwa bei Phänomenen wie Tourismus und Migration zu beobachten ist.
Das Potential von Regionen, die nach Einschätzung der Autoren eine Steuerung und Vernetzung von denen in den vorangegangenen Kapiteln diskutierten Dimensionen zu übernehmen vermögen, thematisieren die Autoren im fünften der sechs Unterkapitel. Die Autoren diskutieren dabei die Rolle von Regionen in der Gestaltung von Globalisierungsprozessen, wobei vor allem auf Ergänzungs- und Anschlussmöglichkeiten zur politikwissenschaftlichen Globalisierungsliteratur hingewiesen wird.
Der zweite Teil des Bandes schließt mit einer Betrachtung des Themas Ungleichheit und einer Analyse der sich durch die Globalisierung verändernden Sozialstruktur von Gesellschaft. Dabei wird zunächst ein Überblich über den Mainstream der Sozialstrukturanalyse gegeben, dann die Entwicklung von alternativen Analyseschemata wie dem Human Development Index skizziert und schließlich, wiederum mit dem Verweis auf die Schwäche dieser Ansätze, aufgrund deren ökonomischen Fixiertheit eine Erweiterung der Analysefaktoren von sozialer Ungleichheit weg von bisherigen Container-Modellen hin zu einem integrierenden Perspektivenwechsel einer Soziokultur vorgeschlagen.
Mit einem Ausblick auf mögliche Konsequenzen der Globalisierung skizziert der dritte und letzte Teil des Bandes schließlich Argumente der Globalisierungsbefürworter und –gegner, denkbare Handlungsräume der Gestaltung von Globalisierung sowie einen ideenpolitischen Ausblick auf die Aufgaben einer zukünftigen Globalisierungsforschung, welchem dem von Thomas Friedman so einprägsamen Bild einer „flachen Welt“ entgegengestellt wird. 8

Rehbein und Schwengel liefern mit ihrer metatheoretisch-analytischen Darstellung bisheriger Theorieansätze und Globalisierungsdebatten sowie deren Verdichtung anhand übergeordneter thematischer Dimensionen ein interessantes und kompaktes Lehrwerk, dass im deutschsprachigen Raum vorerst eine Lücke füllt.
Für Studierende nicht nur der Globalisierungstheorien, sondern letztlich für all diejenigen, die sich mit den unbestreitbaren Entwicklungen durch das Phänomen Globalisierung beschäftigen wollen und müssen, bietet der Band einen auf die wesentlichen theoretischen Eckpfeiler konzentrierten Einstieg, der die Neugier auf eine weitere Lektüre der vorgestellten Autoren und darüber hinaus wecken wird. Einzelne Kapitel wie etwa die Betrachtung der Rolle von Regionalismen mögen zwar weniger ausgereift sein als etwa die überaus gelungene Präsentation der disziplinimmanenten Theorieansätze im ersten Teil des Bandes, wobei eine vorangestellte stärkere Definition des Begriffs insbesondere von StudienanfängerInnen schmerzlich vermisst werden dürfte. Auch der Aspekt der Verräumlichung wie etwa durch Lefebvre oder Ó Tuathail herausgearbeitet verbleibt etwas blass. 9 Beides darf allerdings als positiver Hinweis für die Dringlichkeit einer disziplinenübergreifende Diskussion verstanden werden. Wie die Autoren selbst resümieren, wissen wir „nun eine Menge über Globalisierungsprozesse, aber unser Wissen über die zu Grunde liegenden Kräfte und Dynamiken ist immer noch beschränkt“. 10 Die Weiterentwicklung entsprechend tragender Theorien liegt dabei nicht zuletzt in den Händen der jungen WissenschaftlerInnen, deren akademische Heimat auf einer stark disziplinenübergreifenden Ausbildung in einem internationalem Umfeld aufbaut, wie sie in den „Global Studies“ Programme der Universitäten Freiburg und Leipzig und einer steigenden Zahl von Graduiertenprogrammen und außeruniversitären Forschungsprojekten vermittelt wird. 11 Die Herausforderung ist sicherlich gegeben.

Anmerkungen:
1 Fernand Braudel, Die Geschichte der Zivilisation. 15.-18. Jahrhundert, München 1971; Eric Howbsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1995; ders., Das imperiale Zeitalter 1875–1914, Frankfurt a. M. 1995; ders., Die Blütezeit des Kapitals. Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848–1875. Frankfurt a. M. 1980; ders., Europäische Revolutionen. 1789–1848, Zürich 1962; William McNeill, „The Rise of the West“ after Twenty-Five Years, in: Journal of World History 1 (1990)1, S. 1-21.
2 Boike Rehbein/ Hermann Schwengel, Theorien der Globalisierung, Konstanz 2008, S. 50.
3 Arjun Appadurai, Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization, Minneapolis 1996.
4 Rehbein/ Schwengel, Theorien, S. 106
5 Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2, Opladen 1975, S. 51-71; Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt a. M. 1995; Pierre Bourdieu, Der Staatsadel, Konstanz 2004.
6 Rehbein/ Schwengel, Theorien, S. 14.
7 Rehbein/ Schwengel, Theorien, S. 174.
8 Thomas Friedman, The World is flat. A brief History of the Twenty-first Century, New York 2005.
9 Vgl. Henri Lefebvre, The Production of Space, Malden 2007, Gearóid Ó Tuathail, Rethinking Geopolitics, London 1998.
10 Rehbein/ Schwengel, Theorien, S. 233.
11 Vgl. Ulf Engel/ Matthias Middell, Beobachtungen zur Globalisierungs- und Transnationalisierungsforschung in Deutschland, in: Heidrun Zinecker/ Rachid Ouaissa (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Elsenhans. Leipzig (i. E.) 2008.

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Veröffentlicht am
30.01.2009
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