D.Trimbur (Hg.): Europäer in der Levante

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Title
Europäer in der Levante. Zwischen Politik, Wissenschaft und Religion (19.-20.Jahrhundert)


Editor(s)
Trimbur, Dominique
Series
Pariser Historische Studien 53
Published
München 2004: Oldenbourg Verlag
Extent
188 S.
Price
34,80 Euro
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Desanka Schwara, Historisches Institut der Universität Bern, Schweiz

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis eines Workshops unter der Leitung von Dominique Trimbur, der im Dezember 2001 am Deutschen Historischen Institut in Paris stattgefunden hat. Ziel war, das Wirken Frankreichs, Deutschlands, Österreich-Ungarns und Russlands in der Levante vergleichend zu analysieren, die mit ihren religiösen, karitativen und wissenschaftlichen Einrichtungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in dieser Region zugegen waren (Dominique Trimbur: Introduction: entre politique, science et religion: des Européens au Levant, S. 7-15). Ein historischer Überblick von Dominique Trimbur führt in die Geschichte der Levante zwischen 1840 und 1948 ein, wobei der Schwerpunkt auf Palästina liegt. Palästina, während Jahrhunderten eine unbedeutende Provinz des Osmanischen Reichs, gewann durch den Kampf der Grossmächte um Präsenz in der östlichen Region des Mittelmeers international an Bedeutung. Zugleich wurden nationalistische Gefühle der lokalen Bevölkerung geschürt, was zu einem Klima der Gewalt führte (Dominique Trimbur: Aperçu historique du Levant, 1840-1948, S. 17-30).

Die folgenden sechs Beiträge befassen sich mit den verschiedenen Prägungen europäischer Aktivität im Nahen Osten, hauptsächlich in Palästina. Markus Kirchhoff zeigte in seinem wissenschaftlichen Beitrag eindrücklich, wie durch die Gründung des Deutschen Palästina-Vereins („DPV“) im Jahre 1877, die deutschen Forschungen über Palästina erstmals institutionalisert wurden und einer „Palästinologie“ den Weg ebneten. Zwar allen Konfessionen geöffnet, verstand sich der „DPV“ doch in erster Linie als protestantisch und setzte sich eine freie und kritische wissenschaftliche Arbeit als Ziel, um Palästina „sachgemäss historisch“ zu durchdringen (S. 33). Vor dem Ersten Weltkrieg unterstützte der Verein die Übernahme bestimmter wissenschaftlicher Bereiche durch die Zionisten, so zum Beispiel die Kartographie und die Wiederentdeckung der biblischen Topographie (Markus Kirchhoff: Deutsche Palästinawissenschaft im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Die Anfänge und Programmatik des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas, S. 31-55).

Jérôme Bocquet widmete sich französischen und deutschen Missionaren. Die Lazaristen-Schule Saint Vincent, im christlichen Viertel von Damaskus gelegen, galt als die grösste erzieherische Einrichtung der Stadt und war gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Stützpunkt Frankreichs in der Region. Die Missionare versuchten, über die Vermittlung westeuropäischer Bildung Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen. Während die Lazaristen in Damaskus mit dem französischen kulturellen Imperialismus in Verbindung gebracht werden, zählt man die Lazaristen in Jerusalem „zum goldenen Zeitalter der deutschen Präsenz in Palästina“. Zahlreiche erzwungene Konversionen unterstreichen allerdings auch hier den imperialistischen Charakter deutscher Aktivität im Osmanischen Reich. Trotz der Kriegssituation in Europa empfingen die französischen Missionare ihre deutschen und österreichischen Ordensbrüder im Jahre 1914 herzlich und wollten mit ihnen gemeinsam als Kriegsgegner auftreten. Erst mit der Ausdehnung des Krieges in den Nahen Osten wurden die Beziehungen 1941 neu akzentuiert (Jérôme Bocquet: Missionaires français et allemands au Lévant: les Lazaristes français de Damas et l’Allemagne, du voyage de Guillaume II à l’instauration du Mandat, S. 57-75).

Roland Löffler befasste sich mit dem Wirken europäischer Missionare in Jerusalem. Der aus Würtenberg stammende Pädagoge und Missionar Johann Ludwig Schneller gründete Mitte des 19. Jahrhunderts in Jerusalem ein „syrisches Waisenhaus“, die grösste erzieherische und karitative Einrichtung des Nahen Ostens. Bei den ersten aufgenommenen Kindern handelte es sich um Opfer der Christenverfolgungen im Jahre 1860 in Syrien und im Libanon. Die Söhne und Enkel Schnellers führten sein Werk fort. Der Zweite Weltkrieg brachte alle Aktivitäten zu einem Stillstand. Nach 1948 errichtete der Staat Israel auf dem Gelände des Waisenhauses den „Schneller Camp“, nunmehr auch der Aufnahme jüdischer Kinder offen. Insgesamt habe das Waisenhaus, so Löffler, mit seiner Struktur, die ähnlichen sozialen Einrichtungen protestantischen Ursprungs in Deutschland glich, aus sozialer, religiöser und pädagogischer Perspektive wesentlich zur Modernisierung Palästinas beigetragen (Roland Löffler: Die langsame Metamorphose einer Missions- und Bildungseinrichtung zu einem sozialen Dienstleistungsbetrieb. Zur Geschichte des syrischen Waisenhauses der Familie Schneller in Jerusalem 1860-1945, S. 77-106).

