B. Lewis: The History of Communism Told Through Communist Jokes

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Title
Hammer and Tickle. A History of Communism Told Through Communist Jokes


Author(s)
Lewis, Ben
Published
Extent
354 S.
Price
£14.99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Olga Galanova, Technische Universität Dresden

Jeder kennt sechs Weltwunder. Der Kommunismus hat sieben: 1.Unter dem Kommunismus gibt es keine Arbeitslosigkeit. 2. Obwohl es keine Arbeitslosigkeit gibt, arbeitet nur die Hälfte. 3. Obwohl nur die Hälfte arbeitet, realisieren sich immer alle Fünfjahrespläne. 4. Obwohl alle Fünfjahrespläne sich immer realisieren, gibt es nichts zum Kaufen. 5. Obwohl es nichts zum Kaufen gibt, ist jeder glücklich und zufrieden. 6. Obwohl jeder glücklich und zufrieden ist, gibt es immer Demonstrierende. 7. Obwohl es immer Demonstrierende gibt, werden dieselben Politiker immer mit 99,9% wieder gewählt.

‚Kommunismus’ und ‚Humor’. Sind es zwei Gegenteile, deren Koexistenz vollkommen unmöglich ist? Kann man unter dem kommunistischen System lachen? Man kann darüber lachen, – so fassen wir hier die Position von Ben Lewis zusammen, durch welche er diese zwei Phänomene in einen Zusammenhang bringt. In seinem Buch geht er von der Annahme aus, dass, wenn das politische System im kommunistischen Block ganz problem- und harmlos wäre, hätte man nichts zu entlarven und auszulachen, deswegen lohnt es sich zu untersuchen, wie und in welchen Formen das Lachen in totalitären Zeiten des Kommunismus existierte, die Widersprüche dieses Systems rekonstruierte und inwiefern es das Potenzial besetzte, die Legitimationsansprüche von Kommunismus ins Schwanken zu bringen bzw. vollkommen zu vernichten. In anderen Worten, fragt er sich, wie sich der Kommunismus tot gelacht hat.

Diese Fragestellung ist aus seinem Hobby entstanden, die spaßigen Klischees über den Kalten Krieg zu sammeln, dazu sind später die lustigen Sprüche und Anekdoten gekommen. Um seine Sammlung von politischen Witzen zu bereichern, fuhr er kreuz und quer durch alle Länder des sowjetischen Blocks und sprach mit vielen Witzerzählern, die für ihr unschuldiges Unternehmen in sowjetischer Zeit mit Gulag bestraft wurden. Seine Ansprechpartner zu diesem Thema waren sowohl Politiker (Michail Gorbachev und Paul Niculescu Mizil), als auch Komiker und Journalisten von satirischen Zeitschriften und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (Boris Efimov, Jerzy Urban, Janos Kadar, Ivan Steiger, Gerd Nagel, Ernst Röhl etc.).

Seine Überlegungen zu den gesammelten Quellen entfaltet Ben Lewis durch die chronologische Beschreibung und Aufgliederung von Witzen entsprechend deren jeweiliger Entstehungszeit. Das Erkenntnisinteresse, den historischen Kontext des Kommunismus aus politischen Witzen zu rekonstruieren, setzt er mit der Beobachtung zusammen, dass die Entwicklung von neuem Humorsinn in Russland der Entstehung eines neuen politischen Systems zu verdanken hat. Ausgehend von dieser These baut er die Struktur seines Buches auf. Im ersten Kapitel beschäftigt er sich mit dem Lachen zu Zeiten Lenins, danach analysiert er die Witze der stalinistischen Epochen. Im dritten Kapitel versucht er die kommunistischen mit den Nazi-Witzen zu vergleichen. In den nachfolgenden Kapiteln beschreibt er die Formen des Auslachens der Gegenwart im sowjetischen Block. Von der Beschreibung kommunistischer Witze aus der goldenen Zeit geht er zum Thema ihres Niedergangs in Tauwetterzeiten und in den 80er Jahren über. Im neunten und letzten Teil seines Buches kommt er zu den Witzen postsowjetischer Zeit und macht einige abschließende Überlegungen.

Sich selbst definiert Ben Lewis als Anfänger und Sammler, der die antisowjetischen Witze entdeckte, sich über ihre Scharfsinnigkeit und Eleganz fasziniert zeigte und deshalb beschloss, eine Untersuchung darüber zu entfalten. Er fand die Witze über den Kommunismus deshalb so spannend, weil sie die paradoxe Diskrepanz zwischen dessen Utopismus und der realen Welt immer wieder entdeckten. So wurde die berühmte Gleichung von Lenin ‚Kommunismus = sowjetische Macht + Stromversorgung’ in ‚Stromversorgung = Kommunismus – sowjetische Macht’ spaßhaft umgeschrieben. Damit gibt diese Unformulierung zu verstehen, in wieweit der sowjetischen Macht „gelingt“, ihre eigene Hauptideen ins Leben zu rufen und die Bevölkerung mit Strom zu versorgen.

