In der Einleitung des Sammelbands stellt Sylvain Schirmann fest, dass in der zeitgenössischen Geschichtsforschung ein mangelndes Interesse an den wirtschaftlichen Aspekten der deutsch-französischen Beziehungen herrsche (S. 3). Im Nachwort betont Jean-François Eck, dass der Sammelband dazu beitrage, diesem Übel abzuhelfen, indem er ältere Erkenntnisse konsolidiere oder in Frage stelle und darüber hinaus neue Forschungsperspektiven eröffne (S. 383). Was die einzelnen Beiträge und die Wirtschaftsgeschichte im Allgemeinen in theoretischer und methodischer Hinsicht zu leisten haben, wird von den Herausgebern nicht explizit gemacht. Ziel ist vor allem, eine Forschungslücke zu schließen.
Die Publikation versammelt die Beiträge einer Tagung, welche im Mai 2007 in den Räumen des Deutschen Historischen Instituts Paris stattgefunden hat. Urheber von Tagung und Publikation ist das Comité pour l’histoire économique et financière de la France, welches an das französische Wirtschaftsministerium angebunden ist. Von den 16 Beiträgen widmen sich vier der Zeit vor 1914, einer der Zwischenkriegszeit, fünf der Zeit um den zweiten Weltkrieg und sechs der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Daneben enthält der sorgfältig redigierte, durchgehend in Französisch gehaltene Sammelband einen Personen- und Sachindex und die erwähnten Vor- und Nachworte.
Unter den Beiträgen zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland vor 1914 widmet sich jener von Boris Barth dem Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Expansion und Politik in Zeiten des Imperialismus. Am Beispiel der deutsch-französischen Aktivitäten im Osmanischen Reich zeigt er auf, dass der von Unternehmen betriebene wirtschaftliche Imperialismus und die offizielle staatliche Politik unterschiedlichen Logiken folgten. Mylène Natar-Mihout untersucht die Partizipation der beiden Nationen in der Industrialisierung Polens, bei der die verschiedenen Industriesektoren unterschiedlich erschlossen werden konnten und das Kräfteverhältnis zugunsten Deutschlands tendierte. Bei Uwe Kühl steht die Elektrotechnik im Vordergrund. Obwohl die deutschen Elektrizitätswerke in technischer Hinsicht auf großes Interesse in Frankreich stießen, konnte deren Betreibung durch die Stadtverwaltung in Frankreich keine Entsprechung finden. Auch in der Chemieindustrie (Érik Langlinay) fand ein Technik- und Wissenstransfer zwischen Deutschland und Frankreich statt. Notwendige Kooperationen auf Firmenebene in der strategisch wichtigen Chemieindustrie wurden jedoch durch die politische Konkurrenz erschwert.
Sylvain Schirmann widmet sich der Zwischenkriegszeit, zeichnet den Handelsaustausch zwischen Frankreich und Deutschland für die Jahre 1930 bis 1939 nach und verzeichnet dabei wirtschaftliche und politische Schwachpunkte auf Seiten Frankreichs.
Auch bei Hervé Joly findet die Zwischenkriegszeit Beachtung, im Zentrum seines und weiterer Beiträge steht jedoch der 2. Weltkrieg. Er beobachtet das Verhalten verschiedener Wirtschaftsakteure der chemischen Farbindustrie zwischen 1920 und 1960 und stößt dabei auf die Verhaltensmuster der „Okkupation, Konkurrenz, Kollaboration und Kooperation“ (S. 225). Denis Brunn vergleicht die Generationen deutscher Tochterfirmen in Lothringen vor und nach dem 2. Weltkrieg. Die Zahl der Filialen nach dem Krieg überstieg jene für die Zeit davor um ein Vielfaches. Fabian Lemmes richtet seinen Fokus auf das französische Bauwesen von 1940 bis 1944, welches von der bisherigen Forschung vernachlässigt wurde, obwohl ein hohes Auftragsvolumen von Seiten der deutschen Besatzung bestand. Er beschreibt, dass nicht reiner Zwang die französischen Bauunternehmen zur Kollaboration bewog, sondern dass eine Mischung von Vorschriften und Anreizen ausschlaggebend war. Im Zentrum des Beitrags von Marcel Boldorf liegen die wirtschaftlichen Verhandlungen zwischen NS-Deutschland und Vichy-Frankreich. Der Verhandlungsspielraum der Franzosen in der ersten Hälfte des Krieges wich gegen Kriegsende zunehmend dem deutschen Diktat. Martin Libera untersucht die Wirtschaftspolitik Frankreichs in seiner Besatzungszone in Deutschland. Dabei gelingt ihm, das gängige Bild einer „Ausbeutungszone“ zu nuancieren. Die Notwendigkeit einer nachhaltigeren Wirtschaftspolitik wird bereits um 1947 erkannt, scheiterte jedoch an der Umsetzung. Der Sicherheits-Imperativ von Frankreich bewirkte überdies eine Demokratisierung der Wirtschaft in den okkupierten Ländern.
