Der hier zu besprechende, umfangreiche Quellenband dokumentiert die Beziehungen zwischen Deutschland und China im Zeitraum von 1928 bis 1937. In der allgemeinen historischen Forschung wird dieses Thema wohl eher als marginal eingeschätzt – zu Unrecht, wie der Band zeigt. Den Verfassern gelingt es überzeugend und schlüssig nachzuweisen, dass China in diesem Zeittraum keineswegs unbedeutend war für die deutsche Politik und Wirtschaft und dass umgekehrt auch Deutschland für die chinesische Politik und Wirtschaft einen hohen strategischen Stellenwert besaß. Hinter der großen Bedeutung, die die Zeitgenossen den deutsch-chinesischen Beziehungen zuschrieben, verbergen sich strukturelle Gemeinsamkeiten. Die Weimarer Republik und Republik China betrachteten sich beide als Verlierer oder Benachteiligte jener internationalen Ordnung, die nach dem Ersten Weltkrieg Gestalt annahm und auf den internationalen Konferenzen in Versailles 1919 und Washington 1921/22 fixiert wurde. Beide Staaten beabsichtigten, den eigenen außenpolitischen Handlungsspielraum gegenüber den Groß- beziehungsweise Siegermächten zu verteidigen und zu erweitern. Bedeutende innenpolitische Veränderungen in beiden Ländern (Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, die Einigung Chinas durch Chiang Kaishek und die folgende Dekade von Nanjing) führten zu Rufen nach Überwindung der Restriktionen und der Wiederherstellung uneingeschränkter Souveränität in allen Feldern, einschließlich Rüstung und nationale Selbstbestimmung. Eine zum Teil intensive Zusammenarbeit vor allem in internationalen, wirtschaftlichen und militärischen Fragen bot sich daher beiden Staaten als vorteilhaft an.
Der Band dokumentiert in sieben Kapiteln die Breite und Intensität der bilateralen Beziehungen. Jedes Kapitel enthält eine Einführung sowie Dokumente deutscher und chinesischer Provenienz, darunter zahlreiche unveröffentlichte Archivmaterialien. Das erste und das siebte Kapitel behandeln die wirtschaftliche Entwicklung sowie den Handel mit Rüstungsgütern. Die Förderung von Wirtschaft und Handel zwischen beiden Ländern, bislang hauptsächlich eine Domäne privater Unternehmen, wurde in dem Untersuchungszeitraum in den Rang einer zwischenstaatlichen Angelegenheit erhoben. Der Handel zwischen China, das über erhebliche Rohstoffe verfügte, und dem devisenarmen Deutschland wurde durch den Abschluss eines Austauschvertrages 1934 intensiviert. Dieser ermöglichte insbesondere eine von militärischen Kreisen forcierte Aufrüstung in beiden Ländern. Kapitel 4 schildert die diplomatischen Kontakte und Beziehungen. Im Mittelpunkt stehen hierbei insbesondere die Versuche Deutschlands in Krisen und Konfliktsituationen zwischen China und der Sowjetunion bez. zwischen China und Japan als Vermittler ohne eigenen regionale Interessen aufzutreten. Gute, freundschaftliche Beziehungen bestanden auch auf dem kulturellen Gebiet, wie Kapitel 5 beweist. Trotz beschränkter finanzieller staatlicher Hilfen gab es insbesondere im Bereich von Erziehungspolitik, Hochschulpolitik, Studentenaustausch und Sinologie weitgehende Kooperationen, die zum Teile lang andauernde Wirkungen entfalteten.
