C. Köhler u.a. (Hgg.): Geldpolitik ohne Grenzen

Title
Geldpolitik ohne Grenzen.


Editor(s)
Claus, Köhler; Rohde, Armin
Published
Extent
224 S.
Price
€ 76,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Friedrun Quaas, Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Leipzig

Der Sammelband umfasst zehn Beiträge von sechzehn Autoren, die sich dem Thema einer internationalisierten Geldpolitik aus ihrem jeweils speziellen Blickwinkel der Wirtschaftswissenschaften bzw. der wirtschaftlichen Praxis, insbesondere dem Bankenbereich, widmen. Sicher legt der Titel Assoziationen zur Ebene der Europäischen Währungsunion nahe, aber den Autoren geht es nicht nur um den europäischen Rahmen, sondern generell um internationale Einflüsse und Interdependenzen der geldpolitischen Entscheidungen in unterschiedlichen Währungsräumen.

Die Beiträge des Buches sind nicht nach Unterthemen oder Schwerpunkten geordnet. Sollten sie dennoch in ihrer Reihung einer gewissen Systematik folgen, so erschließt sich diese dem Leser nicht sofort. Hier wäre eine Untergliederung des Hauptthemas hilfreich gewesen.

Im ersten Beitrag („Nationale Geldpolitik versus internationale Investoren in Schwellenländern“, S. 11-33) unternehmen Lukas Menkhoff und Susanne Maidorn den Versuch einer Analyse der indirekten Beeinflussung der (oft noch autonomen) nationalen Geldpolitik von Entwicklungsländern durch Kapitalströme aus den Industrieländern. Sie zeigen vorrangig am Beispiel an der Schwelle zur Industrialisierung stehender asiatischer Länder, wie es angesichts der Unterstellung einer „impossible trinity“ (S. 13) des gleichzeitigen Erreichens der drei Ziele „geldpolitische Autonomie“, „stabile Wechselkurse“ und „freier Kapitalverkehr“ zu einer Verschiebung der Prioritäten in der Geld- und Währungspolitik kommen muss, wenn die im internationalen Maßstab übliche Kapitalverkehrsfreiheit als obere Präferenz akzeptiert wird.

Manfred Borchert weist im zweiten Beitrag („Strategien der westeuropäischen Banken – Konzeptionelle Anpassungszwänge für die Europäische Zentralbank?“, S. 35-54) nach, inwiefern das Refinanzierungsverhalten von Kreditinstituten eine nicht zu unterschätzende Schlüsselrolle für die Vermittlung zwischen Zentralbank und Geldnachfragern spielt. Die Neuausrichtung der Banken hinsichtlich ihrer Strategien der Kreditvergabe wird ausgehend von einer theoretischen Abhandlung grundlegender Refinanzierungsquellen entwickelt und am Beispiel des tatsächlichen Verhaltens der Banken im währungspolitisch vereinten Europa demonstriert. Borchert vermutet zunächst, dass der Wettbewerb der Banken, die ja mit dem Euro alle dieselbe Währung anbieten, zu „aktivischer Refinanzierung oder zu Disintermediation“ (S. 41) führen muss und weist im letzten Teil seiner Analyse nach, wie sich etliche europäische Großbanken auf diese Weise tatsächlich dem Einfluss der Europäischen Zentralbank entziehen.

Im dritten Beitrag („Die west- und zentralafrikanische Franc-Zone – Satellitensystem der Europäischen Währungsunion“, S. 55-68) greift Heiko Körner ebenfalls den Gedanken der Zielantinomie zwischen Wechselkursstabilität, Kapitalverkehrsfreiheit und Autonomie der Geldpolitik auf. Er diskutiert die Konsequenzen, die mit dem Opfer des dritten Ziels infolge der Bindung der nationalen Geldpolitik an ein currency board zwangsläufig verbunden sind. Am Beispiel des francophonen West- und Zentralafrika wird für den Zeitraum bis 1998 die indirekte Bindung der Franc-Zone an die Europäische Währungsunion erläutert. Ob diese Bindung an eine starke Ankerwährung der vorherrschenden Meinung zufolge für die afrikanischen Länder überwiegend vorteilhaft gewertet werden darf, muss nach Körner differenziert beurteilt werden und gelte zudem für Westafrika in einem stärkeren Maße als für Zentralafrika.

