A. Forrest u.a. (Hg.): The Bee and the Eagle

Cover
Titel
The Bee and the Eagle. Napoleonic France and the End of the Holy Roman Empire


Herausgeber
Forrest, Alan; Wilson, Peter H.
Reihe
War, Culture and Society, 1750-1850
Erschienen
Basingstoke 2009: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
295 pp.
Preis
$ 74.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ina Ulrike Paul, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

„The Bee and the Eagle“ mag vielleicht nach Belletristik klingen – übrigens hält Annemarie Selinkos „Désirée“ Napoleons Bienen-Emblem für eine umgekehrte bourbonische Lilie –, doch überschreibt dieser Titel einen anspruchsvollen Band mit gut aufeinander abgestimmten wissenschaftlichen Essays zum Ende des Alten Reiches und dem Aufstieg des napoleonischen Frankreich im europäischen Epochenjahr 1806.

Von den Teilnehmern eines 2006 im Deutschen Historischen Institut in London stattgehabten Colloquiums verfasst, wurden die Beiträge nun von zwei namhaften britischen Spezialisten für die Geschichte Europas und das Zeitalter der Französischen Revolution wie des napoleonischen Empire herausgegeben. Mit ihrem Aufsatzband führen sie die neue, vorerst auf fünf Bände angelegte Reihe „War, Culture and Society, 1750-1850“ an 1. Die dort erscheinenden Studien verfolgen das ambitionierte Ziel, die Kriegsführung im „formative century not just in Europe, but also in the Americas, in colonial societies and across the world“ thematisch weit gefächert, multiperspektivisch und transdisziplinär zu untersuchen, wobei Identitätskonstruktionen und Mächtekonstellationen im Licht der heuristischen Kategorien Klasse, Religion, Generation, Gender, Rasse und Ethnie zu berücksichtigen sind 2. Daraus ergeben sich zahlreiche Anschlußmöglichkeiten an jüngere Tendenzen der internationalen Forschung, doch werden sie sich in den folgenden Themenbänden leichter realisieren lassen als für den vorliegenden.

Die zweihundertste Wiederkehr jener kurzen Zeitspanne des Jahres 1806, in der sich die einander ablösenden Vormächte Europas – das moribunde Alte Reich und das sendungsbewußte Frankreich Napoleons – nebeneinander in fragiler Balance hielten, gilt Alan Forrest und Peter H. Wilson als idealer Ausgangspunkt für eine vergleichende Analyse Frankreichs und des Heiligen Römischen Reiches am Übergang zur Moderne. Sie zeichnen einleitend ein anschauliches Tableau der konfliktreichen Beziehungen beider europäischer Großmächte seit der Valois-Habsburgischen Rivalität um das burgundische Erbe 1477 und verbinden dann die wesentlichen Ideen der dreizehn Beiträge zu dem einleuchtenden Gesamtkonzept. Die Forschungsergebnisse der bis heute nebeneinander existierenden deutsch- und englischsprachigen „Nationalhistoriographien“ werden dabei souverän zusammengeführt. Obwohl viele Beiträge zudem intensiv die französische Forschung wahrnehmen, konnten aus publikationstechnischen Gründen die gleichzeitig zu gleichem Anlaß initiierten Vorhaben in Frankreich und Deutschland nicht wahrgenommen werden 3.

Innerhalb des Bandes lassen sich vier Gruppen von Aufsätzen erkennen, die jeweils miteinander in enger thematischer Beziehung stehen. In einer ersten Gruppe widmen sich Peter H. Wilson und Michael Broers in prägnanten, bereits im Titel aufeinander bezogenen Studien der Bedeutung von „Reich“ und „Imperium“ – dem (Heiligen Römischen) Reich, dem Kaiserreich (der Franzosen) bzw. dem (napoleonischen) Empire in Europa, die alle mit dem englischen „Empire“ gefasst werden – und der politischen Kultur des Heiligen Römischen Reiches (Michel Rowe) bzw. des imperialen Frankreich (William Doyle). Peter H. Wilson klärt die Bedeutung des Alten Reiches für seine Nachbarn und Mitglieder, die kontrastiert werden mit der des habsburgischen Österreich, des kaiserlichen Frankreich und des von französischen wie deutschen Diplomaten immer wieder als Kandidaten für eine „nördliche“ Kaiserwürde gehandelten Preußen: Im November 1805 berichtete etwa der württembergische Sondergesandte aus Wien vertraulich, daß die von Preußen zu verantwortende Nord-Süd-„Demarcations-Linie“ des Sonderfriedens von Basel (1795) zur künftigen Südgrenze eines Kaiserreichs Preußen werde 4. Preußen selbst habe diese Rolle über ein Jahrhundert strikt abgelehnt, so Wilson, und konsequent die deutsche Kaiserkrone 1871 nur unwillig akzeptiert.

