Bei dem Sammelband „Land und Meer“ handelt es sich um eine kulturgeschichtliche Publikation. Er vereint erste Ergebnisse eines internationalen Kooperationsverbundes der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der sich „räumlich von den Britischen Inseln bis in die heutige Ukraine erstreckt“ (S. VII), und versteht sich daher bewusst als „erster Zwischenbericht eines internationalen Forschungsprojektes“ (S. 2). In diesem interdisziplinären Projekt, bestehend aus den Disziplinen Philosophie, Psychologie und Geschichtswissenschaften, sollen „Binnenstrukturen des Ostseeraums mit seinem Hinterland“ sowie die „Interdependenz und Transformationsprozesse mit anderen Regionen, vor allem mit Nordwesteuropa“ (S. VII) untersucht werden. Der hier vorliegende Band präsentiert Resultate amerikanischer, polnischer und deutscher Historiker und Kunsthistoriker aus den Teilprojekten „Transfer und Rezeption von Kunst und künstlerischen Ideen in den Hafenstädten und den Hinterländern der Ostsee am Beispiel Polens“ sowie „Kulturströmungen und intellektuelle Netzwerke zwischen dem Ostseeraum und England“ (S. VII und S. 2).
Der hohe Anspruch, den sowohl der Titel „Land und Meer“ als auch der Untertitel „Kultureller Austausch zwischen Westeuropa und dem Ostseeraum in der Frühen Neuzeit“ wecken, wird bereits zu Beginn des Vorwortes heruntergeschraubt und auf einen kleinen inhaltlichen und räumlichen Ausschnitt dieses großen Themas reduziert. „Land und Meer“ gelten hier „als Metapher für die Ostsee als nur scheinbar kulturfreies Meer und ihr weites Hinterland“ (S. VII). Der Ostseeraum erscheint als eine durch Kommunikation und Integration konstruierte Region. Er wird jedoch auf den südlichen Ostseeraum beschränkt, mit einem eindeutigen Fokus des gesamten Bandes auf Danzig. Von den insgesamt zwölf Beiträgen bezieht sich allein die Hälfte bereits im Titel explizit auf diese Hansestadt. Westeuropa meint in diesem Kontext Nordwesteuropa und hier in erster Linie die Niederlande und Großbritannien, Der Gesamttitel „Land und Meer. Kultureller Austausch zwischen Westeuropa und dem Ostseeraum in der Frühen Neuzeit“ scheint daher etwas zu hoch gegriffen, vor allem auch, da es sich um die Präsentation von Teilergebnissen handelt. Als Leser fragt man sich unwillkürlich, unter welch großen Rubriken die übrigen Zwischenergebnisse des Projektes präsentiert werden und unter welchem Oberbegriff das gesamte Projekt schließlich laufen wird.
Der Sammelband ist in den Kontext der Kulturtransferforschung einzuordnen. Hierfür liefert er gerade im Bereich des Transfers von Kulturgütern detaillierte Einzelstudien, die zum großen und übergreifenden Thema des kulturellen Austausches zwischen Westeuropa und dem Ostseeraum beitragen. Inhaltlich gliedert sich der Band in drei, quantitativ stark unterschiedlich gewichtete Teile: 1. Architektur und Kunst, 2. Wohnkultur, 3. Intellektuelle Netzwerke.