Claus Greiber und Bernhard Herz erläutern in ihrem Beitrag („Taylor-Rules in Open Economies“, S. 69-81) das theoretische Instrument der sogenannten Taylor-Regeln im Kontext der geldpolitischen Präferenz für Preisniveaustabilität (Inflationsvermeidung) und Kapitalmobilität. Mit Hilfe dieser Zinsregeln soll die gezielte Wirkung geldpolitischer Maßnahmen entsprechend den Veränderungen in den außenwirtschaftlichen Determinanten erreicht werden. Taylor-Regeln berücksichtigen neben den Abweichungen zwischen aktueller und angestrebter Inflationsrate und der Unterauslastung des Produktionspotenzials auch Wechselkursveränderungen. Ob Taylor-Regeln als ein zuverlässiges Instrument der Zentralbankpolitik genutzt werden können, bleibt nach Greiber und Herz zumindest für die kurze Frist auf Grund von Schätzproblemen zu bezweifeln, für die längere Frist seien Taylor-Regeln dagegen geeigneter. Damit wird ihre Bedeutung für eine angemessene Beratung der Geldpolitik – Zinsorientierung versus Mengenorientierung – wohl relativiert.

Im fünften Beitrag („Vermögenspreise und Geldpolitik“, S. 83-104) untersuchen Hermann Remsperger und Dietrich Domanski die Wirkung von Veränderungen der Vermögenspreise auf die Geldpolitik. Anlass ist die Fragestellung, ob der Anstieg von Aktienkursen die gesamtwirtschaftliche Stabilität beeinträchtigt und daher geldpolitischen Handlungsbedarf provoziert. Dazu werden zunächst die Vermögenspreise selbst hinsichtlich ihrer Eignung als geldpolitische Zielgrößen getestet. Die Vorstellung einer Stabilisierung von Vermögenspreisen erscheint Remsperger und Domanski unabhängig von der praktischen Unmöglichkeit auch theoretisch-konzeptionell nicht sinnvoll. Immerhin seien Vermögenspreise jedoch deutliche Indikatoren sowohl für Veränderungen in den Inflationserwartungen als auch für inflationäre Spannungen und könnten als solche von der Geldpolitik entsprechend genutzt werden.

Hans-Jürgen Krupp und Karen Cabos gehen anschließend („Zu den Risiken einer Nullinflation als geldpolitisches Ziel“, S, 105-120) der interessanten Frage nach, ob die Europäische Zentralbank mit ihrem Inflationsziel im Korridor von 0-2% eine sinnvolle Festlegung getroffen hat. Diskutiert werden die Vorteile und Nachteile einer Nullinflation. Zu den Nachteilen sei das hohe Deflationsrisiko zu zählen, das bei einer Null-Inflation der Zinspolitik die erforderlichen Anpassungen an das Realzinsniveau unmöglich machen und damit die konjunkturelle Situation weiter verschlechtern würde. Die in der Literatur diskutierten Wohlfahrtsvorteile einer Nullinflation werden von Krupp und Cabos als zu unsicher eingeschätzt, als dass sie diese Untergrenze der Inflationsrate theoretisch absichern könnten. Vielmehr spreche einiges dafür, in der Geldpolitik eine positive niedrige Inflationsrate als Untergrenze des Zielkorridors zu wählen, beispielsweise 1%.

Die Transmission monetärer Impulse auf den finanzwirtschaftlichen und den realwirtschaftlichen Bereich steht im Zentrum des Beitrags („Finanz- und realwirtschaftliche Konsequenzen der Zinspolitik“, S. 121-139), den Horst Gischer verfasst hat. Seine Analysen führen für den Unternehmenssektor im Zeitraum von 1971-1997 zu dem Ergebnis, dass die Ertragslage privater Unternehmen in Deutschland „nur höchst unwesentlich von tatsächlichen Änderungen des Zinsniveaus beeinflusst wurde“ (S. 125). Damit wird einmal mehr darauf hingewiesen, dass die Bedeutung des Zinses vermutlich wesentlich geringer ist als meistens unterstellt wird. Vermittelt über die Auswertung empirischer Zusammenhänge kommt Gischer zu der vorsichtig vorgetragenen, aber doch eindeutig formulierten Aussage in Bezug auf eine wirksame geldpolitische Strategie: „Wenngleich die ... Analyseergebnisse keine abschließende Beurteilung zinsorientierter Geldpolitik zulassen, legen sie einer der Preisniveaustabilität verpflichteten Notenbank doch nahe, den Schwerpunkt ihrer monetären Maßnahmen in der Mengensteuerung zu setzen.“ (S. 138)

Ingrid Größl und Peter Stahlecker („Finanzierungsstrukturen kleiner und mittlerer Unternehmen und Geldpolitik“, S. 141-166) vermitteln eine Perspektive auf die Wirkung geldpolitischer Maßnahmen hinsichtlich der Finanzierungssituation kleiner und mittlerer Unternehmen. Basierend auf einer empirischen Studie, die die Finanzierungsstrukturen westdeutscher Unternehmen von 1987-1996 aufzeigt, soll begründet werden, inwieweit durch eine Erhöhung des unternehmerischen finanzwirtschaftlichen Risikos bei Verschuldung die Gefahr eines „credit channels“ für die Geldpolitik besteht. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob kontraktive bzw. expansive Maßnahmen der Geldpolitik tatsächlich nur kurzfristige Effekte für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung bewirken, wie das neuklassische Paradigma intendiert. Größl und Stahlecker kommen zu dem Ergebnis, dass eine Geldpolitik, die unabhängig von realwirtschaftlichen Entwicklungen vorwiegend auf die Stabilisierung der Preisniveauentwicklung ausgerichtet ist, Gefahr läuft, unerwünschte, aber persistente Effekte auf die reale volkswirtschaftliche Situation auszulösen. Unter der zusätzlichen Wirkung der für die Kreditvergabe restriktiven Maßnahmen von Basel II wird der „credit channel“ diese Gefahr eher noch erhöhen.

