H.-J. Lüsebrink: La Conquete de l'Espace Public Colonial

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Title
La Conquete de l'Espace Public Colonial. Prises de parole et formes de participation d'ecrivains et d'intellectuels africains dans la presse a l'epoque coloniale (1900-1960)


Author(s)
Lüsebrink, Hans-Jürgen
Series
Studien zu frankophonen Literaturen außerhalb Europas 7
Published
Extent
250 S.
Price
€ 20,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Sabine Kube, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

95 Prozent der literarischen Produktion afrikanischer Schriftsteller zwischen 1913 und 1960 erschien nicht in Form von Büchern, sondern in der Presse. Diese Quellen wählt der Saarbrücker Romanist Hans-Jürgen Lüsebrink als Grundlage seiner Analyse der frühen Epoche der Geschichte der afrikanischen frankophonen Literatur (1900-1960). Er macht damit seinen Lesern einen wichtigen Bereich afrikanischer Literatur zugänglich, der bisher nahezu unbeachtet blieb, jedoch die Grundlagen legte für die bedeutendsten Werke frankophoner afrikanischer Autoren und außerdem Spiegel der wichtigsten intellektuellen Debatten der Zeit war. Wie Bernard Mouralis, einer der bedeutendsten Spezialisten afrikanischer Literatur in Frankreich, zu Beginn seines Vorworts zu dem Band ausführt, könnte Dank Lüsebrinks Analyse ein neuer Abschnitt in der Forschung zur frankophonen afrikanischen Literatur beginnen, die sich neue Textsorten erschließt und damit neue Perspektiven auf den Gegenstand eröffnet. Lüsebrinks Forschungsarbeit hat ihren Ursprung im SFB des Bayreuther Zentrums für Afrikaforschung zu Identitätsprozessen in Afrika.

Der Autor nimmt für seine Analyse eine wichtige Einschränkung der Quellen vor. Für eine Betrachtung der Beiträge afrikanischer Schriftsteller und Intellektueller in der Presse der Kolonialzeit kämen grundsätzlich drei Gruppen von Zeitschriften in Frage (S. 21): (a) Zeitschriften, die in Frankreich erschienen und in denen Afrikaner veröffentlichten, (b) Zeitschriften, die in Frankreich erschienen, jedoch von Afrikanern gegründet wurden und (c) die “koloniale Presse” (presse coloniale), die Lüsebrink definiert als die Gesamtheit der Zeitschriften, die in den Kolonien erschienen oder ausschließlich Belangen der Kolonien gewidmet waren. Sein Hauptaugenmerk richtet sich auf die letzte Gruppe von Presseorganen. Sie entwickelten sich, wie Lüsebrink zu zeigen vermag, als wirkliches Forum für afrikanische Schriftsteller und Intellektuelle im Gegensatz zu den in Frankreich erschienenen Zeitschriften, in denen Afrikaner bis 1960 nur sehr selten zu Wort kamen.

Lüsebrink baut seine Analyse in drei Etappen auf. Ein erster Teil skizziert in drei Kapiteln zentrale Charakteristika der Beiträge afrikanischer Schriftsteller in der Kolonialpresse, die wiederum die Besonderheiten dieses frühen Kapitels der afrikanischen frankophonen Literaturgeschichte darstellen. So verhalfen die Artikel der afrikanischen Autoren zum einen oft der oralen Literatur zu einer Stimme. Interessant ist die Entstehungsgeschichte eines Großteils dieser Artikel. Ihre Autoren reagierten auf öffentliche Ausschreibungen der französischen Kolonialbehörden, die die afrikanische, in den französischen Schulen ausgebildete Elite, aufforderten, ihre eigene Geschichte und Kultur zu erforschen und Texte der oralen Tradition zugänglich zu machen. Die Artikel bilden des Weiteren den Beginn der afrikanischen Geschichtsschreibung durch Afrikaner. Wie Lüsebrink an mehreren Beispielen zu belegen vermag, boten die afrikanischen Autoren in ihren Beiträgen nicht nur ihre Sicht auf ihre eigene Geschichte, sondern setzten sich auch offen und kritisch mit der bisher ausschließlich fremddominierten Geschichtsschreibung zu Afrika auseinander.

Teil II des Buches stellt exemplarisch drei wichtige Vertreter der ersten Generation afrikanischer frankophoner Intellektueller und Schriftsteller vor. In den detaillierten und von umfangreichen Quellenstudien gespeisten Schaffensportraits der frühen Phase der afrikanischen Literaturgeschichte bietet Lüsebrink seinen Lesern interessante Einblicke in die Vielfalt der Wortmeldungen der afrikanischen Intellektuellen und deren Beweggründe für das Schreiben. Nahezu vergessen von der Literaturgeschichtsschreibung, weil sie weniger das traditionelle Medium Buch nutzten, erscheinen Abdoulaye Sadji, Fily Dabo Sissoko und Fodéba Keïta Dank der Analyse Lüsebrink als bedeutende Wortführer der intellektuellen Debatten der Zeit. An ihrem Beispiel zeigt sich, dass die afrikanischen Autoren den neu “eroberten” öffentlichen Raum in den Kolonien mehr und mehr auch ganz gezielt zum Aufbau von Gegendiskursen nutzten.