Die Beiträge zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts belegen eine Intensivierung der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen. In Mark Spoerers Beitrag wird anhand der „realen“ Wirtschaftsentwicklung gefragt, ob das französische Konzept der „planification“ und die „soziale Marktwirtschaft“ in der Bundesrepublik überhaupt einen Einfluss auf den Wirtschaftsverlauf hatten. Trotz der konzeptuell unterschiedlichen Wirtschaftspolitik folgte die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, des Human Development Index, der Lohnverteilung, der Arbeitslosigkeit und des Konsumentenpreisindex der beiden Nationen einem ähnlichen Muster. Laurent Warlouzet untersucht die Bestrebungen in den 1960er-Jahren, die industrielle Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich institutionell zu fördern. Diese kurzfristigen Initiativen offenbaren die unterschiedlichen Vorstellungen von Wirtschaftspolitik auf beiden Seiten und die Tatsache, dass die bilateralen Beziehungen gegenüber den europäischen an Wichtigkeit verlieren. Auch im Beitrag von Claus W. Schäfer wird auf eine unterschiedliche bzw. gegensätzliche Wirtschaftspolitik hingewiesen. Sein Untersuchungsgegenstand ist die Übernahme des multinationalen Pharmakonzerns Aventis im Jahr 2004 durch den französischen Konzern Sanofi-Synthélabo, in die sich sowohl die französische als auch die deutsche Politik einschaltete. Dimitri Grygowski untersucht an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion die politische Komponente der internationalen Währungsbeziehungen. Frankreich wie Deutschland versuchten die Währungsunion für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Schließlich durchleuchtet Hubert Bonin die „psychologische Beziehung“ zwischen dem französischen und dem deutschen Bankenplatz in der Langzeitperspektive von 1910-1970 und kommt zum Schluss, dass jenseits der Rivalität und dem „wirtschaftlichen Patriotismus“ immer wieder pragmatische Gründe die Zusammenarbeit zwischen Banken beider Staaten bewirkt haben. Ulrich Pfeil hat sich als einziger der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und der DDR angenommen. Er legt dabei offen, wie die DDR versuchte, über die wirtschaftlichen Beziehungen die politische Anerkennung Frankreichs zu erreichen, und wie Frankreich teilweise entgegen seinen wirtschaftlichen Interessen in der DDR diplomatische Rücksicht auf die Bundesrepublik nehmen musste.
Die empirisch ausgerichteten Beiträge des Bandes geben interessante Fallbeispiele ab, die natürlich nicht alle Bereiche abdecken können. So entsteht ein Puzzle der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, welche je nach Zeitpunkt und Sektor als „Gegner“, „Konkurrenten“, „Partner“ oder „Paar“ in Erscheinung treten. Als roter Faden zieht sich die Politik durch den Band hindurch. Es wird mehrmals nach dem Verhältnis von Politik und Wirtschaft gefragt; am radikalsten im Beitrag von Mark Spoerer, in welchem die Möglichkeit einer Nicht-Relevanz der Wirtschaftspolitik erwogen wird. Sinnvollerweise wird die Ebene der Nationalstaaten mehrmals verlassen und es werden auch regionale (Lothringen bei Denis Brunn, die Französische Besatzungszone bei Martin Libera) und internationale (Polen bei Mylène Natar-Mihout, das Osmanische Reich bei Boris Barth, die EU vor allem bei Laurent Warlouzet und Dimitri Grygowski) Aspekte berücksichtigt.
In diesem Sinne werden die französisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit solide dokumentierten Beträgen von mehreren Seiten her beleuchtet. Entsprechend den Wünschen der Herausgeber verschaffen sie einem Interesse an den wirtschaftlichen Aspekten der deutsch-französischen Beziehungen Ausdruck und sind ihrerseits dazu geeignet, Interessen zu wecken und Forschungsideen zu generieren. Während die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und der DDR noch weiterer Forschungsarbeiten harren, ist die relativ gute Abdeckung für die Zeit des 2. Weltkriegs erfreulich. Andererseits wird in diesem Sammelband die Wirtschaft etwas eng gefasst und behandelt, gemeint sind vor allem der Handel, die Industrie und das Finanzwesen. Dasselbe gilt für die Politik, die sich hier auf staatliche Politik beschränkt, wie sie an staatlichen Institutionen beobachtet werden kann. Beiträge, die mehr auf eine soziale und kulturelle Einbettung der Wirtschaft und mehr auf die im Titel angesprochenen „Menschen“ eingehen, hätten das Bild der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen weiter bereichern können. Möge das Buch auch in dieser Hinsicht als positiver Anstoß dienen.