W. Kokot u.a. (Hrsg.): Port Cities as Areas of Transition

Cover
Titel
Port Cities as Areas of Transition. Ethnographic Perspectives


Herausgeber
Kokot, Waltraud; Gandelsman-Trier, Mijal; Wildner, Kathrin; Wonneberger, Astrid
Anzahl Seiten
212 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Susanne Heeg, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Das Buch weckt mit der Einleitung von Waltraud Kokot große Erwartungen. Mit dem Hinweis, dass sich der ethnographische Blick mit einem „close-up focus on local actors’ ways of life, on their specific cultural knowledge, and on their everyday activities“ (S. 16) von anderen Wissenschaften unterscheiden würde, wurde mein Interesse geweckt. Nach einem solchen Einstieg war meine Erwartung, andere Blickwinkel auf ein in der Wissenschaft inzwischen recht etabliertes Thema, nämlich Waterfront Revitalization und Port Development, geboten zu bekommen. Gleich vorweg: Diese Erwartung wurde enttäuscht, aber nichtsdestotrotz versammelt der Band zum Teil sehr interessante, anregende und unkonventionelle Beiträge; zum Teil aber auch Beiträge, bei denen ich mir nach der Lektüre die Frage stellte, was ich daraus lernen konnte. Zuerst gehe ich auf die interessanten Beiträgen und Aspekte ein, um danach die Frage des ethnographischen Blicks wieder aufzunehmen.

Erstaunlicherweise bietet Dirk Schubert als Stadtplaner den inhaltlichen Einstieg in das Thema. Sein Beitrag ist passend für eine inhaltliche Einführung, insofern Dirk Schubert wohl derjenige ist, der sich in Deutschland am Umfangreichsten mit Waterfront Redevelopments auseinandergesetzt hat. Dirk Schubert entwickelt in seinem Beitrag, der den Stand der Forschung zusammenfasst, aber definitiv keinen ethnographischen Blick wie er vorher von Kokot charakterisiert wurde. Er skizziert vielmehr das von Hoyle (1989) entwickelte Phasenmodell, das die Entwicklung des Verhältnisses von Hafen und Stadt zu typisieren beansprucht und er versucht, mit Verweis auf europäische, US-amerikanische und asiatische Beispiele unterschiedliche Herangehensweisen an Redevelopment-Projekte zu umreißen.

