A.-K. Wöbse: Weltnaturschutz

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Title
Weltnaturschutz. Umweltdiplomatie in Völkerbund und Vereinten Nationen 1920-1950


Author(s)
Wöbse, Anna-Katharina
Series
Geschichte des Natur- und Umweltschutzes 7
Published
Frankfurt am Main 2011: Campus Verlag
Extent
364 S.
Price
€ 34,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Astrid Mignon Kirchhof, Humboldt-Universität zu Berlin

Die erste Überblicksdarstellung über den Völkerbund wurde bereits 1952 von dem Völkerbundbeamten Francis Paul Walter geschrieben. Insgesamt aber bestand am Völkerbund als Forschungsgegenstand wenig Interesse und erst in letzter Zeit, seit sich das Interesse der Historiographie internationalen Prozessen und globalen Entwicklungen zuwendete, rückte auch der Völkerbund vermehrt ins Blickfeld des Interesses. So gab beispielsweise die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 2006 ein eigenes Themenheft zu dem Schwerpunkt heraus.1 Mit der Dissertation von Anna Katharina Wöbse wird nun zum ersten Mal das politische Handeln des Völkerbundes im „Weltnaturschutz“ in den Blick genommen. Die Autorin spürt den Völkerbunddebatten über verletzliche Ökosysteme und den Schutz der Erde, den Kämpfen von Aktivisten um Natur und den wirtschaftlichen Interessen von Nationalstaaten nach. Sie verfolgt dabei fünf Leitfragen, die nach den Akteuren des internationalen Naturschutzes, den Problemen, auf die deren Aktionen stießen, nach den ethischen Maßstäben der normativen Aushandlung, den Zeitdimensionen internationaler Diskussionsprozesse und schließlich nach den wissenschaftlichen Grundlagen, die im Völkerbund diskutiert wurden, fragt. Gemeinsam mit der Redaktion des Jahrbuches Ökologie wählte die Deutsche Umweltstiftungdie Studie zum Umweltbuch des Monats März 2012 und betonte in ihrer Pressemitteilung, Wöbse habe ein „fundamentales Werk zur globalen Umweltpolitikgeschichte vorgelegt“.2

Anna-Katharina Wöbse nähert sich ihrem Forschungsgegenstand aus umwelt-, diplomatie- und rechtshistorischer Perspektive und berücksichtigt auch die historische Bewegungsforschung. Ihre Studie ist anschlussfähig zu anderen momentan hoch im Kurs stehenden Forschungen der Umwelt-, Friedens- und Tierschutzbewegung 3 sowie zu politikwissenschaftlichen Studien internationaler Organisationen 4 bzw. zu internationaler Umweltgeschichte. 5 Wöbses umfangreiche Archivrecherche führte sie in die Schweiz, nach Deutschland, Belgien, Frankreich und England. Neben dem Völkerbundarchiv und dem UNESCO Archiv in Genf und Paris konsultierte die Autorin eine Reihe weiterer Archive und erhob Bestände in verschiedenen Bundesarchiven ebenso wie im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes oder der Royal Society for the Protection of Birds.

Die Idee Naturschutz international zu verhandeln, ging auf den Schweizer Paul Sarasin zurück, der im Jahr 1910 auf einer Grazer Zoologen-Konferenz ein provisorisches Komitee konstituierte. Daraufhin organisierterer 1913 eine internationale Konferenz in Bern, zu der 19 Delegierte unterschiedlicher Länder kamen, die dann eineWeltnaturschutzkommission gründeten, dieser aber nur unverbindliche Kompetenzen zustanden. Die erste konstituierende Sitzung der Kommission sollte am 28. September 1914 stattfinden, was aber durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwei Monate zuvor nicht mehr möglich war. Als der Völkerbund 1919 seine Arbeit aufnahm, wand sich Sarasin unverzüglich an dessen Sekretariat, rückversicherte sich aber auch bei den ursprünglichen Delegierten, ob die Kommission noch bestehe und sich beim Völkerbundsekretariat angliedern wolle. Durch den Weltkrieg war die Situation nun aber eine völlig andere geworden: Staaten waren verfeindet und die Antworten, die Sarasin erhielt, waren häufig zurückhaltend bis abweisend. Als auch der Schweizer Bundesrat die Eingliederung der Weltnaturschutzkommission in den Völkerbund ablehnte, gab Sarasin sein Projekt schließlich auf.

Wie Wöbse aufzeigt, wurden Naturschutzanliegen der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit im Völkerbund allerdings auch in der Folgezeit vorgelegt: so bei Forderungen nach einem Ende der Ölverschmutzung, bei Tierschutzkampagnen von den dahinterstehenden Organisationen, bei Fragen der Meeresnutzung und dem Schutz von Walen und auch bei weniger streitbaren Themen wie den Verhandlungen zur Erhaltung von Naturdenkmälern, die im Konzept des Weltnaturerbes mündeten.

