H. Liebersohn: The Traverlers' World. Europe to the Pacific

Cover
Title
The Travelers' World. Europe to the Pacific


Author(s)
Liebersohn, Harry
Published
Extent
371 S.
Price
€ 23,92
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Uwe Pfullmann, Gornsdorf

Unter der Vielzahl von Publikationen zur Entdeckungsgeschichte der letzten Jahre seien die Arbeiten von Dietmar Henze (Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde), das zweibändige Werk von Ramond John Howgego (Encyclopedia of Exploration to 1800 and 1800 to 1850, Sydney 2003 und 2004), Norbert Ohler (Reisen im Mittelalter, Düsseldorf und Zürich 1999), Ulrich Erker-Sonnabend (Das Lüften des Schleiers. Die Orienterfahrung britischer Reisender in Ägypten und Arabien. Ein Beitrag zum Reisebericht des 19. Jahrhunderts, Hildesheim - Zürich - New York 1987), Anette Deeken/Monika Bösel (An den süßen Wassern Asiens. Frauenreisen in den OrientFrankfurt/New York 1996), Eric J. Leed (Die Erfahrung der Ferne. Reisen von Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage, Frank-furt/New York 1993) sowie die von Otfried Dankelmann edierten Sammelbände (Reisen im Georgian Empire. Untersuchungen zu Reisenden und Reisen im britischen Weltreich der Neuzeit, in: Deutsche Hochschulschriften; 1130, Egelsbach - Frankfurt (Main) - Washington 1997 und Entdeckung und Selbstentdeckung. Die Begegnung europäischer Reisender mit dem England und Irland der Neuzeit, Frankfurt/Main 1999) hervorgehoben.

Es versteht sich von selbst, dass das breite Spektrum von Reiseberichten in das kulturelle Umfeld ihrer Autoren und die Geschichte des Heimatlandes der Reisenden, seiner sozial-ökonomischen und kulturellen Entwicklung eingebettet sein müssen. Gerade die Orientalismus-Debatte um die Bücher von Edward Said (1978, 1984, 1994) unterstreicht diese Problematik. Harry Liebersohn leistet mit seinem Werk anhand der Entdeckungsgeschichte des Pazifiks einen sehr wertvollen Beitrag zur Geistesgeschichte des Reisens. In einer kraftvollen Erzählung führt der Autor den Leser aus den wissenschaftlichen Salons des 18. Jahrhunderts an die malerischen Küsten von Tahiti. Liebersohn untersucht die Transformation der globalen Kenntnis während des großen Zeitalters der wissenschaftlichen Erforschung der Erde. Seine Unter-suchung geht über den traditionellen Fokus auf britische oder französische Reisende hinaus, um Deutsche, Russen, Nordamerikaner und die Bewohner der pazifischen Inselwelten einzuschließen. Deutschland widerfährt Liebersohns besondere Aufmerksamkeit, weil dessen Reisende das Weltbürgertum des damaligen Zeitalters verkörperten und deutsche Philosophen im höchsten Maß in ein multikulturelles Verständnis engagiert waren. Beobachtungen von Naturforschern wie Philibert Commerson, Georg Forster und Adelbert von Chamisso halfen, ein neues Verständnis dieser weit entfernten Gesellschaften zu schaffen. Der Autor illustriert eindrucksvoll die sich wandelnde Natur der menschlichen Beziehungen auf unserem Planeten. Vor dem Hintergrund der heutigen Globalisierung ist sein Werk über die Erwartungen der damaligen Reisenden, ihre Aufnahme und Rezeption ungewohnter Sitten und Bräuche eine zum Nachdenken und zur Selbstspiegelung anregende Lektüre.

In der Einführung (S. 1-14) zeichnet der Autor ein Bild von den europäischen Reisenden als Ethnographen, der Geschichte und der Geschichtsschreibung der wissenschaftlichen Reisen sowie der damaligen Dimensionen der Welt sowie des europäischen Weltbildes. Kapitel I (S. 16-76) stellt Reisende und ihr wissenschaftliches Rüstzeug vor. An erster Stelle erwähnt er die botanische Systematik von Linné, die zu Beginn des Zeitalters der wissenschaftlichen Entdeckungen Europa-weit berühmt wurde. "Seine Wahl im Jahr 1762 an die Pariser Akademie war ein Triumph über seinen französischen Rivalen, Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, dem mächtigen Direktor des Königlichen Gartens von Paris." (S. 15) Liebersohn würdigt die von den Reisenden und Naturforschern auf sich genommenen Strapazen und hebt hierbei Philibert Commerson, den Naturforscher bei Bougainvilles Weltreise, Georg Forster, den erklärten Anhänger des linnéschen Systems und Teilnehmer der zweiten Weltumsegelung von Cook, und Adelbert von Chamisso hervor.

