Vor 40 Jahren gelangte die dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen nach achtjährigen Verhandlungen mit der Annahme des UN-Seerechtsübereinkommens (SRÜ) zu einem erfolgreichen Abschluss. Das Übereinkommen trat 1994 in Kraft. Damit ist eine neue Seerechtsordnung geschaffen worden, die zu Recht als Verfassung der Meere tituliert wird. Über die Entstehungsgeschichte, die strittigen Schwerpunkte der Konferenz und den Verhandlungsprozess gibt die vorliegende Publikation des Singapurers Tommy Koh Aufschluss, der einer der maßgeblichen Verhandlungsführer in der Konferenz war und sie in der Schlussphase als Präsident leitete.
Die Veröffentlichung setzt sich aus drei Abschnitten zusammen, in denen Vorlesungen und Vorträge, Zeitungsbeiträge und wissenschaftliche Aufsätze des Verfassers aus den Jahren 1982 bis 2017 zur Entwicklung des Internationalen Seerechts bis hin zum SRÜ zusammengestellt werden. Der erste Abschnitt enthält vier Vorlesungen über die Schaffung einer neuen Seerechtsordnung, die Koh als Präsident der Dritten UN-Seerechtskonferenz 1982 an der Yale University im Rahmen der Henry L. Stimson Lectures gehalten hat. Hier legt er zunächst dar, warum das auf den Grundsätzen von Hugo Grotius entwickelte Seerecht modernen Fragestellungen und Anforderungen nicht mehr genügte. Daran anknüpfend schildert er die Bemühungen um die Entwicklung von Regeln, mit denen die widerstreitenden Nutzungsinteressen miteinander in Einklang gebracht werden sollen. Die Ausweisung des Meeresbodens und -untergrundes jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse als gemeinsames Erbe der Menschheit und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Seerechtsordnung werden in der dritten Vorlesung behandelt. Den Abschluss bilden von Insider-Wissen geprägte Betrachtungen über den achtjährigen Verhandlungsprozess.
Im zweiten Abschnitt werden Beiträge des Verfassers als Konferenzpräsident während der erfolgreichen Schlussphase der Seerechtskonferenz wiedergegeben, in denen er das SRÜ als Verfassung der Meere herausstellt. Daran schließen sich Betrachtungen über die durch das SRÜ erreichte rechtliche Einordnung der Transitdurchfahrt durch Meerengen sowie über den Verhandlungsverlauf während der dritten Seerechtskonferenz an. Weitere Beiträge betreffen die durch das SRÜ geschaffene Meeresbodenbehörde und die wachsende Bedeutung der Tiefsee. Als Abschluss des Abschnitts folgen Beiträge über die Rechtsfrieden stiftende Rolle des SRÜ, Streitfragen im Südchinesischen Meer und über die Beilegung des Streits über Seegrenzen zwischen Osttimor und Australien.
Der dritte Abschnitt besteht aus drei wissenschaftlichen Aufsätzen zur Entstehungsgeschichte des SRÜ, der rechtlichen Einordnung der von küstenstaatlicher Jurisdiktion erfassten Meereszonen sowie einigen persönlichen Reflexionen des Verfassers über das Seerecht.
Das große Verdienst der Publikation liegt darin, dass eine bessere Einordnung des SRÜ als ein herausragender Meilenstein in der Entwicklung des Seerechts ermöglicht wird. Dem heutigen Leser wird dabei deutlich, dass das SRÜ nur den Problem- und Diskussionsstand zu Beginn der 1980er Jahre widerspiegeln kann. Die von eigenem Erleben des Verfassers geprägte Erörterung einer Reihe von strittigen Fragen und den dazu gefundenen Formulierungskompromissen im SRÜ verhilft zu einem besseren Verständnis der betroffenen Regelungen und erleichtert deren Interpretation und Anwendung. Zu manchen Punkten wären vertiefte Überlegungen wünschenswert gewesen. Das gilt beispielsweise für die Frage, unter welchen Voraussetzungen Standards in der Schifffahrt international allgemein anerkannt sind (S. 323). Dass in diesem Zusammenhang fälschlicherweise noch auf die in der Langfassung falsch bezeichnete IMCO verwiesen wird, obwohl diese 1982 in IMO umbenannt worden ist, sei nur am Rande angemerkt. Auf besonderes Interesse dürfte die Schilderung des Konferenzablaufs sowie der Verhandlungstaktik und -führung sein, zumal Außenstehende zumeist keine Vorstellung davon haben, wie gemeinsam getragene Ergebnisse bei einer Teilnahme von mehr als 140 Staaten überhaupt erreicht werden können. Verschiedentlich kommt es zwar zu Doppelungen. Das mag im Einzelfall irritieren, ist aber bei einer solchen Schriftensammlung wohl kaum vermeidbar.
Inhaltlich fällt auf, dass sich Kohs Ausführungen sehr stark auf die küstenstaatlichen Kompetenzen konzentrieren. Das erklärt sich daraus, dass die Ausdehnung des Küstenmeeres auf maximal 12 Seemeilen und die Schaffung einer Ausschließlichen Wirtschaftszone mit den sich daraus ergebenden Folgerungen Diskussionsschwerpunkte waren. Das gilt in ähnlicher Weise für die Ausweisung der Tiefsee als gemeinsames Erbe der Menschheit. In diesem Zusammenhang hätte allerdings ein Hinweis nahegelegen, dass das SRÜ erst in Kraft trat, nachdem nachträglich in einem Durchführungsübereinkommen das Tiefseebodenbergbauregime modifiziert worden war. Der Schutz der Meere, inzwischen als eine der großen Herausforderungen erkannt, wird nur beiläufig erwähnt und ist dann auf Meeresverschmutzungen beschränkt. Hingegen spielt der Schutz der marinen Biodiversität keine Rolle, wie sich darin zeigt, dass er sich allenfalls am Rande im SRÜ wiederfindet.
Ein wenig zu bedauern ist, dass der Verfasser die Zusammenstellung seiner Schriften nicht genutzt hat, auch die Entwicklung des Seerechts nach 1982 in den Blick zu nehmen und darauf einzugehen, welche Defizite und Lücken das SRÜ aufweist und welche zusätzlichen Regelungen aufgrund neuer Erkenntnisse und Entwicklungen erwogen werden müssen. Dann hätte er möglicherweise auch die eine oder andere Einschätzung revidiert, so vor allem seine Ansicht, dass die Nutzung der Offshore-Windkraft offenbar nicht erfolgversprechend sei (S. 284). Inzwischen besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass eine umfassende, dem Nachhaltigkeitsgebot genügende Ocean Governance erforderlich ist, um Schutz und Nutzung der Meere miteinander in Einklang zu bringen. Dazu bedarf es einer klaren internationalen Rechtsgrundlage, die auf der Grundlage moderner Umweltprinzipien auch bisher global nicht hinreichend geregelte Bereiche erfasst, wie die Verschmutzung vom Lande aus, Offshore-Aktivitäten und Energiegewinnung, die marine Biotechnologie und nicht zuletzt ein noch effektiveres Fischereiregime. Dass zusätzliche Regelungen notwendig sind, findet seine Bestätigung in den gegenwärtigen Erörterungen der UN über ein Übereinkommen zur Biodiversität und nachhaltigen Nutzung der Hohen See. Gerade im Rahmen derartiger Bestrebungen kann es durchaus lehrreich sein, einen Blick zurück auf die geschichtliche Entwicklung des Seerechts zu werfen, deren bisher letzter Kulminationspunkt in den erfolgreichen Verhandlungen über das SRÜ zu finden ist, wie die Publikation eindrucksvoll bestätigt.