In ihrer Dissertation an der Universität Hamburg befasst sich Jana Otto vergleichend mit den Fortbildungsprogrammen der beiden deutschen Staaten mit Ghana im Zeitraum 1956-1976.1 Ziel der Arbeit ist es, die „Entscheidungslogiken, Handlungsspielräume und Interaktionen“ der beteiligten Staaten, aber auch der ghanaischen Teilnehmenden nachzuzeichnen und so „neue Einsichten in Entwicklungskonzeptionen und -praktiken“ (S. 3) zu ermöglichen. Dabei schließt die Autorin sowohl die beteiligten deutschen Stellen, den ghanaischen Staat als auch die aus Ghana kommenden Teilnehmenden als aktive Akteur:innen in die Untersuchung dieser Verflechtungsgeschichte ein. Mit Blick auf die Aushandlungsprozesse zeigt sie, wie sich auch und gerade für die ghanaische Seite unter Nutzung der Konstellationen des Kalten Krieges Spielräume zur Gestaltung der jeweiligen Beziehungen eröffneten und nutzen ließen (S. 4).
Für ihre Untersuchung wählt Jana Otto bewusst Ghana, das als erster unabhängiger Staat in der südlichen Sahara zum „Testfall für die deutschlandpolitische Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik“ (S. 3) wurde, um an diesem Beispiel die Entwicklung der ost- und westdeutschen Praktikantenprogramme nachzuzeichnen. Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut und gliedert sich in drei Hauptkapitel, die sich an der zeitlichen Chronologie und den Entwicklungsetappen orientieren: die Entstehung der Fortbildungsprogramme von 1956 bis 1961; die Hochphase der Systemkonfrontation von 1961 bis 1966 sowie die Phase der Ökonomisierung von 1966 bis 1976.
Jedes der drei Hauptkapitel gliedert sich zudem in drei Untersuchungsebenen: die jeweiligen staatlichen Konzeptionen, die bilateralen Kooperationen sowie den „Eigen-Sinn“ der Fachkräfte. Zur Beantwortung ihrer Forschungsfragen greift Otto ausschließlich auf schriftliche Quellen aus verschiedenen Archiven zurück, darunter für die deutsche Seite das Bundesarchiv in Berlin und Koblenz, die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes sowie – um dem föderalen System der BRD gerecht zu werden – drei Landesarchive. Zur Untersuchung der Interessenlage und Politik Ghanas zieht Otto Quellen aus dem ghanaischen Nationalarchiv hinzu.
Dabei weist Otto auf die Schwäche dieses Ansatzes hin, ausschließlich auf Archivquellen zurückzugreifen. Denn für die Darstellung der Perspektive der ghanaischen Fachkräfte und der Alltagsgeschichte der Praktikumsprogramme beschreiben die Archivalien vornehmlich eine Konfliktgeschichte (S. 113). Dieser Befund verwundert etwas, wenn man bedenkt, dass in der Regel vor allem Kritik verschriftlicht (und damit archiviert) wird – seltener positiv erlebte Aspekte des Alltags. Um dieser Schieflage entgegenzuwirken, versucht Otto „zwischen den Zeilen zu lesen und gegebenenfalls Punkte der Übereinstimmung“ zu finden (S. 114). Die Fachkräfte aus Ghana waren im Rahmen von beruflicher Fort- und Ausbildung seit 1959 in der Bundesrepublik, seit 1960 in der DDR. Beide Staaten standen damals am Anfang ihrer Aus- und Fortbildungsprogramme, mit denen sie vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gezielt um Loyalität in den postkolonialen Staaten warben. Der Kalte Krieg, so Otto, begünstigte somit den globalen Aufschwung der Programme (S. 21).
In der Gegenüberstellung der staatlichen Protagonisten arbeitet Otto sehr präzise und aufschlussreich die jeweiligen Motive für die Etablierung der Fortbildungsprogramme heraus. So wird deutlich, wie sehr die Konkurrenzsituation des Kalten Krieges auf ostdeutscher Seite motivierte, weil man so die Hallstein-Doktrin mit bilateralen Verträgen unterhalb der diplomatischen Anerkennung auch und gerade auf dem afrikanischen Kontinent unterlaufen konnte. Auch die Bundesrepublik sah sich durch das zunehmende Engagement der sozialistischen Staaten – und entsprechend der DDR – einem starken Handlungsdruck ausgesetzt. Dabei sah sich die BRD nicht nur in Konkurrenz zur DDR bzw. den sozialistischen Staaten (S.43), sondern betrachtete es auch als eine Prestigefrage innerhalb der westlichen Industrieländer (S. 41), internationale Schulungsprogramme zu initiieren.
