S. Berger u.a. (Hgg.): Historikerdialoge

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Title
Historikerdialoge. Geschichte, Mythos und Gedächtnis im deutsch-britischen kulturellen Austausch 1750-2000


Editor(s)
Berger, Stefan; Lambert, Peter; Schumann, Peter
Series
Veröffentlichungen des Max-Planck-Institus für Geschichte 179
Published
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Extent
467 S.
Price
€ 49,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Roland Ludwig, Maintal

Der in den vergangenen zwei Jahrzehnten entstandenen Kulturtransferforschung kann der hier besprochene Band zugeordnet werden; der Titel des Buches ist mit Historikerdialoge fast zu eng gefasst, überschreiten einige Beiträge doch den Rahmen des Themas, das der Titel zum Ausdruck bringt. Dem versucht zumindest der Untertitel des Buches mit den Stichworten „kultureller Austausch“ gerecht zu werden. Grundlage des Bandes bilden die Referate einer im September 1999 im Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen veranstalteten Konferenz. Die Konferenz wurde ursprünglich unter dem Titel „Historiographical Connections between Britain and Germany 1750-2000“ konzipiert.

Ziel der Herausgeber ist, so im einleitenden Essay geäußert, weniger der Vergleich der beiden Historiografien, sondern vielmehr eine Untersuchung des Beziehungsgeflechtes zwischen Praktikern und Praktiken der Geschichtswissenschaften. Zu diesem Beziehungsgeflecht gehören Aufnahme und Nichtaufnahme der jeweils anderen Kultur bzw. Geschichtswissenschaft: was, warum, wie? Die auf deutsch-französische Impulse zurückgehende Kulturtransferforschung stellt Transfers und Perzeptionen ins Zentrum: „Ziel der neueren Kulturtransferforschung ist es dagegen, die Vorstellung von homogenen, in sich stabilen Nationalkulturen aufzubrechen, indem sichtbar gemacht wird, inwiefern solche Nationalkulturen auf einen dialektischen Prozeß der selektiven Aneignung von Eigenem und Fremdem beruhen.“ (S. 67)

In diesem Zusammenhang können die „Historikerdialoge“ verstanden werden, als Teil einer „prozeßhafte[n] Entstehung und Wandlung von plural verfaßten Nationalkulturen“ (S. 67). Import und Adaption von Bruchstücken von Kulturgütern schaffen mit am Gedächtnis einer Nation. Historiker sind in diesem Zusammenhang als Transmitter von Nationalkulturen zu verstehen und ihre Arbeit ist entsprechend zu untersuchen.

Dass angelsächsische Gründungsmythen die englische Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert beeinflussten, zeigt Frauke Geyken in ihrem Beitrag. Ihr Hinweis auf das im 18. Jahrhundert feststellbare Nebeneinander whiggistischer Geschichtswerke, die mit solchen Mythen argumentierten, und Werken von Autoren wie William Robertson oder Adam Ferguson, die den Fortschrittsgedanken propagierten, ist richtig, aber es gab andererseits auch ein Fortbestehen eines Teils der antiquierten whiggistischen Geschichtswerke im 19. Jahrhundert.1

Die Ungleichzeitigkeit von Vorgängen ließ auch das revolutionäre England des 17. Jahrhunderts für das Deutschland des 19. Jahrhunderts – zumindest in der Mitte des Jahrhunderts – höchst relevant werden. Das England der Glorreichen Revolution (1688/89) war 1848 in Deutschland von höchster Aktualität, während die Europäische Revolution von 1848/49 in Großbritannien kaum Wirkung zeigte. Patrick Bahners untersucht die Rezeption von T. B. Macaulays History of England im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Zuerst wurde Macaulays History, eine modernisierte Form whiggistischer Geschichtsschreibung, als erfahrungsgetränkte Lehre der Geschichte rezipiert: „Mit welcher Begeisterung ist das Werk Macaulays in ganz Europa aufgenommen worden! Kein Wunder, denn ganz Europa kämpft jetzt den Kampf, aus dem das gegenwärtige England glorreich hervorgegangen ist.“ (S. 169, Zitat von Friedrich Hebbel)

