Mit dem Boom der deutschen Kolonialgeschichte geht auch eine Zuwendung zur rechtlichen Ordnung der deutschen Kolonialverhältnisse einher. Allerdings erfolgte die bisherige Aufarbeitung meist durch juristische Arbeiten, deren Erkenntnisinteresse sich an der Rekonstruktion des in den Kolonien geltenden Rechts sowie dessen Interpretation durch zeitgenössische Juristen orientiert. Nur partiell wurde von geschichtswissenschaftlicher Seite kolonialrechtliche Problemlagen in die Analyse einbezogen. Dies betrifft zum Beispiel die Frage einer rasserechtlichen Konstitution der deutschen Kolonialherrschaft und deren potentiellen Kontinuitäten zum nationalsozialistischen Recht sowie Nationalitäts- und Geschlechtervorstellungen in der Diskussion der sogenannten Mischehenverbote.
Um so erfreulicher ist es, dass die überarbeitete Fassung der 2004 an der Freien Universität Berlin eingereichten Magisterarbeit von Dominik Nagl die deutschen kolonialrechtlichen und kolonialpolitischen Debatten zum rechtlichen Status der Bevölkerung der Kolonien zum Gegenstand seiner Untersuchung macht. Anhand parlamentarischer Materialien, zeitgenössischer kolonial- und staatsrechtlicher Publikationen, den entsprechenden Gesetzes- und Verordnungstexten sowie Dokumenten des Reichskolonialamts ordnet er diese historisch ein und verbindet sie mit der Einbürgerungspraxis in den Kolonien mit einem Schwerpunkt auf Deutsch-Ostafrika.
Die Analyse richtet sich zunächst auf die Debatten über das staatsrechtliche Verhältnis der deutschen Schutzgebiete zum Deutschen Reich und die damit einhergehenden Fragen nach der Rechts- und Gerichtsordnung für die Kolonien. Nagl zeigt, welche rechtlichen Konstruktionsleistungen in Bezug auf den Status der Bevölkerung der Kolonie geleistet wurden, um die auf Segregation gegründete Herrschaftsordnung auch in Bezug auf den Rechtsstatus der Bevölkerung zu festigen. Die indigenen Bewohner/innen der Kolonien wurden von den Deutschen als deutsche Untertanen aber nicht als deutsche Staatsbürger/innen angesehen. Die Verweigerung staatsbürgerlicher Rechte, so Nagl, war Ausdruck eines funktionalen Rassismus zur Unterscheidung von Kolonisierenden und Kolonisierten und wesentliches Mittel zur Aufrechterhaltung kolonialer Herrschaft. Er fand seine rechtliche Entsprechung in der Konstruktion einer dualen Rechtsordnung und der dafür benötigten Schaffung der juristischen Kategorie des "Eingeborenen".
Neben dem Begriff des "Eingeborenen", der für die Differenzierung innerhalb der kolonialen Rechtsordnung von Bedeutung war, konstruierten juristische Konzepte der "Schutzgebietsangehörigkeit" bzw. der "deutsch-ostafrikanischen Landesangehörigkeit" das Untertanenverhältnis zum deutschen Staat. Sie orientierten sich an der Staatsangehörigkeit, schlossen aber wesentliche staatsbürgerliche Rechte aus. Nagl sieht dies als Ausdruck von Bestrebungen, die rechtlose Position der unterworfenen Bevölkerung in rechtliche Begriffe zu fassen und "nicht-weiße" Personen von der deutschen Staatsangehörigkeit auszuschließen.
Von konkreter Bedeutung waren solche Konstruktionen zum Beispiel für Migrant/innen aus den Kolonien, die die Behörden entgegen ihres Selbstverständnisses als Angehörige des Deutschen Reiches lediglich als Schutzgebietsangehörige behandelte. Ihre dauerhafte Niederlassung in Deutschland widersprach dem exklusiven Verständnis deutscher Nationalität und die Behörden fürchteten, dass die Rückkehr der durch ihren Deutschlandaufenthalt angeblich "verzogenen" Migrant/innen die koloniale Herrschaftsordnung gefährden würde. Sie unterbanden daher zunehmend die Migration aus den Kolonien.
Der Befund, "nicht-weiße" Personen seien von der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen worden, erhält dadurch weitere Plausibilität, dass Nagl innerhalb des Zeitraums der deutschen Kolonialherrschaft nur einen einzigen Fall finden konnte, in dem eine vormals als "Eingeborener" klassifizierte Person eingebürgert wurde. Als weiteres Beispiel für die wachsende Verbreitung rassistischer Vorstellungen, die die Staatsangehörigkeit immer stärker mit der angenommenen "Rassenzugehörigkeit" verbanden, untersucht Nagl die Debatten um die sogenannten "Mischehenverbote". Die Nachkommen aus solchen Beziehungen erhielten entsprechend der patrilinearen Vererbung der Staatsangehörigkeit im Falle einer Ehe zwischen einem deutschen "weißen" Mann und einer "schwarzen" Frau aus den Kolonien ebenso wie ihre Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit, was diesen Ehen besondere politische Relevanz gab.
Entgegen der einheitlichen Privilegierung aller "Weißen" gegenüber der "nicht-weißen" Bevölkerung der Kolonien, zeigt Nagls Analyse der Einbürgerungspraktik in Deutsch-Ostafrika die Tendenz, nicht nur "Rasse" und Staatsangehörigkeit, sondern auch Staatsangehörigkeit und Abstammung zur Deckung zu bringen. Nagl beobachtet eine Nationalisierung der Einbürgerungspraxis, insofern primär Personen eingebürgert wurden, die mit Deutschen verwandt waren, aus deutschsprachigen Nachbarländern stammten oder ihre deutsche Staatsangehörigkeit durch einen langen Auslandsaufenthalt verloren hatten (was hauptsächlich für Missionar/innen zutraf). Der koloniale Raum sollte nicht durch eine ausgedehnte Naturalisationspraxis nationalisiert werden. Gerade im Hinblick auf die mögliche Einreise eingebürgerter Personen nach Deutschland beschränkte ein auf Abstammung gegründetes Konzept von Nation die Aufnahme neuer Staatsbürger/innen.