An solchen Unformulierungen rekonstruiert der Autor das Spannungsverhältnis, in welchem offizieller und inoffizieller Humor koexistiert haben. Die Machthaber versuchten diese Spannung durch die Institutionalisierung eines Strafsystems gegenüber öffentlichem Erzählen ‚antikommunistischer Witze’ zu lösen. Doch dies hat auch nicht geholfen, diese Witze aus dem System vollkommen auszurotten, weil sie viel schärfer und feinfühliger als offizieller Humor auf den Kontext reagierten. Selbst das Wachstum von Strafmassnahmen machten sie zum Thema und lachten dieses aus. Dies schildert Ben Lewis anhand vieler Beispiele, wie etwa: ‚Wer hat den Weißmeer-Ostsee-Kanal gegraben? – Sein rechtes Ufer die Witzerzähler und das linke diejenigen, die ihnen zuhörten“. Oder: ‚Warum bricht der Richter in Gelächter aus? Er hat den lustigsten Witz seines Lebens gehört, aber kann ihn mit keinem teilen, weil er jemanden dafür gerade für fünfjährige Gefängnisstrafe verurteilt hat’. Gleichzeitig wundert sich der Autor darüber, wie die kommunistischen Witze traurige Bilder auch von der Zukunft vermittelten. Gerade darin bestand, laut Lewis, ihre kritische Kraft. Der Autor illustrierte die prophetische Fähigkeit des kommunistischen Humors an mehreren Beispiele: ‚Vater, haben wir endlich den vollen Kommunismus erreicht, oder läuft es jetzt gerade noch schlimmer?’ Oder: ‚Oma, was ist eine Schlange? Das ist wenn die Leute einer nach dem anderen stehen, um Butter und Wurst zu bekommen. Oma, was ist Butter und Wurst?’

Diese prophetische Macht und Fähigkeit, die Probleme des politischen Systems ins Licht zu bringen und sie zu kritisieren, fehlte den Witzen in der Nazi-Zeit und machte nach Lewis den deutlichen Unterschied zu den kommunistischen aus. Der Humor des nazistischen Regimes kennzeichnete sich nicht nur durch territoriale Spezifik oder nationale Unfähigkeit, über sich zu lachen. Vielmehr geht es um die überwiegende Sympathie zum Nazismus. Die einzigen, die den Nazismus ausgelacht haben, waren die Juden. Doch diese wurden von dessen politischem System von Anfang an als Feinde definiert.

Die Definition von Witzerzählern ist deshalb für den Status der politischen Witze im System entscheidend, weil die Legitimation ihres Verhaltens zur Auslösung der oben genannten Spannungsverhältnisse zwischen dem inoffiziellen Humor und der politischen Ideologie und als Folge zur Popularitätsabnahme der politischen Witze führen kann. Damit verbindet der Autor die Tatsache, dass der Niedergang politischer Witze im sowjetischen Block auf die Brezhnev Zeit fiel, der das Gelächter über sich als Ausdruck der Liebe und des Vertrauens betrachtete. In diesem Zusammenhang gerät aber der Autor in Verlegenheit, das Ende der politischen Witze mit dem Ende des Kommunismus zusammen zu bringen. Denn das kommunistische Regime blieb auch nach dem Tod Brezhnevs bestehen. Diese Unstimmigkeit weist auf einen Fehler in seiner Untersuchung hin. Der Autor setzt den Niedergang der kommunistischen Witze historisch viel zu früh an. Erst in der Endzeit der Präsidentschaft von Michail Gorbachev kann eine leichte Absenkung der Zahl politischer Anekdoten beobachtet werden.

Den Versuch, die Entstehung von politischen Witzen ausschließlich in den historischen Rahmen des Kommunismus zu sperren, betrachte ich insgesamt als hoch problematisch. Die politischen Witze existierten auch in vor- und postkommunistischen Zeiten. Außerdem drückten sie sich nicht nur in Erzählungsformen aus. Als Beispiel anderer Diskursformen, in welchem das Lachen zum Ausdruck kam, sind hier die so genannten Chastushki bzw. Scherzlieder zu nennen, durch welche die Leute im Alltag die Politik auslachten. Die hat Lewis überhaupt nicht angesprochen, genauso wie die Quellenauswahl seiner Untersuchung insgesamt. Deswegen wird dem Leser nicht immer klar, weshalb der Autor den jeweiligen Witz an bestimmten Stellen seines Textes einsetzt. Als Folge scheint die ganze Arbeit als wenig strukturierte Aufzählung von Witzen verschiedener Zeiten, deren Auswahl nicht einer Argumentationslinie, sondern einer Faszination eines Engländers über den Humor einer fremden Kultur untergeordnet ist. Der Eindruck, dass die Untersuchungsquellen im Buch reichlich unsystematisch erscheinen, verstärkt sich auch dadurch, dass der Autor die Funktion des politischen Witzes und ihrem Wandel nicht deutlich definiert. Lewis betont, dass Witze keine Opposition zum kommunistischen Regime bildeten, sondern ein Zeichen des treuen Glaubens im Kommunismus, welches sich etwa in einem zustimmenden und fröhlichen Kichern ausdrücke. An anderer Stelle behauptet er, dass die Leute durch das Lachen die Zeit, die der Kommunismus ihnen gestohlen hat, für sich rechtfertigten. Doch für seine Fragestellung, wie der Kommunismus sich durch das Lachen vernichtet hat, fehlt eine andere Perspektive, nämlich die Analyse, wie die politischen Witze die Verdrossenheit und den Protest der Bevölkerung zum Ausdruck bringen und auf die Probleme des Systems in indirekter Art hinweisen. Ohne eine zentrale Definition dieser Funktion bleibt seine Analyse des sozial-historischen Kontexts zu allgemein, oberflächlich und naiv.

Trotz all der erwähnten Ungereimtheiten kann man abschließend sagen, dass die hier rezensierte Arbeit von Ben Lewis als eine interessante Übersicht von spaßigen kommunistischen Witzen einerseits und als eine Reflexion von anregenden russisch-, deutsch- und englischsprachigen Studien zum gleichen Thema andererseits wahrgenommen werden kann.

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07.11.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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