Zur anfänglich positiven Aufnahme Macaulays und seiner Geschichte Englands standen bereits in den 1850er-Jahren ablehnende Stimmen in Kontrast; ablehnend äußerten sich nun auch nationalliberale Historiker, die ursprünglich Macaulay zustimmend aufgenommen hatten, zu dem in mehreren Übersetzungen vorliegenden Werk. Nun wurde der englische Hochmut, die „insulare Borniertheit“ attackiert, der die vorgebliche Objektivität deutscher Wissenschaftlichkeit entgegengesetzt wurde. Ein gutes Beispiel für diese Wandlung bietet Treitschke: von anfänglicher Begeisterung zu schroffer Ablehnung.2

Wie rasch die deutschen Historiker, die vor 1914 meist für eine deutsch-englische Kooperation eingetreten waren, in einer borniert-nationalistischen Frontstellung die deutsche Kriegspolitik vertraten, beschreibt Matthew Stibbe. England als Hauptfeind, dass war doch trotz aller vorangegangenen Rivalität der Staaten eine radikale Veränderung. Die Mehrheit suchte die Erklärung für den Politikwandel nicht in rassischen Unterschieden, sondern in ökonomischen Differenzen und weltweitem Wettbewerb. Eine Ausnahme bildete die These vom keltischen Einfluss, die zum Beispiel Karl Lamprecht (Leipzig, 23. 8. 1914) vorbrachte, der die britische Unterstützung für Frankreich und Russland aus dem keltischen Geist, der die Institutionen des Empires kontrollierte, erklärte.

Anders als zu Zeiten, in denen die germanische Verwandtschaft betont wurde, standen nun eindeutig deutscher Idealismus gegen angelsächsischen Materialismus; dieser Gegensatz wird stilisiert in „Händler und Helden“ (Werner Sombart, 1915).

Vorwürfe an die Briten waren deren aggressive Machtpolitik (z. B. gegen die Buren), Rückständigkeit (universale Macht zur See = universale Monarchie, Friedrich Meinecke) und Immoralität (Herrschaft des Mammon in der englischen Plutokratie).

Stibbes abschließende Frage ist die nach der Motivation der deutschen Historiker, die England so schnell (aus der Vielzahl der Feinde) zum Hauptfeind erklärten. Der Kehr-Fischer-Wehler-These von der Ausrichtung der außenpolitischen Interessen entsprechend der innenpolitischen Frontstellung gegen liberale politische Reformen zu Hause stimmt Stibbe im Grunde zu, ordnet die deutsche Version des Englandhasses aber als eine typische Variante ethnischer Gewalt bzw. nationalistischer Bigotterie des 20. Jahrhunderts ein.

Als Außenseiter mit Einfluss schildert Stefan Berger William Harbutt Dawson, den vielgelesenen Deutschlandhistoriker und Sympathisanten des nationalsozialistischen Regimes, der wie übrigens auch E. H. Carr das Münchener Abkommen rechtfertigte. Peter Lamberts Beitrag macht am Beispiel des einseitigen intellektuellen Transfers von Friedrich Thimme, dem Herausgeber der deutschen offiziellen Sammlung von Dokumenten zur Entstehung des Ersten Weltkriegs, zu G. P. Gooch, seinem britischen Pendant, der Thimmes intellektuelle Inspiration hervorhob, die Neigung zur Ignorierung der politischen Aspekte des deutschen Historismus bei britischen Historiker deutlich.

Malcolm Chase beschäftigt sich mit Rolf Gardiner, der ein Anhänger und Popularisierer der englischen Volkstanzbewegung war und zum antisemitischen und antirussischen Bewunderer des Nationalsozialismus wurde.

Die britischen Historiker ließen sich während des Zweiten Weltkriegs in wesentlich geringerer Zahl in die Kriegspropaganda einspannen, als es ihre deutschen Kollegen taten.

Von Mittlern zwischen den Kulturen im England der Nachkriegszeit berichtet Peter Alter. Alter untersuchte eine „Gruppe“ deutschsprachiger aus Mitteleuropa stammender Historiker, die dort vor 1933 geboren wurden, und nach ihrer Flucht vor dem NS-Regime ihren Lebensmittelpunkt in Großbritannien fanden.

Die relativ kurze aber wirkungsgeschichtlich bedeutsame Exilzeit des Renaissancehistorikers Hans Baron von 1936-1938 in London ist Gegenstand der Ausführungen Kay Schillers.