Mit seiner Untersuchung positioniert sich Nagl auch innerhalb der Debatte um die Kontinuitäten zum Nationalsozialismus, bis zu dem er ausblicksartig seine Betrachtungen ausdehnt. Nagl sieht zwar grundsätzliche Ähnlichkeiten zwischen der rasserechtlichen Ordnung des kolonialen Rechts und dem Recht im Nationalsozialismus, betont aber die fundamental andere Funktion des Rassismus, die in der kolonialen Situation nicht die Reinerhaltung eines "deutschen Volkskörpers", sondern die herrschaftspolitische Trennung in "weiß" und "schwarz" sichern sollte.
Nagl stellt überzeugend die zentrale Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die rechtliche Kategorisierung in den Kolonien sowie die zunehmende Überlagerung von Staatsangehörigkeit und "Rasse" heraus. Deren komplexes Verhältnis ist dadurch aber noch nicht erschöpfend analysiert. Im Falle von Japaner/innen und Afro-Amerikaner/innen, die unter die "Europäergerichtsbarkeit" fielen, dominierte Staatsangehörigkeit über die "Rassezugehörigkeit". Für die kolonisierte Bevölkerung war aber gerade nicht die Staatsangehörigkeit, sondern eine auf der rassistischen Einteilung in "weiße" und "nicht-weiße" Personen getroffene Einordnung als "Eingeborene" relevant. Als Zuordnungskriterium zur "Europäergerichtsbarkeit" konkurrierte die Staatsangehörigkeit zwar mit der "Rassezugehörigkeit", für das Gros der "nicht-weißen" Bevölkerung jedoch fielen eine fehlende Staatsangehörigkeit und die "Rassezugehörigkeit" zusammen. Diesen Unterschied hätte Nagl stärker herausarbeiten und die enge Verknüpfung von Staatsangehörigkeit und "Weißsein" deutlich machen können. Staatsangehörigkeit war nicht nur, wie Nagl argumentiert, ein Hilfsmittel zur Zuschreibung der "Rassezugehörigkeit". Sie war zugleich Ausdruck einer rassifizierten Ordnung, eine Konsequenz des völkerrechtlichen Systems, das die Gesellschaften in den kolonisierten Gebieten machtpolitisch benachteiligte. Gerade weil die Staatsangehörigkeit in dieser Perspektive eher eine stellvertretende als konkurrierende Markierung bildete, setzten die Deutschen alles daran, die kolonisierte Bevölkerung von der deutschen Staatsangehörigkeit auszuschließen.
Nagl versteht seine Arbeit als Beitrag zu einer transnationalen wie postkolonialen Geschichtsschreibung. Allerdings begründet sich dieses Vorhaben, soweit es die explizite Diskussion der Forschungsliteratur betrifft, vor allem auf die über zwei Seiten gehende Fußnote 6, die Beiträge zur postkolonialen, transnationalen, Transfer- und Globalisierungsgeschichte kommentiert. Nagl nimmt deren Anregungen auf, wenn er die Einwirkung internationaler Konstellationen auf die kolonialpolitischen Vorgänge einbezieht, z.B. die Reaktion der chinesischen Regierung auf die rechtliche Stellung chinesischer Wanderarbeiter auf Samoa. Ebenso behandelt er Metropole und Kolonien als ein Untersuchungsfeld, wo er wechselseitige Verflechtungen deutscher Debatten und kolonialpolitischer Erfordernisse, Konsequenzen rechtlicher Regelungen in Kolonie wie Metropole sowie die Migration aus den Kolonien ins Reich behandelt. Durch einen systematischen Bezug zu transnationalen wie postkolonialen Ansätzen in solchen Passagen hätten seine Ausführungen noch gewinnen können.
Dass Nagl zum Beispiel zur Frage der Rückwirkung kolonialer Verhältnisse auf die Kultur der Metropole wichtige Befunde liefert, zeigt seine Beschäftigung mit den kolonialen Beiträgen zur Zentralisierung der Staatsangehörigkeit. Anhand der Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts 1913 demonstriert er, dass die Schaffung einer unmittelbaren Reichsangehörigkeit, die sich nicht aus der Zugehörigkeit zu einem der Bundesstaaten ableitete, sondern eine direkte Zugehörigkeit zum Reich konstruierte, aus der kolonialen Situation entstand. Sie wurde 1913 im Gesetz verankert und stand so auch für den nichtkolonialen Gebrauch offen, wenn sie auch nur sehr beschränkt umgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang wäre auch eine explizitere Auseinandersetzung mit anderen Forschungspositionen zu den kolonialen Rückwirkungen auf das Staatsangehörigkeitsrecht von Gewinn gewesen. Stattdessen konzentriert sich Nagl in seiner Argumentation stark auf die zeitgenössische Diskussion.
Trotzdem hat Nagl einen lesenswerten Beitrag zu den Prozessen rechtlicher Konstruktion von Differenz im deutschen Kolonialismus vorgelegt. Seine detailreiche Studie arbeitet wichtige kolonialrechtliche Debatten gründlich empirisch auf. Er unterzieht sie einer systematischen historischen Reflektion und ordnet sie im Hinblick auf die Fragen nach deren rassistischen Implikationen sowie der Konstruktion deutscher nationaler Identität ein.