Ghana hingegen war nach der Unabhängigkeit von Großbritannien am dekolonialen Nation Building interessiert und setzte auf Aus- und Fortbildungsprogramme in Ost und West, um die wirtschaftliche Entwicklung durch Industrialisierung und Bildung voranzubringen. Ghana verstand sich jedoch nicht als „Nehmerland“, das „jedes ausländische Schulungsangebot dankend“ annahm (S. 145). Die Entsendung richtete sich nach dem eigenen Ausbildungsbedarf. Spannend liest sich, wie Otto Politik auf die Handlungs- und Wirkungsmacht einzelner Personen herunterbricht, etwa wenn sie nachzeichnet, wie die engen Kontakte zwischen dem hessischen Staatssekretär Reuß und dem ghanaischen Innenminister Edusei die Grundlage für die Kooperation legten und von Hessen auf die Bundesebene ausstrahlten. (S. 88) Aufgrund dieser Kontakte wurde Edusei in Ost- Berlin als Verhandlungspartner kritisch beurteilt (S. 205).
Im Verlauf der Arbeit zeichnet Otto anschaulich die Schwankungen nach, denen die Programme aufgrund verschiedener außenpolitischer und wirtschaftlicher Veränderungen unterworfen waren. Während Ghana anfangs den Ausbau der Beziehungen zur DDR mit Blick auf die Grenzen des westdeutschen Alleinvertretungsanspruchs sorgfältig auslotete, wandte sich Nkrumah aufgrund innerparteilicher Machtverschiebungen ab 1961 verstärkt dem Ostblock und damit auch der DDR zu (S. 189). Nach dem Putsch von 1966 wandte sich die Militärregierung nach Westen und erkannte den westdeutschen Alleinvertretungsanspruch an. Bonn honorierte dies mit starker Fürsprache (S. 317f) – ungeachtet der Regierungsform.
Die Ausbildung von Fachkräften in der DDR war Teil der „internationalen Solidarität“. Maßnahmen wie der Tauschhandel oder die volle Kostenübernahme für die Fachkräfte waren Kennzeichen dieser Politik. Sie unterlag aber auch ökonomischen Zwängen. Eine Analyse der Ghana-Politik der DDR unter dieser Maxime bietet Otto leider nicht. Sowohl die DDR als auch die BRD verbanden mit den Facharbeiter:innen konkrete Hoffnungen – besonders diejenige, dass sie nach erfolgreichem Abschluss des Programms als Verbündete in der Ost-West-Konfrontation auftreten würden (S. 46 u. 77). Dementsprechend wurde die Rückkehr der Fachkräfte nach dem Praktikum in ihre Heimatländer in beiden Staaten als obligatorisch angesehen und bis auf wenige Ausnahmen auch entsprechend durchgesetzt. Während die DDR damit auch gezielt dem „brain drain“ entgegenwirkte (S. 246), wollte die BRD, insbesondere nach der ersten Rezession Mitte der 1960er Jahre, den eigenen Arbeitsmarkt entlasten (S. 368). In diesem Kontext entstand das erste Reintegrationsabkommen der BRD mit Ghana (S. 278). Auch wenn die Motivationen unterschiedlich waren, gab es hinsichtlich der Rückkehr eine Übereinstimmung zwischen allen drei staatlichen Akteuren, denn auch Ghana war daran interessiert, seinen gut ausgebildeten Nachwuchs im eigenen Land einsetzen zu können. Überzeugend dargestellt ist die Handlungsmacht der Ghanaer:innen. Insbesondere in der ersten Phase konnten sie in beiden Staaten vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz die Ausrichtung der Programme vor Ort mitgestalten (S. 118/121).
