H. Goren (Hg.): Germany and the Middle East

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Title
Germany and the Middle East. Past, Present and Future


Editor(s)
Goren, Haim
Published
Extent
350 S.
Price
$30.00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg

Geschichtliches zu „Deutschland und der Nahe und Mittlere Osten“ gilt als Stiefkind der Historiker und Orientalisten. Den einen fehlen meist regional-sprachliche Kenntnisse, so dass sie oft aus einseitigen Quellen nur Außenansichten erzeugen, indes die regionalen Insider die internationale Geschichte und Politik ihrer Regionen gern zugunsten der Erforschung innerer Fragen islamischer Räume aussparen. In Deutschland fehlen ein Zentrum und Lehrstühlen als Bindeglied, wo endlich systematisch die Geschichte solcher Wechselbeziehungen zwischen dem deutschen Raum und jenen Regionen erforscht wird. Zwar gibt es erste Ansätze einer regional-historischen Komparatistik, etwa „Amerika-Nahost-Europa“, doch ist die Zunft der dazu forschenden und lehrenden Nahosthistoriker klein.1

Der Rückstand gegenüber Franzosen und Angelsachsen weitet sich nicht nur, sondern oft kommen Hauptimpulse aus dem Ausland, meist aus Amerika und Israel. Dabei zeigt die Berliner Politik, dass es am wissenschaftlichen Hinterland mangelt. Wie soll man sonst die Selbstkritik von Außenminister Fischer werten, den Westen zu rekonstruieren? Um den Nahostkonflikt zu regeln, so meinte er, bedürfe es des „neuen Transatlantismus“. Berlin sei nach dem 11. September 2001 nicht dialogfähig gewesen als die Zwiste in der Irak-Krise aufbrachen, und habe es versäumt, mit Verbündeten eine strategische Analyse zu erstellen.

Viele fragten sich zum Irak bei der Bundestagswahl, ob Berlin denn eine Nahostpolitik hat. Das mögen Forschungen zeigen, die 18 Akademiker Deutschlands und Israels in Jerusalem im Jahr des Milleniums unterbreitet haben. Ergebnisse legt nun der israelische Geograf Haim Goren in diesem Sammelband über Deutschland und die Region vor. In vier Teilen geht es um deutsche Beziehungen zu jenem Raum vor und nach dem Ersten Weltkrieg, Wirtschaft und Technologie sowie Diplomatie zwischen Westjerusalem und Bonn oder Ostberlin. Es ist das zweite Buch mit diesem Titel2, aber die großen Synthesen stehen noch aus.

Wie das Mosaik der Beiträge erhellt, hatte das Kaiserreich eine eigene Orientpolitik. Sie unterschied sich von der in London, Paris und Petersburg darin, dass Deutsche in Nah- und Mittelost keine Kolonien angestrebt haben. Diese nicht-imperiale Politik führte dazu, dass Deutsche, wie Amerikaner einst, Akzente auf Handel, Kultur und Forschung legten. Sowohl Deutsche als auch Amerikaner verhielten sich kritisch zu den Imperien. Damit erfuhren sie einen Bonus bei jenen, die ihre Kolonialherren abschütteln wollten. Aber anders als bei den Amerikanern prägte sich bei Deutschen eine starke Sympathie für den Islam aus. Sie entsprang auch der Aufklärung, dem Einfluss Goethes, Schillers, Herders, Lessings und Rückerts sowie der Tatsache, dass Leipzig zum Mekka der Orientalistik aufstieg.

Wie Michael Stürmer zeigt, stand Berlin positiv zu den Osmanen, deren Imperium zu zerfallen begann. Da sich Deutsche ihre Position in Wirtschaft und Kultur erbaut hatten, etwa die Anatolische Eisenbahn, wollten sie diese im weiter bestehenden Osmanischen Reich fortentwickeln. Daraus wurde eine Allianz im Ersten Weltkrieg. Das Osmanische Reich trat an der deutschen Seite in den Krieg ein. Aber so ökonomisch und kulturell der Berliner Nahostkurs war, so ideologisch und asymmetrisch geriet er im Weltkrieg. Stürmer tippt es an. Eine Gruppe um Max von Oppenheim drängte die Osmanen zum Djihad gegen Briten, Franzosen und Russen. Dabei war dies das Besondere der damaligen Politik. Berlin stellte die Planer und die Türken die Soldaten. Islamische Revolten sollten im kolonialen Hinterland des Gegners entfacht werden. Zwar ignorierten viele Muslime den Ruf nach Djihad, doch wurde der Islamismus 'Made in Germany' in Asien und Afrika verbreitet.

