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Title
Soldaten der Arbeit. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933 - 1945


Author(s)
Patel, Kiran Klaus
Series
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
Published
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Extent
459 S., 9 Abb.
Price
€ 49,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dr. Marie-Benedicte Vincent mariebvincent@yahoo.fr

Dieses Buch ist wegen seines methodischen Ansatzes höchst lesenswert. Denn sein Verfasser führt einen dreieckigen Vergleich zwischen dem national-sozialistischen Reichsarbeitsdienst (RAD) (1933-1945), seinem Vorläufer in der Weimarer Republik, dem Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD) (1931-1933), und ihrem amerikanischen Pendant in der New-Deal-Politik Roosevelts, dem Civilian Conservation Corps (CCC) (1933-1942). Alle drei waren staatlich finanzierte Institutionen, die junge arbeitslose Erwachsene im Lagersystem organisierten und bei gemeinnützigen Handarbeiten beschäftigten. Die Vergleichsperspektive wird mit einer Transferproblematik kombiniert, die die Wahrnehmung jeweiliger Institution im anderen Land untersucht. Bevor an diese verschiedenen Ebenen herangegangen wird, muss diese Studie in der Historiographie des Dritten Reichs situiert werden.

Der RAD galt lange in Deutschland sowie im Ausland als eine der populärsten Institutionen der Nationalsozialismus. Er schien mit den Verbrechen des Regimes wenig belastet zu sein. Als staatliche Kampfmittel gegen die Massenarbeitslosigkeit konnte er sogar eine „positive“ Seite der Diktatur darstellen. Kiran Klaus Patel wendet sich klar gegen die Modernisierungs-these, die einer solchen Stilisierung des RAD zugrunde liegt. Erstens, weil die Ideologie des RAD der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus völlig entsprach und zweitens, weil die Institution auf den totalitären Anspruch des Regimes antwortete. Das Arbeitslager des RAD basierte nämlich auf Inklusions- und Exklusionsmechanismen, nach denen nur die „ausgelesenen“ Volksgenossen aufgenommen werden konnten. Sein Pendant war eben das Konzentrationslager, das für die nicht in die Volksgemeinschaft integrierbaren Elementen gedacht war. Demnach ist es irreführend, zwischen einem „positiven“ und einem „negativen“ Lagersystem zu unterscheiden. Der RAD war an den nationalsozialistischen Terror gebunden und hat sogar ab 1941 an Verbrechen des Rassenkriegs im Osten teilgenommen. Nachdem Patel seine Stellung klar definiert hat, kann er ohne Missverständnis des Lesers seine ungewöhnlichen, manchmal sogar verstörend wirkenden Vergleiche zwischen Diktatur und Demokratie entwickeln.

Die erste Ebene des Vergleichs bezieht sich auf die Bruch- und Kontinuitätslinien zwischen den 1931 von Brüning eingerichteten FAD und der nationalsozialistischen RAD. Patel betont hier die Ähnlichkeiten beider Institutionen, die im Kontext der Wirtschaftskrise von gleichen zeitspezifischen Elementen geprägt waren. Wenn der FAD hauptsächlich als ein für junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren konzipiertes Arbeitsbeschaffungsprogramm entstand, war er doch auch von einer völkischen Ideologie getragen. Die Arbeit sollte zum Nutzen der Gemeinschaft geleistet werden. Dazu kam eine sozialpädagogische Dimension. Gezielt war auf die körperliche und sittliche Erziehung der Arbeitsmänner als vormilitärische Ausbildung im Hinblick auf die zukünftige Aufrüstung Deutschlands. Wenn die am FAD beteiligten Dienstträger aus allen politischen Richtungen stammten, wurde die Debatte jedoch vor allem von der antirepublikanischen Rechten geprägt. Insbesondere der Stahlhelm forderte die Arbeitsdientspflicht, die von den Nazis 1935 eingeführt wurde. Patel relativiert aber diese Zäsur, insofern die Weimarer Republik schon die Zugangsbedingungen des FAD erleichtert hatte, was zu einem enormen Wachstum der Institution bereits vor 1933 führte. In diesem Zusammenhang erscheint der von Hierl geleitete neue Anfang des Arbeitsdiensts nach der Machtergreifung Hitlers eher als eine Radikalisierung des FAD der Weimarer Republik.

