B. Isphording u.a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch

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Title
Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945. Band 4: S


Editor(s)
Isphording, Bernd; Keiper, Gerhard; Kröger, Martin
Published
Paderborn 2012: Ferdinand Schöningh
Extent
413 S.
Price
€ 118,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Middle East Forum, Philadelphia

Adolf Hitler wolle das Linzer Kloster Sankt Florian zum Altersruhesitz machen. Dieses Gerücht hörte „die Dolmetscherin des Großmuftis von Jerusalem“, der in dem Kloster im Dezember 1944 war. Auch wenn die Fama um den Alterssitz in Österreich laut Historiker Norbert Reimann der Substanz mangele 1, hegte Hitler ein Sonderinteresse am Stift und SS-Hausherren Heinrich Glasmeier. Der Reichsrundfunkintendant sollte dort nahe Linz, wo 1855 Anton Bruckner wirkte, die deutschen und europäischen Programme entfalten.

Indes Quellen mehrere Besuche des Großmuftis Amin al-Husaini „mit seinem Gefolge“ in Linz an der Donau erhärten 2, klärt nun der jüngste Band des Biographischen Handbuchs die Suche nach seiner Dolmetscherin auf: Annemarie Schimmel 1944 bis 1945. Ihr Biogramm besagt, daß sie in Berlin auch islamische Kunstgeschichte sowie Arabistik studierte und Ende 1941 den Dienst im Auswärtigen Amt als Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin im Referat Z, Chiffrier- und Nachrichtenwesen, antrat. Ihren Memoiren nach dechiffrierte sie türkische Telegramme, „weder aufregend noch brisant“: Ankaras Diplomaten hatten offenbar keine tieferen Einsichten in die Lage, oder aber sie hielten sich zurück, „so daß wir kaum etwas erfuhren, was über die normalen Informationen hinausging.“ Überdies erhellte sie ihre Arabischstudien bei „M. Zakariya Haschmi aus Aleppo“3 im Berliner Orientalischen Seminar, wo sie eine flüssige Schrift erlernte und Arabischaufsätze verfaßte.4 Aus Aleppo stammten auch einige Mitarbeiter al-Husainis.

Amerikaner internierten Schimmel von Mai bis September 1945 in Marburg. Dort an der Universität begann sie ihre Laufbahn, die sie über Bonn und Ankara nach Harvard führte. Den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt sie 1995. Sieben Jahre drauf edierte sie ihre Memoiren, die nichts über den Großmufti al-Husaini bergen. Warum wohl nicht, das muß für sie auch ein Punkt ihrer Einsichten in das System gewesen sein, berühmt wie er war. Einige sahen ihn als Vater des Globalislamismus und Palästinannationalismus an. London indes setzte 1937 auf ihn ein Kopfgeld von 25.000 Pfundsterling aus. Bis 1973 suchte er mit Kontakten in Saudi-Arabien, Iran und Pakistan ihm bekannte Deutsche.

Zwar ist nichts über Schimmels Wechsel in den Sprachendienst oder in das Referat VII (Orient) der Politischen Abteilung bekannt, jedoch war ihr punktuelles Wirken für Amin al-Husaini wahrscheinlich, zumal das Auswärtige Amt für den Würdenträger als Hitlers Gast seit Oktober 1941 sowohl die amtlichen Betreuer als auch die Dolmetscher gestellt hat. Da er Französisch und Englisch sprach, dolmetschte Paul Schmidt bei dessen einzig bekannten Treff mit Hitler am 28. November 1941. Aber beide trafen sich öfter. Zeichen davon finden sich in den Dienstkalendern von al-Husaini und jüngst auch von Heinrich Himmler.5