Arnd Bauerkämpers kontrastiver Beitrag zur Revision der „Whig interpretation of history“ und über die Kritik am Paradigma vom „deutschen Sonderweg“ seit den 1970er-Jahren bietet gute Ansätze für eine zeitgeschichtliche Einordnung bzw. einer Geschichte des Kontextes gesellschaftlicher Entwicklung zu diesem Komplex. Seine wissenschaftsgeschichtlichen Ausführungen hingegen vermögen den Rezensenten nicht zu überzeugen.

Bauerkämper konstatiert einen nicht unerheblichen Einfluss der „Whig interpretation of history“ (zum Teil über exilierte Wissenschaftler aus Mitteleuropa) auf die Etablierung der Theorie eines negativen deutschen Sonderwegs, wie auch die Kritik an der „Whig interpretation“ wiederum die deutsche Debatte beeinflusste. Umgekehrt gab es keine deutschen Beiträge zu den Problemen der „Whig interpretation of history“.

Bauerkämpers Ausführungen zur Whig-Geschichtsschreibung sind recht undifferenziert und werden der wissenschaftlichen Entwicklung, die auch unter den Prämissen einer „Whig interpretation“ stattfand, nicht gerecht. Außerdem gab es auch in Hochzeiten der Whig-Geschichtsinterpretation Dissidenten und wissenschaftliche Kontrahenten. Werke der Whig-Geschichtsschreibung kommen in Bauerkämpers Beitrag zudem gar nicht vor, sieht man einmal von T. B. Macaulays History of England ab.

„Entgegen der „Whig interpretation of history“ blieb der Landadel bis zu den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine geschlossene Elite, in die nur wenige Bürgerliche aufstiegen“, schreibt Bauerkämper (S. 400). Einen solchen Satz kann man zwar schreiben, zum Konsens in der neueren Forschung wird seine Aussage dennoch nicht.

Bauerkämper sieht in der Revision der britischen Geschichtsschreibung der vergangenen Jahrzehnte einen auslösenden Faktor für die wachsende Kritik an dem Interpretationsmuster vom „deutschen Sonderweg“. Es fehlen nur die Belege für diese Behauptung. Wie und wo fand die Übernahme einer neuen Sichtweise statt? Allgemein werden die Namen revisionistischer Historiker genannt, die die Dimension des revolutionären Vorgangs in der Mitte des 17. Jahrhunderts in England relativierten. Aber wo und wie beeinflussten diese fast durchweg konservativen und traditionell politikgeschichtlich arbeitenden Historiker die deutsche Geschichtswissenschaft?

Es bleibt das auch in deutscher Übersetzung erschienene Bändchen von David Blackbourn und Geoff Eley, Mythen deutscher Geschichtsschreibung, eine Kritik an der These vom negativen deutschen Sonderweg, die ihre Existenz der Krise der Whig-Tradition in der britischen Geschichtsschreibung verdankt.3

Die britische marxistische Geschichtswissenschaft mit ihren bedeutenden Exponenten lässt sich kaum umstandslos der Whig-Interpretation zuordnen; in zentralen Fragen der Geschichtsinterpretation der britischen Nation wurden eigenständige und mitunter dominante Interpretationen erarbeitet. Die Leistungen der marxistischen Historiker gingen weit über eine rote Einfärbung der Whig-Historiografie hinaus, die die Herausgeber in ihrem einführenden Beitrag behaupten. Hier sei, um auf eine lange Literaturliste verzichten zu können, nur auf die Untersuchungen von Harvey J. Kaye und Dennis Dworkin zu den britischen marxistischen Historikern verwiesen.4

Der Anteil der marxistischen Historiker an dem, was heute als „cultural turn“ verstanden wird ist groß, auch wenn der heutige Geschichtsdiskurs selten ihren Intentionen entsprechen dürfte. Auch die zaghaften Ansätze einer deutschen Alltagsgeschichte, die es mit dem Goliath „Historische Sozialwissenschaft“ oder „Bielefelder Schule“ aufnahmen, verdankten ihre Existenz unter anderem Entwicklungen, die von der marxistischen Geschichtswissenschaft Großbritanniens inspiriert worden waren. Ohne die britische „History Workshop-Bewegung“ und das Konzept der „Geschichte von unten“ wäre die deutsche Geschichtswerkstättenbewegung der 1980er-Jahre mit all ihrer Kritik an einem objektivistisch-ökonomistischen Marxismus-Verständnis nur schwer vorstellbar.

