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Title
The Soviet Sixties.


Author(s)
Hornsby, Robert
Published
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Eva-Maria Stolberg, Bochum

Robert Hornsby, Associate Professor für Modern European History an der Universität Leeds, ist ein namhafter Kenner der sowjetischen Nachkriegsgeschichte. Nach seinem Buch „Protest, Reform and Repression in Khrushchev’s Soviet Union“ (Cambridge University Press 2013) gibt er in der vorliegenden Studie „The Soviet Sixties“ Einblick in eine faszinierende Umbruchszeit der sowjetischen Zeitgeschichte. Der Autor zeigt auf, dass die „Sixties“ nicht nur im Westen eine Aufbruch- und Umbruchphase waren, dies galt nicht weniger für die Sowjetunion. Der Wandel setzte allerdings nicht erst 1960, sondern bereits 1953 mit dem Tod Stalins ein. Mit der Entstalinisierung brach tatsächlich eine neue Zeit an. Chrušćevs Geheimrede auf dem XX. Parteitag 1956 rechnete mit Stalins Verbrechen ab, ein Schlussstrich sollte gezogen und dem Sozialismus neuer Schwung verliehen werden. Ziel war es, durch Modernisierung die kommunistische Gesellschaft in naher Zukunft zu erreichen. Die 1960er Jahre waren wesentlich durch die erratische Politik Chrušćevs bestimmt – ein Auf und Ab hochfliegender sozialistischer Visionen und deren Zusammenprall mit den außen- und innenpolitischen Realitäten, die schließlich zu seinem Sturz 1964 führte.

Die Entstalinisierung führte nicht nur zur Freilassung von mehr als einer Million Gulag-Gefangenen aus der Stalinzeit, sondern auch zu größeren Freiheiten im kulturellen Bereich. Neue Trends wurden in Literatur, Film und anderen kulturellen Bereichen gesetzt. In den Sechziger Jahre wurden eigene, sozialistische Helden kreiert und die sowjetische Gesellschaft wurde von einer optimistischen Aufbruchstimmung nach dem Ende des stalinistischen Terrorregimes erfasst. Die Abrechnung mit dem Stalinismus, so Hornby, hinterließ einen mentalen Freiraum, der mit Neuem gefüllt wurde. Wie Hornby zeigt, wurde das Fundament für diese Erneuerung bereits Mitte der 1950er Jahre gelegt. Der neu geschaffene KGB agierte im Gegensatz zu Stalins Geheimpolizei nicht in einem rechtsfreien Raum, juristische Auflagen setzten der Willkür Grenzen. Damit stieg das Vertrauen der Sowjetbürger*innen in die Kommunistische Partei und die staatlichen Institutionen wieder. Steuern und Abgaben der Kolchosbauern wurden gesenkt, so dass auch die landwirtschaftliche Produktion anstieg, was zu einer besseren Lebensmittelversorgung führte. Zugleich öffnete sich die Sowjetunion für kulturelle Einflüsse aus dem (westlichen) Ausland. In den sowjetischen Kinos wurden US-amerikanische Filme gezeigt, westeuropäische Musiker tourten durch die Sowjetunion. Gleichzeitig entstand eine jugendliche Subkultur, die so genannten stiljagi mit einem eigenen Lebensstil und Dresscode. In den späten 1950er Jahren wuchs eine neue, von der Stalinzeit unbelastete Generation heran, die gezielt zum Adressaten der Politik Nikita Chruščevs wurde, eine Generation, die die sowjetische Nachkriegsgesellschaft aufbaute. Nicht mehr Zwangsarbeit wie zu Stalins Zeiten, sondern freiwillige Aufbauarbeit stand im Vordergrund. Damit wollte sich das Chruščev-Regime die Loyalität der jungen Generation sichern. Kulturschaffende forderten wieder Kreativität ein, die im Stalinismus erstickt worden war. Vor allem im Kulturbereich (Literatur, Film) entstanden Freiräume, und die Kulturschaffenden nutzen die Entstalinisierung, um mit den Stilmitteln Komik und Parodie Kritik an der schwerfälligen Staats- und Parteibürokratie zu üben. Wie Hornsby überzeugend aufzeigt, hatte der Wandel des politischen Klimas in der Sowjetunion auch weitreichende Auswirkungen auf die osteuropäischen Satellitenstaaten. Auch hier brachte die Entstalinisierung neue kulturelle Freiheiten, auch hier entstand eine Konsumgesellschaft. Diese Entwicklung war zweischneidig, denn das Machtmonopol der kommunistischen Parteien wurde poröser. Es stellte sich das grundsätzliche Dilemma, wie weit Reformen gehen konnten, ohne den Staatssozialismus in Frage zu stellen. Die Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 durch sowjetische Truppen offenbarte den weiterhin repressiven Charakter der kommunistischen Parteidiktatur. Zwar fielen die Ideen der ungarischen Reformkommunisten und des jugoslawischen Modells in der sowjetischen Studentenbewegung auf fruchtbaren Boden, doch die KPdSU unter Nikita Chruščev war nicht bereit, ihr Machtmonopol über Staat und Gesellschaft einzuschränken.

Wie Hornsby nachweist, war die sowjetische Gesellschaft der 1960er Jahre sozialen Veränderungen unterworfen, die sie von der Zeit des Stalinismus unterschied. Eine verstärkte Urbanisierung setzte mit der Zuwanderung ländlicher Bevölkerung ein. Vor allem junge Familien zogen in die Großstädte nicht nur des europäischen Russlands wie Moskau, Kiev, Minsk, aber auch in die Metropolen an der Peripherie wie Tiflis und Alma Ata. In diesem Zusammenhang legte die Regierung Chruščev ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm auf. Interessanterweise reisten sowjetische Architekten nach Großbritannien, Schweden und Finnland, um den sozialen Wohnungsbau in westlichen Ländern zu studieren. In der Literatur und Filmkunst wurden das Alltagsleben der jungen Sowjetbürger*innen und ihre Konsumwünsche thematisiert. Doch Hornsby gelingt es, aufzuzeigen, dass die sozialistische Planwirtschaft der 1960er Jahre nur begrenzt den Konsumwünschen der sowjetischen Bevölkerung entgegenkam, da das Wirtschaftssystem mit seinet bürokratischen Funktionsweise und der oftmals schleppenden Ressourcenverteilung einen eher bescheidenen Rahmen setzte. Hatte Chruščev mit seiner Tauwetterpolitik eine erfrischende Dynamik freigesetzt, geriet die sowjetische Gesellschaft ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mit dem Machtantritt Leonid Breżnevs erneut unter Konformitätsdruck. Konformität die Diversität der vorangeganenen Dekade ablösen. In der Gesamtschau ist Robert Hornsby eine kompetente Analyse gelungen, die – und das ist besonders hervorzuheben – die Auf-, Um- und Abbrüche der entscheidenden sowjetischen Nachkriegsepoche in den Mittelpunkt stellt.

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27.09.2024
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