Á. Alcalde: War Veterans and Fascism in Interwar Europe

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Title
War Veterans and Fascism in Interwar Europe.


Author(s)
Alcalde, Ángel
Series
Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare
Published
Extent
XIII, 314 S.
Price
£ 75.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Nils Löffelbein, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die Frage nach den Ursachen und Triebkräften für die Durchsetzung faschistischer und radikalnationalistischer Regime und Bewegungen im Europa der Zwischenkriegszeit wird von der Forschung seit jeher intensiv diskutiert. Dass der Aufstieg und Erfolg des Faschismus ohne die massive Gewalterfahrung des Ersten Weltkriegs nicht hinreichend erklärt werden kann, gilt mittlerweile als opinio communis der Forschung. Als besonders einflussreicher Erklärungsansatz hat sich in diesem Zusammenhang die These des US-amerikanischen Historikers George Mosse erwiesen, dem zufolge die politische Kultur der Nachkriegszeit durch die Masse der heimkehrenden Soldaten „brutalisiert“ worden sei, gefolgt von einer Entgrenzung und Radikalisierung der politischen Gewalt, die langfristig dem Aufstieg des Faschismus in Europa den Weg geebnet habe.1 Die Kriegsteilnehmerschaft führender Faschisten/Nationalsozialisten, nicht zuletzt Hitler und Mussolini selbst, verleiht dieser Annahme eine gewisse Schlüssigkeit. Die Thesen Mosses sind in den letzten Jahren jedoch stark relativiert worden; so konnten zahlreiche Forschungsarbeiten mittlerweile zeigen, dass die Mehrzahl der Kriegsteilnehmer sich nach 1918 eher pazifistischen oder demokratischen Organisationen zuwandte und zudem weitaus problemloser ins Zivilleben zurückkehrte als von Mosse unterstellt.2

Ángel Alcalde nimmt in seiner Studie eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen Faschismus und Weltkriegsveteranen vor. Zwar betont auch er, dass sich die überwiegende Mehrheit der Weltkriegsteilnehmer keineswegs der extremen Rechten anschloss und die Verbandslandschaft im Nachkriegseuropa politisch überaus heterogen war. Dennoch trug die Instrumentalisierung der Weltkriegssoldaten durch die extreme Rechte – so sein zentrales Argument – maßgeblich zum Aufstieg und zur Legitimation der faschistischen und radikal-nationalsozialistischen Regime in Europa bei.

Um es vorwegzunehmen – der Autor hat eine ausgezeichnete, eine wichtige Studie vorgelegt, die ein drängendes Desiderat der Forschung schließt. So existieren für einzelne Länder zwar bereits Studien zur Instrumentalisierung des Weltkriegsmythos durch die radikalnationalistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit.3 Der Vorzug der vorliegenden Arbeit besteht jedoch darin, dass sie den transnationalen Charakter der faschistischen Selbstrepräsentation und Instrumentalisierungsstrategien herausarbeitet und zeigt, wie stark diese mit dem Propagandabild des „fascist veteran“ (S. 13) verwoben waren. In vier chronologisch angelegten Kapiteln analysiert der Autor insbesondere den länderübergreifenden Transfer von Bildern, Mythen, Stereotypen und Netzwerken in den Nachkriegsjahrzehnten und zeichnet detailliert nach, wie sich das Stereotyp von den Weltkriegsveteranen als Fackelträger des Faschismus in ganz Europa etablierte. Verwiesen wird hierbei immer wieder auf die herausragende Bedeutung der Medien – so wurde das Idealbild des „faschistischen Veteranen“ bezeichnenderweise erstmals Ende 1917 von Benito Mussolini in einem Artikel der Zeitung „Il Popolo d‘Italia“ beschworen. Die Untersuchung verfolgt dementsprechend primär einen diskursanalytischen Ansatz und wertet neben Archivbeständen ein breites Spektrum an Zeitschriften und gedruckten Quellen aus.

Italien bildet als Mutterland der faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhundert den Ausgangspunkt der Untersuchung. Interessant ist zunächst die Feststellung, dass die symbolische Aneignung der Weltkriegssoldaten durch die politische Rechte unmittelbar nach Kriegsende keineswegs vorgezeichnet war. Beeinflusst von der Russischen Revolution dominierte in der italienischen Öffentlichkeit zunächst noch das Bild des revolutionären, barrikadenstürmenden Soldaten als Vorkämpfer für eine gerechte und friedliche Gesellschaft. Auch im ersten Nachkriegsparlament stellten die Sozialisten vorerst noch den größten Prozentsatz von Kriegsteilnehmern in ihren Reihen. Und bei der landesweiten Wahl von 1919 stand die größte italienische Veteranen-Organisation, die ANC, mit ihren politischen Ambitionen sogar in direkter Konkurrenz zur Liste von Mussolini, der ebenfalls mit seiner Vergangenheit als Kriegsteilnehmer um die Stimmen von Veteranen warb. Alcalde arbeitet vor diesem Hintergrund jedoch überzeugend heraus, dass sich mit dem zunehmenden Erfolg der Faschisten das Konstrukt des „antibolschewistischen“ Weltkriegskämpfers in den politischen Diskursen allmählich durchsetzte und festigte. Von Italien aus fand das Stereotyp des „fascist veteran“ in den frühen 1920er-Jahren durch die Berichte von Journalisten, Diplomaten und anderer Beobachter schließlich seinen Weg in andere Länder Europas wie Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Spanien. In einer Ausgabe der sozialdemokratischen Münchener Post von 1921 war etwa zu lesen, die Faschisten hätten maßgeblich zur Verabschiedung der Versorgungsgesetze für Kriegsopfer im römischen Parlament beigetragen, in Frankreich hielt selbst die politische Linke die Veteranen für eine treibende Kraft in der faschistischen Bewegung. Veteranen und Faschisten wurden so im öffentlichen Diskurs zunehmend ununterscheidbar.