Um der Ölverschmutzung der Meere ein Ende zu bereiten, wandte sich die britische Regierung mit einem grenzüberschreitenden Lösungsvorschlag an den Völkerbund und reagierte damit auf den bereits Jahrzehnte währenden Druck der Öffentlichkeit, das Problem auf internationaler Ebene in den Griff zu bekommen. Die Ölfrage wurde 1934 in Genf auf die Agenda gesetzt, die internationale Gemeinschaft hierzu befragt. Daraufhin erstellte der Völkerbund einen Entwurf für eine internationale Konvention und bat die beteiligten Staaten wiederum um Stellungnahme. Doch die Verhandlungen waren festgefahren und eine Konvention konnte ohne Deutschland und Japan nicht endgültig verabschiedet werden, die bereits 1933 ihren Austritt erklärt hatten. Inzwischen war geraume Zeit verstrichen und der Kriegsbeginn beendete auch in dieser Frage jede weitere Anstrengung für weitere 15 Jahre, bis die United Nations Transport and Communication Commission 1950 das Thema wieder aufnahm.

Auch beim allgemeinen Tierschutz waren es zivilgesellschaftliche Kräfte, die zuerst aktiv wurden, hier allerdings vor allem Frauen, die versuchten den Völkerbund als Partner zu gewinnen, um die Rechte von Arbeitstieren als internationales Recht festzulegen und den Schutz von Tieren als Teil der Humanisierung von Weltpolitik zu implementieren. Diese Erwartungen wurden allerdings nicht erfüllt, da das Völkerbundsekretariat im Gegenteil versuchte, die internationale Bühne von diesem Thema freizuhalten und es stattdessen auf die nationalstaatliche Ebenezurück verwies. Obwohl die Tierschutzorganisationen teilweise sehr qualifiziert auftraten, konnten sie ihre Anliegen nicht dauerhaft im Völkerbund verankern. Wöbse argumentiert überzeugend, dass es teilweise an der ökonomischen Bedeutungslosigkeit des Themas gelegen haben mag – der Verweis auf den häufigen Antagonismus von Wirtschaftlichkeit und Naturschutz scheint in Wöbses Studie an vielen Stellen auf. Es lag, laut Wöbse, aber auch an der Irrelevanz, die die Staatengemeinschaft dem Thema „Tierschutz“ attestierte. Die Autorin erkennt in dieser Politik den Zwiespalt moderner Gesellschaften zu ihrer tierischen Mitwelt und konstatiert, dass, wer sich auch heute für eine Gleichsetzung von Mensch- und Tierrechten einsetze, sich durchaus politisch ins Abseits manövrieren könne.

Tiere sind auch der Fokus in einem weiteren Fallbeispiel, hier allerdings die Wale in ihrer Funktion als Fett- und Öllieferanten. Anna-Katharina Wöbse schildert die ersten Verhandlungen über die Ausbeutungen des Meeresreichtumes bis zur Ratifizierung einer Walfangkonvention Anfang der 1930er Jahre. Auch bei diesen Debatten zeichnet Wöbse ideenreich die zuweilen überwältigende Einflusslosigkeit des Völkerbundes nach und die schwierige Konsensfindung unter den beteiligten Staaten, denn auch in dieser Frage konnte der Völkerbund keinen breiten Konsens bewerkstelligen, obwohl die „freie See“ eine transnationale Sphäre par excellence war. Aus einer universalen Vision über die gemeinsame Nutzung der Weltmeere wurde schließlich nur eine wenig erfolgreiche Rohstoffdebatte, was daran lag, wie Wöbse eindringlich darlegt, dass die Nationalstaaten wenig bereit waren sich zu engagieren, wenn nicht unmittelbar nationale Interessen betroffen waren. Auch in diesem Kapitel der Völkerbundgeschichte lag es an dem Engagement einzelner Personen, die internationale Staatengemeinschaft erst einmal dafür zu sensibilisieren, dass der gemeinsame Meeresraum konzertierte Verpflichtungen nach sich ziehe.Indes, für die Idee, dass sich auch Staaten an der Diskussion beteiligten, die keine wirtschaftlichen Interessen hatten, war die Zeit noch nicht reif. Das Experiment scheiterte und erst in den 1950er Jahren setzen die Vereinten Nationen das Thema der koordinierten Meeresregime wieder auf die Agenda.