Sein Beitrag stellt einen Bezugspunkt für viele in diesem Band versammelten Artikel dar, insofern in vielen Beiträgen immer wieder versucht wird, das jeweils gewählte Beispiel im Rahmen des Phasenmodells zu verorten. Darüber hinaus haben die Beiträge aber andere Zielrichtungen: die meisten drehen sich um die Entwicklung der Waterfronts in verschiedenen Städten als umkämpfte Räume, in denen viele Interesse aufeinanderstoßen, nämlich die von Straßenhändlern, Bewohnern, Schiffer, Migranten, Hafenwirtschaft, Kulturindustrie, Politikern und neuen gewünschten und/oder tatsächlichen Bewohnern. Worin sich die Beiträge unterscheiden, ist zum einen wie tiefgehend sie einzelne Aspekte betrachten und zum anderen welche Richtung die Hafenentwicklung in den Städten nimmt.
Zwei Beiträge ragen dabei aus dem Band heraus. Der eine Beitrag von Astrid Wonneberger thematisiert die Identität und Kultur der Bewohner der alten Docklands von Dublin; der andere Beitrag stammt von Reimer Dohrn, der die Auswirkungen der Umstrukturierungen im Hamburger Hafen auf Leben und Arbeit von Binnenschiffern untersucht. Der Beitrag von Wonneberger sticht durch die Gründlichkeit der Betrachtung heraus. Das Thema ist nicht neu, aber wie tiefgehend sie sich mit der Wahrnehmung der Veränderungen durch die Bewohner in Dublins Docklands auseinandersetzt, gibt neue Einsichten. Sie stellt in ihrem Beitrag dar, wie – obwohl den alten Bewohnern Raum in den Revitalisierungsprojekten eingeräumt wird – die Art der Veränderung Ausschlussprozesse initiiert. Zum einen haben die neuen Bewohner einen höheren Bildungsabschluss und höhere Einkommen und zum anderen wohnen die neuen Bewohner häufig in Projekte, die als „gated communities“ bezeichnet werden können. Diese sichtbaren und unsichtbaren Grenzen führen dazu, dass es zwischen den Gruppen kaum Kontakt gibt. Die Autorin arbeitet heraus, dass sich die alten Bewohner zunehmend ausgeschlossen fühlen und aus einem früheren gemeinschaftsbezogenen Leben ein privates Leben in Apartmenthäusern wird. Wonneberger zeigt in ihrem Beitrag welche Effekte neue politische Grenzziehungen, Förderstrukturen und bauliche Maßnahmen haben, die nur das Beste wollten, aber zu einer Multiplizierung von Problemlagen beitragen. Der Beitrag von Dohrn sticht heraus, weil er sich mit einem Thema beschäftigt, über das nach meinem Wissen bislang wenige geschrieben haben. Er stellt dar, welche Effekte die Entwicklung der Hafencity Hamburg sowie die Verlagerung der Hafenwirtschaft auf die Binnenschiffer haben. Es geling ihm dabei sehr anschaulich darzustellen, was die räumliche Verlagerung für Leben und Arbeit der Binnenschiffer bedeutet. Vor dem Hintergrund steigender Arbeitsanforderungen bewirkt die Verlagerung ihrer Liegeplätze aus der Stadt heraus, dass es zunehmend schwieriger wird, die Stadt für alltägliche und nicht so alltägliche Bedarfe zu erreichen. Damit thematisiert Dohrn die andere Seite der Umgestaltungen an der Elbe. Eine Seite, deren Anforderungen an den gelebten Raum Hafen bislang noch nicht wahrgenommen wurde.

Weitere interessante Beiträge stammen von Salinia Stroux und von Kathrin Wildner. Stroux untersucht die Bazarökonomie in Thessaloniki und Wildner setzt sich mit der Produktion von städtischen Räumen am Beispiel der Waterfront in Istanbul auseinander. Beide Beiträge thematisieren die Auseinandersetzung, die sich mit „wem gehört die Stadt“ umschreiben lässt. Es ist erkennbar, dass in beiden Städten versucht wird, Nutzungen, die mit dem Bild der international aufgeschlossenen und modernen Stadt nicht konform gehen, auszuschließen. Während dies in Thessaloniki informelle Straßenhändler trifft, sind dies in Istanbul Nachbarschaftsorganisationen und Bewohner angrenzender Viertel, die eine rein kommerzielle Nutzung der Waterfront verhindern möchten. In beiden Beiträgen wird der Kampf um hegemoniale Deutungen nachvollzogen.

Dies ist aber ein Aspekt, der mich dazu führt zu fragen, was den ethnographischen Blick auszeichnet. Inwieweit ist die Auseinandersetzung um hegemoniale Deutungen ein explizit ethnographisches Thema? Die Frage hat deswegen Relevanz, weil sich auch die weiteren Beiträge von Anke Bothfeld, Mijal Gandelsman-Trier, Carolin Alfonso sowie Rosemarie und Dirk Oesselmann mit hegemonialen Deutungen und Auseinandersetzungen um den öffentlichen Raum beschäftigen. Ich konnte nicht feststellen, dass die Art und Weise der Beschäftigung – Blick auf Akteure, Interessen, Programme, Geschichte, Entwicklungen – sich von anderen disziplinären Herangehensweisen an das Thema (z.B. aus Stadtsoziologie, Geographie, Stadtplanung etc. pp.) unterscheidet. Darüber gibt auch ein anderes Buch mit dem Titel „Transforming Urban Waterfronts“ von Desfor/Laidley/Schubert/Stevens Aufschluss, das im Herbst 2010 bei Routledge herauskommt und sich ebenfalls mit Entwicklungen an der Waterfront in verschiedenen Städten auseinandersetzt. Die in dem Buch versammelten Beiträge thematisieren mit einem ähnlichen Blickwinkel Akteure, Interessen, Programme, Geschichte und Entwicklungen von Waterfronts ohne dass es sich vorwiegend um Ethnologen handelt.