Thomas Lindenbergers Anmerkungen zur westdeutschen Rezeption von E. P. Thompsons The Making of the English Working Class, der abschließende Beitrag des Buches, weisen auf das Dilemma einer späten und was Quantität wie Qualität betrifft unzureichenden Rezeption hin.

Neben den Vorwurf des „subjektiven Reduktionismus“ (Dieter Groh, der allerdings viel für Thompsons Rezeption unternahm), einer unzulässigen, weil den theoretischen Konstruktionen der bundesdeutschen Strukturgeschichte fremden Ersetzung der „Arbeiterklasse durch Arbeiterkultur“ (Jürgen Kocka) trat eine weitgehend entpolitisierte Rezeption. Dass es sich bei The Making um einen eminent politischen Text handelt, verdeutlicht Lindenberger am Beispiel von Thompsons Konzeption der Erfahrung, deren Doppelcharakter er analysiert.

Das empirische Idiom Thompsons meint Erfahrung als Erkenntnisobjekt, aber auch als Vermittlung zwischen den Erfahrungen eines Lesepublikums (wobei es Thompson dabei nicht nur um Veranschaulichung, sondern auch um historische Vorstellungskraft ging).

Dem brachte die deutsche Historische Sozialwissenschaft, die mit modernisierungstheoretischem Nachholbedarf gegen antiliberale Traditionen argumentierte, weitgehend Unverständnis entgegen.

Aber besonders Thompsons Arbeiten zu den Problemen des Übergangs der Unterschichten aus traditionalen Wirtschaftsformen zur kapitalistischen Marktwirtschaft (zur „moral economy of the English crowd“) behalten für die geschichtswissenschaftliche Arbeit einen relevanten Charakter hoher kombinativer Intensität.

Denn hierbei geht es um ein Phänomen, das in einer globalen Perspektive eine potenzierte Brisanz besitzt. Für die Forschung künftiger Generationen von Historikern bietet Thompsons Arbeit, Lindenberger klammert hier allerdings das Hauptwerk zur Entstehung der englischen Arbeiterklasse aus, eine kaum zu unterschätzende Inspirationsquelle.

Nicht immer ist das methodisch wirklich Neue an den hier vorgelegten Beiträgen zur Kulturtransferforschung zu erkennen. Denn Studien über Mittler und intellektuellen und kulturellen Austausch gab es bereits früher. Sie waren Teil der Geschichtswissenschaften, meist der Geistes- oder Ideengeschichte oder der „intellectual history“ in der anglo-amerikanischen Tradition.

Dennoch bietet Historikerdialoge zweifellos eine Reihe wichtiger Beiträge - aus der Vielzahl traf der Rezensent eine Auswahl - für den an Aspekten des deutsch-britischen Kulturaustausches interessierten Leser. Die methodischen Prämissen der Verfechter einer transnationalen Geschichte und einer Kulturtransferforschung, die die Verflechtungen der Untersuchungsgegenstände als zentralen Bestandteil ihrer Analyse betrachtet, sollten ernstgenommen werden; sie werden in Zukunft in empirischen Studien durch ein Verfahren von Verifizierung und Falsifizierung gehen.

Aber in Zeiten ständig neuer „turns“ in den Geschichtswissenschaften, sollte vor lauter „Pioniergeist“ nicht vergessen werden, dass es auch vor dem jeweils großen oder kleinen „turn“ substanzielle Arbeiten mit einem (vielleicht) anderen Anspruch, aber mit wertvollen Ergebnissen gab.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu Ludwig, Roland, Die Rezeption der Englischen Revolution im deutschen politischen Denken und in der deutschen Historiographie im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 2004.
2 Siehe auch ebd., S. 352-355; zur Macaulay-Rezeption S. 243ff.
3 Blackbourn, David; Eley, Geoff, Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848, Frankfurt am Main 1980.
4 Kaye, Harvey J., The British Marxist Historians. An Introductory Analysis, Cambridge 1984; Ders., The Education of Desire. Marxists and the Writing of History, New York 1992, und die von Kaye herausgegebenen Aufsatzsammlungen von V. G. Kiernan und George Rudé. Mit einem anderen Fokus Dworkin, Dennis, Cultural Marxism in Postwar Britain. History, the New Left, and the Origins of Cultural Studies, Durham 1997.

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01.03.2005
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