Teil III des Bandes konzentriert sich auf vier der zentralen Debatten der betrachteten Epoche, die sich laut Lüsebrink in der Analyse der Zeitschriftentexte herauskristallisieren lassen. Ein Kapitel zeigt die Reaktionen der afrikanischen Schriftsteller und Intellektuellen auf die regelmäßigen Kolonialausstellungen, die den Besuchern in der Metropole die Lebensweise der kolonisierten Völker nahe bringen sollten, aber häufig, wie die afrikanischen Autoren öffentlich anprangerten, durch die Zurschaustellung ein sehr verzerrtes Bild der Realität boten. Ein zweites Kapitel dieses Teils zeigt die lebhafte Debatte, die innerhalb der afrikanischen intellektuellen Elite gerade in den Zeitschriften über die kulturellen Auswirkungen der Kolonialherrschaft geführt wurde. Die Autoren lassen sich hier, wie Lüsebrink aufzeigt, in zwei Lager spalten. Ousmane Socé und Ouezzin Coulibaly äußerten sich als Verfechter der kolonialen Bildungspolitik und deren Konzept des “métissage culturel”, das über das Medium der französischen Sprache zu einer schrittweisen kulturellen Assimilierung der Afrikaner führen sollte. Sie standen einer wesentlich größeren Zahl afrikanischer Intellektueller gegenüber, die sich für eine Kultur- und Bildungspolitik aussprachen, die den Bedingungen und Bedürfnissen vor Ort stärker angepasst war. Ihre wichtigsten Vertreter Abdoulaye Sadji, Fily Dabo Sissoko und Léopold Sédar Senghor plädierten für eine Bildung und Kultur, die stärker auf afrikanischen Sprachen und Traditionen aufbauen sollte. Besonders interessant ist hier die Dank der Zeitungsartikel deutlich werdende frühe Position Senghors, die sich später grundlegend ändern sollte.

In diesen Bereich fällt ebenfalls die Debatte über die “jeunesse évoluée”, die sich ausschließlich am Model Frankreichs orientierte und die eigenen afrikanischen Wurzeln negierte (Kapitel 10). Die Trennung in diese beiden Kapitel leuchtet hier nicht unbedingt ein, da die beiden gegensätzlichen Positionen auch in dieser Debatte von denselben Gruppen eingenommen werden und die Themen sich zudem inhaltlich ergänzen. Die große Zahl der Primärquellen und die zahlreichen interessanten Details zu den Hintergünden der Entstehung der Artikel, die Lüsebrink darüber hinaus bietet, sowie sein Wunsch nach unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Teilen der Analyse führen leider, wie besonders hier am Beispiel der Kapitel 9 und 10 ersichtlich, ab und zu zu Längen und Redundanzen. Längere Zitate werden z.T. mehrfach zur Exemplifizierung herangezogen, Hintergrundinformationen zu den Autoren doppelt gegeben. Hier wären Verweise auf vorangegangene Kapitel möglich gewesen.

Dies schmälert jedoch nicht die Vorzüge dieses Panoramas eines wichtigen Bereiches der ersten Epoche afrikanischer frankophoner Literaturgeschichte. Lüsebrink bietet eine vielschichtige Analyse, die durch eine Konzentration auf die zeitliche Perspektive in den jeweiligen thematischen Kapiteln den zunehmenden Prozess der Emanzipierung der afrikanischen Autoren zeigt. Der von Lüsebrink gewählte Titel des Bandes “Die Eroberung des kolonialen öffentlichen Raumes”, fasst die so aufgezeigte Entwicklung gut zusammen. Die Wahl der Quellen eröffnet dem Leser die Perspektive afrikanischer Intellektueller auf die Politik der Kolonialherrschaft. Diese Quellen stellen im Gegensatz zu den in der Forschungsliteratur wesentlich häufiger analysierten Büchern der afrikanischen Autoren, die jedoch fast ausschließlich in Frankreich erschienen, außerdem eine Textgrundlage dar, die sehr wahrscheinlich in viel stärkerem Maße auch von Afrikanern in den Kolonien rezipiert werden konnte und somit die öffentliche Meinung in ungleich stärkerem Maße beeinflusste. Wie Lüsebrink zu verdeutlichen vermag, waren die betrachteten Zeitschriften nicht nur Diskussionsforum, sondern bald auch Ort für politische, soziale und kulturelle Forderungen seitens der afrikanischen Autoren. Die Kolonialverwaltung hatte so selbst das Medium für seine schärfsten Kritiker geschaffen.

Dem in der Reihe "Studien zu den frankophonen Literaturen außerhalb Europas" erschienenen Band sind nicht nur Leser zu wünschen, die sich von dem Titel der Serie leiten lassen. Lüsebrinks Analyse, die ein Stück afrikanische frankophone Literaturgeschichte schreibt, jedoch weniger literarische Textanalysen bietet, ist bei weitem nicht nur für Literaturwissenschaftler eine wichtige Lektüre. Er öffnet ebenso wertvolle Perspektiven für an Kolonialgeschichte interessierte Historiker und Kulturwissenschaftler.

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17.12.2004
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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