Es ist kaum mehr als ein Jahrzehnt vergangen, und doch scheint die Heftigkeit, mit der zwischen politischem Umbruch 1989/90 und Wende zum 21. Jahrhundert um die Rolle der Geschichtswissenschaft in der DDR gestritten wurde, aus fernen Zeiten zu stammen. Ausgenommen vom Desinteresse an der DDR-Geschichtsschreibung blieben seitdem vor allem Lebenslauf und Werk Walter Markovs, des fraglos interessantesten Historikers der DDR. Sie mündeten in zahlreiche Veröffentlichungen1, eine, angesichts des unstrittigen Ranges Markovs, offenkundig weniger konfliktträchtige, konsensfähige „Flucht“ in die Biographik.
Eben dieser biographischen Perspektive ist auch der zu besprechende, von Matthias Middell herausgegebene Band verpflichtet. Mit seiner umfassenden Darstellung des auch von Markov geprägten Leipziger Instituts für Kultur- und Universalgeschichte hat Middell vor einigen Jahren einen der wichtigsten (auch gewichtigsten) Beiträge zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft in der jüngeren Zeit vorgelegt.2 Unter dem von Markov entliehenen Haupttitel „Lust am Krimi“ werden „Beiträge zu Werk und Wirkung“ avisiert; als einer der letzten Schüler des 1993 verstorbenen Historikers eröffnet Middell den Band mit einem von eigenen autobiographischen Reflektionen begleiteten Aufriss zu Leben und Werk Markovs.3 Das liest sich, wie so viele Lebensläufe des „Zeitalters der Extreme“ und angesichts der vielfältigen Interessen Markovs, sehr spannend und anregend, distanzierende, gar kritische Anmerkungen sind in dieser Konstellation jedoch kaum zu erwarten. Noch 1934 in Bonn von Fritz Kern promoviert, wurde Markov als Anführer einer kommunistischen Widerstandsgruppe 1936 zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt und blieb bis 1945 inhaftiert: Diesem lebensprägenden Widerstand Markovs gegen den Nationalsozialismus ist der Beitrag von Werner Bramke gewidmet.
Die weiteren Aufsätze schreiten andere wichtige Wegmarken der wissenschaftlichen Biographie Markovs ab. Stefan Troebst beschäftigt sich mit Markovs Beitrag zur Erforschung der „Balkandiplomatie“, Frank Hadler mit seiner Stellung zu den „Historiographien Ostmitteleuropas“ und Alan Forrest geht der „French Republican Tradition in British Historiography“ nach. Das Wirken Markovs als Biograph reflektiert Bernd Jeschonnek, und schließlich widmet sich Wolfgang Küttler dem Revolutionsvergleich in der Forschung Markovs. Alle diese Beiträge liefern aufschlussreich und informativ Steinchen zum Gesamtmosaik des Markovschen Lebens und Werkes, wenngleich einige von ihnen doch ein wenig zu kurz gehalten sind, um mehr als nur Facetten anreißen zu können. Sehr ausführlich hingegen ist Michael Zeuskes Aufsatz zu den lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen des frühen 19. Jahrhunderts ausgefallen, auf fast sechzig Seiten verbleiben jedoch präzisere Bezüge zum Werk Markovs weitgehend im Hintergrund.