Die folgenden Essays vertiefen grundlegende Aspekte des napoleonischen Herrschaftssystems. Michael Kaisers Beitrag gilt Bayern als dem größten der Rheinbundstaaten. Die Erfolgsgeschichte der staatlichen Modernisierung Bayerns in napoleonischer Zeit wird von der hübschen Anekdote der 1820 genehmigten Benennung einer Birnensorte nach dem „Roi de Bavière“ gerahmt, die zu Ehren des wahren, 1817 allerdings geschassten spiritus rector der bayerischen Politik „Comte de Montgelas“ hätte heißen müssen. Alan Forrest zeigt überzeugend die zunehmende ‚Monarchisierung’ Napoleons, den Georges Lefebvre auch aus diesem Grunde als den letzten und berühmtesten der aufgeklärten Absolutisten bezeichnet hatte. Seine „pseudo-monarchische“ (S. 115) Selbstinszenierung in Italien enthielt bereits Elemente jenes napoleonischen Staatskultes, der die machtpolitische Präponderanz über die gezwungenen Verbündeten mit dynastisch legitimierter Überlegenheit zu krönen suchte 6.

Das dritte Themenfeld gilt dem Zusammenbruch Preußens nach der katastrophalen Niederlage bei Jena und Auerstedt, der aus unterschiedlichen Perspektiven erhellend diskutiert wird. Der Militärhistoriker Claus Telp erörtert die Gründe der für die Zeitgenossen unglaublichen Zerschlagung der preußischen Armee, deren Befehlshaber in realistischer Einschätzung von deren Zustand kaum hätten hoffen können, ein Gefecht gegen die napoleonische Armee zu bestehen, geschweige denn einen Krieg. Thomas Biskup zeigt die gewollte propagandistische Wirkung der Überführung von friderizianischen Memorabilien wie Uniformstücken, Orden oder Degen nach Paris einerseits als nachgeholte Revanche für Rossbach und andererseits als Fortschreibung des Mythos’ Friedrich des Großen in Frankreich. An seine Darstellung der Ergebnisse napoleonischer Symbolpolitik schließt sich Karen Hagemanns Essay an, der sowohl die unmittelbaren als auch die auf die längere Dauer ins Kalkül zu ziehenden Folgen der in Gestalt der Armee ‚besiegten’ preußischen Bevölkerung herausarbeitet: Die alltäglichen Drangsale ‚des kleinen Mannes’ unter französischer Besatzung trugen wesentlich dazu bei, das um 1806 allein von elitären Zirkeln der Hauptstadt getragene deutsche Nationalgefühl mit dem preußischen Patriotismus zu verweben und in der Bevölkerung zu verbreiten. Zusätzlich half ein „war of words“ antifranzösischer Propaganda, die Zustimmung zu einer ‚nationalen’ Erhebung zu gewinnen, und bereitete so den „war of swords“ (S. 208) von 1813/15 in Deutschland vor.

Die beiden folgenden Aufsätze blicken ‚aus Frankreich’ auf die östlichen Nachbarn. David Hopkin untersucht die kollektive Mythisierung der Erinnerungen der Einwohner des östlichen Frankreich – das zwischen 1792 und 1815 Schauplatz aller Kriege zwischen Frankreich, dem Reich und später den Alliierten war – zur „Volksgeschichte der Invasion und Okkupation“. Diesem faszinierenden Essay wünschte man zu direktem Vergleich einen weiteren über die Geschichten und Erinnerungen der Bevölkerung der nord- und südwestlichen Grenzgebiete des Reiches bzw. des Rheinbundes an die Seite. Unter dem französische Deutschen-Stereotypen auf’s Korn nehmenden Titel „The Germans are Hydrophobes“ zieht Michael Rapport eine Linie von der Entwicklung der politisch-kulturellen Mission des revolutionäre Nationalismus zur „mission civilisatrice“ des imperialen Frankreich am Ausgang des 19. Jahrhunderts.

