Bob Woodward hat vier Bücher über die acht Präsidialjahre George W. Bushs vorgelegt. Aber nicht daher ist dieser Starreporter der Washington Post zum Chronisten der Bush-Administration geworden, sondern weil er als Washingtoner Insider einen vertraulichen Zugang zu politischen Führern und einen Zugriff auf ansonsten geheime Dokumente hatte. Ersteres schlug sich in Spitzeneinsichten durch Interviews zum Zeitgeschehen nieder. Letzteres in einem besonderen Wissen um die interne Entscheidungsfindung, das nach dem Gesetz in Akten frühestens ein Dutzend Jahre nach dem Ausscheiden eines Präsidenten aus seinem Amt rekonstruierbar wäre. Dies ist ein Grund, warum sein jüngstes Buch über die Zwiste in der ausgehenden Bush-Administration über den Irak-Krieg zeithistorisch relevant ist.
Der andere Grund entspringt der Tragweite des Inhaltes. Diesmal geht es um die beiden wohl entscheidenden Jahre im Irak-Krieg und wie innerhalb zweier Administrationen am Potomac und am Tigris ein Weg gefunden wurde, den Massenterror im Zweistromland so zu begrenzen, dass sich das Leben beginnt, in friedlichen Bahnen zu entfalten. Es waren zudem die letzten beiden Amtsjahre des Präsidenten, der am 20. März 2003 den alliierten Krieg gegen das Regime Saddam Husains mit dem Ziel der Beseitigung von Waffen der Massenvernichtung und des Regimewechsels befohlen hat. Zwar wurden dann die vermuteten Waffenarsenale nicht gefunden. Doch entstand nach der überaus raschen Einnahme Iraks ein Machtvakuum, auf das die Besatzer selbst unvorbereitet gewesen sind. Damit wussten sie nicht umzugehen, wie es die vermeidbaren Fehler in der Nachkriegsplanung erhellten.
Dafür vermochten die Gegner, dies auszunutzen, so dass laut Woodward speziell nach dem Anschlag auf die Moschee in Samara zu Beginn der fraglichen beiden Jahre, am 22. Februar 2006, drei Kriege entbrannten: Sunniten, Schiiten und al-Qaida gegen Alliierte; Iraker diverser Ethnien und Sekten untereinander; und inneradministrative Kämpfe an Potomac und Tigris. Der Autor versuchte, die Entscheidungsabläufe der Washingtoner Administration zu erhellen. Weniger zeigte er dies bei Arabern und Iranern auf, wo auch die Sprachbarrieren ihre Rolle spielten (so bedeutet "Amir" bei Abu Musab az-Zarqawi "Kommandeur", nicht "Prinz der al-Qaida in Iraq"). Von solchen Seiten sind Korrekturen dieser amerikanischen Version zu erwarten, die immerhin ein erster großer Entwurf ist. Und als solcher birgt er einige Erfahrungen und Probleme, die nun betont werden sollen.
Nach dem Angriff auf die für Schiiten besonders heilige Moschee in Samara entflammten alte interkonfessionelle Rivalitäten zwischen Sunniten und Schiitten im Irak. Im Sommer 2006 wurde offenkundig, dass die Koalition dieses Feuer nicht löschen konnte. Die alltägliche Gewalt und Ungesetzlichkeit nahmen unerträgliche Ausmasse an. Wollten die Amerikaner noch eine Lösung finden oder wurde ihre Präsenz ein Teil des Problems?
Wie es Woodward zeigt, tendierte der alliierte Oberbefehlshaber George W. Casey dazu, die Truppenzahl um zwei Brigaden zu reduzieren und damit Iraker in die Verantwortung zu zwingen. Präsident Bush aber schlug bald den entgegengesetzten Kurs ein, für den er personelle Weichen stellte. Nach der Wahlschlappe, die die Republikaner im Herbst 2006 die Mehrheit im Kongress kostete, ersetzte er Verteidigungsminister Donald Rumsfeld durch Bob Gates und im Februar Casey durch David Petraeus. In der Regierung und ausserhalb untersuchte man, was im Irak schief lief und wie man dies überwinden könne. Der Leser erfährt, dass im Bericht der Irak-Studiengruppe James A. Bakers und Lee H. Hamiltons Ende 2006 die Option der befristeten Truppenerhöhung war, weil eines ihrer Mitglieder, der Veteran des Vietnamkrieges und Senator Charles Robb, darauf bestand. 1 Er zählt wie John McCain zur Generation, die nach Vietnam nicht noch einen Krieg verlieren wollte.
So sah es auch Bush im Machtzentrum, den Woodward widersprüchlich skizziert. Zum einen nennt er ihn einen "Bully" im militärischen Konzert, der seiner Grundüberzeugung, Freiheit und Demokratie als wirksamste Mittel im globalen Kampf gegen Terroristen und ihre hasserfüllten Ideologien zu fördern, bis zum Ende der Amtszeit treu blieb. Andererseits wirft er ihm Oberflächlichkeit und Zögern vor: er habe seit Frühjahr 2006 die untaugliche Taktik in Irak erkannt, jedoch den Krieg Sicherheitsberater Stephen J. Hadley übereignet.
Im Gegensatz dazu stellt der Autor aber Bushs stetige Bemühungen um inhaltliche und personelle Korrekturen dar, so dass jener Verweis auf Hadley überspitzt erscheint. Auch lässt die Analysekraft des Reporters zu wünschen übrig. Eine Vollmundigkeit des Präsidenten indes mag der Leser wie Woodwards Fazit annehmen: Bush vermochte wenig Washingtons Betriebsart zu ändern und den globalen Terror zu beseitigen. Er errang keine Siege in den Kriegen in Afghanistan und Irak. Hier erscheint beim Präsident und bei seinem Chronist eine allzu typische Kombination aus weltfremder Naivität, freiheitlicher Überspanntheit und medienträchtiger Ungeduld. Wie sich erwies, bewegten sich diese Welt und ihre Regionen nicht im Washingtoner Präsidialrhythmus.