Kapitel II (S. 77-138) widmet sich unter der Kapitelbezeichnung "Förderer" einem der wichtigsten Voraussetzungen von Reisen: dem hierfür nötigen Geld. "Die meisten Reisenden auf Weltreisen waren jung, arm und schmerzlich auf den guten Willen von Arbeitgebern angewiesen, die ihre Reise bezahlten und andere lebenswichtige Dienste bereitstellten, um ihre Überfahrt zu entfernten Weltteilen zu erleichtern." (S. 78) L. geht auf die nachteiligen Konsequenzen dieser Patronage ein, die zwangsläufig Rücksichtnahmen auf die Gönner und Förderer mit sich bringen. Detailliert schildert der Autor das Patronage-System an ausgewählten Länderbeispielen wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Russland.

Zwar beansprucht Kapitel III (S. 139-185) mit dem Titel "Kollaborateure" relativ wenig Raum, aber es ist zweifellos der interessanteste Abschnitt. Die Kapitelüberschrift ist indes nicht so pejorativ gemeint, wie das deutsche Wort "Kollaborateure" suggeriert. Hier werden Antrieb, Motivation und Schicksal derjenigen Ureinwohner skizziert, die als Mitarbeiter und Informanten den wissenschaftlichen Expeditionen wesentlich mit zum Erfolg verhalfen. "Da eingeborene Gesellschaften nicht des Lesens und Schreibens kundig waren, ist unsere Kenntnis durch Europäer, den Eingeborenen vertraut gewordene Europäer oder europäisierten Einheimischen vermittelt." (S. 140) Namentlich erwähnt L. Ahutoru, Tupaia, Mai, Mahine sowie Marin und Kadu, die zwei Letztgenannten führten Adelbert von Chamisso in die hawaiianische Kultur ein.

Kapitel IV (S. 186-224) untersucht die Rezeption der veröffentlichten Reiseberichte. "Wie ihre Berichte geschrieben, interpretiert, benutzt und wiederverwendet wurden, hing von ihren Kreisen ab, die ihre Schriften in sehr verschiedene Richtungen von der ursprünglich beabsichtigten bringen konnten." (186) Unterkapitel wie "Diderot und der Schock von Tahiti", "Kant und Georg Forster" und "Wilhelm von Humboldt über sprachliche Vielfalt" illustrieren derartige Versuche, Reiseberichte in ein philosophisches System einzubetten und gegebenenfalls zu instrumentalisieren.

Kapitel V (S. 225-272) beschäftigt sich mit dem Wirken und den Auswirkungen der Arbeit der Missionsgesellschaften, die in der Regel Hand in Hand mit der wissenschaftlichen Erschließung der pazifischen Inselwelten arbeiteten. "Im unmittelbaren Augenblick in den späten 1820er Jahren, als die ethnographische Aufnahme abgeschlossen zu sein schien, war ein zweites, weitgehend unabhängiges Netzwerk entstanden und drohte sie zu verdrängen." (S. 230) Das Wirken der Missionsgesellschaften erfährt seitens der damaligen Reisenden eine durchaus kritische Würdigung. L. führt hier u. a. Otto von Kotzebue auf seiner zweiten Pazifik-Reise von 1824 als eine Art Kronzeugen an.

In dem mit "Darwin, Melville und das Ende einer Welt" betitelten Kapitel VI (S. 273-297) behandelt hier den großen missionarischen Konflikt, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der hier erörterten Geistesgeschichte einen zentralen Platz einnahm. Während Darwin das Wirken der Missionare verteidigte und rechtfertigte, sah Herman Melville deren wirken sehr kritisch. Der Autor illustriert beider Ansichten anhand ihrer pazifischen Reisen. In der abschließenden "Schlussfolgerung" (S. 298-305) resümiert der Autor den von den Reisenden ausgelösten Erkenntniszuwachs in der sich schon damals globalisierenden Welt. Er sieht die Reisenden als Vermittler und konstatiert: "Der Reisenden Interpretationen von fremden Kulturen waren genau ein Moment in der globalen Produktion von ethnographischer Erkenntnis. Die Reisenden selbst hatten nur ein begrenztes Verständnis von dieser sozialen Entwicklung ihrer Studien, denn sie betrachteten jede Station ihrer Reise als ein Betätigungsfeld für wissenschaftliche Untersuchung, ohne auf die sozialen und psychologischen Gegenströmungen zu achten, die ihre Arbeit bedingte, wo immer sie hingingen." (S. 303) Die Anmerkungen, eine Auswahlbibliographie und ein Index der Personen und geographischen Orte schließen sich an.

Es lässt sich folgendes Fazit ziehen: Das ordentlich illustrierte Werk ist eine tolle Lektüre und eine wirkliche Bereicherung des kaum noch übersehbaren Spektrums an Entdeckungsliteratur.

Editors Information
Published on
15.12.2006
Contributor
Cooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Language of review