Der Band schließt mit einem konzisen Beitrag von John Breuilly, der gleichsam die ‚deutsche’ Seite des Nationsbildungsprozesses am französischen Konterpart zeigt. In seiner Argumentation bewußt auf Preußen konzentriert, verficht er die Ansicht, daß die Bundesfürsten als Mediatoren der von Frankreich unwiderstehlich geforderten staatlichen Modernisierungen die Loyalität der jeweiligen Untertanen zunächst für eine preußische, sächsische, württembergische „Nation“ förderten. Der patriotischen « levée en masse » der preußischen Herzen und Hirne während der Reformzeit, der den (preußischen Landes-)Patriotismus stabilisiert hatte, musste für die Erhebung gegen das napoleonische Empire eine Mobilisierung der Öffentlichkeit jenseits der preußischen Grenzen folgen: Preußen entdeckte sich als Vorkämpfer eines einigen Deutschland in den Freiheitskriegen 1813/14, denn nur auf diesem keineswegs deutlich umschriebenen Gebiet waren die Landsleute und Bundesgenossen gegen Napoleon zu finden.

Zu den Stärken des lesens- und empfehlenswerten Bandes gehört auch die facettenreiche Diskussion der französischen und deutschen Implikationen der Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“, und nicht weniger die der zuweilen gegeneinander in Stellung gebrachten Bedeutungen von „Reichs-“, Staats-“ und „Landespatriotismus“. So verständlich die Konzentration auf Preußen dabei ist, so sehr bleibt zu wünschen, daß Bayern nicht zum rheinbündischen Feigenblatt für die Darstellung der deutschen Geschichte der napoleonischen Ära in Europa werde.

Anmerkungen:
1 Gleichzeitig mit diesem Band erschien der zweite der Reihe, der sich der Wahrnehmung der Revolutions- und der napoleonischen Kriege in Europa zuwendet: Forrest, Alan; Hagemann, Karen; Rendall, Jane (Hrsg.), Soldiers, Citizens and Civilians. Experiences and Perceptions of the Revolutionary and Napoleonic Wars, 1790-1820, Basingstoke 2009. Die drei folgenden Bände thematisieren “Gender, War and Politics”, dann “War, Empire and Slavery” und schließlich “War Memories”.
2 Rafe Blaufarb, Alan Forrest, Karen Hagemann, Foreword to the Series, S. vii.
3 Als Beispiele seien genannt: Klinger, Andreas; Hahn, Hans-Werner; Schmidt, Georg (Hrsg.), Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln, Weimar, Wien 2008; Knopper, Françoise; Jean Mondot (Hrsg.), L’Allemagne face au modèle français de 1789 à 1815, Toulouse 2008 ; Lartillot, Françoise ; Marcowitz, Reiner, Révolution française et monde germanique, Paris 2008.
4 Geheimer Bericht von Staatsminister Graf von Normann-Ehrenfels an Kurfürst Friedrich von Württemberg (Wien, 26.11.1805), zitiert in: Paul, Ina Ulrike, Diplomatie und Reformen „für Württembergs bleibende Größe“. Philipp Christian Friedrich Graf von Normann-Ehrenfels und die Entstehung des modernen württembergischen Staates, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 68 (2009) S. 321-343, Anm. 38.
[5] Unterredung im Palais Marcolini in Dresden (26. Juli 1812), zitiert nach: Weis, Eberhard, Der Durchbruch des Bürgertums 1776-1847 (= Propyläen Geschichte Europas Bd. 4), Berlin 1978, S. 333.
6 Sellin, Volker, Der napoleonische Staatskult, in: Braun, Guido u.a. (Hrsg.), Napoleonische Expansionspolitik in Europa: Integration und Okkupation, Tübingen 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
04.06.2010
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