Der interessanteste Beitrag des Bandes stammt von Katja Naumann, gewidmet ist er den Auftritten Walter Markovs auf den internationalen Historikerkongressen, bei denen nach Markov die „weltweit gestreute Mafia des Wissenschaftstourismus zusammenkam und ich ihren Pulsschlag fühlen konnte“ (S. 87). Die Tagungen boten Markov, neben der nicht zu unterschätzenden Auszeit von heimischer Enge, für seine Forschungen zur Weltgeschichte wie auch zur Revolutionsgeschichtsschreibung eine periodisch wiederkehrende Gelegenheit zur Entwicklung und Präsentation seiner wissenschaftlichen Positionen sowie zur Aufnahme und Verarbeitung von Anregungen. Nachdrücklich zeigt der Beitrag Naumanns, wie wenig der Historiographiegeschichte des 20. Jahrhunderts mit bloßer Textexegese beizukommen ist, welche Erklärungsreichweite die Untersuchung disziplinärer Kommunikationsprozesse – ob brieflich, auf offener Tagungsbühne oder in informellen Restaurantrunden – bieten kann. Die breit gestreuten internationalen Allianzen Markovs verdeutlichen zudem, dass die deutsch-deutsche Beziehungs- bzw. Konfliktgeschichte nur eine, und zudem nicht unbedingt die historiographiegeschichtlich ergiebigste Sichtweise auf die internationalen Historikertage ist.
Abgerundet wird der Band durch zwei kürzere, persönliche Erinnerungen, einen anlässlich seiner Emeritierung 1974 entstandenen, bilanzierenden Text Markovs sowie schließlich eine Bibliographie seiner Schriften. Der Verzicht auf jegliche Art von Register wird eine Rezeption der Beiträge dieses, entsprechend den Forschungsinteressen Markovs thematisch durchaus vielfältigen Bandes leider nicht erleichtern.
Öffentliches Lob und Preisverleihungen ehren oftmals weniger den Gepriesenen als die Preisenden. Die in den vergangenen Jahren vielfach und durchaus zu Recht beschworene Bedeutung Walter Markovs als Historiker verhilft auch der in dunkle, abgelegene Winkel verbannten DDR-Geschichtswissenschaft zu einem wärmenden Lichtstrahl. Wie wenig diese identitätsstiftende, posthume „Geiselnahme“ jedoch dem komplexen Verhältnis Markovs zur DDR entspricht, verdeutlicht vor allem Matthias Middell in seinem einführenden Beitrag. Auch entgeht der Band in der Mehrzahl seiner Beiträge dem bloßen Bezeugen der „selbst erlebten Größe des Verehrten“, die vorgenommene historiographiegeschichtliche Einordnung seines Werkes wird Walter Markov deutlich gerechter. Dass dabei auf allzu kritische Nachfragen weitgehend verzichtet wurde, mag mit dem Ziel des Bandes einer Würdigung Markovs zu begründen sein. Allerdings, ein wenig mehr „kriminalistischer Eifer“ wäre der Spannung des Unternehmens wohl zuträglich gewesen und hätte dem kritischen Geist Walter Markovs entsprochen. Und nicht zuletzt könnte auch die zunehmend einvernehmliche Friedhofsruhe um die DDR-Geschichtswissenschaft ein wenig Störung wohl vertragen.
Anmerkungen:
1 Neben den mittlerweile acht Bänden umfassenden Walter-Markov-Kolloquien – zuletzt Klaus Kinner (Hrsg.), Der Universalhistoriker Walter Markov (1909-1993), Leipzig 2011 – sei auf Sven Heitkamp, Walter Markov. Ein DDR-Historiker zwischen Parteidoktrin und Profession, Leipzig 2003, sowie auf eine parallel zum besprochenen Band erschienene und den 100. Geburtstag Markovs 2009 zum Anlass nehmende Veröffentlichung hingewiesen: Wolfgang Küttler / Matthias Middell (Hrsg.), Nation und Revolution. Beiträge eines Wissenschaftlichen Kolloquiums der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin aus Anlass des 100. Geburtstags von Ernst Engelberg und Walter Markov, Leipzig 2011.
2 Matthias Middell, Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung. Das Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte 1890 – 1990, Leipzig 2005, v.a. der dritte Band „Von der vergleichenden Kulturgeschichte zur Revolutionskomparatistik“, S. 809-1054.
3 Vgl. auch zwei Selbstreflektionen Markovs: Zwiesprache mit dem Jahrhundert. Dokumentiert von Thomas Grimm, Berlin 1989; Wie viele Leben lebt der Mensch. Eine Autobiographie aus dem Nachlass, Leipzig 2009.