Die zweite Ebene des Vergleichs untersucht die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen dem nationalsozialistischen RAD und dem amerikanischen CCC. Dieses Thema bildet mit drei Kapiteln den Kern des Buches. Auch hier betont Patel die Ähnlichkeiten beider Institutionen trotz ihrer Bindung an entgegengesetzte politische Systeme. Beide waren im Krisenkontext durch den Staatsinterventionismus gerechtfertigt und spielten eine exemplarische Rolle in der sozialstaatlichen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Allerdings hat der Arbeitsdienst weder in Deutschland noch in den USA zur Lösung der wirtschaftlichen Krise wirklich beigetragen, insofern beide Staaten die Depression erst durch ihre Umwandlung in Kriegswirtschaften bewältigt haben. Dabei soll also weniger die wirtschaftliche Leistung der beiden Arbeitsdienste ins Auge gefasst werden, als ihre Funktion als Mittel symbolischer Politik. Angestrebt war die Schaffung eines nationalen Mythos gegen die Depression, sei es die Errichtung einer „Volksgemeinschaft“ in Deutschland oder die Reaktivierung des frontier-Mythos in den USA. Die anderen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Arbeitsdiensten waren die Arbeitsformen (Bevorzugung der Handarbeit im primären Sektor), die Organisation im Lagersystem (mit einem Disziplinierungsanspruch und einer militärischen Orientierung) und das Primat der Erziehung gegenüber der Arbeit (wenn auch dies im deutschen Fall mehr proklamiert wurde als in den USA).

Dagegen bestehen natürlich wichtige Unterschiede zwischen beiden Ländern. Der deutsche RAD kennzeichnete sich durch seinen totalitären Anspruch. Letzterer ist sowohl in der Einführung der Arbeitsdientspflicht 1935 zu sehen, als auch im Zwang im Alltag der Arbeitsmänner und im ideologischen Inhalt der Ausbildungskurse. Dabei fällt auf, dass die deutschen Lager als geschlossene Einheiten funktionierten. Im Gegensatz dazu entwickelten die amerikanischen Arbeitslager mehr Kooperation mit den schon vorhandenen technischen Institutionen. Der CCC unterschied sich auch durch sein Arbeitsethos, in dem die Arbeitsausbildung gefördert wurde (und nicht die Ideologie) und eine gewisse Arbeitseffizienz gesucht wurde (diesbezüglich fehlt aber eine genaue Evaluation wegen Mangels an quantitativen Quellen). Zweitens war der CCC durch seine Rückbindung an die Werte der demokratischen Gesellschaft gekennzeichnet (Förderung des Individualismus und der Selbstverantwortung anstatt Eingliederung in die „Volksgemeinschaft“). Endlich unterschieden sich beide Arbeitsdienste in ihrem Militarisierungsgrad. Nach Hitlers Ansicht sollte der RAD der Kriegsvorbereitung dienen. Dieses Ziel wurde klar, als der Dienst 1938 seine Unabhängigkeit gegenüber dem Militär verlor, 1939 als Bautruppe der Wehrmacht und 1941 sogar als Kampftruppe benutzt wurde. Dagegen wurde der CCC 1942 aufgelöst, weil er keine Legitimation mehr hatte, seitdem die Massenarbeitslosigkeit in den USA überwunden war.

Die Transferproblematik bildet endlich die dritte Ebene des Buches. Zwar stand die Militarisierung des Arbeitsdienstes in den USA immer unter dem Verdacht des Faschismus, und der CCC grenzte sich von deutschen Importen ab. Dennoch liess sich Roosevelt 1938 über den RAD trotz dessen Bindung an Hitlers Diktatur persönlich informieren. Ein amerikanischer Diplomat, Leverich, besuchte mehrtägig ein deutsches Arbeitslager. Ergebnis des Transfers war die Einführung von Ausbildungskursen im Flugzeugbau nach deutschem Vorbild für die enrollees des CCC. Diese relative Aufgeschlossenheit Roosevelts löste in Amerika keinen Widerstand aus. Dagegen wurde in Deutschland der CCC in der Presse lediglich zu Propagandazwecke erwähnt, um die Überlegenheit des deutschen Arbeitsdienstes zu beweisen und damit die nationalsozialistische Institution zu legitimieren.

So hat man es hier mit einem spannenden Buch wegen seiner methodischen Ambitionen zu tun. Es gelingt Patel sehr gut, die Vergleichs- mit der Transfersperspektive zu kombinieren. Die Studie beweist auf praktischer Ebene, dass es keine Antinomie zwischen beiden Methoden gibt (wenn auch die vergleichende Methode im Buch den Vorrang behält). Dagegen erscheint die theoretische Referenz an Foucault ein bisschen oberflächlich. Die Historiker können auch bedauern, dass Patel nicht genug Auszüge aus Memoiren und Tagebücher zitiert. Solche Zitate hätten seine Repräsentationsgeschichte der Arbeitsdienste bereichern können (hinsichtlich der Stilisierung der individuellen Erfahrungen oder ihrer Funktion als Kontrapunkt der Propaganda). Denn der CCC galt als eine der beliebtesten Institutionen des New Deal und der RAD als eine Vitrine des Nationalsozialismus.

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Published on
22.04.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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