R. Quaas: Fair Trade

Cover
Titel
Fair Trade. Eine global-lokale Geschichte am Beispiel des Kaffees


Autor(en)
Quaas, Ruben
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
432 S., 11 Abb., 14 Grafiken
Preis
€ 39,90
Rezensiert für Connections. A Journal for Historians and Area Specialists von
Benjamin Möckel, Historisches Institut, Universität zu Köln

„Fair“ gehandelte Produkte sind zu einem ubiquitären Phänomen des Konsumalltags geworden. Die Branche vermeldet seit Jahren neue Umsatzrekorde und veröffentlichte erst jüngst Bilanzen für das Jahr 2014 mit Wachstumsraten von bis zu 25 Prozent. Verbunden ist diese Entwicklung mit einer ungebrochenen medialen Aufmerksamkeit, in der „Fair Trade“ als Symptom eines Wandlungsprozesses gedeutet wird, durch den moralisch aufgeladene Konsumhandlungen eine immer größere Bedeutung für zeitgenössische Lebensstile erhalten würden.

Es überrascht daher nicht, dass das Thema mittlerweile auch die Wissenschaft erreicht hat. Das gilt bislang jedoch vor allem für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die den „fairen Handel“ einerseits als ökonomisch relevantes Marktsegment entdeckt haben und ihn andererseits als Phänomen gesellschaftlicher Veränderungen von Moralvorstellungen, politischer Partizipation und Konsumverhalten interpretieren. Die Geschichtswissenschaft dagegen hat hierzu – zumindest für die Bundesrepublik – bislang keine empirisch fundierten Beiträge geleistet.1 Ruben Quaas’ an der Universität Bielefeld entstandene, von Angelika Epple betreute Dissertation kann daher mit gutem Recht als Pionierstudie bezeichnet werden, welche die Geschichte des „fairen Handels“ zum ersten Mal analytisch fundiert und quellennah untersucht.

Der genuine Beitrag einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit liegt dabei nicht so sehr in einem ereignisgeschichtlichen Abriss der Entstehung der „Fair-Trade-Bewegung“. Hier bietet die Arbeit wenig Überraschendes, das sich nicht auch in anderen Publikationen finden würde. Interessanter ist stattdessen die Frage, in welcher Weise es dem Autor gelingt, diese Entwicklungen in spezifische gesellschaftliche Kontexte und politisch-soziale Entstehungsbedingungen einzuordnen. Existierende Darstellungen der Geschichte des „fairen Handels“ stammen oftmals von früheren Protagonisten des Feldes oder aus Jubiläumsschriften wichtiger Institutionen; sie sind daher häufig durch ein Narrativ kontinuierlichen Wachstums und eine logische Abfolge institutioneller Lernprozesse gekennzeichnet. Eine historische Analyse des Feldes wird sich daran messen lassen müssen, ob es ihr gelingt, sich von der Suggestionskraft solcher teleologischer Narrative zu lösen und die Geschichte des „fairen Handels“ in die sozialen, kulturellen und ökonomischen Kontexte der Zeitgeschichte einzufügen.

Quaas setzt hierzu kluge Schwerpunkte, die er in der Einleitung klar benennt. Zum einen fokussiert er auf die Waren selbst als die zentralen Bedeutungsträger des „fairen Handels“. Unter Rekurs auf die Arbeiten des Ethnologen Arjun Appadurai betont er die kulturelle und kommunikative Dimension der Produkte, die ihren Sinn eben nicht allein aus ihrer materiellen Dimension erhielten, sondern auf der Grundlage sozial konstruierter Bedeutungszuschreibungen. Die Produkte des „fairen Handels“ definiert er in diesem Sinne als „globale Waren“ (S. 33).

Der zweite Schwerpunkt liegt auf den Akteuren des „fairen Handels“. Quaas operiert methodisch mit dem Begriff des „sozialen Feldes“ und wendet sich explizit gegen eine Interpretation des „fairen Handels“ als (sozialer) Bewegung. Der Rekurs auf Pierre Bourdieu bietet hier in der Tat eine Reihe von Vorteilen: Quaas kann die feldinternen Macht- und Deutungskonflikte herausarbeiten, die für die Geschichte des „fairen Handels“ immer wieder von zentraler Bedeutung waren. Darüber hinaus lassen sich auf diese Weise auch spätere Entwicklungen der Marktexpansion analytisch fassen, die in Rekurs auf eine politisch-soziale Bewegung kaum erklärt werden könnten. Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr, mit dem Feldbegriff die zentrale Bedeutung individueller Akteure aus dem Blick zu verlieren – und dies in einem Bereich, der in großem Maße durch die Aktivitäten (und Konflikte) charismatischer Einzelpersonen geprägt war. Es ist daher kein Nachteil, dass Bourdieus theoretisch-methodische Anregungen im empirischen Teil eher pragmatisch aufgegriffen werden.