Laut Großmufti weilte er jährlich im ostpreußischen Quartier des SS-Führers an der Front „direkt in Hitlers Nachbarschaft“. Offen ist für 1942, wer Arabisch dolmetschte. Aber für 1943 ist Curt M. Prüfer zu vermuten. Unklar war 1944 bis 1945, wen das Auswärtige Amt als Arabischdolmetscher stellte, zumal Mustafa Wakil bald ausfiel. Martin Abel, der Texte al-Husainis übertrug, oder Hans Wehr waren es wohl nicht. Als Großmuftibetreuer dienten Fritz Grobba bis Ende 1942, Erwin Ettel, Curt M. Prüfer bis Ende 1943 und dann Wilhelm Melchers. Nur Prüfer sprach fließend Arabisch. Ab September 1942 lebte er ein Jahr in Berlin, traf oft den Großmufti. Beide mochten sich, ehe er in die Schweiz ging. Hingegen vertrugen sich al-Husaini und Melchers nicht. Ab Mitte 1944 bis Februar 1945 weilte der Kleriker im sächsischen Kurort Oybin. Dazwischen war er in Berlin und Linz. Übersetzer wurden rar. Als Schimmel auftrat, ging es bald um al-Husainis Fluchtwege.

Neben Schimmel erfaßt dieser Band noch fünf Frauen unter 407„S“-Angehörigen des höheren Auswärtigen Dienstes 1871 bis 1945. Aufgrund der Personalunterlagen und der anderen Quellen informiert das Werk über Lebensdaten, Herkunft, Familie, Konfession, Ausbildung, Parteizugehörigkeit und Stationen der Laufbahn inner- und außerhalb des Dienstes. Die Artikel enthalten Fotos, bibliographische Hinweise und Angaben zum Verbleib des Nachlasses, sofern bekannt. Wenn der Leser Mittelost im Fokus hat, ist der Nachlaßverbleib zuweilen offen, darunter bei: Elisabeth Sechtem, die seit 1939 im Amt Ausland/Abwehr wirkte, und bei Gustav Adolf Sonnenhol, der im Weltkrieg für die SS in Paris, Casablanca und Tanger war. Es gibt viele weitere aufschlußreiche Einträge, so über Franz Alfred Six, zutiefst verstrickt in das Dritte Reich, und Friedrich W. Graf von der Schulenburg, der bereits ab 1917 Juden in Bairut und Damaskus beschützte 6, am 20. Juli 1944 im Widerstand gegen Hitler verhaftet und dann zum Tode verurteilt wurde. Und der erhoffte Nachlaß Ferdinand Seilers ist im Auswärtigen Amt: er war in der Niedermayer-Hentig-Expedition nach Kabul, floh 1916 als Gefangener der Briten, um im Folgejahr auf deutscher Seite wieder in Kurdistan und Palästina aufzutauchen. Was fällt zudem auf?

Die Generationen 1880 bis 1890, die es in den Weltkriegen besonders traf, lebten noch sehr dicht an deutschen Dichterfürsten. Viele hochgebildete Personen, die sich ab und an selbst in der Belletristik erprobten. Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen galt ab 1887 einem Dutzend als Hort, von Emil Schabinger bis Moritz Sobernheim. Berthold Spulers Kombination der Slawistik/Orientalistik war nicht so selten. Ihr Hintergrund mag aber noch erkundet werden und die Ergebnisse sind überraschend. Aber wer möchte auch behaupten, daß die russische und mittelöstliche Geschichte so grundverschieden ausfiel?

Paul Schroeder, der bis 1867 in Halle und Berlin Orientalistik und Geschichte studierte, war eine Schwalbe am Dragomanenhimmel in Istanbul, Bairut und Jerusalem. Fremde Sprachen sind heute Standard. Vom Kaiserreich künden Leute der Deutschen Orientbank und des Kolonialamts. Deren Familien gediehen Kinderreich: zehn allein bei Lothar von Schweinitz. Andere wie Willi G. Steffen benutzten ihre Missonarsarbeit, um bis 1927 an der Amerikanischen Universität Kairo Arabisch zu erlernen. Vier Dekaden später war er Bonner Botschafter in Madagaskar. Sein epochaler Weg: von Weimar über Berlin nach Bonn; Republik, Diktatur, dann in die eine Demokratie der Zweistaatlichkeit. Stichworte der braunen Ära lauten: „Führererlaß vom 19. Mai 1943 gegen international gebundene Männer“ in Staat, Partei und Militär, der Eduard von Selzam traf, sowie nach 1949 die „Wiedergutmachungsbescheide“, die so wenig reparieren konnten. Alles in allem: ein solides Referenzwerk, dessen Biogramme jetzt in E-Medien wie Wikipedia einfließen.