Im Verlauf der 1920er-Jahre begann Alcalde zufolge schließlich ein transnationaler Prozess der symbolischen Vereinnahmung des Frontsoldaten durch die europäische Rechte, der auch dadurch begünstig wurde, dass zentrale Botschaften und Einstellungen der Faschisten und der Veteranenorganisationen konvergierten. Insbesondere der Antisozialismus und die Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung bildeten demnach ein symbolisches Bindeglied beider Gruppierungen. Zudem traf die Selbststilisierung der Faschisten als die politische Stimme der Weltkriegssoldaten und das Versprechen auf eine Sonderstellung im Staatsleben im Lager der Veteranen auf offene Ohren. Wie der Autor anhand zahlreicher Einzelbeispiele zeigt, kam es nach der Machtübernahme Mussolinis in Italien daher schließlich nicht nur rhetorisch, sondern auch organisatorisch und politisch zu einer weitgehenden Verschmelzung der Veteranenbewegung mit den faschistischen Parteistrukturen. So bekleideten die Parteifunktionäre der Partito Nazionale Fascista (PNF) in den 1930er-Jahren zugleich die Führungspositionen in der größten Veteranenorganisation, dem ANC. Auch das Gefallenengedenken wurde von den staatlichen Stellen mit massivem Aufwand zelebriert und ideologisch auf Linie gebracht.

Der Autor weist jedoch richtigerweise auch immer wieder auf die länderspezifischen Unterschiede hin. So spielten Weltkriegsteilnehmer und Kriegsopfer im Rahmen der frühen NSDAP-Propaganda anders als in Italien nur eine marginale Rolle. Die wichtige Frage, warum die Kriegsveteranen erst gegen Ende der 1920er-Jahre verstärkt ins Fadenkreuz der NS-Strategen rückten, obwohl die NS-Spitze die italienische Entwicklung von Beginn an aufmerksam verfolgte, vermag Alcalde allerdings nicht schlüssig zu beantworten. Dies wirft zumindest die Frage auf, ob die Strahlkraft der italienischen Entwicklung auf andere antidemokratische Bewegungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit tatsächlich so tiefgreifend war, wie der Autor annimmt. Die 1920er-Jahre werden hier als eine Art mythomotorische Inkubationszeit beschrieben, bis der faschistische Frontkämpfermythos in den 1930er-Jahren auch in Deutschland, Frankreich und Spanien seine volle Wirkung zu entfalten vermochte. Tatsächlich kam der Figur des Frontsoldaten vor allem im Rahmen der Selbstrepräsentation des Dritten Reiches schließlich eine zentrale Bedeutung zu. So zelebrierten auch die Nationalsozialisten staatstragend den „Kult um die gefallenen Helden“ (Sabine Behrenbeck) und inszenierten die Weltkriegsveteranen im öffentlichen Raum als „First Citizens of the State“ (S. 229). Der italienischen Gleichstellung der Weltkriegsteilnehmer mit den Kämpfern des Abessinienkrieges von 1935 in der staatlichen Gedenkpraxis entsprach in Deutschland die Inszenierung verwundeter SA-Männer als Kriegsopfer. Eine ähnliche Angleichung der Veteranenpolitik vollzog sich nach Francos Sieg in Spanien. Selbst in Frankreich, wo die demokratische Staatsordnung auch in den 1930er-Jahren bestehen blieb, übernahmen die führenden Veteranenorganisationen zunehmend autoritäre und paramilitärische Strukturen.

Dem Anspruch, eine europäische Vernetzungsgeschichte zu schreiben, wird der Autor letztlich nicht ganz gerecht. So liegt der Schwerpunkt der Analyse erkennbar auf den italienischen Ereignissen; die Ausführungen zu Deutschland, Frankreich und Spanien werden eher exkursartig abgehandelt und basieren im Wesentlichen auf dem aktuellen Forschungsstand zu den jeweiligen Ländern. Dennoch gelingt es Alcalde überzeugend, die inhärente Verbindung von Radikalnationalismus und Krieg am Beispiel der Veteranenpolitik weiter auszuleuchten und damit einen wichtigen Beitrag zur Erklärung des Faschismus als gesamteuropäisches Phänomen im 20. Jahrhundert zu leisten.

Anmerkungen:
1 George L. Mosse, Fallen Soldiers: Reshaping the Memory of the World Wars, New York 1991.
2 Julia Eichenberg u.a. (Hrsg.), The Great War and Veterans' Internationalism, Basingstoke 2013.
3 Nils Löffelbein, Ehrenbürger der Nation. Die Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus, Essen 2013; John Paul Newman, War Veterans, Fascism, and Para-Fascist Departues in the Kingdom of Yugoslavia, 1918-1941, in: Fascism 6, 1 (2017), S. 42–74.

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19.07.2018
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