J. Varwick u.a.: Die Reform der Vereinten Nationen - Bilanz und Perspekt

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Titel
Die Reform der Vereinten Nationen - Bilanz und Perspektiven.


Herausgeber
Varwick, Johannes; Zimmermann, Andreas
Reihe
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel 162
Erschienen
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Eine Vorgängertagung unter Leitung des nachmaligen Direktors des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Internationales und Völkerrecht, Rüdiger Wolfrum, hatte 1987 die Reform der Vereinten Nationen unter dem Rubrum „Möglichkeiten und Grenzen“ abgehandelt. (veröffentlicht 1989). Damit sind zwei Wegstrecken abgemessen: eine etwa zwanzigjährige Reformanstrengung, die durch die revolutionären Veränderungen der Jahre 1989/91 und durch die Erwatungen in eine Stärkung von global governance im nachfolgenden Jahrzehnt erheblich beflügelt wurde und in die „Millenium+5“-Konferenz der UN mündete, auf der viele der hochfliegenden Pläne zu Grabe getragen wurden. Waren schon 1987 Grenzen des Reformeifers absehbar, so ist diesmal der Ton fast auf Trotz gestimmt, beinah nach dem Motto „Die Reform ist tot, es lebe die Reform“.

In der deutschen Öffentlichkeit ist die Diskussion um Veränderungen in Gremienstruktur und Wirkungsweise der Vereinten Nationen hauptsächlich durch das Prisma eines möglichen ständigen Sicherheitsratssitzes wahrgenommen worden. Insbesondere die rot-grüne Regierung hat einiges investiert, um diesen zu erreichen und hat dabei auch die Interessen einer Koalition mit aufstrebenden Mächten wie Indien und Brasilien publik gemacht. So hat sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigt, die Nachkriegsordnung, wie sie zwischen den Vereinbarungen der Alliierten auf Jalta und der UN-Gründungskonferenz in San Francisco verbindlich festgeschrieben wurde, verliere mehr und mehr an Legitimität und dies sei die zentrale Ursache für den Ansehensverlust der Vereinten Nationen.

Demgegenüber weitet dieser Band, der vornehmlich Beiträge von Politikwissenschaftlern und Völkerrechtlern vereinigt, den Blick ganz erheblich. Er zeigt eine UN, die in den letzten Jahren mit immer neuen Aufgaben überhäuft wurde und dafür weder die nötigen inneren Reformen vorantreiben noch neue Ressourcen erschließen konnte. So müssen notwendigerweise die Erwartungen etwa bei der Bewältigung der zahlreichen peace keeping missions regelmäßig enttäuscht werden, da die UN gar nicht über die Mittel verfügen, ihr Interventionsrecht auszuüben, sondern dies an einzelne Staaten delegieren, denen sie damit eine carte blanche bei der Anwendung militärischer Gewalt gegen andere Mitgliedsstaaten geben. Mit der wachsenden Zahl von solchen Missionen musste auch die Enttäuschung über deren Misserfolg (sowohl im Sinne der angestrebten Befriedung als auch der Anwendung einheitlicher Maßstäbe bei der Eindämmung von Konflikten) wachsen. Diese eher schleichende Unterminierung des Vertrauens in die UN wurde auf eine besondere Probe gestellt, als die USA die Weltgemeinschaft und das Völkerrecht im Zuge des Krieges gegen den Terror mit ihrer Forderung nach einem Recht zur präemptiven Kriegsführung konfrontierten (Aufsätze von Oliver Dörr, Manuel Fröhlich und Sven Bernhard Gareis).

Ein ähnliches Bild bietet sich im Bereich der Entwicklungs- und Umweltpolitik, der durch die millenium goals ambitionierte Ziele erhalten hat und mit besonderen Erwartungen von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten beobachtet wird. Die Beiträge von Jens Martens, Adolf Kloke-Lesch/ Thomas Helfen/ Mario Sander von Torklus und Udo E. Simonis zeigen, dass hier den UN eine „Checklist unerledigter Aufgaben“ zugewachsen ist, die ohne eine gründliche Reform der inneren Verfasstheit und eine deutlich größere Aufmerksamkeit für die Professionalisierung der Organisation erst recht nicht zu bewältigen ist (zahlreiche Einblicke bieten die Artikel zum Weltsicherheitsrat, der Generalversammlung, dem Sekretariat und den Vertragsgremien im ersten Teil des Bandes).

Ob die Blockade durch einzelne oder Gruppen von Mitgliedsstaaten oder die Defizite einer Großbehörde, die zuweilen noch als Ansammlung von Pfründen missverstanden wird, für die schlechte Bilanz der UN hauptsächlich verantwortlich sind, hängt von den Perspektiven und der Interessenlage ab, die das Urteil beeinflussen. Der Band macht aber vor allem deutlich, dass Stillstand dadurch verursacht wird, dass diese beiden Perspektiven gegeneinander ausgespielt und als Entschuldigung für eigene Reformverweigerung herangezogen werden.

Die jeweils übersichtlich gegliederten und klar auf je eine zentrale Argumentation konzentrierten Aufsätze dieses Bandes bieten ein gutes Resümee der Reformanstrengungen, vor allem aber zeigen sie die Aufgabenfelder, die sich der deutschen wie der internationalen Politik bieten. Leider fehlen Beiträge, die einen breiteren Rahmen abstecken und etwa nach den Veränderungen im Gesamtgefüge der internationalen Organisationen fragen (woraus sich leichter ableiten ließe, ob der Legitimationsverlust durch verschobene Weltmachtgewichte inzwischen über andere Strukturen aufgefangen wird) oder einen Überblick zu den Aktivitäten der UN versuchen (für das Argument zahlreicher Autoren, die UN bedürfen weniger einer grundlegenden Struktur- und Gremienreform als vielmehr einer weiteren Legitimierung, die sie aus ihrer täglichen Arbeit beziehen, für die es keine alternativen Anbieter gibt).

Als aktuelle Wortmeldung zu einem noch laufenden Prozess ist dieser Band aber unbedingt bemerkenswert und lädt andere Disziplinen ein, die Vernachlässigung internationaler Organisationen zu überdenken. Es ist erstaunlich, wie wenig die 60jährige Geschichte der UN bisher Historiker zur Teilnahme an der Analyse des internationalen Regimes eingeladen hat.

Redaktion
Veröffentlicht am
14.12.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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