Aber Auswege suchten auch jüngere Generationen. Der Autor verfolgt den Weg Meghan O'Sullivans im Nationalen Sicherheitsrat. Sie gelangte zum Schluss, dass im Irak das US-Militär die einzig neutrale Partei sei, die sowohl die Verfeindung als auch konfessionelle Gewalt eindämmen könne. Zudem gab es Iraker wie den Sicherheitsberater Muwaffaq ar-Rubai, die es nicht nur so ähnlich ausdrückten, sondern forderten, die Amerikaner mögen Irakern auf allen Ebenen "die Arme verdrehen", um zum gewünschten Ziel eines freien, sich selbst regierenden Landes zu gelangen. Im zweiten Schritt sei in einer Gruppe des Militärs um Petraeus die Einsicht erwachsen, dass der Erfolg nur mit der Sicherheit und Sympathie der Einwohner stehe und falle. 2 Die Koalitionäre hätten der Bevölkerung zu dienen und, statt sich jedes Mal wieder in ihre Kasernen zurückzuziehen, mit ihr zu leben sowie dort die Terroristen zu isolieren. Aber dafür brauche es etwa anderthalb Jahre Zeit.
Auf dem Weg dahin schildert Woodward viele Steine: die ungenügende Ausbildung und Ausrüstung der bewaffneten Kräfte Iraks; Zweifler wie Senator Harry Reid, der im April 2007 den Krieg und den Kurs für Zivilsicherheit verloren erklärte; und Probleme, dass Denken von Völkern aus anderen Kulturen zu begreifen. Erstaunt waren Amerikaner vor allem, dass Iraker tödliche Gewalt gegen Anhänger anderer islamischer Konfessionen als normal angesehen hätten. Nach der Truppenaufstockung verminderte sich der Terror. Im Frühjahr 2007 begann das so genannte Erwachen in der Anbar-Provinz, wo sich Scheichs gegen das Morden von al-Qaida wandten (im sunnitischen Kampf wirkt ein ostdeutsches Erbe mit: Zellen des Staatssicherheitsdienstes Mukhabarat und der zivilen Kampfgruppen in Bevölkerungszentren; Woodward nahm unwissentlich eine auch für den Irak benutzte Übersetzung des Akronyms "DDR" auf, nämlich disarmament, demobilization, reintegration).
Bald sei die Regierung von Premier Nuri al-Maliki gegen die konfessionellen Brandleger in den eigenen Reihen vorgegangen. Außenministerin Condoleezza Rice habe ihm bedeutet, wenn dies nicht geschähe und die Amerikaner abzögen, würden die Körper der Regierenden alsbald an Lampenpfählen baumeln. Woodward erwähnt, dass Washington den Premier ausspionieren ließ. Er meinte, das sei zuvor selten passiert und täuscht sich: Amerikaner haben Bonner Politiker noch nach der Teilsouveränität der 50er Jahre ausforschen lassen.
Als nun im Irak die Gewalt ab Sommer 2007 abflaute – die Zahl von anderthalbtausend Anschlägen pro Woche halbierte sich - bewirkten Terroristen ein Blutbad, bei dem sie im Juni noch die Reste der Moschee in Samara sprengten. Laut Woodward geriet dies zum Fanal für Iraker allgemein, eine Kehrtwende und nationale Aussöhnung zu unterstützen. Mithin habe ein Prozess der irakischen Selbstbefreiung eingesetzt, der den Irakern ihren Stolz zurückgab. Premier al-Maliki zeigte Rückgrat und verkündete den Wiederaufbau des Heiligtums mit Hilfe der UNESCO. Dann ging er auch gegen schiitische Milizen Muqtadda as-Sadrs vor.
Für das Weisse Haus sei das auswärtige Zentrum von Europa nach Mittelost gewandert. Findet der Irak zur Demokratie, könnte sich Bushs Image verbessern. In dessen Umkreis Befragte betonten, Iran dürfe keine atomaren Waffen erhalten. Viel ist also offen. Alles in allem skizziert Woodward in seinem jüngsten Buch über die letzten beiden Jahre Bushs, wie dieser Kriegspräsident aus den Niederlagen daheim und in Mittelost sowie aus der Krise im Irak herausfand. Die nächste Administration erbt auch dessen Mittel der Politik sowie noch umkehrbare Haupttrends zu freieren Ordnungen in Irak und Afghanistan, sich abzeichnende Zwiste mit Regimes in Iran und Syrien sowie mit terroristischen Gruppen in Indien, Libanon, Pakistan und Palästina. Für die zeithistorische Forschung bildet diese Washingtoner Version eine aktuelle Fundgrube sowie geschichtliche Herausforderung.
Anmerkungen:
1 James A. Baker / Lee H. Hamilton, The Iraq Study Group Report, New York 2006, meine Besprechung: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=89988998> (24.11.2008).
2 David H. Petraeus / James F. Amos / John A. Nagl (Vorworte), The U.S. Army And Marine Corps Counterinsurgency Field Manual. Chicago Press 2007, meine Besprechung: <http://www.trafoberlin.de/pdf-Neu/David%20H%20Petraeus%20Counterinsurgency%20Manual.pdf> (24.11.2008).