Forschungen zum Thema “Stadt und Globalisierung” sind in den vergangenen Jahren insbesondere von Begriffen wie “Global Cities” oder “World Cities” bestimmt worden.1 Charakteristisch ist für Arbeiten zur Entstehung und zum Wandel dieser Städte eine starke Fokussierung auf die Ökonomie und auf die Gegenwart. Historische Entwicklungsprozesse spielen dagegen kaum eine Rolle. In dem vorliegenden Sammelband geht es darum, das Thema der “Globalisierung” mit Blick auf die Städte historisch zu erweitern und nach den transnationalen Verbindungen von Stadtregierungen und –verwaltungen seit etwa 1850 zu fragen. Das Ergebnis ist ein gut strukturierter Sammelband, in dem alle Autoren den offensichtlich strengen systematischen Vorgaben der Herausgeber gefolgt sind. Somit bietet der Band eindeutig mehr als eine Buchbindersynthese von Konferenzbeiträgen.
Im Zentrum steht die vom Herausgeber Pierre-Yves Saunier (Lyon) eingangs entwickelte These “that from the mid-nineteenth century there emerged enduring protagonists and durable structures, cultures, legal, and organizational frameworks, which facilitated the transnational activities of municipal urban governments, patterned on long-lasting circulatory regimes and spaces, which still contribute to frame the activities of cities on the world scene”. (S. 9) Illustriert und untermauert wird diese These im Folgenden von neun Beiträgen, die aus unterschiedlichen Perspektiven, d.h. nicht aus europäischer Sicht allein, dem Verhältnis von Städten untereinander nachgehen. Der gemeinsame Fokus dieser globalgeschichtlichen Studien zur modernen Stadt sind etwas sperrige Begriffe wie beispielsweise der des “transnational municipalism” von Shane Ewen (Leeds), dem zweiten Herausgeber, in seiner Zusammenfassung definiert als ein “discoursive concept and lived practice” im Hinblick auf die “coordination of local services and civic identity, and the sharing of best practices across national boundaries”. (S. 177)
Beide Herausgeber unterstreichen in ihren Beiträgen zu Beginn und am Schluss des Bandes, dass der transnationale Kontakt von Städten weltweit in drei Phasen erfolgte, die sich zum Teil überschnitten haben und zu unterschiedlichen “’regimes’ of circulation” führten: Bis zum frühen 20. Jahrhundert seien unternehmensfreudige, kosmopolitan denkende Stadtpolitiker die treibende Kraft transnationaler Stadtdiskurse gewesen. Noch vor dem ersten Weltkrieg und in den 1920er Jahren sei es dann zur Herausbildung internationaler Organisationen gekommen, die der Debatte um die Entwicklung von Städten einen stärker professionellen Anstrich gegeben hätten. Eine dritte Welle transnationaler Netzwerke von Städten sei durch den industriellen Niedergang vieler Metropolen seit den 1970er Jahren in Gang gebracht worden, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Städte auf internationalem Niveau zu verbessern. Unberücksichtigt bleiben in dem Band die Jahrzehnte zwischen 1945 und 1975, und man fragt sich, welche Rolle internationale Organisationen von Städten oder einzelne “second cities”, etwa bei ihrer Suche nach Partnerstädten, in dieser Zeit gespielt haben. Die chronologisch wie systematisch gleichermaßen plausible Gliederung hätte man durch entsprechende Zwischenüberschriften schon im Inhaltsverzeichnis deutlicher hervortreten lassen können.