Die Weimarer Republik, lotet Helmut Mejcher aus, hatte keine spezifische Nah- und Mittelost-Politik. So auch Hitler, der den Raum bis 1939 Rom und London überließ. Erst als er 1941 glaubte, im Kaukasus das Tor zum Orient aufstoßen zu können, wies er Pläne für die Zeit nach einem Sieg über Moskau an: Dann wollte er das Britische Empire zerstören und, so sagte er Jerusalems Mufti Amin al-Husaini, mit den dortigen Juden wie in Europa verfahren. Das verhinderten Hitlers Debakel in Stalingrad und al-Alamain. Doch der Holocaust untergrub die Aufklärung und die jüdische Integration. Die deutsche und jüdische Identität bildeten zwei Seiten einer Medaille. Nun gewann die Außenpolitik gegenüber Nah- und Mittelost eine tiefe innenpolitische Dimension. Aber Bonn und Ostberlin gingen in Nahost auf entgegengesetzte Kurse, da sie im Kalten Krieg je ihren Paktführern USA und UdSSR folgten. Seit der Einheit sucht Berlin freie Bismarcksche Säulen der Nahostpolitik: Achtung des Status quo, Verzicht auf Gebiete und Vermittlung in Krisen.

Berlin hielt sich nach dem 11. September zurück, wie Udo Steinbach erhellt. Jedoch geriet es in Zugzwang. Kanzler Schröder sicherte Amerika Hilfe zu. Als dann Präsident Bush das irakische Regime zu beseitigen suchte, fand der Beistand seine Grenzen: ein krasser Bruch im westlichen Lager. Berlin folgte Paris und Moskau, versteckte sich aber oft dahinter. Steinbach fordert eine deutsche und eine europäische Nahostpolitik. Gerät das nicht zum Spagat? Berlin, so rät er, solle Washington Konsultationen abverlangen. Mein Fazit: Berlin muss seinen primären Nah- und Mittelostkurs des Friedens erst noch entwickeln.

Wie bewerten weitere Beiträge die jüngste deutsche Politik nach 1945? Der Kalte Krieg unter zweierlei Deutschen eskalierte in der vom arabisch-israelischen Konflikt geplagten Region. Dem wendet sich Angelika Timm zu, die Ostberlins Nahostpolitik ergründet. Sie betont, dass dieser Kurs Moskau folgte. Dabei war er vom Verhältnis zu Bonn und zu den Arabern bestimmt. Die Ostdeutschen hätten Zionismus und Israel aus der Idee heraus behandelt, dass sich das osteuropäische Modell eines Tages weltweit etabliere. Dies und die Ideologie des Ostens hätten sich kaum verändert. Kurz vor dem Ende des Regimes gab es die Korrektur des Israel feindlichen Kurses. Spät entwand sich Ostberlin dem roten Gängelband des Kremls.

Bonn hatte keinen leichteren Stand. Es sollte der Nahostpolitik von drei Mächten folgen, die auch Besatzer in Deutschland waren. Dominique Trimbur zeichnet das Suchen am Rhein nach, den Wiedereintritt in den Westen mit Wiedergutmachung gegenüber Juden zu fördern. Hochkommissar John J. McCloy habe den Westdeutschen die Wiedergutmachung angeraten. Ob diese auf Wink der Amerikaner oder frei handelten, sei offen. Trimbur meint, die Westdeutschen hätten auf direkten oder indirekten Druck der Amerikaner reagiert, obzwar ihr eigener Beitrag zu würdigen sei. Seine These, Bonn habe um der Araber willen Israels Wünsche nach vollen Beziehungen abgewehrt, ist fraglich. Denn Bonn hatte Israel zuerst und gleich mit der Wiedergutmachung auch diplomatische Beziehungen angetragen, was den Israelis aber zu früh erschien. Erst nach 1953 verhielt es sich umgekehrt, wobei dann die arabische Drohung wirkte, in diesem Falle Ostberlin anzuerkennen.

Die Einheit brachte neue Koordinaten für Berlins Politik. Wie Volker Perthes zeigt, sah man Nah- und Mittelost ab 1995 als wichtigen Raum für eine uropäische Außen- und Sicherheitspolitik an. Laut Joschka Fischer wünsche Berlin keinen „Geo-Klientelismus“, wo Berlin nur für Osteuropa, andere Mächte für den Mittelmeerraum zuständig wären. Im vereinten Europa rücken Nah- und Mittelost auch den Deutschen näher. Perthes' Gedanke aber, jene Regionen bergen für Deutsche bloß nichtmilitärische Bedrohungen, erweckt Zweifel. Mitteleuropa kann von dort bedroht werden: durch Raketen in falschen Händen oder weitere Erpressungsmittel, vom Terror ganz zu schweigen. Insgesamt verdeutlicht der Band einen enormen Forschungsbedarf, darunter zu historischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Beziehungen. Man kann Haim Gorens Werk nur begrüßen, zumal es Licht und Schatten einer bislang vernachlässigten Forschungsrichtung erhellt.

Anmerkungen:
1 Ekkehard, Rudolph, Bestandsaufnahme, Kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung über die muslimische Welt in der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1999.
2Chubin, Shahram (Hg.), Germany and the Middle East, London 1992. Hier geht es um die Zeit nach 1945. Eine Bibliografie zur Periode davor birgt auch der von mir edierte Band Germany and the Middle East, 1871-1945, Princeton 2004, der nicht mit dem von mir edierten Band der Zeitschrift Comparativ identisch ist: Deutschland und der Mittlere Orient, Leipzig 2004.

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04.02.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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