Die Behandlung der beiden deutschen Staaten in ihrem Verhältnis zu Ghana macht deutlich, dass die Probleme und Herausforderungen im Umgang mit ausländischen Fachkräften keine suis generis Probleme in der DDR waren, wie es in auf die DDR fokussierten Länderstudien oft den Anschein hat. So zeigt Otto, dass Fachkräfte in beiden deutschen Staaten zu Beginn der Förderprogramme die schlechte technische Ausstattung der Betriebe kritisierten (S. 150), Erfahrungen mit diskriminierenden und rassistischen Ressentiments auf beiden Seiten gemacht wurden (S. 250) und diesseits wie jenseits der Mauer Unterbringungs- und Statusprobleme häufig Gegenstand von Beschwerden seitens der Fachkräfte waren (S.134). Mit Blick auf die Gender-Perspektive arbeitet Otto heraus, dass in der DDR von Beginn an mehr Frauen an der Ausbildung ausländischer Fachkräfte beteiligt waren. (S.72) Sie widerspricht auch gängigen Darstellungen, nach denen die ausländischen Fachkräfte in der DDR trotz der Unterbringung in Wohnheimen isoliert gewesen seien. Beide deutschen Staaten – und somit auch die DDR – waren darauf bedacht, den Fachkräften positive Erfahrungen im jeweiligen Land zu ermöglichen. Dementsprechend war beiden Staaten daran gelegen, dass diese sich während ihres Aufenthaltes ein Stück weit in die deutsche Gesellschaft integrierten. Dass die Versuche der ostdeutschen Seite, die Facharbeiter:innen und Praktikant:innen politisch, kulturell und sozial einzubinden, bei diesen nicht immer auf positive Resonanz stießen bzw. sie sich eigene Wege suchten, ist die andere Seite der Medaille (S. 138f). Überraschend ist die Darstellung der Einflussnahme des westdeutschen Staatssekretärs Debrah auf die Massenmedien, die er, um der Verbreitung von Gerüchten über in Hamburg misshandelte Ghanaer:innen vorzubeugen, dazu verpflichtete, sich vor der Veröffentlichung von Nachrichten zuerst an das Außenministerium zu wenden. Die BRD befürchtete kurz vor der Aufnahme in die UNO schwerwiegende internationale Spannungen (S. 347).
Die Einbeziehung Ghanas und der ghanaischen Fachkräfte mit ihrem Eigen-Sinn ist ein wichtiger Beitrag zur Untersuchung der Verflechtungsgeschichte von Ost-West- und Süd-Beziehungen, die auch die Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs in beide Richtungen für ghanaische Fachkräfte in den Blick nimmt. (S.133) Über weite Strecken werden aber auch die Aktivitäten der Beteiligten aus anderen afrikanischen Staaten, wie Nigeria und Äthiopien, in die Untersuchung einbezogen. Diese Ausführungen irritieren allerdings angesichts des im Buchtitel benannten Fokus auf Ghana, auch wenn sie einen guten Einblick in die Situation von Migrant:innen in beiden deutschen Staaten geben. Dieses offenbar der Quellenlage geschuldete Desiderat hätte zumindest teilweise mit Oral-History-Quellen gefüllt werden können, was zudem die Möglichkeit gegeben hätte, noch stärker auf die (erinnerte) Alltagsgeschichte zurückzugreifen. Das Potenzial, die schriftliche archivierte Konfliktgeschichte entweder zu untermauern oder durch positive Narrative zu ergänzen, wurde hier nicht genutzt.
Trotz dieser Einschränkung leistet Ottos intensives und multiperspektivisches Quellenstudium einen wichtigen Beitrag zu einer differenzierteren Betrachtung der Prozesse und Motivationen aller Akteursgruppen und trägt somit dazu bei, die Schwarz-Weiß-Dichotomie in der Gegenüberstellung der beiden deutschen Staaten, in der die DDR lediglich als „Negativfolie zur Bundesrepublik“ 2 betrachtet wird, aufzubrechen und Länder des Globalen Südens – hier Ghana – sowie die Programmteilnehmer:innen als aktive Akteur:innen in den Blick zu nehmen.
Anmerkungen:
1 Im Open Access abrufbar unter: https://doi.org/10.1515/9783110969016
2 Konrad H. Jarausch, „Die Teile als Ganzes erkennen“. Zur Integration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, 1/2004, S. 10–30, hier S. 11.