In einer globalisierten Welt machen Ideen und Menschen nicht an den Landesgrenzen halt. Kein Wunder deshalb, dass sich die sozialwissenschaftliche und historische Forschung seit den 1990er-Jahren vermehrt dem Phänomen der Transnationalität widmet. Während der Fokus zunächst auf gewaltlosen Protestbewegungen im Westen lag, ist in jüngerer Zeit eine Verschiebung des Interesses auf die Dritte Welt zu beobachten.1 Gerade der Nahe Osten scheint auf Historiker transnationaler Bewegungen eine besondere Anziehungskraft auszuüben, wie sich auch in einer anderen Arbeit zur Zusammenarbeit palästinensischer und linker Terrorgruppen zeigt.2 Zu erwähnen sind auch Arbeiten zu ausländischen Kriegsfreiwilligen, so genannten ‚foreign fighters‘ – ein Thema, das angesichts der Ereignisse in Syrien besondere Aktualität genießt – und zur transnationalen Dimension islamistischer Aktivisten.3
Viel zu lange hat die historische Forschung den Nahen Osten lediglich als Spielfeld der Großmächte betrachtet und die aktive Außenpolitik arabischer Akteure, gerade auch nichtstaatlicher Akteure, ignoriert, wie der amerikanische Historiker Paul Chamberlin schon 2011 in einem Aufsatz feststellte: „Meanwhile, foreign relations specialists have been interested primarily in the Arab–Israeli conflict, the impact of the Cold War, and the struggle between regional powers like Egypt, Syria, and Israel. As a result, the transnational dimensions of the PLO’s foreign relations remain largely unexplored.”4 Dieses Manko sucht er zu beheben. Im Vorwort verspricht Chamberlin, die Außenpolitik der PLO zwischen 1967 und 1975 und deren Einfluss auf eine neu zu entstehende Weltordnung zu beschreiben sowie sie im Kontext der Außenpolitik der USA, des Kalten Krieges und der globalen anti-kolonialen Befreiungsbewegung zu verorten.
In den ersten beiden Kapiteln zeigt Chamberlin auf, wie die PLO gezielt Anschluss an die Netzwerke der Linken im Westen und der antiimperialistischen Kräfte in der Dritten Welt suchte. Diese Strategie, die Chamberlin „globale Offensive“ nennt, verfolgte das Ziel, den arabisch-israelischen Konflikt zu internationalisieren. Sie wurde unter anderem mittels einer geschickten Kommunikationsstrategie umgesetzt, die den palästinensisch-arabischen Kampf gegen Israel als antikolonialen Konflikt darstellte. Wie Chamberlin aufzeigt, ließ man sich hier insbesondere vom algerischen und vietnamesischen Vorbild inspirieren – auf teils überraschend direkte Art. So soll der nordvietnamesische General Vo Nguyen Giap Arafat empfohlen haben, damit aufzuhören, über die Vernichtung Israels zu sprechen, und seinen Terrorkrieg stattdessen in einen Kampf für Menschenrechte zu verwandeln: „Then you will have the American people eating out of your hand“. (S. 62)
Der Kalte Krieg und der Wettkampf zwischen der Sowjetunion und Chinas um die Sympathien der Dritten Welt verliehen der palästinensischen Nationalbewegung zusätzliche, unverhältnismäßige Bedeutung. Nicht nur China, das die palästinensischen Guerilla- und Terrorgruppen mit Waffen versorgte, sondern auch eher zweitrangige Akteure wie Kuba sahen im arabisch-israelischen Konflikt eine wichtige Front im weltweiten Kampf gegen einen angeblichen ‚Neo-Imperialismus‘, als dessen Hauptträger die USA identifiziert wurde. Ein lokaler Konflikt nahm so letztlich die Dimensionen einer “globalen Widerstandsbewegung” an, die auf Rebellionen in späteren Jahrzehnten starken Einfluss ausüben sollte (S. 153). Die Allianz der PLO mit den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt und der globalen Linken war also nicht oder nicht nur die Folge einer Konvergenz der Interessen, sondern vor allem Resultat einer bewussten außenpolitischen Strategie der PLO.
Die „globale Offensive“ besaß neben der diplomatischen auch eine militärische Ebene. Während Israel in der Bekämpfung der militärischen Dimension dieser Offensive erfolgreich agierte, hatte es der diplomatischen Offensive nur wenig entgegenzusetzen. Nicht zuletzt aus diesem strategischen Versagen Israels ist der Erfolg der Diplomatie der PLO zu erklären, der es nach den ersten, mäßig erfolgreichen Guerillaoperationen gegen Israel gelang, große Teile der Weltöffentlichkeit und der UNO einseitig zu einer Verurteilung der darauf folgenden israelischen Vergeltungsaktionen zu bewegen, nicht aber der palästinensischen Aktionen, die ihnen vorausgegangen waren (S. 74–75). Auch der internationalen Terrorismus der Fatah und der PFLP, der in den Angriffen auf den Tel Aviver Flughafen sowie auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972 zu einem traurigen Höhepunkt gelangte, vermochte die diplomatische Offensive der palästinensischen Nationalbewegung nicht zu bremsen. Im Gegenteil gelang es der PLO und den arabischen Staaten durch eine geschickte Außenpolitik, die Dritte Welt auf die Seite der palästinensischen Nationalbewegung und des Kampfs gegen Israel zu bringen. Die Versuche der USA, im UNO-Sicherheitsrat und in der Generalversammlung einen Konsens zur Bekämpfung des Terrorismus finden, scheiterten. Insbesondere die afrikanischen Staaten befürchteten, die Befreiungsbewegungen gegen die Kolonialmächte könnten unter die Terrorismusdefinition fallen und standen dem Anliegen deshalb trotz amerikanischer Annäherungsversuche ablehnend gegenüber. Statt den Terror zu bekämpfen, verurteilte die UN-Generalversammlung die Israelischen Luftschläge gegen Fatah-Trainingslager im Libanon und stärkte der palästinensischen Nationalbewegung den Rücken.