Der erste Teil ist mit sechs Beiträgen der umfangreichste. Er beginnt mit einem Beitrag von Thomas DaCosta Kaufmann über den „Ostseeraum als Kunstregion“, in dem dieser das lange Zeit durch die Nationalsozialisten diskreditierte Konzept der „Kunstgeographie“ am Beispiel des Ostseeraumes wieder zur Diskussion stellt und dessen Wurzeln bis ins 16. Jahrhundert zurück verfolgt. Die folgenden Aufsätze legen ihren regionalen Schwerpunkt auf Danzig und seine Funktion als Mittler zwischen Ost und West, zwischen Polen und Litauen einerseits und Hamburg und den Niederlanden andererseits. Am Beispiel niederländischer Kunst und Musterbücher analysiert Michał Wardzyński Danzigs Rolle als Zentrum der Vermittlung von Architekturbüchern und niederländischer Bildhauerkunst im 16. und 17. Jahrhundert. Die niederländischen Einflüsse in Danzig, Polen und Litauen sind auch das Thema von Edmund Kiziks Beitrag, der hierbei den Bogen von der wirtschaftlich und religiös motivierten Migration bis zu den materiellen und ideellen Kulturtransfers aus den Niederlanden vom 16. bis zum 18. Jahrhundert spannt. Michael North und Anna Oleńska zeigen in ihren Beiträgen über den „Hamburger Kunstmarkt und seine Beziehungen in den Nord- und Ostseeraum“ und über „Danzig als Kunstzentrum und Vermittler fremder Einflüsse in Polen im Zeitalter des Barock“ die Bedeutung des Hamburger Kunstmarktes für den Kulturtransfer zwischen West und Ost insbesondere in den Danziger Raum. Ewa Manikowska rekonstruiert in ihrer Studie den „Erwerb von Kunst und Luxusgütern für Stanislaw August Poniatowski und das Danziger Netzwerk“.
Der zweite Teil widmet sich mit der „Wohnkultur“ einem Bereich, in dem sich der Kulturtransfer „weniger explizit“ (S. 5) nachvollziehen lässt als im Bereich von bildender Kunst und Architektur. Die hier versammelten Beiträge von Corina Heß, Maciej Maksymowicz sowie Jörg Driesner und Robert Riemer untersuchen am Beispiel von Mobiliar und Wohnungsauskleidung, Kunst und Kunsthandwerk sowie Spiegeln und Bildern westeuropäische Einflüsse in Danzig und Reval im 17. und 18. Jahrhundert. Corina Heß analysiert zu diesem Zweck Nachlassprotokolle der Stadt Danzig, die einen Einblick in die Wohnkultur der Danziger Bevölkerung geben, während Maciej Maksymowicz Zeitungsannoncen der Wöchentlichen Danziger Anzeigen im Hinblick auf die dort angebotene Kunstproduktion untersucht und Jörg Driesner und Robert Riemer Nachlassinventare deutscher Kaufleute in Reval auswerten.
Der dritte Teil vereint lediglich zwei Beiträge. Er beschäftigt sich mit „intellektuellen Netzwerken“ und widmet sich der Frage, inwieweit intellektuelle Korrespondenz zum kulturellen Austausch zwischen West und Ost beitrug. Martin Krieger untersucht am Beispiel der Korrespondenz des Hamburger Gelehrten Joachim Jungis die Funktion der norddeutschen Hansestadt als Kommunikationszentrum während des Dreißigjährigen Krieges. Klara Deecke und Ingrid Gabel beschäftigen sich mit den Kontakten des aus Elbing stammenden und in England wirkenden Gelehrten Samuel Hartlieb und analysieren das Kommunikationsnetzwerk des „Hartlieb-Kreises im südlichen Ostseeraum“.
Der Sammelband „Land und Meer“ rückt die Frühe Neuzeit in den Blick und plädiert für eine intensivere Beschäftigung mit dieser Epoche, die durch die Konzentration auf die kulturgeschichtlichen Beziehungen der Hansezeit bislang vergleichsweise wenig erforscht ist. Auch wenn in dem Band abwechselnd von einem kulturellen Austausch zwischen „Ost und West“ und „West und Ost“ (z.B. S. 7 und S. 8) die Rede ist, liegt der Schwerpunkt der Betrachtungen auf den kulturellen Transfers von West nach Ost, nicht umgekehrt. Mit seinen regionalen Detailstudien gibt der Band „Land und Meer“ zahlreiche Beispiele für den kulturellen Transfer in dieser Richtung. Er bietet so einen guten Eindruck von der Vielfalt und Intensität des kulturellen Austausches besonders zwischen Niederlanden und dem südlichen Ostseeraum mit Danzig als kulturellem Zentrum. Die Studien werden fast durchgängig mit Grafiken, Karten, Statistiken und Bildmaterial unterfüttert. Ein ausführliches Personen- und Ortsregister erleichtert den Zugang. In dieser Detailgenauigkeit liegt die Stärke dieses Bandes, der damit zu weiteren (übergreifenden) Studien über den kulturellen Transfer zwischen dem westlichen Europa und dem Ostseeraum einlädt und neugierig macht auf die weiteren Ergebnisse des Projektes.