Bertrand Lamure folgte den patriotischen Spuren französischer Pilger in Palästina. Angesichts der besiegten Kreuzritter dauerte es mehrere Jahrhunderte, bis die europäisch-christlichen Pilger im 19. Jahrhundert wieder ihre Fahrten zu den Heiligen Stätten aufnahmen. Einzelnen „romantischen“ Pilgern folgten bald ganze Karawanen von christlichen Frauen und Männern: 1853 landeten in Jaffa vierzig Pilger, die erste bedeutende katholische Pilgergruppe seit den Kreuzzügen, 1882 folgte eine grossangelegte Pilgerreise von über 1000 Pilgern mit dem erklärten Ziel, im Heiligen Land Busse zu tun. Dieser „pazifistische Kreuzzug“ erwies sich als ein wirksames Mittel für die französischen Katholiken, ihre religiöse und patriotische Identität auszudrücken und Frankreich in diesem Raum politisch zu stärken; angesichts des Umstands, dass sich alle europäischen Grossmächte inzwischen hier gegenüberstanden und versuchten, ihren Einflussbereich in diesem „wertvoll gewordenen Teil“ der Erde auszubauen, hat die grosse Zahl französischer Pilger sicherlich dazu beigetragen, Frankreich seine Vorreiterrolle in Palästina zu sichern (Bertrand Lamure: Les pèlerinages français en Palestine au XIXe siècle: croisade catholique et patriotique, S. 107-121).

Barbara Haider-Wilson richtete ihren Blick ebenfalls auf das Heilige Land, allerdings auf eine seiner Institutionen in Wien. Mitte des 19. Jahrhunderts hat das katholische Österreich wieder Zugriff auf eine Kircheninstitution erlangt, die erstmals 1633 im Zuge der Gegenreformation gegründet worden war: „Das Generalkommissariat des Heiligen Landes“. Die Errichtung des Generalkommissariats in Wien ist im Zusammenhang mit den Reformen im Osmanischen Reich zu sehen, mit politischen Weltereignissen, kirchlichen Massnahmen und einer Mischung spiritueller und politischer Einflüsse und Strömungen, unter anderem dem Konzept des „friedlichen Kreuzzugs“ (Barbara Haider-Wilson: Das Generalkommissariat des Heiligen Landes in Wien – eine Wiederentdeckung des 19. Jahrhunderts, S. 123-159).

Elena Astafieva schliesslich rückte eine Grossmacht in den Mittelpunkt, deren Bedeutung im 19. Jahrhundert (und den Jahrhunderten davor) aufgrund der Kräfteverschiebungen im 20. Jahrhundert und des „Kalten Kriegs“ manchmal in Vergessenheit gerät: Russland. Astafieva zeigte eindrücklich Russlands Gratwanderung zwischen Mythos und Weltpolitik; ein historisches Machtpotential, das im rationalen Zeitalter der Technik ebenfalls in seiner Bedeutung oft nicht genug ernst genommen wird. Jerusalem und Konstantinopel, beides heilige Städte für russisch-orthodoxe Christen, haben in der Vorstellungskraft der Russen jahrhundertelang einen wichtigen Platz eingenommen und wurden gelegentlich sogar verwechselt, da ihre symbolische Bedeutung wichtiger war als ihre geographische Lage (S. 170 f.). Astafieva zeigte den krassen Unterschied im Selbstverständnis von Adel und Bauern. Während der russische Adel es als seine Aufgabe auffasste, Tsargrad (Jerusalem oder Konstantinopel?) für die Christenheit zurückzuerobern, brach das Volk ins Heilige Land auf, um am Grab Christi um Vergebung für mögliche Sünden zu bitten. Die Politik Russlands war im 19. Jahrhundert von einer Idee des russischen Grafen Viktor Kotschobey inspiriert. In einem Memorandum an den Zaren Alexander I. über die Türkei vertrat Kotschobey 1802 die Ansicht, Russland könne nicht anders vorgehen, als im Einvernehmen mit Frankreich und Österreich das Land aufzuteilen, „oder aber mit allen Mitteln die Gefahr der Zerstückelung zu verhindern“, wobei die zweite Alternative vorzuziehen sei: „unabhängig davon, dass Russland überhaupt keine Gebietserweiterung anstrebt, gibt es keine ruhigeren Nachbarn als die Türken, und die Erhaltung dieses Gegners soll künftig zur Grundregel unserer Politik werden“ (S. 165 f.) (Elena Astafieva: Imaginäre und wirkliche Präsenz Russlands im Nahen Osten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 161-186).

