C. Johnson: The German Discovery of the World

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Title
The German Discovery of the World. Renaissance Encounters with the Strange and the Marvelous


Author(s)
Johnson, Christine R.
Series
Studies in Early Modern History
Published
Charlottesville, VA 2009: University of Virginia Press
Extent
288 S.
Price
$ 22.50
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Flemming Schock, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Technische Universität Darmstadt

Der vollmundige Titel des ersten Buches der in St. Louis lehrenden Historikerin Christine R. Johnson verblüfft und macht neugierig. Verlor das Alte Reich im Zeitalter der geographischen Expansionen etwa nicht den Anschluss an Resteuropa? Johnson will die Pauschalität dieses alten Verdikts zumindest teilweise korrigieren und differenzieren: Es geht ihr nicht darum, die Rolle Deutschlands in der Entdeckungsgeschichte der Frühen Neuzeit neu zu schreiben, sondern vor allem um die Bedeutung des deutschen Beitrags zur intellektuellen Bewältigung der Entdeckungen – um die Dynamik der größtenteils Zuhausegebliebenen. Ausgangspunkt der Studie ist eine nicht nur den deutschen Raum, sondern ganz Europa betreffende These über das Verhältnis der geo-politischen Expansionsbewegung einerseits und der Expansion und Transformation der Grundlagen des Wissens andererseits. Denn während die bisherige Forschung davon ausgehe, dass die frühneuzeitliche Entdeckung neuer Welten auch einen radikalen Bruch mit den Grenzen der manisch rückwärtsgewandten Renaissancekultur befördert habe, argumentiert Johnson gerade für das Gegenteil: Sie will die „vital connections“ (S. 2), die Kompatibilität beider Phänomene sichtbar machen und im Fallbeispiel des Alten Reichs aufzeigen, dass alte europäische Denkstrukturen und -kategorien flexibel genug waren, um die iberischen Entdeckungen möglichst nahtlos in das bestehende Weltbild zu integrieren.

Die ersten beiden Kapitel fallen mit Blick auf die Quellengrundlage noch konventionell aus: Johnson widmet sich zunächst den Reiseberichten und -sammlungen als den wesentlichen Medien erweiterter Welterfahrung. Die sonst notorisch akzentuierte Informationsarmut bezüglich der Neuen Welt ist hier erstaunlicherweise kein Thema. Vielmehr sieht Johnson einen „steady supply of stories about the initial Portuguese and Spanish voyages“ (S. 24) – selbst Papageien seien bei deutschen Humanisten gefragt gewesen. Originell ist die Lesart der Texte: Sie zeigt, wie die Narrative, aber auch die Paratexte und Mechanismen der Kompilation dazu beitrugen, vielfältige Verbindungen zwischen alten und neuen Teilen der Welt zu konstruieren und dem etablierten Erwartungshorizont des „armchair traveler“ (S. 28) zu entsprechen anstatt ihn herauszufordern. Eine Assimilation der Entdeckungsfahrten in bestehende Denkstrukturen sei dabei vor allem durch die Strategie gesichert worden, die Erfahrungen des Reisenden gleichermaßen als außergewöhnlich und gewöhnlich einzustufen. Der bei den Lesern erzeugte Grad an Verwunderung angesichts der Neuen Welt sei damit lediglich quantitativ und nicht qualitativ neu gewesen. Präzise veranschaulicht Johnson, wie deutsche Kommentatoren die „lessons learned from the exploration and conquest“ (S. 43) dem Publikum jenseits des kolonialen Kontextes verständlich machten.

Kapitel II relativiert konsequent den vermeintlichen „cosmographic shock for Europe“ (S. 50) durch die Entdeckung Amerikas. Nach einer prägnanten Skizze über die erneute Blüte der Kosmographie legt die Autorin dar, wie diese im 16. Jahrhundert von Deutschen dominierte Disziplin erfolgreich darin war, den alten ptolemäischen Erklärungsrahmen für die neuen Entdeckungen zu öffnen und sie solcherart dem europäischen Verstehen zugänglich zu machen. Statt eine Differenz zwischen neuem empirischem Wissen und Theorie zum Problem zu erheben, hätten die Weltbeschreiber temporäre Defizite im Wissen mit manipulativen Techniken gekonnt überspielt – indem sie unbekannte Gebiete etwa an den Rand von Kartendarstellungen marginalisierten und solcherart eine „illusion of accuracy“ (S. 71) erzeugten. Auch wurde die Neue Welt noch lange nicht als eigener Kontinent anerkannt, sondern als Insel klassifiziert, was ihre Eingliederung in das bestehende kosmographische System erheblich erleichterte. Anschaulich und doch detailliert zeigt Johnson in diesen Abschnitten, wie die mathematisch fundierten Kosmographien die umfassende Suggestion vermittelten, dass das bestehende Wissen über einen hohen Grad an Perfektibilität verfügte und lediglich permanent ergänzt werden müsse.