Anmerkungen:
1 Norbert Reimann, Heinrich Glasmeier. In: Westfälische Lebensbilder, Veröffentlichungen der Historischen Kommission des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde, Münster, 17 (2005), S. 180-181 [http://www.lwl.org/waa-download/pdfdownload/glasmeier_4.pdf].
2 Amin al-Husaini, Mudhakkirat al-Hajj Muhammad Amin al-Husaini (The Memoirs of al-Hajj Muhammad Amin al-Husaini), hrsg. von. Abd al-Karim al-Umar, Damascus 1999, S. 224-225 [http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/2013_11_06/Wolfgang%20G%20Schwanitz%20Bomben%20auf%20die%20Zionisten.pdf]: In seinen Memoiren spricht der Großmufti al-Husaini über seine Reisen nach Bad Gastein, Bad Elster und Strassburg 1944 bis 1945. Auf solchen Wegen habe er eine Woche im berühmten Schloß residiert, das Hitler für den Aufenthalt einiger seiner Gäste auserwählt hatte. Quellen zu al-Husainis Besuchen in Linz im März und November 1944 sowie im Februar 1945, in: Wolfgang G. Schwanitz, Islam in Europa, Revolten in Mittelost, Berlin 2013, S. 319 [http://geschichte-transnational.clio-online.net/rezensionen/id=21142&type=rezbuecher&sort=datum&order=down&search=schwanitz&segment=16anitz&segment=16].
3 Offen ist, ob es sich um den Syrer Muhammad Yahya Haschimi oder einen Verwandten handelt. Geboren 1903, weilte er ab 1923 in Stuttgart, Berlin und Bonn. Ab 1926 war er in Amin al-Husainis und Shakib Arslans Europakreisen, so 1927 im Stiftungsrat des Berliner Islam-Instituts unter dem Syrer Abd an-Nafi’ Shalabi. Gruppen dieses frühen islamistischen Instituts übernahmen bald die Moschee der Ahmadiyya (Lahore), an deren Imam sich Schimmel für Arabischstudien gewandt hatte. Haschimi leitete das Islam-Institut 1933 bis 1934. Bis 1937 war er Arabischlektor am Seminar für Orientalische Sprachen, soll dann nach Syrien gegangen sein. Schimmel studierte ab 1939 an der Berliner Universität. Im Oktober 1937 hatte sie Arabischstudien bei Hans L.G. Ellenenberg in Jena begonnen. Der „Efendi“ diente er im Ersten Weltkrieg und war im Bund der Asienkämpfer. Im Zweiten Weltkrieg übersetzte er auch Arabisch und Türkisch in der Berliner„Auslandsbriefprüfstelle“.
4 Annemarie Schimmel, Morgenland und Abendland. Mein west-östliches Leben, München 2002, S. 42, 48-52 [http://www.trafoberlin.de/pdf-Neu/Annemarie%20Schimmel%20Morgenland%20und%20Abendland.pdf].
5 Al-Husaini, S. 124; Faksimilia der den Großmufti betreffenden Einträge aus Himmlers Dienstkalender 1943- 1944 in: Schwanitz, Islam in Europa, S. 181f., Anmerk. 2.
6 Dazu mein Review-Artikel „Genocide and Attempted Genocide in the Ottoman Empire“. Taner Akçam, The Young Turks’ Crime Against Humanity. The Armenian Genocide and Ethnic Cleansing in the Ottoman Empire, in: Scholars for Peace in the Middle East, 20.08.2013, S. 7 [http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/2013_08_01/Wolfgang%20G%20Schwanitz%20Genocide.pdf].

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14.02.2014
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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