Quaas stützt seine Analyse auf den „fair“ gehandelten Kaffee als exemplarischen Untersuchungsgegenstand. Diese Fokussierung auf ein konkretes Produkt ist methodisch nachvollziehbar und gibt der Arbeit eine klare empirische Substanz. Wie der Autor argumentiert, ist das Beispiel des Kaffees besonders aussagekräftig, weil es das mit Abstand wichtigste Produkt des „fairen Handels“ war, an dem auch die meisten Innovationen des Feldes zuerst vollzogen wurden. In der Tat ist Kaffee bis heute das ikonische Produkt des gesamten „fairen Handels“, dem womöglich nur der Jute-Beutel für einen gewissen Zeitraum symbolpolitische Konkurrenz machen konnte. Es wäre allerdings spannend gewesen, diese Tatsache selbst zu problematisieren. Zu überlegen wäre dann, welche historischen Gründe dafür sorgten, dass andere Konsumsegmente – etwa Kleidung, elektronische Produkte oder Grundnahrungsmittel – erst sehr viel später, in sehr viel geringerem Maße oder sogar beinahe gar keinen Eingang in den „fairen Handel“ gefunden haben. In Fortsetzung von Appadurais Überlegungen ließe sich dann vermuten, dass verschiedene Produkte auch unterschiedliche Potenziale der symbolisch-kulturellen Aufladung besitzen.

Die Arbeit gliedert sich in vier Hauptkapitel. Nach dem ersten Teil zur Entstehungsgeschichte des „fairen Handels“ sind es vor allem die beiden folgenden Kapitel, die den empirischen Kern und die stärksten Teile des Buches bilden. In ihnen stellt Quaas zunächst unterschiedliche Kaffeesorten vor, die in den 1970er- und 1980er-Jahren im „fairen Handel“ von Bedeutung waren: im ersten Fall der so genannte Indio-Kaffee, der ab 1973 als erster „fairer“ Kaffee aus Guatemala importiert wurde, und im folgenden Kapitel der aus Nicaragua importierte Kaffee, der im Kontext der sandinistischen Revolution an der Wende zu den 1980er-Jahren zum Symbolprodukt des nun so genannten „alternativen Handels“ wurde. Beide Kapitel zeigen eindrucksvoll, wie fruchtbar die Fokussierung auf konkrete Produkte sein kann. Sehr deutlich lässt sich dabei erkennen, wie diese Produkte durch ihre sozialen Zuschreibungen und symbolischen Inszenierungen überhaupt erst als moralisch relevante Alltagsdinge definiert wurden. Darüber hinaus lassen sich anhand der unterschiedlichen Kaffeesorten auch verschiedene Akteursgruppen differenzieren und die Deutungskämpfe innerhalb des „fairen Handels“ als sozialem Feld nachvollziehen: Kauf und Konsum eines Kaffees konnten demnach völlig unterschiedliche Bedeutungen erhalten, je nachdem, ob man mit dem Indio-Kaffee der Fedecocagua-Genossenschaft unabhängigen Kleinbauern helfen oder mit dem Nicaragua-Kaffee die sandinistische Revolution unterstützen wollte.

Das letzte Hauptkapitel betrachtet schließlich jene Entwicklung, die die Geschichte des „fairen Handels“ aktuell am stärksten prägt: die Vergabe von Gütesiegeln und Zertifikaten sowie die hiermit verbundene Etablierung des „fairen Handels“ im konventionellen Massenkonsum. Zeitlich endet die Arbeit mit der Einführung des Trans-Fair-Siegels im Jahr 1992, was für eine zeithistorische Arbeit natürlich eine sofort nachvollziehbare Entscheidung ist. Ob Quaas hiermit auch ein inhaltliches Argument verbindet, bleibt eher offen. Seine Interpretation des „fairen Handels“ als soziales Feld könnte jedoch die Deutung nahelegen, dass mit der Integration in den Massenkonsum dieses Feld seine Konsistenz verliert oder zumindest nicht mehr als Ort der Distinktionsbildung einer Alternativ- und Gegenkultur funktioniert.

