Im Zuge der Globalisierungsdebatte der letzten Jahre wurden grundlegende Konzepte der Sozial- und Kulturanthropologie nachhaltig erschüttert. Fernand Kreff hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Erschütterungen inner- und außerhalb der Disziplin nachzuspüren. Es geht dem Ethnologen dabei nicht um exemplarische Feldstudien zu Effekten der Globalisierung, sondern um die Theoriebildung im Feld der Globalisierung. Er stellt eine Auswahl neuerer theoretischer Modelle dar und befragt sie kritisch auf ihre Tragfähigkeit hin. Dabei wird auch das veränderte Selbstverständnis der Sozial- und Kulturanthropologie thematisiert. Als roter Faden führt der unterschiedliche theoretische Umgang mit Dichotomisierungen wie global/lokal, Zentrum/Peripherie, modern/traditionell durch das Buch.
Da sich zahlreiche GlobalisierungstheoretikerInnen der Gegenwart – ob affirmativ oder kritisch – immer wieder auf die Weltsystemtheorie beziehen, widmet sich Kreff diesem theoretischen Ansatz in seinem ersten Kapitel. An Immanuel Wallersteins Weltsystemperspektive hebt er positiv hervor, dass sie die Vorstellung eines polaren Verhältnisses von Zentrum und Peripherie, also von Nationen und ihren Kolonien, durch das Einfügen einer Semiperipherie ausdifferenziert. Kritisch beleuchtet er hingegen Wallersteins These der Hegemonialzyklen, die besagt, dass mit der im 16. Jahrhundert beginnenden europäischen Arbeitsteilung die Weichen für eine kapitalistische Weltwirtschaft gestellt wurden. Kreff macht demgegenüber deutlich, dass eine derartige Perspektive nur funktionieren kann, wenn die Entstehung eines weltumspannenden Systems mit Verwestlichung bzw. Modernisierung in Zusammenhang gebracht wird, und verweist auf alternative Datierungen und Verortungen des Ursprungs des Weltsystems.
Im weiteren Verlauf des Kapitels geht der Autor auf die Versuche von Eric Wolf, Ulf Hannerz, Kajsa Ekholm und Jonathan Friedman ein, die Weltsystemtheorie für die Sozial- und Kulturanthropologie nutzbar zu machen bzw. sich mit der Entwicklung abweichender theoretischer Ansätze von ihr abzugrenzen. Während er die Positionen von Wolf und Hannerz überzeugend zusammenfasst, bleiben bei der Darstellung des global systems approach von Ekholm und Friedman trotz ihrer Ausführlichkeit einige Fragen offen. So bleibt beispielsweise unklar, was genau unter „Zivilisationszyklen“, „Identitätsräumen“ oder „Modernitätskrisen“ zu verstehen ist und welche grundlegenden Konzepte von Zivilisation, Identität und Moderne dahinter stehen.
Im zweiten Kapitel spürt Kreff dezidiert der Problematik der Dichotomisierung nach, vor allem in theoretischen Überlegungen zum Wandel von Raum und Zeit. Dabei bezieht er sich zunächst kritisch auf postmoderne AnthropologInnen wie George Marcus und Michael Fischer, Akhil Gupta und James Ferguson sowie James Clifford. Mit Marc Augé wirft er ihnen vor, mit ihrer Problematisierung der Konstruktion des „Anderen“ in ethnografischen Texten die Unterschiede nicht aufgehoben, sondern zementiert zu haben. Im Folgenden führt Kreff die für die Sozial- und Kulturanthropologie sehr wichtig gewordenen Überlegungen von Fredric Jameson und David Harvey zum Wandel von Raum und Zeit im Spätkapitalismus aus und verfolgt ihre Argumente in anthropologischen Globalisierungskonzepten. Er beschreibt die Theoretisierung des Raumes nach Akhil Gupta und James Ferguson und verweist auf die Überlegungen zurzeit von Johannes Fabian, die die machtvolle Durchdringung von Raum und Zeit betonen. Für die AnalytikerInnen der Postmoderne konstatiert Kreff allerdings ein vornehmliches Interesse für den Raum. Daher sieht er im Begriff der contemporanéité von Marc Augé, der damit die Erforschung der Gegenwärtigkeit der Menschen in Raum und Zeit fordere, die Chance, die Analyse der Zeit gleichwertig neben die des Raumes zu stellen. Der prominente Stellenwert, der Augé in diesem Kapitel zukommt, bleibt insgesamt allerdings unverständlich, da Augé im Unterschied zu anderen in diesem Kapitel dargestellten TheoretikerInnen Zusammenhänge von Kultur und Ökonomie nicht theoretisiert und auch sonst nicht viel über die anderen Ansätze hinausweisendes thematisiert. Leider bleibt Kreff darüber hinaus die in der Einleitung für dieses Kapitel angekündigte Bezugnahme auf feministische Theorien schuldig. Unter anderem wäre hier eine interessante Ergänzung zu Augés Problematisierung des postmodernen Nachdenkens über die Konstruktion des „Anderen“ zu finden gewesen.