Als verständliche und berechenbare Möglichkeitsräume seien die überseeischen Welten auch dem Handel erschienen. Mit dieser These ergänzt Kapitel III das Spektrum der deutschen Reaktionen auf das Entdeckungszeitalter um die wirtschaftliche Dimension. Auch hier geht es Johnson um die Korrektur des ehemals statischen Bildes: So sei die Beteiligung insbesondere der bedeutenden süddeutschen Handelshäuser an der wirtschaftlichen Globalisierung im Zuge der neuen ozeanischen Handelswege nach West- und Ostindien wesentlich dynamischer gewesen als bislang angenommen. Schlüssig wird argumentiert, dass die Fugger und Welser in den geographischen Entdeckungen vor allem eine Öffnung der ganzen Welt für erprobte europäische Handelsstrukturen sahen – sowohl in der Praxis als auch in der Theorie: Entlang von Kaufmannskorrespondenzen und Rechnungsbüchern weist die Autorin nach, dass die nüchterne Taxierung von exotischen Gütern entlang bereits bestehender klassifikatorischer Standards erfolgte, durchaus vergleichbar mit den Strategien der Kosmographen. So betrachtet, erschien die Neue Welt insgesamt „as a territory for the application of German experise, not as a place of alterity“ (S. 112).

Dass die überseeischen Aktivitäten deutscher Handelshäuser jedoch nicht unumstritten blieben, zeigt Kapitel IV. Deutsche Händler seien in der frühen Debatte über die Auswirkungen der iberischen Expansionen immer wieder das Ziel politischer und moralischer Angriffe gewesen, die eine „‚negative incorporation‘ of the expanding world“ (S. 125) erzeugten. Johnson rekonstruiert zwei Dimensionen dieser Kritik am Beispiel des Gewürzhandels: die politisch motivierte habe sich exemplarisch im Monopolstreit artikuliert und vor allem am Angebotsmonopol für Pfeffer entzündet. Obgleich die Marktdominanz der süddeutschen Handelshäuser als gesellschaftlich schädlich angeprangert und der Pfeffer- und Ostindienhandel als Profit mit überflüssigen Luxuswaren kritisiert wurde, blieben die Interventionen des Reichstags jedoch politisch belanglos. Faszinierend ist Johnsons Nachweis, dass die polemische Debatte selbst Spuren in den humanistischen Herbarien hinterließ. So hätten sich die bereits lange bekannten tropischen Gewürzpflanzen für moralisierende Kommentare viel verwundbarer gezeigt als die noch relativ unbekannte Flora der Neuen Welt.

Der zeitliche Rahmen der Studie endet in Kapitel V mit dem allmählichen Bedeutungsverlust der Fugger und Welser in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wenn deutsche Händler zunehmend Zweifel an einem Engagement in der kolonialen Sphäre formulierten, waren die Gründe dafür laut Johnson weniger im entfernten Westindien zu suchen, als vielmehr in der unzuverlässigen Politik der europäischen Monarchen – von denen die Händler zunehmend abhängig wurden. Diese verwiesen gleichwohl in apologetischen Denkschriften auf die erheblichen Gefahren und Schwierigkeiten im Wettlauf um die Güter in Übersee. Die wachsende Desillusionierung durch Misserfolge deutscher Handelsunternehmen wird erwartungsgemäß mit dem symbolträchtigen Scheitern des kolonialen Projekts der Welser in Venezuela beschlossen.

Alles in allem löst Johnsons Studie die geschürten Erwartungen vorbildlich ein: Sprachlich elegant und präzise, entwirft sie eine anregend neue Sichtweise der Verbindung von geographischer Expansion und der deutschen intellektuellen, ökonomischen, politischen und moralischen Reaktion auf diesen Prozess. Ohne den nachhaltigen Wandel des europäischen Wissens in der Frühen Neuzeit grundsätzlich in Frage zu stellen, zeigt „The German Discovery of the World“ eindrucksvoll, wie flexibel das Alte im Kern der Renaissancekultur auf das Neue reagierte und dieses im Rahmen vertrauter Kategorien erst verständlich machte. Allenfalls einige von Johnson selbst angedeutete vergleichende Perspektiven über das Alte Reich hinaus hätte man sich als Zugabe gewünscht.

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28.05.2010
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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