Umfangreich, detailliert, klug konzipiert, argumentativ überzeugend – so lässt sich Thomas Großböltings Münsteraner Habilitationsschrift charakterisieren. Großbölting unternimmt eine Repräsentationsgeschichte, die er innerhalb der nicht mehr sonderlich umstrittenen oder gar provokativen ‚Neuen Kulturgeschichte’ verortet. Seine Analyse der Industrie- und Gewerbeausstellungen solle so dazu beitragen, vergangene Welterfahrungen zu eruieren. Dass Repräsentationen nicht eine ‚außerhalb’ liegende Realität ‚abbilden’, sondern konstitutiv für historische Realitäten sind, dürfte inzwischen Konsens sein. Ob es angesichts dieser Situation notwendig ist, eine methodische Einleitung zu verfassen, die bekannte Diskussionen zusammenfasst, mag bezweifelt werden. Das gilt vor allem dann, wenn kein Mehrwert gegenüber einer kursorischen Lektüre dieses oder jenes einführenden, klassische und grundlegende Texte versammelnden Bands zur ‚Neuen Kulturgeschichte’ produziert wird. Großböltings Einleitung bleibt gegenüber der sich anschließenden Analyse merklich zurück. Das beachtliche konzeptionelle, theoretische und methodische Niveau der Arbeit ist in der Analyse jederzeit präsent, es hätte also nicht einer uninspirierten Einleitung bedurft, um dem Verdacht des Untheoretischen zu begegnen.
Ausstellungen, in gewissem Sinn Leitmedium des 19. Jahrhunderts, veränderten nach und nach „ihren Charakter grundlegend und entwickelten sich von frühindustriellen Gewerbe- und Industrieausstellungen, auf denen das technische Erzeugnis im engsten Sinne des Wortes dominierte, zu kulturellen Demonstrations- und Repräsentationsveranstaltungen, auf denen Vertreter von Industrie und Gewerbe, aber auch staatliche Stellen, private Vereine, zum Teil auch Künstler und Wissenschaftler sich selbst wie auch ihre Tätigkeiten und Produkte darstellten. [...] Die Veranstaltungen zielten nicht mehr vorrangig auf den Informationsaustausch unter den Gewerbetreibenden und die Gewerbeförderung, sondern auf die Demonstration und Popularisierung eines neuen Gesellschaftsideals.“ (S. 27) Realistisch und utopisch zugleich inszenierten und visualisierten die Industrie- und Gewerbeausstellungen industriellen und technischen Fortschritt und entwickelten Modelle einer industialisierten und Wunschbilder einer Konsumgesellschaft.
Nur, diese Modelle und Bilder mussten auch gesehen werden können. Es galt daher, neue Wahrnehmungsmuster und Modi des Sehens einzuüben, die den neuen, in Ausstellungen begründeten, auf die Objekte bezogenen Bedeutungszusammenhang zu erfassen, zu entschlüsseln, und mit eigenen Erfahrungen in Beziehung zu setzen ermöglichten. Das Sehen war problematisch geworden. Eine rege Ausstellungspublizistik nahm sich dem an. Man bemühte sich darum, ‚Sehhilfen’ bereitzustellen. „Der schweifende, nicht fixierte Blick, den die Gazetten beschrieben und empfahlen, eröffnete eine neue Sehweise, die das Detail zu Gunsten eines Gesamteindrucks der Szenerie visuell überstieg.“ (S. 192)
In der Ausstellungskultur des ‚langen’ 19. Jahrhunderts überlagerten sich sukzessive vier Ordnungs- und Klassifikationsschemata. Bis in die 1840er Jahre dominierte ein auf Vollständigkeit angelegtes enzyklopädisches Prinzip. Der technisch-industrielle Fortschritt wurde jedoch zunehmend unüberschaubar und war mittels schier unendlicher Produktreihen nicht mehr einzufangen. Daher etablierte sich ein neues didaktisches Schema, das bis in die 1860er Jahre prägend blieb. Hier ging es darum, die Grundmechanismen kapitalistischer Warenwirtschaft nachvollziehbar zu machen und so zur Ausbildung der Gewerbetreibenden beizutragen. Seit der Jahrhundertmitte trat schließlich immer deutlicher eine Ausrichtung auf die Schaulust der Besucher in den Vordergrund. Die skizzierten Schemata überlagerten sich vielfach und die sich dadurch bietenden Spielräume trugen wesentlich zu Bedeutung und Wirkmächtigkeit der Industrie- und Gewerbeausstellung bei. „Innerhalb ihres begrenzten Terrains schufen die Expositionen Möglichkeiten zu einer sozialen und kulturellen Praxis, mit denen sich Aussteller und Besucher praktisch im Konsum einüben konnten. Dabei legten die Ausstellungen die Zusammenhänge zwischen Produktion und Konsumption offen, sie enthüllten Menschen, Maschinen und Güter sowie ihren sozialen und ökonomischen Verbindungen zueinander und stellten diesen in einer Art dar, die klassen- und schichtspezifische Unterschiede zu Gunsten der gemeinsamen Teilhabe an den Fortschritten der Industrie und den damit verbundenen steigenden Konsummöglichkeiten einebneten.“ (S. 234)
Thomas Großbölting identifiziert in seiner Analyse der Industrie- und Gewerbeausstellungen verschiedene thematische Verdichtungen. Zunächst die Repräsentation der Arbeit: Die Ausstellungen präsentierten einerseits traditionelle Tätigkeitsformen und die mit ihnen verbundenen Sozial- und Berufsgruppen, andererseits moderne Maschinen, letztere freilich weitgehend unter Ausblendung menschlicher Beteiligung. „Die Arbeit und die Arbeitsleistung (un)gelernter Arbeiter kam in ihnen nur vermittelt und im Kontext eines sozialpaternalistischen und zugleich gesellschaftsharmonisierenden Arbeitsbildes vor. [...] Die industrielle Arbeit, die mit dieser Maschine verrichtet wurde, schien sich selbsttätig zu erledigen. [...] Die Exposition als Ganze war als Gemeinschaftswerk organischer und ‚freier Arbeit’ inszeniert und subjektiv erfahrbar.“ (S. 316ff.) Allerdings ging es nicht allein darum, die neuen Formen der Erwerbsarbeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Zugleich galt es die im Zuge der Industrialisierung aus ‚bindenden’ Sozialgeflechten ‚entlassene’ bzw. ‚freigesetzte’ Arbeiter erneut ‚einzufangen’. Neben der Arbeit wurden natürlich Fortschritt und Technik thematisiert, ebenso aber auch Kunst und Kunstgewerbe, die im Selbstverständnis der Ausstellungsmacher zu einem „Traditionsanker und Legitimationsgrund“ (S. 381) wurden.