Eine völlig andere Perspektive auf die Grenzen, an welche die Geldpolitik stößt, wird im neunten Beitrag („Die rechtlichen Grenzen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – eine Fallstudie“, S. 167-202) von Martin Selmayr eingenommen. Im Zentrum der Analyse der jüngeren europäischen Geldpolitik stehen zunächst die rechtlich relevanten Mechanismen der Entnationalisierung der Geldpolitik, die von einer gewissen „Entpolitisierung“ geldpolitischer Entscheidungen begleitet werde und schließlich in eine Verrechtlichung der Geldpolitik durch das supranationale Gemeinschaftsrecht münde. Anhand einer zum Teil fiktiven, zum Teil auf die geldpolitische Praxis rekurrierenden Fallstudie wird gezeigt, dass der Begriff der Grenzenlosigkeit der Geldpolitik zumindest nicht für den juristischen Aspekt gilt.

Friedrich Geigant und Carsten Lange gehen im letzten Beitrag des Buches („Nutzung neuronaler Netze beim Einsatz geldpolitischer Instrumente“, S. 203-222) auf ein entscheidungstheoretisches Problem der Geldpolitik ein. Aufbauend auf dem Modell von William Poole versuchen sie mit ihrem theoretischen Ansatz ein Instrument zu liefern, dass die Nutzung neuronaler Netze bei der Entscheidungsfindung der Geldpolitik ermöglicht. Ob im Einzelfall entweder eine Zinssteuerung oder eine Mengensteuerung vorteilhafter ist, hängt in diesem Ansatz von der Art der Störgrößen ab, die als Zufallsereignisse sowohl im realwirtschaftlichen als auch im monetären Bereich wirken. Wenngleich Geigant und Lange sich bewusst sind, dass durch ihren Modellansatz zunächst weder empirische Fragestellungen noch direkte wirtschaftspolitische Umsetzungen abgeleitet werden können, besteht ein Ergebnis doch in der Stützung des Poolschen Modells hinsichtlich seiner ökonomischen und methodischen Relevanz für geldpolitische Entscheidungen.

Die gemeinsame Grundlage für das Buchprojekt bildet offensichtlich die in der Literatur vertretene Auffassung, nach der die meisten nationalen Zentralbanken nicht bzw. nicht mehr ausschließlich im Sinne einer binnenwirtschaftlichen Autonomie ausgerichtet sein können. Vielmehr müssen Erfolg und Wirkung der nationalen Geldpolitik in offenen Volkswirtschaften als zunehmend abhängig von einer aufmerksamen Beachtung internationaler Einflüsse eingeschätzt werden.

Jeder einzelne Aufsatz rückt eine spezifische Dimension dieser Abhängigkeiten in das Zentrum der Betrachtung. Das auf diese Weise entstehende Gesamtbild kann (und will) sicher keinen Anspruch auf eine vollständige, geschlossene Darstellung erheben, doch es ist komplex genug, um dem Leser einen guten Einblick in die Probleme der Geldpolitik einer globalisierten Welt zu vermitteln, und zwar sowohl auf der Ebene ihrer realen Existenz durch geldpolitische Entscheidungen als auch auf der Ebene ihrer Bewältigung durch die wirtschaftswissenschaftliche Theorie. In beiderlei Hinsicht sind die Beiträge kenntnisreich, informativ und für Interessenten am Thema mit Sicherheit für eine anregende Lektüre geeignet.

Jenseits der zum Teil sehr formalen, in das Detail der aktuellen wissenschaftlichen Forschung eingreifenden und deshalb eher für Spezialisten geeigneten Passagen, bleibt der Kontext der aufgeworfenen Fragestellungen stets so erhalten, dass die Lektüre auch für den Nicht-Spezialisten ein Gewinn sein dürfte. Letztlich stehen die Fragen nach einer geeigneten geldpolitischen Orientierung in unmittelbarem Zusammenhang mit den die gesamtwirtschaftliche Situation beeinflussenden Faktoren – ein Dauerthema sowohl für die Theorie als auch die Praxis der Wirtschaftspolitik und die von ihr Betroffenen.

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21.12.2004
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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