Band fünf des nützlichen Hauptwerks über die Persönlichkeiten des Auswärtigen Dienstes von der Reichsgründung bis zum Reichsuntergang liegt nunmehr vor. Die Historiker um Martin Kröger haben diesen Schlussakkord des Biographischen Handbuchs gesetzt. Kröger murmelte zwar ab und an, nicht mit dem Archiv verheiratet zu sein, jedoch erhellen die hilfreichen Nachträge zu den Bänden seit dem Millennium und das Gesamtregister, dass ihn sicherlich mehr als nüchterne Distanz angetrieben haben muss. Denn diese Aufgabe geriet nicht leicht, zumal periodische Debatten um die Existenz des Politischen Archivs im Lichte der Rolle des Auswärtigen Amts „im Schatten der Endlösung“ die Archivare Kraft kostete. Vom gediegenen Auskunftsdienst abgesehen, wenn es denn eines Beweises für den Sinn dieses Archivs bedarf, mag jeder fortan in diesen fünf Bänden nachschlagen.
Die T-Z-Biogramme, deren Aufnahmekriterien Band eins birgt, umfassen mit Nachträgen etwa 460 Personen geteilt nach Lebensdaten, Herkunft, Familie, Konfession, Ausbildung, Parteizugehörigkeit und Stationen der Laufbahn inner- und außerhalb des Dienstes. Die Artikel enthalten Fotos (neue bei Ergänzungen), bibliographische Hinweise und, sofern bekannt, Angaben zum Verbleib des Nachlasses. Die Nachträge betreffen vor allem Band eins und Angestellte, die nur kurz im Auswärtigen Dienst beschäftigt gewesen sind, auch Angehörige der Kolonialabteilung sowie Juristen an Gemischten Schiedsgerichten.
Wer sich für Männer und Mächte in Mittelost interessiert (Damen waren im Auswärtigen Dienst Ausnahmen, lediglich sechs in Band fünf), trifft auf Paul Graf Wolff Metternich zur Gracht, Otto-Günther von Wesendonk und - in Band eins - auf Graf Johann-Heinrich von Bernstorff. Denn was nun dürr alphabetisch nebeneinander steht, war einst eng im Leben vernetzt, was ich anhand von Gesandten aus dem Mittelostflügel im Auswärtigen Amt und ihren Partnern in Berlin, Istanbul und Kairo im Ersten Weltkrieg verdeutlichen will.
Metternich schlug eine Dekade nach der Reichsgründung seine Diplomatenbahn ein und weilte in London und Kairo. An der Themse war er ein Jahrzehnt bis vor dem Weltkrieg Botschafter, um 1915 ein Jahr die Botschaft in Istanbul zu leiten, ehedem Konstantinopel. Ihn löste im September 1917 Graf Johann-Heinrich von Bernstorff ab, der in Memoiren melancholisch unterstrich, dorthin zu gehen, wo er vor 30 Jahren seine Laufbahn begann und sie beenden sollte. Metternich wurde 1853 geboren. Die beiden Kaiserlichen trennte nur eine Dekade. Sie dienten in London und, naheliegend, je als Generalkonsul in Kairo.
Der Jüngere wurde 1908 Botschafter in Washington, bis zu Amerikas Eintritt in den Krieg. Staatssekretär Richard von Kühlmann – geboren in Istanbul 1873, zumal sein Vater Otto Generaldirektor der Anatolischen Eisenbahn war – wies von Bernstorff an, “den Türken Konzessionen abzuringen“, damit Friede zustande komme. Daher erklärte der Großwesir Talat Pascha am 12. August 1918 eine „Osmanische Balfour Deklaration“. So bejahte die letzte muslimische Regierung in Istanbul für Juden eine nationale und religiöse Heimstatt durch Einwanderung und Kolonisation. Das noch weithin unbekannte Dokument erschien drei Wochen später in The Jewish Chronicle und sorgte für Unruhe unter Arabern. Es reflektierte einen projüdischen, später prozionistischen Kurs Wilhelms II. im Weltkrieg.