Im folgenden Kapitel, das rund ein Drittel des Buches umfasst, sind wir dann mitten im Fach angelangt. Es geht hier vor allem um die Kulturkonzepte von Ulf Hannerz und Arjun Appadurai. Detailliert und mit anschaulichen Grafiken und Tabellen versehen, stellt Kreff die Überlegungen der beiden für die Sozial- und Kulturanthropologie zentralen Globalisierungstheoretiker dar und folgt ihren Verweisen auf andere AutorInnen wie zum Beispiel Fredrik Barth oder Benedict Anderson. In diesem Kapitel schöpft der Autor aus dem Vollen. Besonders inspirierend ist der Exkurs über Anthropologie und Chaostheorie, in dem Kreff unter Verweis auf Angela Cheater Appadurais Forderung nach einer chaostheoretischen Anthropologie der Globalisierung kritisch hinterfragt. Nach einer zusammenfassenden Gegenüberstellung von Hannerz und Appadurai und einer kritischen Würdigung ihrer Konzepte gegen Ende mündet das Kapitel folgerichtig in die nahezu unausweichliche Frage, ob der Kulturbegriff überhaupt noch etwas taugt.
Das letzte Kapitel beschäftigt sich vor dem Hintergrund dieser Frage mit der Neubestimmung des ethnografischen Studienobjektes. Es werden hier Ansätze aufgezeigt, die die Dichotomie lokal/global oder Mikro/Makro methodisch zu überwinden suchen. Nach der Darstellung von Marilyn Stratherns Zweifeln an der Erklärungsfähigkeit eines allumfassenden „Globalen“, erläutert Kreff das Konzept der multi-sited ethnography, mit dem George Marcus eine Ethnografie entwirft, die die Verbindung von lokaler Ebene und Systemzusammenhang in den Blick nimmt. Als weitere methodische Herangehensweise, die Zusammenhänge zwischen Makro- und Mikroebene fokussiert, beschreibt der Autor den linkages approach von Conrad Kottak und Elisabeth Colson, um ihn dann jedoch – plausibel begründet – sogleich wieder zu verwerfen.
Zum besseren Verständnis der veränderten Bedingungen des Lokalen geht Kreff schließlich ausführlich auf Appadurais analytische Unterscheidung von „Lokalität“ und „Nachbarschaft“ ein, fasst Guptas und Fergusons Forderung nach einer stärkeren Fokussierung des Ortes angesichts von Reterritorialisierungsbestrebungen zusammen und erläutert Karen Fog Olwigs und Kirsten Hastrups Konzept vom siting of culture als einem dynamischen Prozess der kulturellen Konstruktion von Orten. Daran anknüpfend stellt Kreff Augés Konzept der Nicht-Orte und seine Überlegungen zur Auswahl adäquater Forschungsobjekte dar, wobei wiederum nicht ganz klar wird, warum Augé so viel Raum bekommt. Wie dem auch sei, macht dieses Kapitel die widersprüchlichen Aspekte und den weiteren Diskussionsbedarf in der Globalisierungsdebatte besonders deutlich.
Kreff hat sich ausdrücklich für eine rein theoretische Herangehensweise entschieden und füllt damit eine Lücke in der sozial- und kulturanthropologischen Globalisierungsdebatte. Insbesondere im letzten Kapitel bleibt jedoch einiges abstrakt, was durch Verweise auf empirische Studien hätte konkretisiert werden können. Ohne Zweifel ist dem Autor eine sinnvolle Systematisierung wichtiger theoretischer Positionen der sozial- und kulturanthropologischen Globalisierungsdebatte gelungen. Nicht immer wird jedoch die Auswahl der dargestellten TheoretikerInnen hinreichend plausibel gemacht. Seinem eingangs formulierten Anspruch, die TheoretikerInnen selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen, wird Kreff allerdings durchaus gerecht, was aber aufgrund der vielen – häufig englischen, manchmal auch französischen – Zitate auf Kosten der Lesbarkeit geht. Besonders ertragreich sind die die einzelnen Kapitel abschließenden Diskussionen, in denen der Autor weitgehend auf Zitate verzichtet und auf seine eigenen Formulierungen vertraut.
Alles in allem ist das Buch nicht nur eine gelungene Zusammenfassung bisheriger Theorien zur Globalisierung, sondern bietet eine gute Basis für zukünftige Auseinandersetzungen um grundlegende Konzepte der Sozial- und Kulturanthropologie in der Globalisierungsdebatte.