Das Buch ist gleich aus mehreren Gründen ein großer Wurf. Es erschließt das Thema des „fairen Handels“ zum ersten Mal empirisch substanziell für die Zeitgeschichte und demonstriert nebenbei, dass die Geschichtswissenschaft eine produktive Rolle in dem aktuell noch durch die Sozialwissenschaften dominierten Forschungsfeld spielen kann. Die Arbeit beruht auf einer beeindruckenden Quellenbasis, die neben Archivalien und veröffentlichten Dokumenten auch Interviews mit Akteuren aus Deutschland, den Niederlanden und Lateinamerika integriert. Nicht zuletzt ist die Dissertation in einem sehr klaren und gut lesbaren Stil geschrieben, der hoffen lässt, dass sie auch außerhalb des akademischen Feldes rezipiert wird.

Alle Erwartungen kann das Buch selbstverständlich nicht erfüllen. Zwei Punkte seien hierbei abschließend angeführt. Auffällig ist einerseits, dass die Arbeit im Ganzen doch eher einem nationalen Narrativ folgt. Zwar wird insbesondere die Rolle niederländischer Akteure für die Entstehungsgeschichte des „fairen Handels“ betont und fundiert dargestellt. Das analytische Potenzial transnationaler Fragestellungen wird jedoch selten fruchtbar gemacht. Auf einer ersten Ebene ist das nachvollziehbar: Quaas formuliert es als eine explizite Erkenntnis der Studie, dass sich die Akteure des „fairen Handels“ trotz einiger Austauschprozesse letztlich doch überraschend stark an nationalen Grenzen orientiert hätten. In analytischer Perspektive wäre es aber dennoch interessant gewesen, transnational vergleichende Fragen stärker einzubeziehen – beispielsweise, indem man vergleichend nach der Bedeutung der Erinnerung an den Nationalsozialismus in den Solidaritätsbewegungen der Bundesrepublik gefragt hätte oder aber den Unterschieden nachgegangen wäre, die in den Niederlanden oder in Großbritannien durch die politisch und kulturell sehr viel präsentere koloniale Vergangenheit und die Prozesse der Dekolonisation entstanden.

Eine zweite Leerstelle sind die Konsumenten, die innerhalb des Buches kaum in Erscheinung treten. Meist kommen diese zentralen Akteure nur indirekt als Projektions- und Imaginationsfläche vor. Dies korrespondiert selbstverständlich mit dem gesamten Forschungsfeld der Konsumgeschichte, das oftmals noch vor der methodologischen und quellentechnischen Herausforderung steht, die Konsumenten als Akteure stärker zu berücksichtigen. Für nachfolgende Arbeiten wäre jedoch zu überlegen, ob nicht gerade das Feld des „fairen Handels“ ein vielversprechender Forschungsgegenstand ist, um diese Frage nach den Konsumenten, nach deren Praktiken und Motiven analytisch innovativ zu verfolgen.

Ruben Quaas’ sehr gewinnbringende Dissertation lässt sich einem neuen Forschungsfeld zurechnen, in dem jüngst begonnen wurde, die Verbindungen von Konsumhandlungen und Moralvorstellungen zu erschließen.2 In einer größeren Perspektive lässt sich anhand des Buches daher fragen, inwiefern der „faire Handel“ als Symptom neuer Moralvorstellungen verstanden werden kann, die stärker als zuvor in persönliche Alltags- und Konsumentscheidungen hineinwirkten. In der Verbindung des „fairen Handels“ mit einem breiteren Deutungswandel der Kategorien Konsum, Markt und Moral, der für die Zeit ab den 1960er-Jahren bislang nur recht pauschal unter Schlagwörtern wie „Wertewandel“, „Moralisierung der Märkte“ oder „Kultureller Kapitalismus“ beschrieben worden ist, liegt das größte Potenzial für zukünftige Arbeiten, die an die vorliegende Studie anknüpfen können.

Anmerkungen:
1 Für das britische Fallbeispiel ist jüngst ebenfalls die erste umfassende historische Studie zur Entstehung des „fairen Handels“ erschienen: Matthew Anderson, A History of Fair Trade in Contemporary Britain. From Civil Society Campaigns to Corporate Compliance, London 2015.
2 Vgl. zum Beispiel Alexander Sedlmaier, Consumption and Violence. Radical Protest in Cold-War West Germany, Ann Arbor 2014.