Sowohl Metternich als auch von Bernstorff hatten mit dem Berliner von Wesendonk zu tun, der in der am stärksten propagandistisch tätigen Behörde des Auswärtigen Amts arbeitete, in der Nachrichtenstelle für den Orient, die einen Zweig in der Istanbuler Botschaft hatte. Dafür waren dessen 60 Kollegen vom Kriegsdienst befreit. Zu dieser Gruppe gehörten um die 22 Islamisten, die oft in Doppelrollen bei „national-orientalischen Organisationen“ wirkten. Abgesehen von nahen und fernen Einsätzen auf den zwei Dutzend Jihad-Expeditionen in der deutsch-osmanischen Jihadisierung des Islam, überlieferte von Wesendonk eines der beredtsten Zeugnisse dieses Destabilisierungskurses: Der Bericht zur Nachrichtenstelle 1914-1918 samt Katalog der Publikationen nach Sprachen, Perioden, Flugblättern, Büchern und Broschüren geordnet. Das waren 1.012 Publikationen in drei Millionen Exemplaren, neun europäischen und 15 islamischen Sprachen von Oktober 1914 bis Juli 1918. Es galt das Prinzip, in Islamfragen nur Kleriker im Berliner Sinn auftreten zu lassen, so bei Jihadfatwas.
Die Abteilungen wirkten regional: Türkei, Persien, Arabien, Indien und Russland. Ihnen gleichgeordnet waren die Redaktionen der Gefangenenzeitungen, etwa Al-Jihad, und der Neue Orient, der Ostasien einbezog. Vielerlei Gründungen gehörten dazu: Nationalkomitees für Unabhängigkeit, Vereine, Freundschaftsgesellschaften; bis zu 75 Lesesäle als Zentren der Agitation im Osmanischen Reich; islamistische Bruderschaften, über die dann der Jihad unter Muslimen propagiert wurde. Die Zensur der Medien und Feldpost kostete viel Zeit. Dies betraf 1917 auf Türkisch 41.117 Briefe und Karten nebst 400 Grammophonplatten.
Im Auftrag von Kriegsminister Enver Pascha formten die Kreise den Glaubenskrieg aus: vor 1914 vereinte der Ägypter Abd al-Aziz Jawish Araber und Inder. Er hielt sie dazu an, islamistische Bruderschaften wie Khuddam al-Makka oder Diener Mekkas zu bilden. Als Mitarbeiter der Nachrichtenstelle gründeten sie Zeitungen, so Jawisch und Abd al-Malik Hamza in Berlin und in Istanbul auf Deutsch und Arabisch die bunte Monatsschrift "Die Islamische Welt". Hamza edierte 1917 die Theorie des Islamismus. Zu Kriegsbeginn schuf Salih at-Tunisi die neue Doktrin eines koalitionären Teiljihads, also mit „befreundeten Ungläubigen“, die Mittelmächte, gegen „verfeindete Ungläubige“, die Alliierten. Nach dem Kriege globalisierten sie den Islamismus, so im Berliner Islam-Institut und in Genf.
Die Geschichte ist sehr lebendig: nur 100 Jahre nach dem Start des deutsch-osmanischen Jihadismus am 14. November 1914 in Istanbul wandten sich Sunnigelehrte in einem offenen Brief an den Bagdader Kalifen gegen willkürliche Jihadrevolten; ein Kalifat ohne Konsens aller Muslime; und Menschen "Ungläubige" zu nennen. Ägyptens Großscheich der al-Azhar-Universität Ahmad M. at-Tayyib erhellte den „Fluch des Terrors“ am 22. Februar in Mekka. Dieser entspringe weder Armut noch Kerkern, sondern der historischen Akkumulation von Extremismus und Militanz im Regionalerbe. Präsident as-Sisi erklärte in Kairo im „Wall Street Journal“ vom 20. März 2015 gar, radikale Fehlkonzepte zum Islam seien in Mittelost vor 100 Jahren installiert worden. Heute sehe man die Ergebnisse. Er bekämpft speziell die globale Ideologie des Islamismus. Die hier angezeigte Publikation hilft, die früheren Netzwerke durch eine Vielzahl sorgfältig erarbeiteter Biogramme zu rekonstruieren.