Die Beiträge beleuchten das wachsende Interesse der Großmächte an Palästina und zeigen anschaulich, wie diese sich mit religiös-kulturellen Mitteln darum bemühten, Präsenz zu markieren, indem sie sich mit ihren offiziellen und inoffiziellen Vertretern an der Wiederentdeckung des Heiligen Landes beteiligten. Im Mittelpunkt der Aufsätze steht das Hin und Her zwischen den Mächten, Interessengruppen, Akteuren vor Ort und der lokalen Bevölkerung. Es werden Aspekte der Sozial-, Bildungs- und Religionsgeschichte einbezogen und politische Interessen aufgedeckt, die mit Nationalstaaten-Konzepten eng verbunden sind und deren Folgen sich bis in die Gegenwart fortsetzen.

Nicht ganz einsichtig ist allerdings der Gebrauch des Begriffs „Levante“ für diese hauptsächlich um Palästina kreisenden Beiträge. Die Entscheidung des Herausgebers, die Ergebnisse des Workshops unter dem Titel „Europäer in der Levante“ zu publizieren leitete die Erwartungen der Leserin etwas in die Irre. Eine ausführliche Begründung dieser Wahl hätte einen fesselnden Einzelbeitrag ergeben können. Ein historischer Abriss über die Bedeutung und den Wandel der Begrifflichkeit hätte die sehr variablen Grenzen „Palästinas“ zeigen können, eine Entwicklung von der „Levante“ – ein europäischer Begriff, der vor allem in kaufmännisch-wirtschaftlichen Zusammenhängen die über Jahrhunderte zum Osmanischen Reich gehörende Ostküste des Mittelmeers meinte – hin zur künstlichen Bildung von „Nationalstaaten“, die mit der Zurückdrängung der Osmanen in engem Zusammenhang standen. Zum anderen hätte explizit dargestellt werden können, wie die europäischen Grossmächte nun nicht mehr eigentlich die „Levante“ meinten, sondern sehr wohl auf eine nationalstaatliche Aufteilung des Gebiets zuarbeiteten, wie die einzelnen Beiträge sehr plausibel zeigten. Des weiteren hätte m. E. in einer Auseinandersetzung mit dem Begriff „Levante“ ein wesentlicher neuer Aspekt in den Vordergrund gerückt werden können: Die Bezeichnung für „Europäer in der Levante“ war eigentlich „Levantiner“; diese Europäer unterschieden sich aber in einem entscheidenden Punkt von jenen, die in diesen Band Eingang gefunden haben. Die Besonderheit der „Levantiner“ bestand in einer kulturellen Flexibilität. Sie galten als go-betweens, als passeurs, als Mittler zwischen den Kulturen. Mehrerer Sprachen mächtig beherrschten sie das Spiel mit kulturellen Codes, passten sich ihrer Umgebung an, bis hin zu religiöser Konversion und gegebenenfalls Rückkonversion. Die eigentliche Charakteristik der „Levantiner“ – wobei in der Forschung umstritten bleibt, ob es sich dabei um katholische, um verschiedenen christlichen Religionen angehörende oder um jüdische Europäer handelte – war Anpassungsfähigkeit und Wandelbarkeit. Ein Beitrag über den Begriff „Levante“ und „Levantiner“ hätte gerade den grossen Wandel von pluralen, multiethnischen und -religiösen Imperien hin zu nationalstaatlichen Bestrebungen deutlich machen können. Die in diesem Band skizzierten „Europäer in der Levante“ hatten mit den „europäischen Levantinern“ wenig gemein – dies zeigt der vorliegende Sammelband sehr eindrücklich, wenn auch nicht explizit auf diesen Wandel europäischer Präsenz im Osmanischen Reich hingewiesen wird. Diese Europäer waren nicht um kulturelle Assimilation bemüht, sondern versuchten im Gegenteil, sich die Fremde anzueignen, auch – ja als erstes – kulturell, um schon bald eine politische, wirtschaftliche und militärische Aneignung zu versuchen.

Der Sammelband ist ungeachtet dieser Anmerkung ein wichtiger Beitrag, der die Bestrebungen verschiedener europäischer Mächte, die Präsenz ihrer Nationalstaaten auf den Nahen Osten auszudehnen, anschaulich zeigt. Auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau legten die Autorinnen und Autoren die Wurzeln der bis heute währenden Konflikte frei.

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16.07.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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