Die erste Phase der Herausbildung transnationaler urbaner Netzwerke wird von drei Aufsätzen aufgegriffen. Andrew Brown-May (Melbourne) beschreibt die transnationalen Aktivitäten Melbournes gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der älteren These von Asa Briggs, der Melbourne 1963 noch als eine der “Victorian Cities” beschreiben konnte, hält der Autor entgegen: “Despite its British nomenclature, Melbourne is not a British city”. (S. 33) Er begründet dies u.a. mit den Erfahrungen, die die zunächst ungeschulten Mitarbeiter der Stadtverwaltung aus allen Teilen der Welt zusammentrugen. Die öffentliche Gesundheits- und Hygienepolitik war in diesem Zusammenhang ein Thema unter vielen: Noch heute finden sich in den Akten der Stadtverwaltung Materialien darüber, wie vor der Jahrhundertwende die amerikanischen Städte mit über 25.000 Einwohnern gegen das Spucken in der Öffentlichkeit vorgingen. Entsprechende Bestimmungen hat man in Melbourne adaptiert. – Nora Lafi (Berlin) geht in ihrem Beitrag mit dem Titel “Mediterranean Connections” der Rezeption von Wissen im Osmanischen Reich mit Blick auf Stadtpolitik und Stadtverwaltung nach. Sie betont, dass von einer einheitlichen Verwaltung der Städte keine Rede sein könne, sondern Vorgaben aus der imperialen Zentrale vor Ort mit den lokalen Eliten verhandelt werden mußten. Genauso wenig einheitlich war das sogenannte “europäische Modell”. Die Bedeutung von Instanbul als Modell oder “Laboratorium” liege zwar auf der Hand, sie wird von der Autorin aber relativiert. Der Austausch von Wissen sei keine Einbahnstraße von Europa ins Osmanische Reich gewesen. Zwar sei es während der Tanzimat-Reformen seit 1839 zu zahlreichen Studienreisen von Fachleuten in europäische Metropolen gekommen, aber auch umgekehrt hätten europäische Reisende die Städte im Osmanischen Reich intensiv beobachtet und in ihren Reiseschilderungen beschrieben. Die Herausbildung moderner Stadtverwaltungen im Osmanischen Reich, nicht nur im Zentrum, sondern auch an der Peripherie, sei deshalb “the result of a complex process of interaction rather than the implementation of a prewritten codex”. (S. 48) Jeffrey Hanes (Eugene, OR), einer der besten Kenner der japanischen Stadtgeschichte, greift in seinem Beitrag den “urban progressivism” der späten Meiji (1868-1912) und Taishô-Zeit (1912-1925) auf. Deutlich werden die internationalen Aktivitäten und die ambivalente Haltung politischer Repräsentanten wie Gotô Shinpei für Tôkyô oder Seki Hajime für Ôsaka. Einerseits war in der Phase der frühen Modernisierung bis etwa 1890 der Einfluss des deutschen Rechts oder britischer Architektur unübersehbar; andererseits wurde von japanischer Seite (und von amerikanischen Besuchern wie Charles Beard) in den 1920er Jahren beklagt, dass nicht stärker Rücksicht auf gewachsene japanische Traditionen, wie etwa die Nachbarschaftsverbände, genommen wurde.
Der zweite Teil des Buchs ist den organisatorischen Verflechtungen von Städten gewidmet. Renaud Payre (Lyon) und Pierre-Yves Saunier beschreiben am Beispiel Lyons dessen Engagement in internationalen Organisationen in einem etwas mühsam zu rezipierenden historischen Längsschnittvergleich. Zum einen geht es um die Rolle Lyons in der 1913 von sozialistischen Stadträten gegründeten Union Internationale des Villes (UIV), zum anderen um den Beitrag der Stadt im 1989 in Barcelona ins Leben gerufenen Verband Eurocities. Deutlich wird, dass Lyon bereits vor Gründung der UIV dank der Initiativen seines Bürgermeisters Edouard Herriot zahlreiche Kontakte zu anderen Stadtverwaltungen geknüpft hatte und nach seinem Besuch der Dresdner Städteausstellung 1911 eine nach diesem Vorbild ausgerichtete Schau 1914 auch in Lyon ausrichete. Der Weltkrieg brach dann alle weiteren Kontakte fürs erste ab. Für Lyon selbst kam deshalb die Gründung der UIV eigentlich zu spät. Im Verband Eurocities engagierte sich Lyon in den 1990er Jahren deutlich stärker, unter anderem auch deshalb, weil man den Verlust der industriellen Basis ausgleichen wollte. Singapur rühmt sich seit vielen Jahren, seine Stadtlandschaft erfolgreich modernisiert zu haben, ohne dass es zu schweren sozialen Verwerfungen gekommen sei. Diese Erfolgsgeschichte ist, wie Nancy H. Kwak (New York) in einem instruktiven, aber wegen der zahlreichen Abkürzungen nicht leicht zu lesenden Beitrag zeigt, Teil einer nationalistischen “Meistererzählung”. In Wirklichkeit bestand der internationale Einfluss auf die