Adolphe-François Loève-Veimars fand bislang in der Literaturwissenschaft kaum Beachtung. Die materialreiche Freiburger Dissertation von Leslie Brückner macht deutlich, dass diese interessante Figur aus mehreren Gründen eine eingehende Beschäftigung lohnt. Sie kann zeigen, dass der erste französische Übersetzer von E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine als „bedeutender Pionier des deutsch-französischen Kulturtransfers zu Beginn der Julimonarchie“ (S. 511) gelten kann.
Brückner situiert sich in der Kulturtransferforschung. So hebt sie im Eingangskapitel hervor, ihr gehe es darum, Loève-Veimars als „exemplarische Figur seiner Zeit“ (S. 2) zu profilieren, als „Mittlerfigur, an der sich transnationale Verflechtungen der Literatur- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts aufzeigen lassen“ (ebd.). Brückner verfolgt mithin einen biographischen und literatursoziologischen Ansatz; ein wesentlicher Schwerpunkt ihrer verdienstvollen Studie liegt folglich auf der Sammlung und Präsentation (zum Teil entlegener) Quellen, die ein bezeichnendes Licht auf den französischen Literaturbetrieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werfen. Daneben widmet sich Brückner in textnahen Analysen den Übersetzungen Loève-Veimars' und geht abschließend auch auf seine diplomatischen Schriften ein.
Ein erster ausführlicher Teil ist der Biographie Loève-Veimars' gewidmet. Sie liest sich als Aufsteigergeschichte mit kuriosen, zum Teil grotesken Zügen, die reichlich Stoff für einen Roman böte. Tatsächlich ist diese Figur in hohem Maße faszinierend. Brückner zeichnet sein ereignisreiches Leben nach, das den Sohn wohl aus Hamburg nach Paris ausgewanderter Juden von Tätigkeiten als Literat, Kritiker und Übersetzer bis hin zu Botschafterposten in Bagdad und Caracas führte. Höchst aufschlussreich ist die Verknüpfung von Politik und Literatur, die an Loève-Veimars' Lebenslauf deutlich wird. So kam seine diplomatische Karriere nur dadurch zustande, dass Adolphe Thiers einen unbequemen Kritiker loswerden wollte und ihn mit Ämtern bestach.
Im zweiten Großabschnitt ihrer Studie analysiert Brückner Loève-Veimars' Übersetzungen vor dem Hintergrund zeitgenössischer Übersetzungsdebatten, die die Verfasserin übersichtlich präsentiert. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Übersetzungen der historischen Romane von Heinrich Zschokke, von E.T.A. Hoffmanns Erzählungen und von Heinrich Heines Reisebildern. Sie kann aufzeigen, dass Loève-Veimars dem Prinzip der einbürgernden Übersetzung festhält und möglicherweise gerade dadurch Hoffmann und Heine in Frankreich popularisieren kann.
Der deutlich erkennbare Bruch in Loève-Veimars' Leben schlägt sich auch in den Texten nieder, die im Fokus von Brückners Interesse stehen.Der letzte Teil ihrer Studie ist seiner diplomatischer Karriere gewidmet. Auch hier legt Brückner den Fokus auf seine Mittlerrolle und stellt seine unpublizierten Gesandtschaftsberichte in den Mittelpunkt. Dabei weitet die Verfasserin immer wieder die Perspektive und nimmt etwa den zeitgenössischen Orientdiskurs in den Blick.
Das wesentliche Verdienst von Brückners Dissertation besteht darin, erstmals das weit verstreute und zum Teil nur schwer zugängliche Quellenmaterial und Lebenszeugnisse gesammelt und aufbereitet zu haben. So entsteht ein anschaulich präsentiertes Zeitpanorama, das anhand einer bedeutenden und bislang zu Unrecht vernachlässigten Figur wichtige Einsichten des deutsch-französischen Kulturtransfers in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bietet. Dass die Entdeckerfreude der Verfasserin dabei in manchen Fällen zu Redundanzen führt, ist angesichts der enormen Materialfülle, die zu bewältigen war, leicht zu verschmerzen.