Das letzte Fallbeispiel in Wöbses Studie schlägt insofern aus der Reihe, weil es sich von der Fauna der Flora zuwendet und die Schutzbedürftigkeit landschaftlicher Schönheit thematisiert. Anders als bei den anderen Themen leuchtete der Staatengemeinschaft der Schutz natürlicher Schönheit sofort ein, so dass Diskussionen,als das Thema Mitte der 1920er Jahre den Völkerbund erreichte, als nicht notwendig erachtet wurden. Die so genannten Naturdenkmäler wurden in einen Maßnahmenkatalog aufgenommen. Hier wurden die Idee eines gemeinsamen Raumes und ein kollektives Interesse umgesetzt, das auch den Wunsch nach einer globalen Identität ausdrückte. Nach 1945 griff die UNESCO das Thema wieder auf und deklarierte es zur übergreifenden Aufgabe der Nationen.

Die Dissertation von Anna-Katharina Wöbse ist dort besonders anregend, wo es der Autorin gelingt, die stellenweise trockenen Völkerbundstrukturen und –debatten mit biographischen Einschüben über Politiker_Innen und Aktivist_Innen aufzulockern, und dadurch den Forschungsgegenstand greifbarer werden zu lassen. Wunderbar ist auch zum einen ihre Sprache, die ihr flüssig und sehr bildreich aus der Feder fließt, immer wieder pointiert zugespitzt wird und den Text an vielen Stellen zum Vergnügen macht.Zum anderen hat die Autorin die für Historiker unerlässliche Fähigkeit, sich in die Protagonisten, deren Sorgen, Kämpfe und Gefühlslagen sie schildert, einfühlen zu können und diese lebendig wiederzugeben.

Gelegentlich hätte dem Buch eine stärkere geschichts-ideologische Einordnung und noch deutlichere, kritische Distanz zu den beschriebenen Akteure und ihrem politischen Handeln gut getan. So führt Wöbse die politische Haltung der modernen Tierschutzbewegung aus, gemäß dieser der menschliche Umgang mit Tieren eine Zivilisierung nach sich ziehe und immer auch auf die pazifistischen Elemente des Tierschutzes hinweise.6 Allerdings war es geschichtlich mitnichten offensichtlich, dass Tierliebe- und Vegetarismus zwangsläufig zu Pazifismus und zivilisatorischem Verhalten führten, wie ein Blick auf die nationalsozialistische Führungsriege deutlich macht, in der mancher von fleischloser Ernährung und Tierliebe beseelt war.

Anna Katharina Wöbse verwebt in ihrer lesenswerten Studie immer wieder einzelne biographische Stränge mit gesellschaftlichen Themen und den Debatten einer internationalen Organisation: dem Völkerbund. Hierbei zeigt sieauf faszinierende Weise einerseits die Erfolglosigkeit des Völkerbundes auf, macht aber ebenso deutlich, dass es einzelne Menschen waren, die Visionen entwickelten, sich hierfür engagierten und damit Projekte anschoben, die programmatisch in die Zukunft wiesen und heute noch von Bedeutung sind.

Anmerkungen:

1 Eckhardt Fuchs/Matthias Schulz (Hrsg.), Globalisierung und transnationale Zivilgesellschaft in der Ära des Völkerbundes (Themenheft), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 54 (2006) 10.
2 Siehe http://www.deutscheumweltstiftung.de/.
3 Mieke Roscher, Ein Königreich für Tiere. Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewegung, 2009∞ Christopher Rootes (Hrsg.), Environmental Protest in Western Europe, Oxford 2003.
4 Madeleine Herren, Internationale Organisationen seit 1865. Eine Globalgeschichte der internationalen Ordnung, Darmstadt 2009; Frank Zelko, Make it a Green Peace: The History of an International Environmental Organization (im Erscheinen).
5 Ideen- und Taktgeber ist seit 2009 häufig das international und interdisziplinär ausgerichtete Forschungsinstitut Rachel Carson Center in München. Es unterstützt und initiiert fortlaufend Projekte und Konferenzen mit inter- und transnationaler Blickrichtung, wie die im November 2013 stattfindende Konferenz „Going Green: The emergence and entanglements of the green movement in Australia, the USA and Germany 1970 to present day”, die die Autorin, Astrid Mignon Kirchhof, gemeinsam mit dem RCC durchführt. Siehe auch den internationalen Fokus des Workshops "In Bewegung: Neue Geschichten der Umweltbewegungen" veranstaltet vom Rachel Carson Center im März 2012.
6 Bei der Abrüstungskonferenz, die die Autorin an dieser Stelle beschreibt, gab es eine Kommission für „Moral Disarmament“, die sich auf Friedensbildung fokussiert hatte. Wöbse konstatiert hier, dass die Anschlussfähigkeit der Tierschützer an den Friedensfokus der Kommission auf der Hand liege, S. 160.

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29.06.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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