Im letzten Kapitel und im Schlusswort befasst sich Chamberlin mit der Shuttle-Diplomatie Kissingers und dem Scheitern einer umfassenden Friedenslösung für den arabisch-israelischen Konflikt. Dabei übt er scharfe Kritik an allen Seiten: So hätten die USA zu wenig Druck auf Israel aufgebaut, um diese zu einem diplomatischen Einvernehmen mit der arabischen Seite zu bewegen und stattdessen darauf gesetzt, die PLO militärisch und diplomatisch an den Rand zu drängen. Doch auch gegenüber der PLO spart Chamberlin nicht mit Kritik. Sie habe nicht aktiv eine Rolle im Friedensprozess gesucht und habe öffentlich an maximalistischen Positionen – die Eroberung des gesamten ehemaligen Mandatsgebietes – festgehalten. Chamberlin spricht vom strategischen Versagen der PLO und sucht hierfür viele Erklärungen, doch die einfachste, die sich nach der Lektüre freilich aufdrängt, diskutiert er nicht: Dass der Maximalismus die genuine Position der PLO war und die Staatsbildung im besten Falle nur als Etappenschritt zur Erreichung irredentistischer Ziele wahrgenommen wurde. Auch an anderer Stelle bleiben Zweifel an der Argumentation Chamberlins. So behauptet er, die PLO wäre 1974 zur Anerkennung Israels bereit gewesen (S. 232), obwohl sie seinerzeit öffentlich betonte, dass sie einen inkrementellen Ansatz verfolge, das heißt dass sie nach der Etablierung eines palästinensischen Staates in der Westbank und Gaza die Eroberung des gesamten ehemaligen Mandatsgebietes verfolgen würde. Auf der Grundlage von Aussagen, die PLO-Vertreter gegenüber westlichen Diplomaten gemacht haben, hält er die öffentliche Haltung der PLO für reine Rhetorik. Dass diese Aussagen gegenüber westlichen Diplomaten nicht ebenfalls Teil der PLO-Strategie gewesen sein könnten, reflektiert Chamberlin nicht.
‚The Global Offensive‘ ist ein wichtiges Buch, das der Forschung zum arabisch-israelischen Konflikt neue Impulse verleihen kann. Insbesondere die Austauschprozesse zwischen der PLO und anderen Bewegungen der Dritten Welt und die Beschreibung der PLO als unabhängiger und erfolgreicher außenpolitischer Akteur können für die Forschung wegweisend sein. Vieles davon ist jedoch schon aus dem anfangs erwähnten Artikel Chamberlins von 2011 bekannt. Statt diesen Gesichtspunkt konsequent weiterzuverfolgen und auszubauen, widmet Chamberlin einen umfangreichen Teil seines Werkes dem Handeln der amerikanischen Diplomatie im Nahen Osten, um diese – nicht immer überzeugend – zu kritisieren. Dies wird wohl nicht zuletzt der Quellenauswahl geschuldet sein, die sich vor allem auf amerikanische Archive und arabische Literatur stützt. Kontinentaleuropäische Archive und jene des ehemaligen Ostblocks, die zur Erhellung der transnationalen Dimension der palästinensischen Nationalbewegung hilfreich sein dürften, fehlen jedoch gänzlich. Trotz all seiner Verdienste stellt das Buch deshalb auch eine vergebene Chance dar, eine wahrhaft transnationale Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung zu schreiben.
Anmerkungen:
1 Vgl. Thomas Hegghammer / Joas Wagemakers, The Palestine Effect. The Role of Palestinians in the Transnational Jihad Movement, in: Welt des Islams 3–4 (2013), pp. 284f.
2 Ely Karmon, Coalition between Terrorist Organizations: Revolutionaries, Nationalists and Islamists, Leiden 2005.
3 Siehe etwa David Malet, Foreign Fighters. Transnational Identity in Civil Conflicts, Oxford 2013; Thomas Hegghammer, The rise of Muslim Foreign Fighters. Islam and the globalization of Jihad, in: International Security 3 (2010/11), pp. 53–94.
4 Paul Chamberlin, The Struggle Against Oppression Everywhere. The Global Politics of Palestinian Liberation, in: Middle Eastern Studies 1 (2011), pp. 25f.