Stadtplanung und auf die Wohnungsbaupolitik seit dem Ende der Kolonialzeit fort. Das gilt sowohl für das institutionelle Erbe des British Empire als auch für den in den 1950er Jahren stärker werdenden Einfluss der USA, den die Autorin als “bulldozer approach” charakterisiert, weil er auf die sozialen Bedürfnisse der Armen keine Rücksicht nahm. Die regierende People’s Action Party hat dem widerstanden und hat seit 1970 auch andere Einflüsse, vor allem holländische Konzepte der Stadtplanung, aufgenommen und sie zu einem nationalen Vorzeigemodell gemacht. Ähnlich wie Lyon stand auch Birmingham seit den 1970er Jahren, bedingt durch den Niedergang der britischen Automobilindustrie, vor einem Strukturwandel. In einem klar argumentierenden Beitrag distanziert sich Shane Ewen von der gängigen These, wonach die Bedeutung der Städte in diesem Trasformationsprozess der 1980er und 90er Jahre, etwa im Vergleich zum Staat oder zu privaten Initiativen, eher gering war. Demgegenüber kann Ewen überzeugend nachweisen “that municipalities, and indeed their political leaders, continued to shape and direct the flow of resources and policy making agendas within late-modernen urban governance”. (S. 102)
Wie große Metropolen und “second cities” auf internationalem Parkett um Anerkennung und Einfluss gerungen haben, ist das Thema der letzten drei Aufsätze. Jonathan Soffer (New York) beschreibt in einem großartigen Beitrag die Politik des New Yorker Bürgermeisters Edward I. Koch, und zwar mit Blick auf seine “Außenpolitik”, nach der amerikanischen Verfassung eigentlich alleinige Aufgabe der Regierung in Washington. Dass er sich am Ende seiner Amtszeit 1989, kurz nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, dazu entschloss, die Straße vor der chinesischen UN-Mission nach dem Tiananmen-Platz umzubenennen, war ein diplomatischer Affront, der seiner Anti-UN-Politik die Krone aufsetzte. Er stand als eminent politischer Bürgermeister damit in der Nachfolge Fiorello La Guardias, der nach den anti-jüdischen Pogromen in Deutschland am 9. November 1938 verfügt hatte, alle deutschen Einrichtungen in New York fortan nur noch von jüdischen Polizisten bewachen zu lassen. “Think locally, act globally” war auch die Devise der Stadtverwaltung von Montreal, die das Angebot Shanghais im Jahre 1984, eine Städtepartnerschaft einzugehen, aufgriff und unter der Ägide des Bürgermeisters Pierre Bourque in den 1990er Jahren weiterentwickelte. Dabei spielte, wie Yon Hsu (Montreal) überzeugend argumentiert, die zeitweilig von Quebec betriebenen Politik hin zur politischen Eigenständigkeit keine Rolle, wohl aber die ökonomischen Erwartungen, die sich auf kanadischer Seite mit der ökonomischen Modernisierung vor allem in und um Shanghai verbanden. Wie stark politische Reformen oder gar politischer Systemwechsel auf nationaler Ebene bis auf die Stadtverwaltungen und urbane Entwicklungen durchschlagen kann, wird auch in dem Aufsatz von Silvia Robin (Rosario) und Sébastien Velut über “Latin American Municipalities in Transnational Networks” deutlich. Am Beispiel Rosarios (Argentinien) und Montevideos (Uruguay) zeigen die Autoren, dass die Demokratisierungsprozesse zum Ende des 20. Jahrhunderts zu einer Stärkung der städtischen Autonomie geführt haben. Von besonderer Bedeutung für die Stadtentwicklung war Barcelona, das als Vorbild für eine spätmoderne urbane Entwicklung gilt. Etwa 80 argentinische Gemeinden haben ihre Planungspolitik an der katalanischen Metropole ausgerichtet.
Den Abschluss dieses insgesamt gelungenen Bandes bildet ein kurzer Beitrag der finnischen Historikerin Marjatta Hietala (Tampere), die 1987 als erste den Wissenstransfer auf städtischer Ebene zum Thema einer heute klassischen Untersuchung gemacht hat. 2 Sie unterstreicht die Wettbewerbsfähigkeit als Hauptaufgabe einer international ausgerichteten und auf Kooperation bedachten Stadtpolitik. Der Verband “United Cities and Local Governments” mit Mitgliedern in 127 Ländern und Sitz in Barcelona gibt heute einer solchen Stadtpolitik im Zeitalter der Globalisierung eine politisch bisweilen fragile, aber organisatorisch doch feste Grundlage.
Anmerkungen:
1 Siehe dazu Saskia Sassen, The Global City, 2nd. ed. New York 2001; Peter Hall, The World Cities, London 1966; Paul L. Knox, Peter J. Taylor (eds.), World Cities in a World-System, Cambridge 1995.
2 Marjatta Hietala, Services and Urbanization at the Turn of the Century. The Diffusion of Innovations, Helsinki 1987.