Vor diesem Hintergrund sollte man den hier besprochenen Sammelband nicht daran messen, ob der ethnographische bzw. der disziplinäre Blick den besonderen Reiz des Sammelbandes ausmacht. Vielmehr kann man nach der Lektüre der verschiedenen Beispiele einerseits Unterschiede in den Umgangsweisen mit städtischen Wasserkanten feststellen kann. Die in den verschiedenen Beiträgen dargestellte historische Entwicklung der Häfen zeigt, dass Häfen in der Vergangenheit von der Stadt abgewandt bzw. abgetrennt waren, aber dass sich in nicht wenigen Städten in den letzten 20 bis 30 Jahren diesbezüglich Veränderungen ergaben. Manche Städte öffneten sich den Häfen und Wasserbereichen wie Hamburg, Dublin, Montevideo, Thessaloniki und Istanbul. In manche Städte dominieren eher Kräfte der Beharrung und in wenigen Städten ist nach wie vor eine deutliche Distanz zum Hafen festzustellen. Beispiele hierfür sind Belém, Varna und Algeciras. Dies relativiert die vorherrschende Rezeption zu Häfen und Umgestaltung der Wasserkante. Gegenwärtig dominiert in vielen Darstellungen eine Erzählung der Veränderung in den Häfen; kaum jedoch wird von anderen Beispielen berichtet. Daraus ergibt sich die Frage, ob die vorherrschende Rezeption nicht ein verzerrtes Bild der Waterfront-Entwicklung wiedergibt. Andererseits - und da möchte ich mich nun auf die Beispiele konzentrieren, bei denen eine Öffnung zum Wasser festzustellen ist – zeigen die versammelten Beiträge zu Hamburg, Dublin, Montevideo, Thessaloniki und Istanbul unisono, dass in Politik und Öffentlichkeit ein notwendiger Aufbruch in der Hafenentwicklung beschworen wird, der mit Städtewettbewerb, Globalisierung und einer unerlässlichen Attraktivitätssteigerung der Stadt in Verbindung gebracht wird. Möglicherweise sind diese dominanten Erzählungen von Wettbewerb sowie die kaum gehörten Erzählungen von beharrenden Kräften zwei Seiten einer Medaille: in einer Zeit, in der Wettbewerb, Privatisierung und Deregulierung dominieren, hört man wenig von Erzählungen, die nicht ins Bild passen.

Zusammengefasst profitieren alle jene von der Lektüre des Buches, die sich mit den Widersprüchen, Gegensätzen und Unvereinbarkeiten der Waterfront-Entwicklungen in einer international vergleichenden Perspektive beschäftigen. Es profitieren jene Leser, die sich für dominante Konstruktionen und Redeweisen in der Stadtentwicklung interessieren, da sie in vielen der versammelten Beiträge kritische Sichtweisen und Hinterfragungen finden werden – auch wenn manchmal Geduld beim Lesen erforderlich ist. Und es profitieren jene, die nach ungewöhnlichen Sichtweisen (Dohrn) und nach alten Themen, die neu erzählt werden (Wonneberger), Ausschau halten. Aber zum Schluss noch eine typische „oldfashioned“ Bemerkung einer Geographin: keine einzige der verwendeten Karten weist Maßstabsangaben auf. Anders als damit suggeriert wird, geben sie wenig Aufschluss über räumliche Beziehungen, sondern haben eher illustrativen Charakter.

Redaktion
Veröffentlicht am
14.01.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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