Zwei weitere Dimensionen der Beziehungen sind von besonderer Bedeutung und insbesondere sind es diese beiden Aspekte, welche das deutsch-chinesische Verhältnis als ein besonderes charakterisieren, das sich vom dem anderer bilateraler Verhältnisse unterschied. Da ist zum einen die Präsenz der deutschen Militärberater, die zahlenmäßig (ca. 60), aber vor allem aufgrund ihrer strategischen Nähe zu den Entscheidungsträgern von großer Bedeutung war (Kapitel 2). Auch andere Länder hatten Berater in China, doch nur deutsche Berater waren sowohl in der Kommunistischen Partei, als auch in der nationalistischen Regierung an zentraler Stelle platziert und verfügten über direkten Zugang zu Mao Zedong bez. Chiang Kaishek. Es ist keine Übertreibung festzustellen, dass ihre Tätigkeit den Verlauf der historischen Ereignisse in China veränderte und wesentlich zum Beispiel zum Erfolg des Nordfeldzuges und der Machtübernahme Chiang Kaisheks beitrugen. Insofern ist ihre Beschreibung als „Aktivposten“ der deutschen Politik (S.114) fast eine Untertreibung. Die Berater beeinflussten die militärischen Abläufe, aber, wichtiger noch, sie veränderten auch die Art und Weise, wie Krieg geführt wurde. Die abgedruckten Dokumente sind denn auch nicht geeignet, mehr als einen groben Überblick über Zahl, Verweildauer und Aufgaben der Berater zu geben. Dass die Bedeutung der Berater nicht angemessen dargestellt wird, hat auch damit zu tun, dass die Verfasser die Komintern-Archive in Moskau übergingen, wo einige der brisantesten Dokumente aufbewahrt werden.1
Die zweite wichtige Dimension, die die besondere Bedeutung der deutsch-chinesischen Beziehungen in dem zur Diskussion stehenden Zeitraum ausmacht, sind die Affinitäten zwischen bestimmten Gruppierungen innerhalb der nationalistischen Partei (KMT) und dem deutschen Nationalsozialismus (Kapitel 6). Das Kapitel zeigt, dass das faschistische Deutschland innerhalb der KMT als attraktives Modell angesehen wurde. Es wurden in China Gruppierungen geschaffen, die den faschistischen Kampfbünden in Europa ähnelten. Auch gab es Bemühungen in Nachahmung faschistischer Bewegungen in Europa eine ähnliche Massenbewegung in China zu initiieren, wobei Chiang Kaishek als Führerfigur fungierte. Unter den Dokumenten vermisst man aber gerade jene, die die Bewunderung für das faschistische Deutschland am deutlichsten zum Ausdruck bringen 2. Die Zeitschrift Qiantu (Zukunft), zum Beispiel, die das publizistische Hauptorgan der faschistischen Bewegung in China war, wird überhaupt nicht erwähnt. Hierin hätten die Verfasser aber zahlreiche Artikel finden können, die genaue Kenntnis und große Beachtung des faschistischen Deutschlands widerspiegeln, so dass hier von mehr als nur einer oberflächlichen Bewunderung gesprochen werden muss 3. Wichtige andere Bereiche der Zusammenarbeit werden in dem Band nicht dokumentiert, wie zum Beispiel im Bereich der Geheimpolizei oder der Haft 4. So wurden in den 1930er Jahren Einrichtungen geschaffen, die den deutschen Konzentrationslagern ähnelten. Mit den Geheimdiensten Juntong und Zhongtong versuchte Chian Kaishek Gestapoähnliche Organisationen ins Leben zurufen. Insgesamt kam es auf ideologischem und politischem Gebiet zu einer Annäherung und Kooperation, die doch weitgehender und wichtiger war als die in dem Band abgedruckten Dokumente zu erkennen geben. Erst mit dem Abschluss des Antikominternpaktes 1936 wandte sich Deutschland Japan zu und in der Folge auch von China ab, wie Kapitel 7 dokumentiert. Damit wurde auch den faschistischen Tendenzen in China ein Ende bereitet.
Dem Band kommt insgesamt das Verdienst zu, die entsprechend breit gestreuten deutsch-chinesischen Kontakte zwischen 1928-1937 aus einer Vielzahl von Archiven und anderem Material heraus darzustellen. Die Verfassen haben dankenswerterweise ein wichtiges Werk geschaffen, das eine wesentliche Grundlage für die weitere Forschung sein wird. Vor allem aber macht der Band die Bedeutung globaler Interaktionen und Vernetzungen sowohl für die chinesische als auch für die deutsche Geschichte deutlich. In Zeiten des allgemeinen Aufschwungs von Global History wäre eine breite Beachtung des Bandes über den Kreis der Spezialisten hinaus wünschenswert.
1 Die Mao-Biographie „Mao: The Unknown Story“, London 2005 von Jung Chang und Jon Halliday, fußt auf diesen Dokumenten, um die erhebliche Einflussnahme der Komintern durch deutsche Berater in der KP und der KMT zu demonstrieren.
2 Zitate finden sich z.B. bei Wakeman, Frederic Jr., A Revisionist View of the Nanjing Decade: Confucian Fascism, in: China Quarterly, No. 150, Special Issue: Reappraising Republic China. (Jun., 1997), 395-432. oder Xu Youwei & Phil Billingsley: Behind the Scenes of the Xi’an Incident: The Case of the Lixingshe, in: The China Quarterly No.154 (June 1998), pp.283-307.
3 Xu Youwei: German Fascism in Chinese Eyes, An Investigation of Qiantu Maganize, 1933—1937, in: Ricardo Mak /Danny Paau (eds): Sino-German Relations since 1800: Multidisciplinary Explorations
4 Frederic Wakeman Jr., Spymaster. Dai Li and the Chinese Secret Service, Berkeley 2003.