Eine Geschichte der Industrie- und Gewerbeausstellungen im ‚langen’ 19. Jahrhundert kann nicht an einer Diskussion von Nation und Nationalismus vorbei. Die Ausstellungen dienten stets auch als nationale Identifikationsangebote, thematisierten vermeintliche nationale Eigenheiten und popularisierten die Idee, dass es so etwas wie ‚deutsche Arbeit’ gebe. Zudem artikulierte sich Nationalität in einer Sprache nationaler Konkurrenz, zu der die Ausstellungen beitrugen. Die Nation wurde auch hinsichtlich der zeitgenössischen Thematisierung industrieller Arbeit und technischen Fortschritts zum entscheidenden Bezugspunkt. Großbölting schöpft die Möglichkeiten vergleichender und transnationaler Betrachtungen an dieser Stelle überzeugend aus. In den Industrie- und Gewerbeausstellungen zeigt sich sehr deutlich jenes Phänomen, das Christopher Bayly in einer schönen Formulierung auf den Punkt gebracht hat: „Broad forces of global change strengthened the appearance of difference between human communitites. But those differences were inceasingly expressed in similar ways.“ 1 Großbölting arbeitet ganz in diesem Sinn immer wieder heraus, dass sowohl das Medium der Ausstellung als auch deren Gegenstand, die moderne Industriegesellschaft, transnational strukturiert waren. Die verschiedenen lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Ausstellungen verwiesen aufeinander, griffen wechselseitig Themen auf, übernahmen Inszenierungs- und Präsentationstechniken usw. Was Großbölting hier exemplarisch leistet, ist die Rekonstruktion umfangreicher Prozesse der Nationalisierung einer transnationalen Formation und damit spezifischer Problematisierungen moderner Industriegesellschaften innerhalb eines nationalen und transnationalen Horizonts.
Mitunter ist Thomas Großböltings Studie weitschweifig und sprachlich redundant. Das gilt vor allem für den umfangreichen ersten Teil, in dem man dann doch auf Ausführungen zum mittelalterlichen Markt und dergleichen hätte verzichten könne. Das mag Bestandteil der (Vor-)Geschichte des Ausstellungswesens sein, Bestandteil der von Großbölting bearbeiteten problemgeschichtlichen Konstellation ist es nicht. Es ist schade, dass literarische Eleganz nicht zu den Stärken einer ansonsten überzeugenden Arbeit gehört, denn das überspielt mitunter argumentative Linien und das Bemühen um Sichtbarmachung eines historischen Gegenstands. Was mit Großbölting für Ausstellungen und die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung gilt, ist für geschichtswissenschaftliche Repräsentationen historischer Problemkonstellationen nicht weniger evident: Nicht um ‚Abbildung’ vorgegebener Realitäten, sondern deren Konstituierung geht es. Selten wirft der Gegenstand geschichtswissenschaftlichen Arbeitens derart unmittelbar Fragen nach den theoretischen Grundlagen und dem methodischen Vorgehen dieses Arbeitens auf. „Die Erscheinungsform von Welt, wie sie den Zeitgenossen in den Industrie- und Gewerbeausstellungen entgegentrat, zielte auf ein industrialisiertes Bewusstsein, welches auf der Ebene der ästhetischen Wahrnehmung verankert werden sollte. Deshalb wurde das Vorhandene inszeniert, die Aura des Originals mit der Deutung der Vergangenheit und der Projektion der Zukunft verknüpft. Entlang dieser Achse entwickelte sich die Wahrnehmung des Gebotenen: Spektakel und Dekoration, Kulisse und Verkleidung, Inszenierung und Gestaltung als Kommunikationsmittel des Realen.“ (S. 417f.) Mit Blick auf die Geschichtswissenschaft im Angesicht der ‚Krise’ oder des ‚Endes’ der Industriegesellschaft könnte man Ähnliches formulieren.
Anmerkung:
1 Bayly, Christopher A., The Birth of the Modern World 1780-1914. Global Connections and Comparisons, Oxford 2004, S. 2.